Gerechtigkeit für Zwangsarbeiter?

Die Deutsche Bank, Auschwitz und der Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft

Nach seiner Rückkehr aus New York hat der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder vergangene Woche gemeinsam mit zwölf Vertretern namhafter deutscher Konzerne und Banken die Gründung einer Stiftung zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter verkündet. Die "Gemeinsame Erklärung" wird bisher von der Allianz, von BASF, Bayer, BMW, Daimler-Chrysler, Deutscher Bank, Degussa-Hüls, Dresdner Bank, Friedrich-Krupp, Krupp-Hoesch, Hoechst, Siemens und Volkswagen unterstützt, weitere Konzerne sollen folgen.

Mit bemerkenswerter Offenheit betonte Schröder das zentrale Anliegen der Stiftung, als er am 16. Februar erklärte, die Unternehmen und die Bundesregierung erwarteten jetzt die Rechtsicherheit, daß die deutschen Konzerne keine Sammelklagen mehr befürchten müßten. Es gehe darum, "Kampagnen gegen den Ruf unseres Landes und unserer Wirtschaft den Boden zu entziehen, damit die deutsche Wirtschaft ungehindert ihrer Arbeit nachgehen kann". Deshalb sollten sich in Zukunft Forderungen nur noch an den neuen Fonds richten, nicht mehr jedoch an die Konzerne selbst, die von der Zwangsarbeit profitiert hatten.

Fünf Jahrzehnte lang haben die Wirtschaftsführer auf eine "biologische Lösung" gesetzt, d.h. sie haben darauf spekuliert, daß irgendwann einmal auch der letzte Kläger gestorben und die Ansprüche hinfällig geworden sein würden. Doch der Entschluß, nach über einem halben Jahrhundert die letzten noch lebenden Zwangsarbeiter endlich für ihre Leiden zu entschädigen, kommt weder freiwillig, noch ist er ausschließlich moralischen Prinzipien verpflichtet.

Er ist schlicht eine Voraussetzung dafür, daß diese führenden deutschen Wirtschaftsvertreter in Zukunft am globalen Markt, besonders in den USA, noch Geschäftspartner und Kunden finden werden. Nur wenn es ihnen gelingt, sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit halbwegs glaubwürdig ihrer Verantwortung für die millionenfache Ausbeutung zur Zeit der faschistischen Gewaltherrschaft zu entledigen, können sie einen internationalen Boykott vermeiden.

Dies wird besonders am Beispiel der Deutschen Bank deutlich, deren Vorstandssprecher Rolf-Ernst Breuer nicht zufällig persönlich an der Goodwill-Tour von Schröder und dessen Kanzleramtschef Bodo Hombach nach New York teilgenommen hat. Erst im letzten November hat die Deutsche Bank ihre Absicht bekanntgegeben, den amerikanische Bankers Trust für 17,1 Milliarden Dollar zu kaufen. Nachdem die Fusion von Daimler mit dem US-Autogiganten Chrysler noch problemlos über die Bühne gegangen war, schaltete sich bei der Fusion der Deutschen Bank der jüdische Weltkongreß ein, der eine Wiedergutmachung für die Greuel im Dritten Reich, die der Bank Milliardengewinne verschafft hatten, als Vorbedingung für eine Fusion verlangte.

In den USA sind bereits mehrere Sammelklagen gegen die Deutsche und die Dresdner Bank anhängig. Dabei geht es vor allem um die sogenannten "Arisierungen" — Enteignungen jüdischer Bürger und Geschäfte, die nicht nur in Deutschland, sondern in allen besetzten Ländern, wie Belgien, Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Österreich etc. stattgefunden hatten.

Die Süddeutsche Zeitung erklärte dieses Phänomen unter dem Titel "Die plötzliche Macht der Geschichte" am 6. Februar: "Daß die Klagen als internationales Top-Thema behandelt werden, liegt daran, daß Politik und Wirtschaft für die Entschädigung von Zwangsarbeitern eine Regelung versäumt oder bewußt auf Zeit gespielt haben... Die Globalisierung hat das ihre beigetragen: Weil inzwischen alle deutschen Konzerne im wichtigen Markt Nordamerika Tochterunternehmen haben, können sie dort nach US-Recht verklagt werden."

