Russland:

Der Skandal um die Holding "Media-Most" eskaliert

Vergangene Woche ist in Russland ein neuer Skandal im Kampf um den russischen Medienmarkt entbrannt, der sowohl einen tiefen Einblick in die prinzipienlose Moral gibt, die in den Vorstandsetagen der großen russischen Privatunternehmen vorherrscht, als auch in die erpresserischen Gangstermethoden, mit denen der Kreml seine Interessen durchsetzt. Bei diesem Skandal geht es um die Zukunft des Medienimperiums Media-Most des Oligarchen Wladimir Gussinski.

Es handelt sich um die Fortsetzung der Ereignisse vom Frühjahr. Damals wurde Gussinskis Medienimperium enormem Druck seitens des Kremls ausgesetzt. Drei Tage nach Präsident Wladimir Putins Amtsantritt hatten maskierte Polizeieinheiten die Büros von mehreren Unternehmen, die zu Media-Most zählen, überfallen, durchsucht und Geschäftsunterlagen beschlagnahmt. Dann wurde Gussinski selbst verhaftet und musste drei Tage im Moskauer Butyrka-Gefängnis verbringen. Nach seiner Entlassung fuhr er nach Spanien, wo er bis heute residiert.

Zunächst hatte es den Anschein, als ob der Konflikt in beiderseitigem Einvernehmen beigelegt worden sei und nicht mehr in der Öffentlichkeit ausgetragen würde. Jetzt ist klar, dass dies nicht der Fall ist.

Gussinski hatte am 20. Juli, als er sich noch in Haft befand, einen Vertrag unterzeichnet, demzufolge er praktisch seinen gesamten Media-Most-Konzern dem russischen Gasriesen Gasprom für 300 Millionen Dollar übereignet. Dabei wurden die Schulden des Konzerns gegenüber Gasprom in Höhe von 437 Millionen Dollar aufgerechnet. Skandalös ist an diesem großen Geschäft nicht nur, dass es hinter Gefängnisgittern abgeschlossen wurde, sondern auch der Umstand, dass Medienminister Michael Lessin als Garant des Vertrages auftrat, obwohl er formaljuristisch absolut nichts mit dem Geschäft zu tun hat und beim Geschäftsabschluss keine entscheidende Rolle spielte.

In Anhang Nr. 6 des Vertrages, dessen Text im Internet veröffentlich wurde, einigten sich die beiden Seiten auf die Erfüllung folgender wechselseitiger Bedingungen: "...das Ende der strafrechtlichen Verfolgung Gussinskis, ... die Gewährung von Sicherheitsgarantien für Gussinski und die anderen Aktionäre, die Sicherstellung von Rechten und Freiheiten einschließlich des Rechts auf freie Bewegung, frei wählbaren Aufenthalt und Wohnort und freies Ein- und Ausreisen aus der Russischen Föderation."

Ein anderer Punkt der Einigung sieht vor, dass Gussinski "jeglichen Handlungen, einschließlich öffentlichen Auftritten und der Verbreitung von Informationen, ... die den konstitutionellen Aufbau oder die Einheit der Russischen Föderation unterhöhlen" - d.h. jeglichen Handlungen, die gegen die offizielle Kremlpolitik gerichtet sind - eine Absage erteilt.

Auf diesem Dokument prangt also die Unterschrift des einflussreichen und dem Kreml nahe stehenden Medienministers Lessin. Faktisch garantiert sie beiden Seiten die Einhaltung der vereinbarten Bedingungen.

Vergangene Woche berief Gussinski eine Pressekonferenz und erklärte, dass er den Vertrag mit Gasprom juristisch als nichtig betrachte, weil er ihn unter Druck unterzeichnet habe. "Zu den Bedingungen der Unterzeichung dieser Vereinbarung gehörte meine Entlassung aus der Butyrka und das Ende meiner strafrechtlichen Verfolgung, d.h. ich wurde faktisch als Geisel freigelassen", sagte er. "Es ist kein Geheimnis, dass es sich um einen Akt staatlicher Schutzgelderpressung handelt, wenn die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren nach Belieben eröffnen und dann wieder einstellen kann."

Minister Lessin, der merkte, dass er - gelinde gesagt - in eine zwiespältige Situation geraten war, versuchte auf jämmerliche Weise, sein Verhalten zu rechtfertigen. Er gab zu, dass er einen Fehler begangen habe, und ergänzte, dass er das mit "guter Absicht" getan habe, um eine "friedliche Lösung des Konfliktes" herbeizuführen.

