Italien:

Zwanzig Globalisierungsgegner in Polizeirazzia verhaftet

Kaum eine Woche nach einer der größten Antikriegsdemonstrationen in Europa seit dem zweiten Weltkrieg haben die italienische Justiz und Polizei eine umfangreiche Operation gegen Globalisierungsgegner begonnen.

In den frühen Morgenstunden des 15. November stürmte die Polizei in mehreren Städten in Süditalien Häuser und Wohnungen und verhaftete zwanzig Vertreter von Anti-Globalisierungs-Organisationen. Gegen 41 Personen wurden in ganz Italien Untersuchungen eingeleitet. Sie werden verschiedener Vergehen verdächtigt, darunter der Verletzung des Artikels 270/270b des italienischen Gesetzbuchs, der Verletzung der "demokratischen Ordnung", sowie der Verschwörung.

Die friedliche Massendemonstration gegen einen Irakkrieg fand am 12. November im Anschluss an die erste Konferenz des Europäischen Sozialforums in Florenz statt. Auf der Konferenz war eine Woche lang über die sozialen Folgen der Globalisierung diskutiert und debattiert worden. Viele der letzte Woche Festgenommenen waren an der Organisierung der Aktivitäten des Forums und der Massendemonstration beteiligt gewesen.

Unter den Verhafteten befinden sich die beiden führenden Vertreter des süditalienischen Netzwerks "no global" Francesco Caruso und Giuseppe Fonzino. Dreizehn der Festgenommenen wurden sofort in das Hochsicherheitsgefängnis in Trani gebracht; die übrigen sieben stehen unter Hausarrest. Auch Hausdurchsuchungen wurden in mehreren italienischen Städten gemacht.

Der Zeitpunkt der Verhaftungen direkt nach dem Forum und der Demonstration macht klar, dass der italienische Staat keine Zeit verliert, um die beginnende Massenbewegung gegen Krieg zu unterdrücken und die Kritiker des globalen Kapitalismus und der Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi zu neutralisieren.

Zeitungsberichten zufolge hatte die Staatsanwaltschaft von Cosenza im Vorfeld der Verhaftungen schon anderthalb Jahre lang ermittelt. Das Ergebnis war eine 360-seitige Akte über die Aktivitäten der Globalisierungsgegner. Im Verlauf der Ermittlungen waren 60.000 E-mails überprüft, Internetseiten systematisch ausgewertet, Verdächtige beschattet, Videoaufnahmen gemacht und Abhörprotokolle erstellt worden.

Die Staatsanwaltschaft versucht, Verbindungen der "no global" Bewegung zu anderen, anarchistischen Bewegungen nachzuweisen, die im sogenannten "schwarzen Block" aktiv waren, von dem bei Demonstrationen während des Globalen Forums in Neapel und des G-8-Gipfels 2001 in Genua Provokationen und Gewalt ausgingen. Untersuchungen unabhängiger Juristenorganisationen und von Regisseuren haben belegt, dass Polizeiprovokateure und Geheimagenten den Schwarzen Block stark infiltriert hatten.

Die Verhaftungen riefen sofort Proteste im ganzen Land hervor. Mehrere Tausend nahmen an spontanen Demonstrationen in Rom und Mailand teil und forderten die sofortige Freilassung der Festgenommenen. Weitere Massenproteste sind für diese Woche in Süditalien und in Neapel geplant, wo viele der Verhaftungen stattfanden.

Vergangenen Freitag fanden auch Demonstrationen und Blockaden streikender Fiat-Arbeiter statt, die von der Gewerkschaft FIOM in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk "no global" organisiert wurden. Einige Zeitungskommentare vermuteten, dass die Verhaftungen auch darauf abzielten, die Ausweitung der Proteste und Blockaden streikender Arbeiter zu einer allgemeinen Bewegung gegen die italienische Regierung zu verhindern.

