Sparhaushalt des Berliner SPD-PDS-Senats:

Angriff auf Familien, Arbeitslose und Rentner

Der neue Berliner Senat, in dem erstmals SPD und PDS zusammen regieren, ist seit knapp drei Monaten im Amt, und man erinnert sich noch an die Wahlkampfreden Gregor Gysis, der eine sozial gerechtere Politik versprach. Am 19. März beschloss nun der rot-rote Senat einen Doppelhaushalt für die Jahre 2002/2003, der alles in den Schatten stellt, was der CDU-SPD-Senat in den vergangenen zehn Jahren an unsozialen Sparmaßnahmen durchgesetzt hat.

Bis zum Jahr 2006 sollen insgesamt 2,1 Milliarden Euro gekürzt werden. Bisher wurden bereits 581 Millionen festgelegt. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), ein ehemaliger Manager der Treuhand und der Deutschen Bahn AG, erklärte nach der Senatssitzung, er sei noch nicht zufrieden. Das jetzt beschlossene Sparpaket sei nur der Anfang.

Die Zielrichtung der Kürzungen ist eindeutig: Sie plündern die Taschen der Ärmsten und sozial Schwächsten der Stadt - der Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger, Ausländer, Rentner und Familien mit Kindern. Die so gesparten Gelder werden umgeleitet in die Kassen der bankrotten Bankgesellschaft, für die das Land Berlin jährlich 300 Millionen Euro im Haushalt eingeplant hat. Die alten Bankmanager, die die hohen Verluste der Bank zu verantworten haben, werden nicht zur Kasse gebeten, und die neuen Bankmanager haben keine Nachteile für künftige lukrative Geschäfte zu befürchten.

So sehen die wichtigsten Beschlüsse im Einzelnen aus:

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Lohnsenkung und Stellenstreichungen: Die Personalkosten im öffentlichen Dienst werden bis 2006 um 1 Milliarde Euro gesenkt. Bereits im Haushaltsjahr 2002 müssen die Senatsverwaltungen und Bezirke 121,3 Millionen streichen und bis zum 15. Mai konkrete Vorschläge dafür einreichen. Insgesamt 506 Millionen Euro der gesamten Sparsumme will der Senat durch den altersbedingten Abbau von rund 15.000 der 140.000 Stellen erreichen. Außerdem soll die Arbeitszeit der Beamten in Westberlin um eine halbe Stunde von 39,5 auf 40 Wochenstunden verlängert und damit an die Arbeitszeit der Beamten im Osten der Stadt angeglichen werden. Finanzsenator Sarrazin will außerdem Lohn- und Gehaltssenkungen im Umfang von 10 Prozent durchsetzen und kalkuliert dabei bereits die Zustimmung der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes ein. Im Herbst sollen Verhandlungen über einen Solidarpakt stattfinden. Unter anderem ist die Streichung bzw. Aussetzung des Weihnachtsgeldes im Gespräch.

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Kindertagesstätten und Horte: Allein in den Kindertagesstätten und Horten werden 1100 Stellen gestrichen. Der Betreuungsschlüssel in den Horten soll von 16 Kindern pro Erzieherin auf 21 verschlechtert werden. Kitas werden zusammengelegt und die Leiterinnen künftig stärker in die Gruppenbetreuung einbezogen. Die zuständige Gewerkschaft GEW hat bereits Streiks angekündigt. Die Kürzungen im Kita- und Hortbereich, insgesamt 60 Millionen Euro, sind besonders zynisch. Erst vor kurzem haben sich zwei Kleinkinder in Berliner Kindergärten an Spielgeräten stranguliert. Der Grund lag nicht nur in der mangelhaften Wartung und technischen Überprüfung - ein Drittel der Berliner Kinderspielplätze weisen nach neuesten Berichten technische Mängel auf -, sondern auch in der Tatsache, dass zu wenig Erzieher zu viele Kinder betreuen.

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Sozialhilfe: Besonders drastisch geht der Senat gegen Sozialhilfeempfänger vor. Die Ausgaben für die Sozialhilfe, die der Senat an die Bezirke überweist, sollen in diesem Jahr bereits um 178 und im kommenden um 138 Millionen Euro sinken. Die Bezirke werden angewiesen, mit scharfen Kontrollen möglichst viele Sozialhilfeempfänger aus dem Bezug von Hilfen auszugrenzen, bzw. die Zahlungen für Miete, Möbel, Kleidung zu kürzen. Das Beispiel des Reinickendorfer Sozialstadtrats Frank Balzer (CDU), der kürzlich in die Kritik geriet, könnte Schule machen: mit Einschüchterungsmaßnahmen und Schikanen gegen Hilfesuchende sparte er seit seiner Amtsübernahme 1998 jährlich 800.000 Euro an Sozialhilfe ein. Unter anderem verlangt er von arbeitsfähigen Hilfeempfängern, pro Monat 30 Bewerbungen für Arbeitsstellen vorzuweisen. Tun sie es nicht, wird ihnen die Sozialhilfe gekürzt.

