Reform des italienischen Wahlrechts gescheitert

Der Versuch, in Italien mit Hilfe eines Referendums ein reines Mehrheitswahlrecht einzuführen, ist am Sonntag aufgrund mangelnder Beteiligung gescheitert. Mindestens die Hälfte der 49 Millionen Wahlberechtigten hätten zur Urne gehen müssen, um ein gültiges Ergebnis zu erzielen, am Ende fehlten aber 150.000 oder 0,4 Prozent. Von den abgegebenen Stimmen sprachen sich 91 Prozent für das neue Wahlrecht aus.

Das Ergebnis ist eine Ohrfeige für die großen Parteien, die sich für das Referendum stark gemacht hatten. Sie hatten am Sonntag abend bereits ihren Sieg gefeiert, nachdem die Meinungsforscher übereinstimmend eine Beteiligung von 51 bis 52 Prozent errechnet hatten. Gianfranco Fini, Präsident der neofaschistischen Nationalen Allianz, begrüßte dieses Ergebnis als ersten Schritt zu einem autoritären Präsidialsystem. Romano Prodi, ehemaliger Ministerpräsident und designierter Präsident der EU-Kommission, sprach von einem überragenden Sieg für die Modernisierung und die Regierbarkeit Italiens. Nachts um halb zwei kam dann die kalte Dusche: Das Innenministerium kündigte an, daß das Referendum gescheitert war.

Ein ähnliches Referendum hatte vor sieben Jahren noch achtzig Prozent der Wahlberechtigten in die Abstimmungslokale gelockt, von denen sich 95 Prozent für die Ablösung des bis damals gültigen Verhältniswahlrechts durch das derzeitige gemischte Wahlrecht aussprachen. Danach gehen drei Viertel der Sitze nach dem Mehrheitswahlrecht an den jeweils stärksten Kandidaten im Wahlkreis, das restliche Viertel wird nach dem Verhältniswahlrecht auf die Listen der Parteien verteilt.

Die überwältigende Mehrheit für die damalige Wahlrechtsreform war unter dem Einfluß der Korruptionsskandale zustande gekommen, die Anfang der neunziger Jahre das öffentliche Leben Italiens erschütterten. Durch das Abrücken vom reinen Verhältniswahlrecht sollte die Zahl der im Parlament vertretenen Parteien vermindert werden. Der Zwang, aus einer Vielzahl von Parteien eine mehrheitsfähige Koalition zu bilden, lautete die Begründung für den neuen Wahlmodus, fördere Absprachen hinter den Kulissen, Korruption und Günstlingswirtschaft und sei die Ursache für die chronische Instabilität der italienischen Regierungen.

Die Wahlrechtsreform brachte allerdings nicht das versprochene Ergebnis. Statt der damals landesweit 30 Parteien gibt es heute 45. Die Kungeleien im Parlament wurden durch Absprachen und Listenverbindungen während der Wahlen ergänzt. Auf diese Weise gelangten 1994 die Faschisten im Bündnis mit dem Medienzaren Silvio Berlusconi vorübergehend an die Macht. Heute liegt die Führung der Regierung - auch dies ein Novum in der italienischen Geschichte - in den Händen der Linksdemokraten, die aus der Kommunistischen Partei hervorgegangen sind.

An der Lage der Bevölkerung, der chronischen Arbeitslosigkeit und weitverbreiteten Armut, hat dies wenig geändert. War die hohe Zustimmung zur Wahlrechtsreform von 1992 noch mit vagen Hoffnungen verknüpft, daß die Überwindung des alten politischen Systems auch die soziale Lage verbessern werde, so ist der Boykott des jetzigen Referendums, wie ein Kommentar treffend bemerkte, "Ausdruck für das politische Desinteresse der Bürger. Sie erwarten von ihren Parteien nichts, aber auch gar nichts mehr." ( taz) Die Wahlbeteiligung entsprach ziemlich genau dem sozialen Gefälle: Während im reicheren Norden 54 Prozent abstimmten, waren es im armen Süden nur 42 Prozent. Dort ging das Referendum verloren.

Hinzu kommt, daß die Einführung eines reinen Mehrheitswahlrechts die Einflußmöglichkeiten der Bevölkerung auf das politische Geschehen drastisch eingeschränkt und die Faschisten weiter aufgewertet hätte. Die großen Parteien hätten ein politisches Monopol erhalten, während den kleineren Parteien der Zugang zum Parlament versperrt worden wäre. Das Scheitern des Referendums muß auch als eine Absage an diese Pläne gewertet werden.

Massimo D'Alema, dem Führer der Linksdemokraten und derzeitigen Regierungschef, schwebt seit langem ein Zweiparteiensystem vor, in dem die Linksdemokraten den einen und die Nationale Allianz den anderen Pol bilden. Diese beiden Parteien haben das Referendum denn auch unterstützt, während es von allen kleineren Parteien - einschließlich der Neokommunisten, der Grünen und der separatistischen Lega Nord - abgelehnt wurde.

Berlusconis Forza Italia bezog keine eindeutige Haltung. Sie rechnet sich in einem Zweiparteiensystem wenig Chancen aus. Sie hat zwar bisher in Wahlen besser abgeschnitten als Finis Nationale Allianz, ist aber weitaus labiler als diese, da sie über keine gefestigten Parteistrukturen verfügt und zu sehr in die Privatgeschäfte ihres Gründers verstrickt ist.

Energisch befürwortet wurde das Referendum dagegen von Romano Prodi, der kürzlich eine neue Partei, "Die Demokraten", gegründet hat. Ihr gehören mehrere prominente Bürgermeister von Großstädten und der ehemalige Staatsanwalt Di Pietro an, der sich als Saubermann in den Mailänder Korruptionsprozesse einen Namen gemacht hatte. Den Demokraten, die den Linksdemokraten die Führung der bürgerlichen Mitte streitig machen, waren für die kommende Europawahl große Chancen eingeräumt worden. Das Scheitern des Referendums zeigt, daß auch der Stern dieser "populären" Männer schnell am Sinken ist.

Siehe auch:
D'Alema wird italienischer Regierungschef
(28. Oktober 1998)
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