Das Gore-Lager gibt den Einschüchterungsmethoden der republikanischen Rechten nach

US-Wahl

Die Auseinandersetzung um das Ergebnis der amerikanischen Präsidentenwahl wird immer dramatischer. Dabei tritt der Charakter der kämpfenden Lager deutlich hervor. Während das Bush-Lager selbstbewusst, arrogant und aggressiv auftritt und auch vor Verdrehungen, Lügen und dem Einsatz von Störtrupps nicht zurückschreckt, ist das Gore-Lager zurückhaltend, stützt sich vorwiegend auf die Gerichte und versucht alles zu vermeiden, was breitere Bevölkerungsschichten mobilisieren könnte. Der englischsprachige Teil des World Socialist Web Site berichtet und kommentiert die Ereignisse täglich. Diese Übersetzung beruht auf zwei Artikeln, die am gestrigen Donnerstag erschienen sind.

Das Oberste Gericht Floridas hat am Dienstag entschieden, dass die Vertreter des Staates die von Hand nachgezählten Stimmen in mehreren Bezirken im Süden Floridas berücksichtigen müssen. Es gab damit einer Klage des Gore-Lagers nach, nachdem die Innenministerin Floridas, eine Republikanerin und Wahlhelferin Bushs, die Einstellung der Zählung angeordnet hatte.

Die Entscheidung des Gerichts stützt sich auf die geltenden Gesetze und entspricht demokratischen Traditionen. Das Gerichtsurteil bezeichnet das Wahlrecht der Einwohner Floridas als maßgebliche Frage in der Auseinandersetzung. Das Bush-Lager und die Innenministerin Floridas, Katherine Harris, die der Republikanischen Partei angehört, beharren im Gegensatz dazu auf einem gesetzlich vorgeschriebenen Termin, dessen Einhaltung die Stimmen, die erst bei der Handzählung als gültig anerkannt wurden, ignorieren würde.

Bezugnehmend auf die Verfassung Floridas schreiben die Richter: "Das Wahlrecht ist das überragende Recht in der Menschenrechtserklärung, denn ohne diese grundlegende Freiheit verlören alle anderen Rechte an Wert."

Frühere Gerichtsurteile hätten festgelegt, dass Gesetze, die den Ablauf der Wahl regeln, nur gültig sind, wenn sie das Wahlrecht nicht "vernunftwidrig oder unnötig" einschränken. Harris Zurückweisung der nachgezählten Stimmen, noch bevor die Nachzählung überhaupt fertig war, sei eine derartige "vernunftwidrige oder unnötige" Einschränkung, stellte das Gericht fest. "Gerichte sollten den grundlegenden Zweck von Wahlgesetzen nicht aus den Augen verlieren. Sie dienen dazu, das Recht jeden Wählers, im Rahmen unserer repräsentativen Demokratie seinen oder ihren Willen auszudrücken, zu erleichtern und zu sichern. Gesetzlich festgelegte technische Vorschriften dürfen nicht höher gestellt werden, als dieses Recht."

Nach Ansicht der Richter können nur zwei Umstände die Nichtberücksichtigung nachgezählter Stimmen durch die Innenministerin rechtfertigen: wenn die Nachzählung so spät erfolgt, dass die Kandidaten ihr verbrieftes Recht verlören, die Ergebnisse anzufechten, was in Florida erst nach der offiziellen Bekanntgabe des Ergebnisses möglich ist; oder wenn die verspätete Nachzählung es unmöglich macht, termingerecht zum 12. Dezember die zwölf Wahlmänner Floridas zu ernennen, die dann den Präsidenten wählen.

Vom Standpunkt grundlegender demokratischer Prinzipien hatte das Oberste Gericht wenig Spielraum. Wie die Richter selbst anmerken, lässt es die Verfassung nicht zu, "dass die Innenministerin unschuldige Wähler pauschal entmündigt, um Mitglieder der Wahlkommission zu bestrafen, die sich verspätet haben, wie sie es in dem vorliegenden Fall versucht hat."

Die sieben Richter waren als hochrangige Vertreter des bürgerlichen Staats sichtlich besorgt, dass eine offene Beseitigung des Wahlrechts für Zehntausende Wähler in Florida sowohl das Gericht als auch die Präsidentenwahl in der Öffentlichkeit diskreditieren würde.

