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Die Fusion von Chrysler und Daimler-Benz: Was bringt sie für Arbeiter?

Die Übernahme des Chrysler-Konzerns durch Daimler zeigt eindrucksvoll, wie die Globalisierung der Weltwirtschaft voranschreitet. Das größte Industrieunternehmen Europas fusioniert mit einem der größten amerikanischen Konzerne. Infolge einer Börsenoperation, deren Umfang mehr als 66 Milliarden DM betrug, entstand ein transnationaler Gigant mit über 421.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von fast 230 Milliarden DM.

Der Zusammenschluß ist der bisher größte in der Geschichte der Industrie überhaupt und der größte Erwerb eines amerikanischen Unternehmens durch einen ausländischen Konzern. Das neue Unternehmen DaimlerChrysler wird nach General Motors, Ford, Toyota und Volkswagen in Bezug auf die Stückzahl der hergestellten Fahrzeuge der fünftgrößte Autohersteller der Welt sein und sogar der drittgrößte, was den Wert der produzierten Fahrzeuge betrifft. Wäre DaimlerChrysler ein Land, würde es, an der Größe des Bruttosozialprodukts gemessen, Platz 37 belegen - knapp hinter Österreich, aber deutlich vor anderen EU-Ländern wie Griechenland, Portugal, Norwegen, Dänemark, Finnland und Irland.

Während bei früheren Fusionen in der Autoindustrie oft kleine oder kriselnde Firmen von mächtigeren Rivalen geschluckt wurden, handelt es sich hier um zwei hochprofitable Unternehmen, die 1997 zusammen einen Nettoertrag von fast 10 Milliarden DM erzielt hatten. Daimler-Benz schreibt nach Verlusten Anfang der neunziger Jahre wieder enorme Gewinne, während Chrysler einen größeren Profit pro hergestelltes Fahrzeug erzielt, als jeder andere Autohersteller.

Die treibende Kraft hinter der Fusion ist der Zwang, immer größere global operierende Unternehmen zu schaffen, die sich auf allen bedeutenden Märkten der Welt behaupten können, besonders in den drei Zentren des Weltkapitalismus: Nordamerika, Europa und Asien. Vor dem Zusammenschluß produzierten Chrysler und Daimler-Benz im wesentlichen für regionale Märkte. Chrysler hielt den drittgrößten Marktanteil in Nordamerika, während Daimler-Benz den Markt für Luxuswagen in Europa dominierte.

Chrysler war während seiner Finanzkrise in den achtziger und frühen neunziger Jahre gezwungen gewesen, seine Aktivitäten in Europa und Lateinamerika aufzugeben. Letzten Monat setzte der Konzern außerhalb Nordamerikas nur 17.713 Autos ab, verglichen mit nahezu einer Viertelmillion Fahrzeuge auf dem heimischen Markt. Daimler-Benz hatte sein erstes Werk außerhalb Europas erst im vergangenen Jahr eröffnet. In Tuscaloosa im amerikanischen Bundesstaat Alabama wurde mit dem Bau einer Sport- und Gebrauchsversion des Mercedes begonnen.

Keines der beiden Unternehmen hat ein Werk in Asien. Bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz in London deuteten Daimler-Chef Jürgen Schrempp und Chrysler-Chef Robert Eaton an, daß als nächstes ein japanisches Unternehmen, möglicherweise Mitsubishi, ein früherer Partner von Chrysler übernommen und damit die Präsenz des neuen Konzerns auf den globalen Märkten vervollständigt werden könnte.

Bereits kurz nach der Fusion sagten Experten der Autoindustrie und des Finanzwesens voraus, daß die verbliebenen regionalen Autohersteller nun gezwungen sein würden, sich ebenfalls zu global operierenden Unternehmen zusammenzuschließen, um gegenüber GM, Ford, Toyota, Honda und DaimlerChrysler bestehen zu können. Als national beschränkte Hersteller, die für einen nationalen Markt produzieren, können sie sich auf Dauer nicht behaupten. Ein Experte drückte das gegenüber der Londoner Times so aus: „Die Nationalflaggen sind eingeholt und stattdessen die Fahnen der Profitabilität gehißt worden."

Die bevorstehende Arbeitsplatzvernichtung

Schrempp wie Eaton erklärten zwar, daß die Fusion keine Werkschließungen mit sich bringen würde, da die beiden Unternehmen hauptsächlich für unterschiedliche Märkte produzieren. Diese Behauptungen sind vom Großteil der Medien unkritisch wiederholt worden, sie entbehren aber jeglicher Grundlage. Selbst wenn es unmittelbar keine Fabrikschließungen gibt, werden viele Arbeitsplätze im Entwicklungs- und Verwaltungsbereich abgebaut werden, da DaimlerChrysler anstrebt, diese Bereiche zu zentralisieren.