Der Hintergrund für die ganze Geschichte ist die äußerst schlechte finanzielle Lage von Media-Most. Im März dieses Jahres hatte der Konzern fällige Verpflichtungen in Höhe von 211 Millionen Dollar nicht begleichen können, für die Gasprom eine Bürgschaft übernommen hatte und die mit 20 Prozent des Aktienkapitals des Medienkonzerns besichert waren. Gasprom ist darüber hinaus Bürge für weitere 262 Millionen Dollar, die Gussinskis Holding im nächsten Jahr begleichen muss und die ebenfalls mit 20 Prozent des Aktienkapitals besichert sind. Die Übernahme weiterer Unternehmensanteile durch Gasprom, das ohnehin schon 16 Prozent der Aktien von Media-Most hält, soll jetzt angeblich dazu dienen, die von Gasprom für die Bürgschaften verausgabten Gelder zu begleichen, um sie dann in das Grundgeschäft - die Gasindustrie - zu investieren.

Das wirft die Frage auf, warum der Gaskonzern dem verlustbringenden Medienkonzern überhaupt so risikoreich Geld geliehen hat? Die einzige schlüssige Antwort lautet, dass bestimmte Kräfte im Kreml versuchen, mit Hilfe des staatlichen Status und der bedeutenden finanziellen Ressourcen von Gasprom ihren Einfluss auf die Massenmedien zu stärken. Insbesondere seit das Unglück des Atom-U-Bootes Kursk und der Brand auf dem Moskauer Fernsehturm Ostankino die Inkompetenz der russischen Regierung und ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben der einfachen Bevölkerung bloßgelegt haben, entwickelt der Kreml ein entsprechendes Bedürfnis. Die scharfe Kritik der Medien, die nicht vom Kreml kontrolliert werden, hat bei der Regierung hysterische Angst und Rachgier hervorgerufen und ihr Verlangen nach einer Unterdrückung der Quellen dieser ungebetenen Kritik gestärkt. All das spielt hinein in den schon seit langem währenden Kampf um die Kontrolle über die Informationsmedien des Landes.

Im Sommer sah sich Gussinski, mit Hilfe von Gasprom mit dem Rücken zur Wand gedrängt, gezwungen, den ihm vorgelegten Bedingungen zuzustimmen. Zur gleichen Zeit ließ er eine Videoaufzeichnung anfertigen, in der er unter Anwesenheit von Juristen diese Prozedur für nichtig erklärte.

Sein jetziges Verhalten kommt einer Verzweiflungstat gleich. Lange Zeit hat er alles verzögert, Schweigen bewahrt und die ungeschriebenen Gesetze der Unternehmens- und - überflüssig zu sagen - Klassenetikette eingehalten, weil er befürchtete, der Skandal, der auch für ihn persönlich extrem gefährlich ist, könnte die Grundlagen des in Russland herrschenden kapitalistischen Regimes untergraben. Aber jetzt hat er keinerlei Möglichkeiten für Manöver mehr und ist ein Vabanquespiel eingegangen, weil er damit rechnet, sonst alles zu verlieren. Doch damit wird er kaum Sympathien gewinnen oder mehr bewirken, als den Rücktritt eines einzelnen Regierungsvertreters. Die Schulden von Media-Most bleiben Schulden.

Der Skandal um Media-Most entzündete sich nur wenige Tage, nachdem der andere Oligarch im Medienbereich, Boris Beresowski, eine neue Initiative unternommen hatte, um seinen Einfluss auf den staatlichen Fernsehsender ORT gegen die Ansprüche des Kreml zu sichern. Die zunehmenden Konflikte zwischen Präsident Putin und den Oligarchen machen deutlich, wie instabil die politischen und Unternehmensstrukturen sind, die in den vergangenen zehn Jahren auf der Grundlage der privaten Aneignung von Staatseigentum der ehemaligen Sowjetunion entstanden sind. Der breiten Masse der Bevölkerung führt der Kampf der verschiedenen Clans, ihre gegenseitige Zerstörung und Diskreditierung, immer deutlicher vor Augen, dass die Interessen der Gesellschaft für diese an allerletzter Stelle stehen. Sie folgen dem für sie einzig gültigen Prinzip: Nach mir die Sintflut.

Siehe auch:
Der Kampf um das russische Staatsfernsehen
(15. September 2000)
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