Bush versucht als erster Kandidat in der amerikanischen Geschichte Präsident zu werden, indem er die Stimmen seines Gegenspielers systematisch disqualifizieren lässt. Dabei stand die Klage des Bush-Lagers und von Innenministerin Harris juristisch auf äußerst schwachen Füssen. Ihre Anwälte konnten die größtenteils kritischen Fragen der Richter während der zweistündigen Anhörung am 20. November nur mühsam beantworten.

Trotz des anschließenden Geschreis des Bush-Lagers haben die sieben Richter weder Gesetze neu gefasst noch Kompetenzen des Gesetzgebers an sich gerissen. Der Prozess machte Widersprüche in den Wahlgesetzen Floridas deutlich - etwa zwischen einer siebentägigen Frist bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses und der Vorschrift, unter bestimmten Bedingungen von Hand nachzuzählen, was in dieser Frist kaum möglich ist. Das Gericht entschied diese Widersprüche auf der Grundlage früherer Urteile und anerkannter rechtlicher Normen. Es betonte dabei stets, dass die Wahlgesetze als "zusammenhängendes Ganzes" betrachtet werden müssen und einzelne Vorschriften nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden können.

Obwohl sich das Urteil völlig im traditionellen Rahmen bewegte und sich auf vorhandene Präzedenzfälle stützte, wurde es von Sprechern des Bush-Lagers, einschließlich Bush selbst, sofort als verabscheuenswürdige juristischer Anmaßung denunziert. Nur zwei Stunden nach Bekanntwerden des Urteils behauptete der ehemalige Außenminister James Baker, der Bush in Florida juristisch vertritt, das Gericht habe "die Regeln verändert und ein neues System zur Stimmenzählung erfunden."

Er deutete an, dass das Bush-Lager eine Intervention des Parlaments von Florida befürwortet, in dem die Republikaner die Mehrheit haben. Das hat es in der Justiz- und Verfassungsgeschichte noch nie gegeben. Im Ergebnis könnten für Florida zwei Gruppen von Wahlmännern - eine republikanische und eine demokratische - ernannt werden und der amerikanische Kongress müsste entscheiden, in dem die Republikaner ebenfalls über eine knappe Mehrheit verfügen.

Inzwischen hat das Bush-Lager die Entscheidung des Obersten Gerichts von Florida beim amerikanischen Verfassungsgericht angefochten. Die Begründung ist äußerst zynisch: Wenn nur in drei Bezirken Floridas nachgezählt würde, bedeute dies eine Ungleichbehandlung der Wähler, da es in anderen Bezirken keine solche Nachzählungen gebe.

Tatsächlich hat das Bush-Lager mit allen Mitteln versucht, solche Nachzählungen in anderen Bezirken zu verhindern. Wähleranalysen in Bezirken, die mehrheitlich an die Republikaner gingen, haben nämlich gezeigt, dass eine Nachzählung vermutlich Bushs Rivalen Al Gore zugute kommen würde. In den Gebieten, in denen Gore die meisten Stimmen bekam - wie in schwarzen Stadtvierteln - war nämlich auch die Zahl nicht gezählter Stimmzettel überdurchschnittlich hoch.

Rechte Stoßtrupps

Während das Bush-Lager an der juristischen Front weiterkämpft, versucht es gleichzeitig, durch den Einsatz rechter Stoßtrupps Fakten zu schaffen. Nur einen Tag nachdem das Oberste Gericht die Fortsetzung der Handnachzählung angeordnet hatte, stellte die Wahlkommission in einem der größten Bezirke - Miami-Dade County - die Nachzählung ein. Sie kapitulierte damit vor der Gewaltandrohung rechter Elemente, die Bush unterstützen.

Erst hatte die Kommission beschlossen, nicht alle 654.000 im Bezirk abgegebenen Wahlzettel neu zu zählen, sondern sich auf jene zu konzentrieren, die von den Zählmaschinen ausgesondert worden waren, weil sie kein Loch feststellen konnten. Anders hätte sie den vom Gericht gesetzten Termin - Sonntag 17.00 Uhr - nicht einhalten können. Doch kurz danach warf die Kommission auch diese Entscheidung über den Haufen und kündigte das Ergebnis der maschinellen Zählung als offizielles Ergebnis an. Über 10.000 Stimmen werden dadurch nicht berücksichtigt.

Die anfängliche Entscheidung war von zwei Dutzend Demonstranten, die Funktionäre der Republikanischen Partei in Miami versammelt hatten, mit gezielten Gewaltausbrüchen beantwortet worden. Sie schrieen "Fälscher" und "Betrug" und brüllten Wahlhelfer an, die die 10.000 umstrittenen Wahlzettel in einen anderen Raum brachten.