Daimler-Benz hat seit 1995, als Schrempp Vorstandsvorsitzender wurde, 40.000 Arbeitsplätze abgebaut. Vertreter von Daimler wiederum gaben an, eines der attraktivsten Merkmale von Chrysler sei dessen „Sachkenntnis", bei Arbeitsplatzabbau und Kostensenkung. Die Beschäftigtenzahl von Chrysler ist seit Anfang der achtziger Jahre von 160.000 auf 79.000 gesunken.

Was auch immer die Fusion auch für kurzfristige Auswirkungen haben mag, es ist das Hauptziel solcher Zusammenschlüsse, geschäftliche Operationen zusammenzulegen und wirtschaftlicher zu werden, was unvermeidlich zu Arbeitsplatzvernichtung führen muß. So kündigte am selben Tag, an dem die Fusion der Autofirmen offiziell bekanntgegeben wurde, das Computerunternehmen Compaq an, daß es 15.000 Arbeitsplätze beim Konzern Digital Equipment abbauen würde, mit es sich dieses Jahr zusammengeschlossen hat.

Die Zeitung Detroit News berichtete von Schätzungen, denen zufolge die Fusion „infolge von Schließungen unausgelasteter Werke auf der ganzen Welt zu Abschreibungen in Höhe von bis zu 25 Milliarden Dollar (fast 44 Mrd DM)" führen würde. Ihr Redakteur Jon Pepper schrieb nach einem Interview mit dem Chrysler-Vorsitzenden Robert Eaton, der Chrysler-Chef ginge weniger von kurzfristigen Profitüberlegungen aus, sondern von den Unternehmensaussichten über die nächsten zehn Jahre.

Pepper weiter: „Was Eaton antrieb, ist ein Schrumpfungsprozeß in der internationalen Autoindustrie mit vielleicht katastrophalen Auswirkungen". „Er war sehr besorgt angesichts wachsender Überkapazitäten in der weltweiten Automobilindustrie. Er schätzte, daß es im Jahr 2002 achtzig Montagewerke mehr geben werde, als der Markt verlangen würde. Eine solche Überkapazität entspräche sechs Chrysler-Konzernen."

Dieser gigantische Überschuß an Produktionskapazitäten ist nur vom Standpunkt des Kapitalismus aus ein „Zuviel", denn er bedeutet einfach, daß sehr viel mehr Autos produziert, als mit Profit verkauft werden können. Im Rahmen des Profitsystems können diese Produktionskapazitäten jedoch nicht die Bedürfnisse der Menschen in aller Welt nach billigen und bequemen Transportmöglichkeiten befriedigen. Sie hängen stattdessen wie ein Damoklesschwert über der Industrie. Das nächste Konjunkturtief wird für die Autoarbeiter und die gesamte Arbeiterklasse weltweit fatale Auswirkungen haben.

Allein im letzten Jahr haben in der Autoindustrie 750 Fusionen und Übernahmen im Wert von insgesamt fast 50 Milliarden DM stattgefunden. Autohersteller und Zulieferer haben ihre Operationen zusammengelegt und Arbeitsplätze abgebaut. Allein wegen der Daimler-Chrysler Fusion von über 66 Milliarden DM wird es 1998 eine Rekordsumme sein.

Gloabliserung und Gewerkschaften

Die Übernahme von Chrysler durch Daimler-Benz ist Bestandteil eines enormen Kapitalabflusses aus Deutschland. Gigantische Konzerne wie Hoechst, Bertelsmann, Siemens und Volkswagen kaufen ausländische Unternehmen oder investieren in neue Werke und Zulieferer im Ausland. Allein im letzten Jahr ist von deutschen Unternehmen zehmal so viel im Ausland investiert worden, wie ausländische Unternehmen in Deutschland investiert haben.

Ziel dieser Investitionen ist es, durch niedrigere Arbeitskosten als in Deutschland die Profite zu steigern. Volkswagen hat Skoda, den größten Hersteller der Tschechischen Republik, aufgekauft und Werke in ganz Osteuropa erworben oder gebaut. Der jüngste Treffer von Mercedes-Benz auf der Suche nach geringer bezahlter Arbeit war Alabama, wo die Lohnkosten bei der Hälfte der 50-DM-Stundenlöhne in Stuttgart oder anderen deutschen Städten liegen.

Peter Hans Kailbach, der Geschäftsführer des Werkes in Tuscaloosa, schwärmte in einem Interview mit der Washington Post über die Vorteile des amerikanischen Südens. „Das war eine große Erfahrung", erklärte er, „Der Qualitätsstandard kann mit allem mithalten, was in Deutschland gebaut wird, und die Kostenvorteile sind außerordentlich."

