Verfassungskrise in Sri Lanka: Die politischen Fragen

Die Krise, die vergangene Woche in Colombo ausbrach, bildet einen wichtigen Wendepunkt im politischen Leben Sri Lankas. Persönliche Neigungen und Rivalitäten spielen mit Sicherheit eine Rolle, doch letzten Endes gehen die jüngsten politischen Erschütterungen auf internationale ökonomische und geostrategische Veränderungen zurück, durch die sich die srilankische Bourgeoisie zu einer ebenso umfassenden wie abrupten Kursänderung gezwungen sieht.

Im Rahmen seines Strebens nach globaler Hegemonie bemüht sich der US-Imperialismus um eine ökonomische und strategische Präsenz in Südasien, die er in erster Linie durch ein Bündnis mit den Hindu-Chauvinisten der Bharatiya Janatha Partei (BJP) in Neu Delhi erreichen will. Der lange und brutale Krieg im Nordosten Sri Lankas, um den sich Washington in den vergangenen zwanzig Jahren kaum gekümmert hat, wird nun als destabilisierender Faktor bewertet, den es auszuschalten gilt. Außerdem halten mittlerweile große Teile der srilankischen Wirtschaft den fortgesetzten Krieg für ein Hindernis, das ausländische Investoren abschreckt.

Maßgebliche Teile des srilankischen Kapitals unterstützen daher bereitwillig den so genannten Friedensprozess, der eine Aufteilung der Macht zwischen der Regierung unter Premierminister Wickremasinghe und den Befreiungstigern von Tamil Eelam (LTTE) erreichen soll. Doch der Versuch, den Krieg zu Ende zu bringen, löste enorme Spannungen im Staatsapparat und im politischen Establishment aus. Insbesondere erschütterte er die soziale Basis der oppositionellen Sri Lanka Freedom Party (SLFP), an deren Spitze Präsidentin Chandrika Kumaratunga steht.

Seit der Entlassung Sri Lankas in die Unabhängigkeit 1948, und zum Teil schon davor, ist die Politik des Landes von der Spaltung der beiden Volksgruppen beherrscht. Sämtliche bürgerliche Parteien haben gezielt Chauvinismus gegen die Tamilen geschürt, um unter der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit Stimmen zu gewinnen und soziale Spannungen zu kanalisieren. Immer wieder reagierten die führenden Politiker in ihrer Kurzsichtigkeit auf politische und soziale Probleme, indem sie die Feindschaft zwischen den Volksgruppen anfachten, und die Ergebnisse waren jedes Mal katastrophal.

In dieser Hinsicht unterscheidet sich Wickremasinghes United National Party (UNP) nicht von Kumaratungas SLFP. Niemand anderes als Premierministerin Sirima Banaranaike - Kumaratungas Mutter - führte im Jahr 1972 gemeinsam mit der Lanka Sama Samaja Party (LSSP) die zutiefst undemokratischen Bestimmungen in die Verfassung ein, mit denen das Singhalesisch zur einzigen Staatssprache und der Buddhismus zur Staatsreligion gemacht wurden.

Während ihrer Amtszeit von 1970 bis 1977 veranlasste Bandaranaike umfassende politische Bestimmungen, mit denen die Tamilen in sämtlichen Lebensbereichen diskriminiert wurden: an den Universitäten, im öffentlichen Dienst, im Geschäftsleben und im Justizwesen. Die von ihr initiierte Verstaatlichung der Teeplantagen führte direkt zur Verarmung Hunderttausender tamilischer Plantagenarbeiter, die sich infolge einer Art "ethnischer Säuberung" in großer Zahl zur Auswanderung nach Indien gezwungen sahen.

Zwar tragen auch die tamilischen bürgerlich-nationalistischen Politiker ihren Teil der Verantwortung für den späteren Krieg, doch seine Ursprünge liegen in Bandaranaikes Politik, die von der nachfolgenden UNP-Regierung unter J. P. Jayawardene ausgeweitet und fortgesetzt wurde. Die Pogrome gegen die Tamilen, die im Jahr 1983 von UNP-Schlägerbanden in Colombo angezettelt wurden, erzeugten die Erbitterung und Feindschaft, die dem tamilischen Separatismus Auftrieb verschafften und schließlich in den grauenhaften Bürgerkrieg mündeten.

Sowohl die UNP als auch die SLFP führten den nun seit 20 Jahren andauernden Konflikt ohne die geringste Rücksicht auf das Elend, das er über Millionen brachte. Mehr als 60.000 Menschen sind gestorben, weitaus mehr noch wurden verstümmelt, und Hunderttausende kämpfen bis heute in Flüchtlingslagern um das nackte Überleben. Gleichzeitig haben die direkten und indirekten Kosten des Krieges die Wirtschaft des Landes zum Erliegen gebracht.

Die von Wickremasinghe vertretene gehobene Unternehmerschicht in Colombo, die auf die Fortsetzung des Friedensprozesses drängt, wird nicht etwa von Gewissensbissen geplagt, weil ihre bisherige Politik eine derartige Verwüstung hinterlassen hat. Vielmehr befürchten die Besitzer der größeren Unternehmen nun den Anschluss zu verpassen und die Gelegenheiten zu versäumen, die ihnen die Neuordnung der globalen Wirtschaft verspricht. Sie möchten auf jeden Fall die strategische Lage und die billigen Arbeitskräfte Sri Lankas ausnutzen, um ihre Inselnation in einen bedeutenden Stützpunkt für das globale Kapital zu verwandeln.

