Großbritannien

Labour-Parteitag wirft sich Blair zu Füßen

Der Parteitag in der vergangenen Woche unterstrich einmal mehr, dass es sich bei der britischen Labour Party um eine verknöcherte und dem Tode geweihte Organisation handelt.

In den Tagen vor der Konferenz wurde in den Medien spekuliert, dass Premierminister Tony Blair von seiner eigenen Partei hart angegriffen werden könnte. Schließlich trat Blair als Kriegsverbrecher vor den Parteitag - als ein Mann, der weitgehend als Ränkeschmied verachtet wird, der massenhafter Opposition in der Bevölkerung gegen seinen Kurs gespottet und Geheimdienstberichte gefälscht hatte, um einen illegalen Angriffskrieg gegen den Irak zu rechtfertigen.

Drei Kommissionen wurden bereits eingerichtet im Bemühen, den Gestank, der seine Regierung umgibt, zu vertreiben. Trotz all ihrer Begrenztheit bestätigten die Untersuchungen, dass die herrschende Elite über den Krieg zutiefst gespalten ist, und bewiesen, dass die Regierung in Hinblick auf die angebliche Bedrohung des Weltfriedens durch den Irak falsche Aussagen gemacht hatte.

Jeder weiß, dass Blair eine kriminelle Verschwörung mit dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush ausgeheckt hat, um das Völkerrecht zu untergraben und die Kriegspläne gegen eine verarmtes und wehrloses Land in die Tat umzusetzen. Ein Krieg zudem, der alles andere als eine neue Ära der Demokratie eingeleitet, sondern stattdessen den Weg für eine Besetzung des Landes im Kolonialstil frei gemacht hat, die durch ein zunehmend brutales Vorgehen gegen die irakische Bevölkerung gekennzeichnet ist. Ein kürzlich bekannt gewordener amerikanischer Plan für den Irak macht deutlich, dass die Bush-Regierung eine Politik der verbrannten Erde vorbereitet: Massenhafte Privatisierungen sind vorgesehen, um die Aneignung der irakischen Ressourcen durch die großen imperialistischen Mächte zu vereinfachen.

Blairs Politik gegenüber dem Irak wird ebenso wie seine Innenpolitik von den Interessen und Bedenken der Großunternehmen und -banken bestimmt. Als Konsequenz haben Armut und soziale Ungleichheit unter der Labour-Regierung zugenommen, und diese will die Privatisierung des Bildungs- und Gesundheitswesen weiter vorantreiben. Erst eine Woche vor dem Parteitag hatte eine Verbindung aus Opposition gegen den Krieg und Wut über den sinkenden Lebensstandard für eine historische Niederlage der Labour Party bei den Wahlen in Brent East gesorgt: Labour wurde von den Liberalen Demokraten, die einen Stimmenzuwachs von 30 Prozent verzeichneten, auf Platz zwei verwiesen. Laut Meinungsumfragen war die Hälfte der Wahlberechtigten der Meinung, dass Blair als Premierminister zurücktreten soll.

Vor diesem Hintergrund kamen die Medien zu dem Schluss, dass der Parteitag dem Premierminister einen kalten Empfang bereiten würde, weil dieser die Partei diskreditiert hat, und dass Blair daher gezwungen wäre, sich demütig und reuevoll zu geben.

Doch das Gegenteil war der Fall. Blair gab schon einen Tag vor Beginn des Parteitags einen Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte, als er in einem BBC-Interview arrogant erklärte, er sei "stolz" darauf, einen Krieg gegen den Irak begonnen zu haben. Auf die Frage, was er in Bezug auf den Irak rückblickend anders gemacht hätte, antwortete er: "Nichts. Ich hätte genau dasselbe getan."

Die Leute, erklärte er, "können mich so viel angreifen, wie sie wollen. Ich glaube, dass wir das Richtige getan haben. Ich glaube, dass sich unsere britischen Truppen dort absolut heldenhaft geschlagen haben. Ich entschuldige mich nicht für den Irak. Ich bin stolz auf das, was wir getan haben."

Wenn Blair seine Provokationen überhaupt noch steigern konnte, so tat er dies in seiner Ansprache an den Parteitag am 30. September. Er macht sich lustig darüber, dass seinen Schwierigkeiten so viel Aufmerksamkeit geschenkt worden war, und sagte, ihm sei vorgeschlagen worden, er solle "auf dem Parteitag den Chorus ‚Allways look on the bright side of life‘ anstimmen". Er parodierte die Erklärung der konservativen Premierministerin Margaret Thatcher aus dem Jahre 1980, "Die Lady ist nicht für Kehrtwendungen zu haben", mit den Worten: "Ich kann nur in eine Richtung gehen. Ich habe keinen Rückwärtsgang."

Blair gab keine Erklärung zu dem gefälschten Geheimdienstmaterial und den plagiierten Dokumenten ab, mit denen er seinen Waffengang untermauert hatte, geschweige denn zu den nicht auffindbaren Massenvernichtungswaffen. Auch als er anmerkte, der Krieg habe "die internationale Gemeinschaft gespalten... die Partei, das Land, Familien, Freunde gespalten", bestand er darauf, dass es richtig gewesen sei in den Krieg zu ziehen, und forderte vom Parteitag eine Blankovollmacht, um weiterhin so vorgehen zu können. "Greift meine Entscheidungen an, aber versteht zumindest, warum ich sie traf und warum ich die gleiche Entscheidung wieder treffen würde", sagte er.

Folgt man Blair, so ist er nicht in die Kritik geraten, weil er gelogen und getäuscht hat, sondern weil die Leute zu hohe Erwartungen an seine Regierung hatten und nicht wirklich verstanden haben, worum es eigentlich ging.