Der Übernahme von Chrysler wird wahrscheinlich eine weitere Produktionsverlagerung von Deutschland nach Nordamerika folgen, wodurch Arbeitsplätze in Deutschland abgebaut und gleichzeitig kurzfristig die Beschäftigtenzahl in Kanada und den USA erhalten oder sogar zeitweilig erhöht werden wird.

Das erklärt, warum die Fusion von den Gewerkschaftsbürokraten der US-amerikanischen United Auto Workers (UAW) und der Canadian Auto Workers (CAW) so enthusiastisch unterstützt wird. Sie rechnen damit, daß ihre Mitgliedseinnahmen auf Kosten ihrer deutschen Gegenstücke in der IG Metall wachsen werden. Außerdem hoffen die UAW- und CAW-Bürokraten, daß Daimler-Benz die „Mitbestimmung" nun auch dort einführen und ihnen noch mehr Pfründe und Einfluß auf die Geschäftspolitik bringen wird. Wie die IGM-Funktionäre in Deutschland hatten sie schon in den letzten zwei Jahrzehnten Arbeitsplätze, Löhne und Rechte der Arbeiter lukrativen Nebeneinkünften und Posten für sich selbst geopfert.

Ungeachtet der eigennützigen und nationalistischen Berechnungen der UAW und CAW werden jedoch ganz ohne Zweifel die amerikanischen und kanadischen Arbeiter ebenso wie ihre Kollegen in Deutschland die Auswirkungen der Fusion auf Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen zu spüren bekommen.

Der Werdegang Schrempps ist eine deutliche Warnung. Der Daimler-Benz-Chef leitete insgesamt elf Jahre die Geschäfte der Firma unter dem südafrikanischen Apartheidregime. Außerdem verbrachte er zwei Jahre in Cleveland, Ohio, wo er eine Lastwagenfabrik des Konzerns führte, bis er die Unternehmensführung schließlich überzeugte, daß das Werk unprofitabel sei und abgestoßen werden müsse. Schrempp war 1995 kaum Vorstandsvorsitzender von Daimler geworden, da suchte er auch schon die Konfrontation mit den Arbeitern und kündigte die jahrzehntelange Regelung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf, was eine Reihe erbitterter Streiks hervorrief.

Die Alternative für Arbeiter

Die Chrysler-Daimler-Fusion zeigt, wie dringend notwendig es ist, daß die Arbeiterklasse eine internationale Strategie entwickelt, mit der sie die Angriffe des global organisierten Kapitals zurückschlagen kann. Sie zeigt, wie rückständig und borniert Organisationen wie die Gewerkschaften oder die kleinbürgerlichen Radikalen sind, die die Kämpfe der Arbeiter auf den nationalen Rahmen oder rein gewerkschaftliche Formen beschränken wollen. Sie macht deutlich, daß die alten, nationalen Arbeiterorganisationen völlig unfähig sind, den Kämpfen der Arbeiter eine erfolgversprechende Richtung zu weisen.

Die Unternehmer organisieren ihre Aktivitäten im globalen Maßstab, und die Arbeiterklasse muß entsprechend darauf antworten. Die zunehmende Geschwindigkeit der globalen Integration der Produktion ist ein objektiv bedingter Prozeß, dessen Ursachen in revolutionären technologischen Entwicklungen liegen. Daher das ständige Streben der Produktivkräfte, die erstickenden Begrenzungen des nationalen Marktes zu überwinden.

„Gegen" die Globalisierung zu sein, ist genauso sinnlos, wie „gegen" das Gesetz der Schwerkraft zu sein. Die Frage ist vielmehr: auf welcher Grundlage und in wessen Interesse wird diese Entwicklung vonstatten gehen? Soweit die Globalisierung auf kapitalistischer Grundlage stattfindet, nach dem Willen der transnationalen Konzerne und herrschenden Finanzeliten, wird sie zu immer brutaleren Angriffen auf die Arbeiterklasse führen.

Wenn sich jedoch die Arbeiterklasse international zusammenschließt, einen politischen Kampf zum Sturz des Profitsystems führt und selbst die Kontrolle über die Produktivkräfte übernimmt, wird mit den riesigen Möglichkeiten der globalen Wirtschaft die materielle und kulturelle Lage der Weltbevölkerung enorm angehoben werden können.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale ist die einzige politische Bewegung, die für die Vereinigung der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms kämpft. Die Fusion von Daimler und Chrysler ist ein weiterer schlagender Beweis dafür, daß nur die Perspektive des sozialistischen Internationalismus der arbeitenden Bevölkerung einen Weg vorwärts bietet.

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Bereicherungsorgie für Spekulanten
[Mai 12 1998]