Schließlich wurde in einer Szene, die an das Verhalten von Faschisten erinnerte, ein Anwalt der Demokratischen Partei angegriffen. Als er mit einer leeren Wahlurne, die er zu Demonstrationszwecken bei sich trug, durch das Gebäude ging, brüllten die Bush-Anhänger, er habe die Urne aus dem Zählraum beseitigt, und forderten seine Verhaftung. Er musste von der Polizei gerettet und aus dem Gebäude geleitet werden.

In dieser Atmosphäre der Einschüchterung entschied der Wahlausschuss dann, die Nachzählung ganz einzustellen. Ein Mitglied des Ausschusses gab zu, dass die Proteste der Bush-Anhänger die Entscheidung beeinflusst hätten. Ohne diese Störung, sagte er, "hätten wir von mir aus gesehen die Zählung fortgesetzt". Funktionäre der Republikaner brüsteten sich ihrerseits mit dem Erfolg ihrer Einschüchterungstaktik. "Endlich", sagte einer, "herrscht hier wieder Gesetz und Ordnung".

Mit der Entscheidung wurde die Handnachzählung im bevölkerungsreichsten Distrikt Floridas eingestellt, in dem Gore eine große Mehrheit erhielt. Auch die 157 zusätzlichen Stimmen für Gore, die Anfang der Woche zusammen kamen, als ein Viertel der Stimmen nachgezählt wurden, fallen jetzt weg. Hätte Gore bei den anderen drei Vierteln ebenso zugelegt, hätte er in diesem Bezirk allein Bushs gegenwärtigen Vorsprung von 930 Stimmen nahezu aufgeholt.

Der Abbruch der Nachzählung im Miami-Dade ist typisch für das politisch feige Verhalten der Demokraten - nicht nur vor Ort, sondern auch national - und der Medien. Nicht ein Regierungs- oder Medienvertreter wagte es, die Wahrheit auszusprechen: dass es einem rechten Mob gelungen ist, mittels Gewalt und Einschüchterung Tausenden von Wählern ihr Recht wegzunehmen. Alle akzeptierten die fadenscheinige Behauptung, die Kommission habe ihre Entscheidung aus Zeitmangel getroffen.

Vertreter des Gore-Lagers klagten zwar sofort gegen die Einstellung der Zählung, aber auf die Einschüchterungsversuche der Republikaner gingen sie dabei kaum ein. Ein örtlicher Richter lehnte den Einspruch ab, so dass er jetzt vor dem Obersten Gericht Floridas verhandelt wird.

Selbst die New York Times musste feststellen, dass es einen deutlichen Unterschied in der Reaktion der Republikaner und der Demokraten auf die Wahlkrise gibt. "Mr. Bush kann Mut fassen, weil die Republikaner geschlossener vorgehen und eher als die Demokraten bereit sind, einen totalen Krieg auf allen legalen und politischen Ebenen zu führen, um ins Weiße Haus zu gelangen," schrieb die Zeitung.

Passivität und Nachgeben gegenüber den faschistischen Elementen, die die Republikanische Partei verseuchen, waren seit dem Amtenthebungsverfahren gegen Präsident Clinton ein Kennzeichen der Demokratischen Partei und der Medien. Dieses Verfahren war selbst das Ergebnis einer Verschwörung rechter Anwälte, Richter, republikanischer Kongressführer und des Unabhängigen Ermittlers Kenneth Starr. Die Demokraten im Kongress haben zwar gegen das Verfahren und die Ablösung eines gewählten Präsidenten gestimmt, aber gleichzeitig haben sie alles getan, um die politische Bedeutung dieses pseudo-legalen Putschversuchs der extremen Rechten zu vertuschen.

Die selben sozialen und politischen Charaktere, die die Impeachment-Verschwörung in die Wege brachten, sind jetzt im Bush-Lager in Florida und in der Regierung seines Bruders Jeb Bush zugange. Anfang des Jahres hatten sie die hysterische Kampagne wegen des kubanischen Jungen Elian Gonzalez organisiert, wobei sie so weit gingen, Bundesgesetze und die Beschlüsse von Bundesgerichten zu missachten, weil die ultrarechten Exilkubaner den Jungen nicht an seinen rechtmäßigen Vater zurückgeben wollten.

Siehe auch:
Englischsprachige Artikel zur US-Wahl
Veranstaltung an der Berliner Humboldt-Universität:
Die amerikanische Präsidentschaftswahl und ihre internationale Bedeutung

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