Italien: Staatspräsident Ciampi stoppt Berlusconis Justizreform

Der italienische Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi hat der Justizreform der Berlusconi-Regierung seine Unterschrift verweigert und vorläufig verhindert, dass sie in Kraft treten kann. Das umstrittene Gesetzespaket war am 1. Dezember mit der rechten Mehrheit von Forza Italia, Aleanza Nazionale, Lega Nord und der UDC (Christdemokraten) verabschiedet worden. Jetzt muss es auf Aufforderung von Ciampi in beiden Parlamentskammern neu beraten werden.

Ein wesentlicher Punkt von Berlusconis Justizreform betrifft die Beschneidung von Kompetenzen des Obersten Richterrats (Consiglio Superiore della Magistratura - CSM), der bisher für Auswahl, Beförderungen und Aufgabengebiete der Richter zuständig ist. Der Oberste Richterrat ist ein von der Regierung unabhängiges, von Parlament und Richtern gewähltes Gremium, dem der Staatspräsident vorsteht.

Die Staatsanwälte, die in Italien bisher wie die Richter von der Exekutive unabhängig sind, sollen in Zukunft vom Justizminister weisungsabhängig werden. Die Regierung wird in die Lage versetzt, auf Prioritäten der Strafverfolgung Einfluss zu nehmen.

Außerdem wird den Richtern und Staatsanwälten verboten, sich politisch zu äußern, sich aktiv parteipolitisch oder gewerkschaftlich zu betätigen und an einer Demonstration teilzunehmen. Die Reform beinhaltet die Trennung der Berufskarrieren von Richtern und Staatsanwälten, die sich künftig festlegen müssen, welche Laufbahn sie ergreifen wollen. Sie sollen durch psychologische Verhaltenstests auf ihre Eignung für diese Berufe geprüft werden.

Die Justizreform stellt einen ernsten Angriff der Berlusconi-Regierung auf verfassungsmäßige demokratische Grundrechte, auf die Unabhängigkeit der Justiz von der jeweiligen Regierung, die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz und auf das Recht jedes einzelnen auf einen fairen Prozess dar.

Das Veto des Staatspräsidenten bedeutet jedoch nicht, dass dieser Angriff endgültig abgewehrt wäre: Nach einer zweiten Verabschiedung durch das Parlament darf Ciampi seine Unterschrift nicht mehr verweigern. So ist es vor einem Jahr Berlusconis neuem Mediengesetz ergangen, das nach dem Veto des Präsidenten und einem zweiten parlamentarischen Durchlauf doch noch in Kraft trat.

Der Streit um eine Justizreform dauert bereits vier Jahre, seit dem Amtsantritt der zweiten Berlusconi-Regierung im Sommer 2001. Systematisch lässt der Regierungschef Gesetze aufweichen oder abschaffen, die zum Beispiel Bilanzfälschung, Geldwäsche oder die Unvereinbarkeit eines Regierungsamtes mit dem Besitz eines Unternehmens betreffen. Mit dem sogenannten Cirami-Gesetz, wurde das Konzept des "legitimen Verdachts" gegen die Justiz eingeführt. Äußert ein Angeklagter den Verdacht, sein Richter sei befangen, ist es möglich, ein laufendes Verfahren an einen anderen Ort zu verlagern.

Gegen die Angriffe der Regierung auf die Justiz gingen schon vor zwei Jahren eine halbe Million Menschen in Rom auf die Straße, und noch am 24. November 2004 protestierten Richter und Justizangestellten in einem nationalen Streik dagegen. Berlusconi bezeichnet Richter und Staatsanwälte abschätzig als "Rote Roben" und behauptete einmal sogar, Richter seien "psychisch gestört" und "anthropologisch anders als der Rest der Menschheit".

Am 16. Dezember, dem Tag an dem Ciampi die Justizreform zurückwies, wurde im Parlament ein neues, höchst umstrittenes Gesetz mit knapper Mehrheit verabschiedet, das eine starke Verkürzung von Verjährungsfristen beinhaltet. Das Gesetz erhielt sofort den Spitznamen "Salva Previti" (Rettet Previti), weil es offenbar unmittelbar auf eine Amnestie für Berlusconis Anwalt Cesare Previti hinausläuft. Previti war vor einem Jahr wegen Richterbestechung in erster Instanz zu elf Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Das neue Gesetz könnte dazu führen, dass Hunderte, wenn nicht Tausende Verfahren eingestellt werden und ist auf mehrere Regierungspolitiker maßgeschneidert. So könnten sowohl Berlusconi selbst als auch Marcello Dell’Utri davon profitieren. Dell’Utri, langjähriger Berlusconi-Vertrauter sowie Gründer und stellvertretender Vorsitzender von Forza Italia, wurde letzte Woche in Palermo zu neun Jahren Haft verurteilt, weil er über dreißig Jahre im Dienst der Mafia stand. Er sei, so die Richter, "Garant der Mafia-Interessen in Berlusconis Holding Fininvest" und "Botschafter der Cosa Nostra" gewesen.

Gegen Berlusconi selbst haben schon zahlreiche Prozesse wegen Bilanzfälschung, Betrug, Korruption und schwarzen Kassen stattgefunden. Erst im Dezember wurde in zwei Fällen wegen Richterbestechung das Urteil gesprochen. Während die Mailänder Staatsanwältin Ilda Boccassini acht Jahre Haft gegen Berlusconi gefordert hatte, wurde er im einen Fall aufgrund mildernder Umstände, im anderen wegen Verjährung freigesprochen.