Parallel dazu will der Senat das Programm "Arbeit statt Sozialhilfe" intensivieren und dafür 58,8 Millionen Euro bereitstellen. Angeblich sollen auf diese Weise 6000 Sozialhilfeempfänger wieder in tarifliche Arbeitsverhältnisse gebracht werden. Tatsächlich dient der zwangsweise Einsatz von Hilfeempfängern in der Parkpflege, im Gartenbau, auf Friedhöfen und ähnlichem für ein minimales zusätzliches Taschengeld der Schaffung eines Heers von Billiglohnkräften, die jeden noch so schlecht bezahlten Job annehmen müssen.

Weiter werden im Sozial- und Gesundheitsbereich ab 2003 die Zuwendungen um fünf Millionen Euro gekürzt. Dies wird unter anderem zu Lasten von Stadtteilzentren, Wohlfahrtsverbänden, der Behindertenbetreuung (Telebus) und der Arbeit der Ausländerbeauftragten gehen.

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Bildung und Schulen: Entgegen allen Beteuerungen, in den Bereichen Bildung und Jugend werde nicht gespart, sind auch diese Bereiche nicht ausgenommen. An den Schulen werden in den kommenden Jahren 1110 Lehrerstellen gestrichen. Das sind zwar 1040 weniger als ursprünglich geplant, dennoch ändert sich an der Schulmisere nichts. Vor allem die Berufsschulen, die schon in den vergangenen Jahren benachteiligt wurden, werden erneut zur Kasse gebeten. Sie erhalten in diesem Jahr nur drei Millionen Euro statt bisher 3,68 Millionen und im Jahr 2003 nur noch zwei Millionen Euro für Schulbücher. Die Lernmittelfreiheit steht nur noch auf dem Papier.

Die Lohnzuschüsse für das Lehrpersonal der Privatschulen werden von 97 auf 93 Prozent gekürzt. Der Versuch von PDS- und SPD-Politikern, für diese Maßnahme Zustimmung in der Bevölkerung zu erhalten, indem sie von "Schulen der Privilegierten" sprechen, schlägt dabei fehl. Viele Eltern mit Durchschnittsverdiensten haben in den vergangenen Jahren die miserable Situation an den öffentlichen Schulen - mit ständigem Unterrichtsausfall, zu großen Klassen und zunehmend konservativen Lehrmethoden - zum Anlass genommen, um ihre Kinder beispielsweise in Waldorf-Schulen unterzubringen. In Wahrheit werden die geplanten Streichungen erst dazu führen, solche Schulen in Einrichtungen für Reiche zu verwandeln, weil sie die gekürzten Gelder durch höhere Elternbeiträge auffangen werden.

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Wissenschaft und Kultur: Im Bereich Wissenschaft und Kultur sollen rund 170 Millionen Euro, davon 31 Millionen bei Kultureinrichtungen, gestrichen werden. Darunter fällt die Privatisierung oder Schließung des Benjamin-Franklin-Universitätsklinikums und die Beendigung der medizinischen Fakultät an der Freien Universität. Drastischere Sparmaßnahmen sind ab dem Jahr 2005 zu erwarten, wenn die Hochschulverträge auslaufen. Dann könnte auch die Einführung von Studiengebühren aktuell werden. Im Kulturbereich kommt es nur deshalb nicht zu größeren Schließungen, weil der Senat darauf baut, dass der Bund einige Kosten, wie den Ausbau der Museumsinsel, übernimmt.

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Freizeit und Sport: Massive Angriffe soll es auf den Freizeitbereich geben. Zehn bis elf öffentliche Schwimmbäder werden geschlossen oder privatisiert. Die Zuschüsse für das Sporterholungszentrum (SEZ) entfallen ab 2003 und die Zuschüsse an die Bäder-Betriebe werden um drei Millionen Euro gekürzt. Der Vorstand der Bäder-Betriebe, unterstützt vom Aufsichtsratsvorsitzenden und Sportsenator Klaus Böger (SPD), entschied, die fehlenden Millionen bei den Badegästen durch drastisch gestiegene Eintrittspreise wieder hereinzuholen. Der Eintritt für einen Erwachsenen soll dann vier Euro - also fast acht Mark! - (bisher drei Euro) betragen, der ermäßigte Eintritt für Kinder und Studenten 2,50 Euro (bisher zwei Euro). Die Wochenend-Familienkarte steigt um 50 Prozent auf sieben Euro. Ermäßigungen für Rentner werden gestrichen, ebenso für Arbeitslose. Der Preis für eine Zehnerkarte steigt gleich um neun auf 36 Euro. Die Drei- und Sechs-Monatskarten entfallen ganz, stattdessen kann man 25er-Karten zum Preis von 88 Euro kaufen. Insbesondere für geringverdienende Familien und Senioren mit kleiner Rente wird das Schwimmen zum Luxus.