Da sind es einfach zu viele kompromiittierende Fakten, für die in den letzten Monaten detaillierte Beweise ans Licht gekommen sind: So hat die Dresdner Bank tonnenweise mit Raubgold aus Konzentrationslagern und Ghettos gehandelt, das von Schmuck, goldenen Wertsachen oder Zahngold stammte; die IG Farben und Degussa waren an der Herstellung des tödlichen Gases Zyklon B beteiligt, das in den Gaskammern zum Einsatz kam; die Allianz und andere Versicherungsgesellschaften weigerten sich, von Juden abgeschlossene Policen auszuzahlen; der Siemens-Konzern baute im "Tausendjährigen Reich" einen der weltgrößten Elektrotechnikkonzerne auf und profitierte massiv vom NS-Programm "Vernichtung durch Arbeit".

Besonders das sorgsam gepflegte Image der Deutschen Bank hat in letzter Zeit gründlich gelitten. In früheren Hochglanzbroschüren über die Bankengeschichte hieß es immer, daß das Bankhaus gerade in der "Zeit nach 1933" vornehme Zurückhaltung geübt habe, sich der Aushölung des Vorstands durch die Nazis erfolgreich widersetzt und trotz "einiger Neuerwerbungen nach 1938" dem Nationalsozialismus "keine Konzessionen" gemacht habe. Der Vorstandssprecher Hermann Josef Abs, zuständig für alle Auslandsgeschäfte, wurde nach dem zweiten Weltkrieg Finanzberater von Kanzler Adenauer und graue Eminenz der deutschen Wirtschaft. Die Stadt Frankfurt am Main ernannte ihn zum Ehrenbürger.

Seitdem 1997 eine erste offizielle Konferenz der deutschen Wirtschaft gemeinsam mit Historikern tagte, ein Jahr später die Schweizer Historikerkommission ihren Bericht vorlegte und Ende 1998 in Paris eine "Society for European Business History" ins Leben gerufen wurde, tritt die Deutsche Bank die Flucht nach vorne an. Sie zieht es vor, ihre Geschichte selbst neu aufzurollen, ehe es andere tun.

Historiker des hauseigenen Archivs haben nun Dokumente vorgelegt, die beweisen, daß die Deutsche Bank sich mit vollem Wissen ihres Vorstands an der Finanzierung von Auschwitz beteiligt hat. Die Kattowitzer Filiale der Deutschen Bank gab Kredite für den Bau des Buna-Werks der IG Farben und von Baustellen der Waffen-SS in Auschwitz.

Der Leiter des Historischen Instituts der Deutschen Bank, Manfred Pohl, erklärte am 4. Februar 1999 in Frankfurt, wie die lukrativen Verbindungen damals konkret ausgesehen haben: Das Vorstandsmitglied Hermann J. Abs war auch Mitglied im Aufsichtsrat der IG Farben, dem Mutterkonzern des Buna-Werks in Auschwitz. Dieses Werk, das 1941 in Auschwitz-Monowitz errichtet wurde, diente der Herstellung von synthetischem Kautschuk, wobei Zwangsarbeit praktisch zum Nulltarif ausgebeutet wurde. Das Werk unterhielt bei der Kattowitzer Filiale der Deutschen Bank ein laufendes Konto, dessen Umsatz sich im Frühjahr 1943 auf fünf Millionen Mark pro Monat belief.

Weiter gab es Verbindungen über Bankkonten und Kredite zur Firma Topf, die in Auschwitz die Krematorien baute. Die Bank führte außerdem Konten für die Gestapo, die nicht nach Namen, sondern nach Aktenzeichen geführt wurden. Auf diesen Konten wurden die Erlöse aus Versteigerungen verwaltet, nachdem die Gestapo jüdischen Besitz geplündert hatte.

Die Verstrickung der Deutschen Bank in den Bau von Auschwitz wird von der Süddeutschen Zeitung so kommentiert: "Die Akten, die darüber Auskunft geben, waren, seit sie angelegt wurden, vorhanden. Aber erst jetzt wurden sie gefunden, einfach deshalb, weil man nach ihnen gesucht hat."

Man hätte es schon seit über fünfzig Jahren wissen können. Im Juni 1947 legte eine Sonderkommission der amerikanischen Militärverwaltung (OMGUS — Office of Military Government for Germany - U.S.) einen Untersuchungsbericht über die Deutsche Bank vor, dessen Inhalt bis heute deren Managern Kopfzerbrechen bereiten muß.

