Der Marxismus und die politische Ökonomie von Paul Sweezy

Diese Artikelserie von Nick Beams, einem Mitglied der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site , befasst sich mit dem Leben und dem Werk des radikalen politischen Ökonomen Paul Sweezy. Der Gründer und Herausgeber der Monthly Review ist am 27 Februar 2004 in Larchmont, New York, gestorben. 

Teil 1: Frühe Einflüsse

Mit dem 93-jährigen Paul Sweezy verstarb am 27. Februar eine der einflussreichsten Vertreter des amerikanischen Radikalismus. Sweezy führte zwar keine organisierte politische Tendenz, spielte aber dennoch eine bedeutende politische Rolle in den USA und international - sowohl mittels des Magazins Monthly Review, das er 1949 gründete, wie auch durch seine Schriften über marxistische politische Ökonomie und den amerikanischen Kapitalismus.

Wenn man Sweezys Leben und Werk untersucht, dann muss man das komplexe Wechselspiel zwischen seinen theoretischen Positionen und der Entwicklung des gesellschaftlichen und politischen Umfelds beachten, in dem er arbeitete. Sweezys Biographie kann meiner Ansicht nach nicht einfach unter dem Gesichtspunkt der Entfaltung seiner Ansichten über die marxistische politische Ökonomie und seiner, wie ich meine, nicht unbedeutenden Differenzen mit Marxens Analyse des Kapitalismus geschrieben werden. Sweezys theoretische Positionen waren selbst das Ergebnis einer bestimmten politischen Orientierung.

Es gibt keine "marxistische Ökonomie", die sich lediglich auf eine Analyse der Funktionsweise der kapitalistischen Ökonomie beschränkt. Eine solche Analyse selbst kann nur durch eine Kritik der herrschenden bürgerlichen Theorien entwickelt werden - eine Kritik, die darauf ausgerichtet ist, die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse herzustellen. Getrennt davon wird die "marxistische" politische Ökonomie einfach zu einer "linken" Variante der herrschenden Ideologie.

Sweezys Hinwendung zum Marxismus, und insbesondere sein Studium der politischen Ökonomie, begann unter dem Eindruck der Großen Depression, die nicht nur die Weltwirtschaft ins Chaos stürzte, sondern auch alle Wirtschaftstheorien, die ein solches Ereignis für unmöglich erklärt hatten.

Politisch war das Jahrzehnt von der Konsolidierung der stalinistischen Herrschaft in der UdSSR und, nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland 1933, dem Aufkommen der von den Stalinisten forcierten Volksfrontpolitik bestimmt, die eine Unterordnung der Arbeiterklasse unter sogenannte "demokratische" oder antifaschistische Teile der herrschenden Klasse bedeutete.

Sweezy nahm gegenüber diversen stalinistischen "Theoretikern" zu Recht eine kritische Haltung ein, die versuchten, den Marxismus in ein verknöchertes Dogma zu verwandeln. Später erinnerte er sich bitter an das Zögern von Freunden, sein 1942 veröffentlichtes Buch Theorie der kapitalistischen Entwicklung zu kommentieren, weil Moskau noch keine Position dazu bezogen hatte. Aber Sweezy vertiefte seine Kritik nie und seine politischen Ansichten waren stark von der Volksfrontpolitik des stalinistisch beeinflussten radikalen Milieus geprägt. Diese Orientierung spiegelte sich sowohl in seinen Schriften zur politischen Ökonomie wie auch in der Monthly Review wider.

Betrachtet man seinen Hintergrund, so war Sweezy nicht gerade der natürlichste Kandidat für die Stellung des "’Dekans’ der radikalen Ökonomen", wie das Wall Street Journal es ausdrückte, oder des "bekanntesten marxistischen Gelehrten" der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, wie J.K. Galbraith ihn nannte.