Die Führer der großen Unternehmen Colombos fordern bereits seit geraumer Zeit ein Ende des Krieges. Mit Unterstützung der USA und der EU wurde daher der "Friedensprozess" auf den Weg gebracht, bei dem Norwegen als Vermittler auftrat und der zunächst von Kumaratunga und später von Wickremasinghe geleitet wurde. Wie sämtliche Kriegsteilnehmer wissen, geht es dabei nicht um den Frieden als solchen, sondern um die beste Möglichkeit zur Ausbeutung der Rohstoffvorkommen und der billigen Arbeitskräfte des Landes sowie um die Verteilung der Gewinne.

Doch diese politische Umorientierung hat in der Politik und im Staatsapparat Sri Lankas enorme Spannungen erzeugt, verdankt doch manch einer der Kriegsführung militärische Lorbeeren, eine politische Karriere und sprudelnde Gewinne. Der singhalesische Chauvinismus war der ideologische Kitt, der den Staat zusammenhielt, und bildete die Grundlage der gesamten Regierungspolitik.

Daher überrascht es nicht, dass der "Friedensprozess" in den herrschenden Kreisen auf Opposition und Widerstand stieß, und an eben diese Kreise appellierte Kumaratunga, als sie letzte Woche unter Missachtung der Verfassung drei Ministerien übernahm. Mit ihrem theatralischen Auftreten wollte sie ihre Unterstützerbasis stärken, indem sie die Verhandlungen der Regierung mit der LTTE als Landesverrat darstellte und sich gleichzeitig selbst in den Friedensprozess einzuschalten versuchte.

Doch im Gegensatz zur Theaterbühne haben reale politische Schritte auch reale Konsequenzen. Der Schuss ging nach hinten los, als Wickremasinghe sich der Unterstützung Washingtons versicherte und die Gespräche mit der LTTE wieder aufnahm. Als der Premierminister letzten Freitag in Colombo landete, verkündete er mehrfach und lauthals, dass George Bush persönlich seine Linie unterstütze. Diese Tatsache sollte nach Wickremasinghes Ansicht genügen, um den politischen Konflikt zwischen ihm und der Präsidentin zu entscheiden. Was Kumaratunga angeht, so setzt sie mit ihrem Appell an extremistische singhalesische Organisationen wie beispielsweise die Janatha Vimukti Peramuna (JVP) Kräfte in Bewegung, die ein erneutes Blutvergießen zwischen den Volksgruppen auslösen können.

Nun zwingt Wickremasinghe Kumaratunga Farbe zu bekennen, indem er ihr die Leitung des Friedensprozesses angeboten hat. Wenn sie darauf eingeht und die Verhandlungen mit der LTTE wieder aufnimmt, dann wird sie die Unterstützung der JVP rasch verlieren. Wenn sie sich hingegen weigert, dann bleibt ihr nichts anders übrig, als der Regierung sämtliche Vollmachten zuzugestehen. Beide Entscheidungen werden ihre eigene Partei spalten.

Die Ereignisse der vergangenen Woche erinnern zum Teil an eine schlechte komische Oper, beinhalten jedoch auch eine deutliche Warnung an die arbeitende Bevölkerung. Die Skrupellosigkeit, die den Fraktionskampf in Colombo kennzeichnet, lässt darauf schließen, welche Methoden in Zukunft gegen jede organisierte Opposition von Arbeitern, Bauern, Studenten und Arbeitslosen angewandt werden, die sich an den immer unerträglicheren Lebensbedingungen entzündet.

Keine der rivalisierenden Fraktionen der Bourgeoisie hat eine Lösung für die großen sozialen und wirtschaftlichen Probleme der einfachen Bevölkerung. Aus diesem Grund sind sie nicht in der Lage, wirklichen Frieden und echte Versöhnung herbeizuführen. Die einzige soziale Kraft, die den von der herrschenden Klasse geschaffenen Bruderkrieg beilegen kann, ist die Arbeiterklasse.

Durch eine Kampagne für die Einheit aller Arbeiter - Singhalesen und Tamilen, Buddhisten, Hindus, Moslems und Christen - gegen jede Form von Rassismus und Chauvinismus, und durch die Entwicklung ihres eigenen politischen Programms kann die Arbeiterklasse die schmutzigen Machenschaften der Bourgeoisie durchkreuzen und die unterdrückten Massen in den Städten und auf dem Lande hinter sich gewinnen - nicht nur in Sri Lanka, sondern auf dem gesamten indischen Subkontinent und weltweit.

Auf diesem sozialistischen Internationalismus basiert die Arbeit der Socialist Equality Party als Teil des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in Sri Lanka und der gesamten Region.

Siehe auch:
Socialist Equality Party verurteilt schleichenden Staatsstreich in Sri Lanka
(7. November 2003)
Weitere Artikel zur politischen Lage in Sri Lanka
(Dieser Artikel ist auch in der gleichheit - Januar/Februar 2004 enthalten.)
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