Ein Konflikt zweier Flügel der italienischen Bourgeoisie

Silvio Berlusconi, der in einer Person Premierminister, reichster Unternehmer Italiens und Inhaber des größten Medienkonzerns ist, verfolgt in seinem langjährigen Kampf gegen die Justiz zwei Ziele: Erstens will er seinen Konzern und sich selbst besser vor juristischer Verfolgung schützen, zweitens der besitzenden Oberschicht des Landes mehr Ellbogenfreiheit verschaffen.

Er steht für den Teil der herrschenden Elite, der sich von den traditionellen Formen bürgerlich-parlamentarischer Herrschaft befreien und offen autoritäre Herrschaftsformen einführen will, um die Rechte und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse anzugreifen.

Berlusconis Gegner im Justizapparat und in der Richtervereinigung ANM (Assoziazione Nazionale Magistratura) repräsentieren die Interessen eines andern Flügels der italienischen Bourgeoisie. In diesem Lager stehen die Politiker der parlamentarischen Mitte-Links-Opposition und ein Teil der Gewerkschaftsbürokratie. Sie befürchten, die Gangstermethoden der Regierungspolitik könnten die Klassenbeziehungen destabilisieren und einen Aufstand provozieren.

Ein Vertreter dieser Fraktion ist Antonio Di Pietro, Parteivorsitzender von "Italia dei Valori" (Italien der Werte) und Europapolitiker. Nach der Verurteilung von Marcello Dell’Utri forderte Di Pietro im Parlament lautstark Berlusconis Rücktritt und Neuwahlen. "Diese politische Klasse ist nicht würdig, das Land zu regieren", rief er aus.

Di Pietro gehörte vor zwölf Jahren als Staatsanwalt zu den treibenden Kräften von Mani pulite (Saubere Hände), dem Feldzug gegen Korruption. Es ist hilfreich, heute nochmals einen Blick auf die damalige Kampagne zu werfen, um zu verstehen, was ihre politische Bedeutung war. Dieser Versuch, gegen den Korruptionssumpf in den großen Nachkriegsparteien vorzugehen, diente letztendlich einer Neuorientierung der italienischen Bourgeoisie und ebnete einer Rechtswende ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik den Weg. Es ging darum, Italien fit für die EU und den Euro zu machen, und dabei wurde Tangentopoli - das kostspielige System von Schmiergeldzahlungen und gegenseitigen Gefälligkeiten - zum Hindernis für den Erfolg Italiens in der globalen Wirtschaft.

Mani Pulite brachte zahlreiche Prominente aus Politik und Wirtschaft vor Gericht und ins Gefängnis und trug zum Auseinanderbrechen der großen Nachkriegsparteien von Christdemokraten und Sozialisten bei. Es entstand ein politisches Vakuum, und weil die Arbeiterklasse durch den Einfluss der Wende-Stalinisten von der KPI desorientiert war und passiv blieb, konnten Forza Italia und die Faschisten davon profitieren. Das war die Zeit von Berlusconis Aufstieg.

Einer der heutigen Wortführer der Anti-Berlusconi-Fraktion ist Romano Prodi. Prodi wurde im November an der Spitze der EU-Kommission abgelöst und profiliert sich seither als Herausforderer Berlusconis für die Wahlen 2006. Er ist kein unbeschriebenes Blatt. Er war von 1996-98 italienischer Ministerpräsident und leitete einen rigorosen Sparkurs gegen die Bevölkerung ein, um den Beitritt Italiens zur europäischen Währungsunion zu sichern. Seine Regierung eröffnete die Angriffe auf das italienische Rentensystem.

Heute wird Prodi von allen Mitte-Links-Parteien und sogar von Rifondazione Comunista unterstützt. Letztere hat sich vor einem halben Jahr dem Olivenbaum in einer "Großen demokratischen Allianz" (GAD) angeschlossen. Während eines eintägigen Generalstreiks vom 30. November gegen die Berlusconi-Regierung rief Prodi als Hauptsprecher der Kundgebung in Rom zu einer "Bewegung der politischen Wiedergeburt des Landes" auf. Auf einer Versammlung des Olivenbaums in Mailand wurde er mit stehenden Ovationen gefeiert.

Auch Staatspräsident Ciampi spielte schon in den neunziger Jahren eine führende politische Rolle. Vom Frühjahr 1993 bis Frühjahr 1994 stand er an der Spitze einer Übergangsregierung, die den automatischen Inflationsausgleich der Löhne abschaffte, ein umfangreiches Privatisierungsprogramm auf den Weg brachte und ein neues Wahlgesetz verabschiedete, das Berlusconi an die Macht verhalf. Von 1996 bis 1999 diente er unter Prodi und Massimo D’Alema als Schatz- und Haushaltsminister. Die D’Alema-Regierung praktizierte zum erstenmal seit Kriegende Streikverbote und führte Italien unter Umgehung des Parlaments in den Kosovo-Krieg.

Gerade die Politiker und Parteien, die heute Berlusconi am lautesten kritisieren, sorgten damals durch ihre Angriffe auf die Bevölkerung für Frustration und Enttäuschung und ebneten so der zweiten Berlusconi-Regierung den Weg. Außerdem unterstützen sie heute Berlusconis "Krieg gegen Terrorismus", in dessen Namen grundlegende demokratische Rechte zerstört werden.

Die Justizreform der Berlusconi-Regierung ist ein Angriff auf grundlegende demokratische Rechte und ein weiterer Schritt hin zur Einführung diktatorischer Herrschaftsformen. Aber der Kampf dagegen kann weder der bürgerlichen Justiz noch der Mitte-Links-Opposition anvertraut werden. Dies kann nur durch die Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms geschehen.

Siehe auch:
Maulkorb für die italienische Justiz
(9. Dezember 2004)
Berlusconi in Bedrängnis
( 21. Juli 2004)
Ein Porträt der Regierung Berlusconi: "Alle für einen, einer für sich"
( 27. März 2002)
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