Die Lage sei so schwierig geworden, behauptete er, weil ein "Erwartungsüberschwang" den Wahlsieg der Labour Party im Jahre 1997 begleitet habe. Aber "anstatt die Erwartungen zu zügeln, ließen wir ihnen freien Lauf".

Blair sprach aus, dass seine Umgestaltung der Partei zu "New" Labour und ihre Neuausrichtung als politische Vertretung des Großunternehmertums nie einen schlauen Trick darstellten, um die Macht zu übernehmen und sich danach als Partei wieder der traditionellen Politik der Sozialreform zuzuwenden. "Ich versuche seit 10 Jahren, euch das zu erklären", sagte er. "New Labour war für mich nie eine Abkehr vom Glauben. Es ist mein Glauben."

Seine Regierung entspringe "keiner Halluzination, bei der keine schwierigen Entscheidungen getroffen werden dürfen, das Geld auf Bäumen wächst und die Minister alle Händchen halten und ‚Kumbaya‘ singen", sagte Blair.

Als er die Maßnahmen der Labour-Regierung in den vergangenen sieben Jahren aufzählte, betonte er, dass die Abgabe der Kontrolle über die Geldpolitik an die Bank von England, die Privatisierungen, die Law-and-Order-Politik und, wie man aus dem Gesagten schließen darf, imperialistische Kriege, wie der gegen den Irak, dem Kurs entsprechen, für den Labour immer stand und steht. Anstatt diese Politik aufzugeben, wie es einige von ihm forderten, würde seine Regierung diesen Kurs weiterhin energisch verfolgen - das Recht auf Asyl abschaffen, Strafen verschärfen, Personalausweise einführen und sicherstellen, dass die Privatisierungspläne umgesetzt werden.

Blairs Rede wurde mit minutenlangem Applaus und Standing Ovations bedacht und die Medien gratulierten dem Premierminister umgehend für sein mutiges Standhalten gegenüber der Partei, der er klar gemacht habe, wer der Boss sei.

Doch mit Mut hatte all dies am wenigsten zu tun. Labour-Parteitage sind inszenierte Angelegenheiten, die mit den Wünschen und Hoffnungen der Bevölkerung nichts gemein haben. Und insofern entsprechen sie dem Charakter der Labour Party selbst. Nachdem sie sich jeder Verbindung zur Arbeiterklasse entledigt hat, hat die Labour Party auch ihre Massenbasis verloren. Unter Blairs Führung ist die Mitgliedschaft ausgedünnt und von 400.000 auf knapp 200.000 größtenteils apathische, desillusionierte Seelen geschrumpft. Labour-Mitglieder berichten, dass sie zunehmend Probleme haben, Wahlkämpfe zu organisieren und durchzuführen.

Dies bedrückt Blair jedoch nicht, der seiner Partei gegenüber gleichgültig ist und buchstäblich unabhängig von ihr herrscht. Welche Entschlüsse der Parteitag auch immer gefällt hätte, Blair hätte sie einfach ignoriert - was er deutlich zu verstehen gab, als die Regierungsvorhaben für eine Privatisierung des Gesundheitswesens abgelehnt wurden.

Blair kann ein derartiges Verhalten an den Tag legen, weil er nicht von der Labour Party im Amt gehalten wird sondern von der anhaltenden Unterstützung der Finanzoligarchie, deren politischer Repräsentant er ist. Diese kleine Elite, deren Meinung wirklich zählt, war der eigentliche Adressat von Blairs Rede auf dem Parteitag - er versicherte ihr, dass er trotz seiner fehlenden Popularität nicht von seinem rechten Kurs abweichen wird.

In dieser Hinsicht bewies der Parteitag, dass sich Blair auf die Unterstützung der Gewerkschaftsbürokratie verlassen kann, die ihr Möglichstes tat, um sicherzustellen, dass die Stellung des Premierminister nicht untergraben wird. Sie sorgte dafür, dass es auf dem gesamten Parteitag keine Debatte über den Irak gab, und nutzte ihr Vetorecht, um diese Frage von der Tagesordnung zu streichen. Dasselbe tat sie im Verlauf des Parteitages noch einmal, als sie während einer außenpolitischen Debatte, die kaum eine halbe Stunden lang dauerte und von einigen wenigen, vorwiegend kriegsbefürwortenden Reden beherrscht wurde, gegen eine Abstimmung zum Irak eintrat.

Die Gewerkschaften behaupteten, dies sei notwendig gewesen, um eine Diskussion über solch strittige innenpolitische Themen wie die Privatisierung von Krankenhäusern sicherzustellen. Tatsächlich aber hatten sich die Gewerkschaften an Blairs Seite gestellt, als die Bevölkerung ihre Opposition gegen den Krieg zum Ausdruck brachte. Der Gewerkschaftsdachverband TUC distanzierte sich in einer öffentlichen Erklärung von den Massenprotesten gegen den Krieg, weil sich einige Teilnehmer gegen die Regierung gewandt und den Rücktritt Blairs gefordert hatten. Vergangenen Monat verabschiedete der TUC eine Resolution, in der der Krieg verurteilt und ein Abzug der britischen Truppen aus dem Irak gefordert wurde. Es hat nicht lange gedauert, bis diese Antikriegspose als schiere Heuchelei enttarnt wurde.

Für Blair und die Gewerkschaftsbürokratie ist es eine Sache, ihren Kurs einer fügsamen und kriecherischen Labour Party zu diktieren, aber eine gänzlich andere, dies außerhalb eines Parteitags mit ausgesuchtem Publikum zu tun. Treffen sie auf die arbeitende Bevölkerung, sehen sie sich mit wesentlich härterem Widerstand konfrontiert.

Siehe auch:
England: Der Tod des Informanten Kelly erschüttert die Blair-Regierung
(30. Juli 2003)
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