Ein Anwalt des Beschuldigten Caruso sagte in einem Zeitungsinterview: "Die Regierung will die Bewegung genau zu dem Zeitpunkt kriminalisieren, da ihre Politik und ihre Aktionsformen eine immer größere Unterstützung in der Bevölkerung und bei den Gewerkschaften finden."

Die Herkunft des Artikel 270

Die meisten der gegen die Beschuldigten erhobenen Vorwürfe stützen sich auf die Artikel 270/270b des italienischen Gesetzbuchs, die von dem faschistischen Regime Benito Mussolinis eingeführt und intensiv genutzt worden waren, um jede Opposition zum Schweigen zu bringen, besonders die kommunistischen Gegner seiner Herrschaft.

Der Artikel 270, Teil der berüchtigten Leggi di difesa, erlaubt Strafverfolgung schon, wenn die Beschuldigten nach Meinung der Staatsanwaltschaft Aktivitäten geplant haben, die der italienischen Regierung abträglich sind, oder sich dazu verschworen haben. Er erwähnt ausdrücklich Gruppen, die auf den Sturz der Wirtschaftsordnung Italiens abzielen. Unter Mussolini war es in den dreißiger Jahren ausreichend, im Besitz eines kommunistischen Flugblatts zu sein, um verhaftet, angeklagt und eingesperrt zu werden.

Der Artikel ermöglicht es, für schuldig befundene Anführer zwölf Jahre einzusperren. Helfer bei einer Verschwörung können bis zu drei Jahre ins Gefängnis kommen. Nach dem Zusammenbruch des italienischen Faschismus am Ende des zweiten Weltkriegs wurde Artkel 270 beibehalten, obwohl der Führer der Kommunistischen Partei Italiens, Palmiro Togliatti, der erste Justizminister nach dem Krieg war. Die Regierung hat das Gesetz nach dem 11. September überarbeitet und es in den letzten Jahren mit zunehmender Regelmäßigkeit gegen ihre politischen Gegner angewandt.

Die jüngsten Verhaftungen sind ein klares Zeichen für die Rechtswendung der Berlusconi-Regierung. Gleichzeitig entlarven sie die Behauptung führender Mitglieder der oppositionellen Olivenbaum-Koalition und der Demokratischen Linken, dass Berlusconi nach seiner Wahl gezwungen sein werde, Italiens demokratische Traditionen der Nachkriegszeit zu akzeptieren und seine Politik zu mäßigen. Einige Sozialdemokraten und "Postkommunisten", die behauptet hatten, Berlusconi könne gezähmt werden, lobten auch die "Zurückhaltung" der italienischen Polizei und Justiz nach der friedlichen Demonstration vom 10. November.

Jetzt hat Berlusconi seine Antwort gegeben. Die jüngsten Verhaftungen machen klar, dass seine Regierung nicht bereit ist, Zeit zu verlieren, und die extremsten Maßnamen ergreifen wird, um jede potentielle Opposition gegen seine Regierung zu erdrosseln - auch mit faschistischen Gesetzen.

Die jüngsten Verhaftungen sind Bestandteil eines anhaltenden Angriffs der Regierung auf demokratische Rechte. Berlusconi hat nie ein Geheimnis aus seiner Verachtung für die Gesetze gemacht, die er als Hindernis für den Ausbau seiner wirtschaftlichen und politischen Macht betrachtet.

Nachdem diese Woche der ehemalige italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti wegen Anstiftung zur Ermordung eines Journalisten zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, griff Berlusconi wieder einmal die Gerichte an und beklagte, dass "politisch voreingenommene Richter versucht haben, in die demokratische Politik einzugreifen und die Geschichte Italiens umzuschreiben".

Siehe auch:
Massenproteste gegen Arbeitsplatzabbau in Italien
(24. Oktober 2002)
Staatsanwälte decken massive Polizeiprovokationen beim G-8-Gipfel von Genua auf
( 3. Oktober 2002)
"Alle für einen - einer für sich" - ein Porträt der Regierung Berlusconi
( 27.-28. März 2002)
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