Der Kampf gegen den Krieg muss mit dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau verbunden werden

Eine nicht gehaltene Rede

Ulrich Rippert, Mitglied der Redaktion der World Socialist Web Site, war am 22. März auf der Berliner Antikriegskundgebung am Brandenburger Tor als Redner vorgesehen, wurde aber kurz vor Kundgebungsbeginn von einem Vorstandsmitglied von Attac wieder von der Rednerliste gestrichen. Wir dokumentieren hier die Rede, die er vorbereitet hatte.

Liebe Freunde,

ich überbringe Euch solidarische Grüße der Redaktion der World Socialist Web Site. Die WSWS ist eine internationale Internet-Seite. Sie erscheint in neun Sprachen und hat die Hauptredaktion in den USA. Wir verteilen heute in vielen Ländern einen gemeinsamen Aufruf, der darauf abzielt, die breite, internationale Bewegung gegen den Krieg mit dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau zu verbinden.

Der Bombenterror gegen Bagdad hat weltweit Entsetzen, Wut und Empörung ausgelöst. Es ist trotzdem notwendig, einen klaren Kopf zu behalten und einige Dinge deutlich auszusprechen.

Erstens: Dieser Krieg richtet sich nicht nur gegen den Irak, sondern gegen die große Mehrheit der Weltbevölkerung, die sich auf vielen Demonstrationen und Kundgebungen der vergangenen Wochen weltweit dagegen ausgesprochen hat.

Zweitens: Dieser Krieg ist nach allen Regeln des Völkerrechts illegal. Es ist ein Angriffskrieg, der gegen den Willen der Mehrheit der UNO-Mitgliedsstaaten geführt wird. Hier wird ein kleines, militärisch völlig unterlegenes Land in Schutt und Asche gelegt, mit der Begründung, es habe gegen eine UN-Resolution verstoßen. Doch der Aggressor setzt sich nicht nur über eine UN-Resolution hinweg, sondern über die gesamte UNO und über das Völkerrecht.

Wenn man heute morgen die Bilder vom brennenden Bagdad sieht und hört, wie amerikanische Militärs ihre Strategie "Schock und Schrecken" begründen, dann fällt einem nur eine historische Parallele ein: der Blitzkrieg der Nazis gegen Polen 1939.

Seit die Nazis vor 70 Jahren in diesem Land an die Macht kamen, hat sich keine Regierung derart arrogant und brutal der Weltgemeinschaft entgegengestellt und das Völkerrecht mit Füßen getreten.

Es wurde in den vergangenen Wochen viel über Massenvernichtungswaffen gesprochen. Jetzt kann jeder sehen, wer hier Massenvernichtungswaffen hat und einsetzt.

Die Feststellung, dass dieser Krieg dem Völkerrecht widerspricht und illegal ist, hat auch für die Bundesregierung weitgehende Konsequenzen. Denn für einen Angriffskrieg, der nicht von der UNO gedeckt ist, darf sie nach geltendem Recht weder den deutschen Luftraum zur Verfügung stellen noch die Nutzung der amerikanischen Basen erlauben.

Doch genau das tut sie, und statt die Fuchs-Panzer aus Kuwait abzuziehen verstärkt sie deren Besatzung.

Am Donnerstag, als der Krieg begann, hat die grüne Bundestagsfraktion ausdrücklich die Überflugs- und Nutzungsrechte der US-Truppen in Deutschland bestätigt. Damit macht sich diese Regierung zum Komplizen des Krieges. Wir fordern die sofortige Schließung der amerikanischen Basen und die Sperrung des Luftraums für das US- und britische Militär.

Es ist bereits viel über die wahren Gründe dieses Krieges gesagt worden. Es geht um die Kontrolle über die wichtigsten Ölquellen und Energiereserven. Die US-Regierung ist entschlossen, ihre Weltmachtposition durchzusetzen. Die deutsche und französische Regierung wollen das nicht akzeptieren, weil sie ihre eigenen Großmacht-Interessen in der Region verfolgen.

Ich will noch einen anderen Kriegsgrund erklären, der von vielen nicht so deutlich gesehen wird. Gerade jetzt, angesichts dieses Krieges, erscheint die US-Regierung als außerordentlich stark. Doch in Wahrheit befindet sich Amerika in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise, auf die die Bush-Regierung keine Antwort hat - außer Krieg und Terror nach außen und innen.

Gestern wurden in mehreren amerikanischen Städten über Tausend Kriegsgegner von der Polizei festgenommen. Dieser Präsident, der nicht gewählt wurde, tritt der amerikanischen Bevölkerung mit immer größerer Feindschaft entgegen.

Er vertritt die Interessen einer kleinen Elite, die in Saus und Braus lebt, während die große Mehrheit der Bevölkerung immer tiefer ins Elend getrieben wird. Dieser Krieg ist der verzweifelte Versuch der amerikanischen Elite, den wachsenden Widerstand in der eigenen Bevölkerung und eine soziale Explosion zu verhindern.

Aber der Bombenterror gegen Bagdad hat nicht nur einen Schock ausgelöst, er beinhaltet auch wichtige politische Lehren.

Das brennende Bagdad hat unwiderruflich deutlich gemacht, dass Krieg nicht durch Protest alleine verhindert werden kann - selbst dann nicht, wenn er millionenfach und international ist.

Notwendig ist eine politische Strategie. Und da gibt es nur zwei Möglichkeiten:

Entweder man stellt sich auf die Seite der deutschen und anderen europäischen Regierungen - doch das wird den Krieg nicht stoppen. Denn erstens reagieren diese Regierungen, indem sie selbst aufrüsten und sich auf einen noch viel größeren Konflikt mit den USA über eine neue Weltordnung vorbereiten.

Zweitens führen diese Regierungen in den sozialen Fragen einen regelrechten Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Mit ihren ständigen Angriffen auf die arbeitende Bevölkerung zerstören sie genau die gesellschaftliche Kraft, auf die sich der Kampf gegen Krieg stützen muss.

Die einzig tragfähige Strategie gegen Krieg muss sich auf die politische Mobilisierung der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung stützen, und zwar diesseits und jenseits des Atlantiks. Das aber erfordert, dass der Kampf gegen den Krieg mit dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau - das heißt, mit einem Kampf gegen diese Bundesregierung - verbunden wird.

Statt einem Bündnis mit der deutschen oder einer anderen europäischen Regierung gegen die USA, streben wir ein Bündnis zwischen der großen Mehrheit der europäischen und amerikanischen Bevölkerung an.

Abschließend noch ein Wort. Ja, wir sind wütend und empört über diesen brutalen, ungerechten und feigen Krieg! Aber es genügt nicht die politische und moralische Verantwortungslosigkeit der anderen - in diesem Fall der amerikanischen Regierung - anzuprangern und sich zu empören. Es ist notwendig, die eigene politische Verantwortung zu erkennen.

Es ist notwendig, den Protest gegen diesen Krieg in einen systematischen politischen Kampf zu verwandeln, um eine Gesellschaft zu schaffen, in der die Interessen der Bevölkerung höher gestellt werden als die Profitinteressen der Wirtschaft. Dafür kämpfen wir mit der World Socialist Web Site.

Siehe auch:
Attac-Verantwortlicher hindert WSWS-Vertreter am Sprechen
(25. März 2003)
Für eine internationale Arbeiterbewegung gegen den imperialistischen Krieg
( 22. März 2003)
(Dieser Artikel ist auch in der gleichheit - Mai bis August 2003 enthalten.)
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