Die OMGUS-Untersuchungsgruppe, das "Deutsche Bank Team", war dem Finanzministerium unter Henry Morgenthau angegliedert und bestand aus jüdischen deutschen Emigranten, amerikanischen Finanzwissenschaftlern und Historikern. Dieser Gruppe war es nach der faschistischen Niederlage 1945 einige Monate lang möglich, relativ frei in Deutschland zu forschen, während die Nürnberger Prozesse vorbereitet wurden. Ihr oberster Dienstherr, der amerikanische Finanzminister Morgenthau, verfolgte ein Konzept, Deutschland zu entmilitarisieren, die Montanindustrieanlagen zu demontieren und die großen Banken und Industriekonzerne zu entflechten.

Der OMGUS-Bericht verschwand dann 1947 in der Versenkung, nachdem in den USA die Truman-Administration Roosevelt abgelöst hatte und Deutschlands wirtschaftlicher Wiederaufbau einen wichtigen Faktor im beginnenden Kalten Krieg ausmachte.

Der Bericht des "Deutsche Bank Teams" wies nach, daß die Führer dieses Bankgiganten die engsten politischen Beziehungen zum Machtzentrum des "Dritten Reiches" hatten, und daß führende Aufsichtsratsmitglieder der Deutschen Bank wie Emil G. von Stauß, Philipp Reemtsma, Carl Friedrich von Siemens oder Albert Pietsch Hitler bereits lange vor dessen Machtantritt finanziert hatten. Der Bericht legte die Mechanismen bloß, durch welche die Bank das Finanzgeflecht des Reichsgebiets kontrollierte und ihre Kontrolle auch über die Industrie ausübte. Er zeigte, welche Rolle sie bei der Wiederaufrüstung und Kriegsvorbereitung gespielt hatte und wie sie die "Arisierung der Wirtschaft" vorantrieb, von der sie selbst massiv profitierte. Er wies nach, wie sich ihr Auslandsgeschäft entwickelte und wie eng ihre weltweiten Operationen mit den Annexionsprogrammen des "Dritten Reiches" koordiniert waren.

Ein besonderes Kapitel befaßte sich mit der Ausbeutung der Zwangsarbeiter, KZ-Insassen und Kriegsgefangenen durch die Aktiengesellschaften, welche die Deutsche Bank kontrollierte, darunter die Mannesmann-Röhrenwerke, die Bayrischen Motoren-Werke, Daimler-Benz oder Siemens.

Die Quintessenz wird in folgenden Empfehlungen zusammengefaßt, die jedoch nach 1947 niemanden mehr interessierten:

"Es wird empfohlen, daß:

1. die Deutsche Bank liquidiert wird,

2. die verantwortlichen Mitarbeiter der Deutschen Bank angeklagt und als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden,

3. die leitenden Mitarbeiter der Deutschen Bank von der Übernahme wichtiger oder verantwortlicher Positionen im wirtschaftlichen und politischen Leben Deutschlands ausgeschlossen werden." (O.M.G.U.S. Ermittlungen gegen die Deutsche Bank, Nördlingen, 1985)

Kein Wunder, daß die heutigen Bankenchefs und Industriemagnaten verzweifelt bemüht sind, möglichst schnell einen Schlußstrich unter die Geschichte zu ziehen.

Ob es auch für die noch lebenden Zwangsarbeiter die beste Lösung ist, bleibt dahingestellt. Besonders in Osteuropa leben noch Hunderttausende ehemaliger Arbeitssklaven der Nazis; im Baltikum, in Polen, Rußland, Tschechien, Ungarn und der Ukraine sind es noch etwa eine gute Million Menschen, die die bis heute bloß ein Almosen (ca. 500 Mark pro Person im Bundesentschädigungsgesetz von 1993) oder überhaupt keine Entschädigung erhalten haben. Sie waren anfangs von den Verhandlungen über die geplante Stiftung ausgeschlossen.

Der jetzt geplante Entschädigungsfonds enthält zwar zum erstenmal eine Absichtserklärung, daß "Nationalität und Religion" bei der Verteilung der Gelder keine Rolle spielen würden. Eine Rechtssicherheit, wie sie die Industrie- und Bankenführer zu ihrer eigenen Sicherheit vor zukünftigen Klagen fordern, gibt es für die Opfer nicht.

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