"Wir werden sein Vermächtnis lebendig erhalten"

Am 10. März fand in Dortmund eine Gedenkveranstaltung für Ernst Schwarz statt, der am 13. Januar im Alter von 43 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war. Ernst Schwarz war Mitglied der Partei für Soziale Gleichheit und ihrer Vorläuferorganisation Bund Sozialistischer Arbeiter gewesen.

Sybille Fuchs begrüßte die Versammelten mit einem ersten Rückblick auf das Leben des Verstorbenen.

Liebe Freunde und Verwandte von Ernst, liebe Genossinnen und Genossen,

Besonders herzlich möchte ich die Genossinnen und Genossen aus England und Frankreich begrüßen.

Wir sind zusammengekommen nicht nur, weil wir um einen langjährigen Freund und Genossen trauern, den wir so unvermittelt verloren haben.

Wir alle waren geschockt, als wir erfuhren, dass Ernst Schwarz am 13. Januar so plötzlich gestorben ist. Ich bin sicher, dass mir alle hier beipflichten, wenn ich sage, dass wir es immer noch nicht richtig fassen können, dass er nicht mehr lebt, obwohl viele von uns bei seiner Einäscherung waren und Abschied von ihm genommen haben. Heute sind wir zusammengekommen, weil wir über das sprechen wollen, was lebendig bleibt von ihm, von seinem politischen Erbe und Vermächtnis und von den Verpflichtungen, die sich für uns daraus ergeben.

Ernst war ein Kind des Ruhrgebiets und fühlte sich der Arbeiterklasse hier in dieser von Kohle und Stahl geprägten Region - ihrem Aufstieg und Niedergang und ihren tiefen Krisen, die oft die Existenz der Menschen hier bedrohten - immer eng verbunden. Die Geschichte der Arbeiter und die bitteren historischen Niederlagen, die sie im letzten Jahrhundert erlebt hatten, waren für ihn Ansporn und Herausforderung. Er wollte verstehen, weshalb es ihnen trotz militanter Kämpfe in den zwanziger und dreißiger Jahren nicht gelungen war, den Nationalsozialismus zurückzuschlagen und die Macht zu erobern. Oft erzählte er von seinen Großeltern und deren Leben in der Nazizeit.

Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre, als sich das Ende des Nachkriegsbooms abzuzeichnen begann und die USA jahrelang den blutigen Vietnamkrieg führten, waren viele Jugendliche politisch mobilisiert und suchten nach Alternativen zu einer Welt der Ausbeutung und Unterdrückung. Ernst hatte ein feines Gespür für die Lügen und Geschichtsfälschungen der Sozialdemokratie und der Stalinisten und war abgestoßen von ihrem Nationalismus. Deshalb fühlte er sich von der trotzkistischen Bewegung und ihrem Internationalismus angezogen.

Als Jugendlicher - wenn ich mich recht erinnere, war es 1974 - während seiner Ausbildung als Schlosser auf der Henrichshütte in Hattingen ist Ernst in den Sozialistischen Jugendbund und bald darauf in den Bund Sozialistischer Arbeiter eingetreten. Er nahm an Schulungen, marxistischen Arbeitskreisen und Sommerlagern teil und eignete sich rasch ein großes Wissen an. Aber in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre fiel es uns zunehmend schwer, neue Jugendliche zu gewinnen.

Es gab Gründe dafür, die sowohl in der objektiven Situation, in unserer politischen Unerfahrenheit als auch in politischen Fehlern der damaligen Führung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale lagen. Die zu dieser Zeit stärkste Sektion des IK, die britische WRP, an der wir uns sehr stark orientiert hatten, steuerte immer mehr in eine opportunistische, national beschränkte Richtung, durch die unsere politische Arbeit zunehmend gelähmt wurde. Aktionistische Kampagnen verschlimmerten die Lage noch mehr. statt sie zu verbessern. Eine ganze Reihe jüngerer und älterer Mitglieder verließen damals frustriert die Bewegung. Ernst war eines von ihnen.

1991 haben wir ihn wiedergetroffen. Wir hatten inzwischen mit der WRP gebrochen und die Politik des Internationalen Komitees wieder auf die Prinzipien Trotzkis gegründet. Das hatte es uns ermöglicht, 1988 ein Perspektivdokument zu verabschieden, in dem wir nicht nur in der Lage waren, die grundlegenden neuen Entwicklungen eines globalisierten Kapitalismus und ihre Konsequenzen für die Arbeiterklasse aufzuzeigen, sondern auch die damit einhergehende tiefe Krise der Sowjetunion und der stalinistischen Bürokratie einzuschätzen. Daher hatte uns ihr Zusammenbruch 1989/90 nicht überrascht. Wir waren wohl als einzige der linken Organisationen und Bewegungen darauf vorbereitet, politisch in diese Entwicklung einzugreifen.

Im Herbst 1991 begannen wir mit der Vorbereitung auf eine Internationale Arbeiterkonferenz in Berlin. Eine andere Genossin und ich diskutierten mit einem jungen Ehepaar in der Dortmunder Nordstadt, die wir gewinnen wollten, mitzufahren. Plötzlich stand der junge Mann auf und sagte: "Wartet mal einen Moment. Ich hole meinen Nachbarn, der versteht viel mehr von dem, was ihr da erzählt." Ich staunte nicht wenig, als sich dieser Nachbar als Ernst Schwarz vorstellte, und wir staunten noch viel mehr, als sich herausstellte, dass er in den fast 15 Jahren, die wir uns nicht gesehen hatten, nichts von dem vergessen hatte, was wir gemeinsam in den siebziger Jahren studiert und diskutiert hatten.

Ernst war 1991 bei Hoesch in der Sinteranlage der Westfalenhütte beschäftigt. Es war die Zeit der Großfusionen in der Stahlindustrie. Die Übernahme von Hoesch durch Krupp stand an. Ernst diskutierte Tag und Nacht mit seinen Schichtkollegen über die Gefahren, die diese Entwicklung für ihre Arbeitsplätze mit sich bringen würde. Tausende von Stahlarbeitern demonstrierten damals für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Im Zuge der Umstrukturierung wurde er dann versetzt in das HSP-Werk (ehemals Union). Diese Umsetzung ging vermutlich (das war jedenfalls seine Meinung) auch darauf zurück, dass er nicht gezögert hatte, unter den Kollegen zu agitieren und sie vor der Politik der IG Metall und des Betriebsrats zu warnen, die versucht hatten, sie vor den Karren eines Unternehmers (Hoesch) gegen einen anderen (Krupp) zu spannen.

Die politische Arbeit im Betrieb, die Ernst neben der anstrengenden Schichtarbeit im Stahlwerk gemacht hat, gehörte zu den schwierigsten Aufgaben der Parteiarbeit. Ernst hat es sich nicht leicht gemacht damit und die Konflikte, die dabei sowohl mit uns als auch mit seinen Kollegen aufkamen, haben ihn sehr belastet. Tief getroffen hat ihn der Tod eines Kollegen, der im November 1999 von einer Ladung Spundbohlen erschlagen wurde.

Die Erfahrungen, die Ernst in seiner politischen Arbeit im Betrieb machte, sind für unsere Partei von großer Bedeutung. Wir haben die Verpflichtung, sie für unsere Arbeit lebendig zu erhalten und die Lehren daraus zu ziehen, um die Arbeiter für eine sozialistische Perspektive zu gewinnen. Das sind wir ihm schuldig.

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