Bei der Jugendarbeit werden 4,2 Millionen Euro gestrichen. Politische Jugendorganisationen, die wie die "Falken" auch Jugendreisen und Freizeitaktivitäten organisieren, werden keine Zuschüsse mehr erhalten. Die Gelder für das Freizeit- und Erholungszentrum (FEZ) sowie für viele Jugendzentren und Jugendkulturbetriebe werden massiv gekürzt. Auch die Förderung der Sportvereine wird um 1,5 Millionen Euro gekürzt.

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Sachausgaben: Die Kürzung der Sachausgaben um 331 Millionen Euro sowie 1,7 Milliarden Euro bei Investitionen sind zum Teil bereits in anderen Posten enthalten. Hinter diesen Zahlen verbergen sich jedoch noch weitere massive Angriffe auf die Bevölkerung. Die Zuschüsse für den öffentlichen Nahverkehr werden um 20 Millionen Euro gesenkt, neue Preissteigerungen der ohnehin teuren Fahrkarten damit vorprogrammiert. Drastische Kürzungen gibt es auch im öffentlichen Wohnungsbau und bei der Altbausanierung, was die Mieten in die Höhe treiben wird.

Das Gros der Sparmaßnahmen müssen die Bezirke übernehmen. Bereits vor der Klausurtagung kündigten die Bezirksbürgermeister eine Verfassungsklage gegen den Senat an, weil sich die Bezirke viele grundlegende Ausgaben nicht mehr leisten können. Zahlreichen Einrichtungen für Behinderte, Alte und Jugendliche droht das Aus, ebenso Stadtbüchereien und anderen Kultur- und Freizeitangeboten. Die dringend nötige Sanierung von Spielplätzen und Schulhöfen kann nicht mehr durchgeführt werden.

Insbesondere die Musikschulen der Bezirke werden wieder zu den Opfern gehören. Nach Jahren von ständig gestiegenen Elternbeiträgen und Einsparungen bei den Honorarlehrern (in Berlin findet der Musikunterricht im Unterschied zu anderen Bundesländern fast ausschließlich durch Honorarlehrer statt) drohen nun Kündigungen von Honorarkräften und Schülerverträgen. Die Musikschule von Marzahn unter der Regie des PDS-Bezirksrats hat bereits "vorsorglich" sämtliche Honorarverträge sowie die Schülerverträge aufgekündigt.

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Wirtschaftsförderung: Im Bereich der Wirtschaftsförderung gibt es dagegen kaum Einsparungen. So konnte Wirtschaftssenator Gysi melden, er sei "einigermaßen zufrieden". Auch hier treffen die geringen Einsparungen wiederum hauptsächlich die Bevölkerung; so wird gekürzt bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, Fortbildungen und Ausbildungsförderung, bei touristischen Einrichtungen und der Frauenförderung. Die Goodwill-Tour Gysis in Frauenhäusern und Bordellen vor zwei Wochen muss den Beteiligten nachträglich ziemlich peinlich erscheinen.

Infrastrukturmaßnahmen sollen nur noch "wirtschaftsnah", d.h. in Verbindung mit der direkten Förderung bestimmter Unternehmen durchgeführt werden. Die Investitionen werden auf 1,9 Milliarden Euro eingefroren, was sofort Proteste von Unternehmensverbänden wie der IHK und von der CDU-Opposition hervorrief. Die Spitzen der Berliner Wirtschaft fordern vom PDS-Senator die Vertretung ihrer Interessen ein, und Gysi bemüht sich, das Misstrauen seiner Wirtschaftsklientel in die PDS zu zerstreuen, so wie kürzlich bei einem Vortrag im Aspen-Institute, bei dem Gysi über Unternehmergeist und Entbürokratisierung redete und seine Rede mit der Bemerkung endete: "Nun werden Sie mich fragen, was an alldem sozialistisch sein soll." Die Frage blieb aus, stattdessen konfrontierte ihn ein Berliner Fahrstuhlunternehmer mit den Forderungen der Wirtschaft: "Steuern und Abgaben nicht erhöhen!" und "Den Flughafen bauen und nicht mehr diskutieren!"

Viele Einzelheiten der Haushaltskürzungen werden erst in den kommenden Wochen und Monaten klar werden. Eines steht aber jetzt schon fest: Sie werden die sozialen Spannungen in der Hauptstadt bis zum Zerreißen anheizen.

Wird morgen fortgesetzt: Von den Taschen der Bevölkerung in die Kassen der Bank

Siehe auch:
Sparpläne der rot-roten Berliner Regierung führen zu massiven Protesten
(29. Januar 2002)
Rot-rote Koalitionsverhandlungen in Berlin
( 20. Dezember 2001)
Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus
( 23. Oktober 2001)
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