Harvard, LSE und zweiter Weltkrieg

Paul Sweezy wurde am 10. April 1910 als Sohn von Everett B. Sweezy geboren, des Vizepräsidenten der First National Bank of New York (dem Vorgängerinstitut der Citibank). Er wurde an der Philips Exeter Acadamy, einem Neu-England Eliteinternat, und an der Harvard Universität ausgebildet, wo er Ökonomie studierte. Nach der Graduierung setzte Sweezy seine Ausbildung an der London School of Economics (LSE) fort, wo er von dem LSE Professor für politische Wissenschaften und führenden britischen Intellektuellen Harold Laski beeinflusst wurde. Er entwickelte sich zu einem, in seinen eigenen Worten, "überzeugten, aber sehr unwissenden, Marxisten".

Radikalisiert durch die Erfahrung der Großen Depression und die Machtergreifung Hitlers in Deutschland, erinnerte sich Sweezy später an einen weiteren Einfluss auf seine frühe Entwicklung. 1979 benannte er auf die Frage, welche Autoren seinen Schreibstil am meisten beeinflusst hätten, Mark Twain, Ernest Hemingway und Edgar Snow, und fügte dann hinzu: "Noch einer ist zu nennen: Trotzki, dessen Geschichte der Russischen Revolution [die gerade übersetzt worden war]... eine wichtige Rolle bei der Verwandlung eines sehr bürgerlichen Studenten im ersten Semester in einen Marxisten spielte (meine Bewunderung für Trotzki als Schriftsteller ließ mich aber nie politisch zu einem Trotzkisten werden)." [1]

Nach der Rückkehr nach Harvard im Jahre 1933 begann Sweezy mit seiner Doktorarbeit zum Thema des Kohlekartells zur Zeit der industriellen Revolution. Er war einer der brillantesten jungen Intellektuellen im Institut und entwickelte eine enge persönliche Beziehung zu dem österreichischen Ökonomen Josef Schumpeter, der ein Lehramt an der angesehenen Universität übernommen hatte. Schumpeter war, wie Sweezy später anmerkte, eine einzigartige Persönlichkeit unter den Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Gerade weil er die intellektuelle Bedeutung von Marx verstand, war sein "eigener Versuch einer umfassenden Theorie des Kapitalismus bewusst als Alternative zum Marxismus angelegt". [2]

1938 trat Sweezy in den Lehrkörper des wirtschaftswissenschaftlichen Instituts von Harvard ein und wurde Mitbegründer der dortigen Lehrergewerkschaft. In den 1930er Jahren war er Mitglied des Bundes gegen Faschismus und Krieg und verschiedener Volksfrontorganisationen. Er war zwar nie Mitglied der Kommunistischen Partei, erinnerte sich aber später, dass er es ohne weiteres hätte gewesen sein können, woraus zu schließen ist, dass er keine großen Differenzen mit ihrer politischen Orientierung hatte.

Aber welche Haltung nahm Sweezy gegenüber der trotzkistischen Bewegung ein, angesichts der Wirkung der Geschichte der Russischen Revolution auf seine eigene Entwicklung? Sweezys Gleichgültigkeit, wenn nicht offene Feindschaft gegenüber Trotzkis politischer Analyse - der Entlarvung des Stalinismus und der stalinistischen Volksfrontpolitik - drückte die verbreitete Haltung einer Schicht radikaler Intellektueller in den USA aus. Sie unterstützten die russische Revolution, waren sogar von ihr inspiriert und bewegt. Aber insoweit sie die Revolution als ein rein nationales russisches Ereignis verstanden - und nicht als den Auftakt der sozialistischen Weltrevolution - lehnten sie den Kern von Trotzkis Politik ab: seine internationalistische Haltung und seinen unnachgiebigen Kampf für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse. Diese standen ihrer Orientierung auf die liberale Bourgeoisie und die Roosevelt-Regierung entgegen.

1942 verließ Sweezy Harvard, nachdem die USA im Dezember 1941 in den zweiten Weltkrieg eingetreten waren, und trat in die Armee ein. Wie andere Intellektuelle auch landete er im Büro für strategische Dienste (OSS) und wurde 1943 nach London entsandt, wo er die Wirtschaftspolitik Großbritanniens verfolgen sollte. Noch während der Krieg im vollen Gange war, entwickelte die Roosevelt-Regierung Pläne für die ökonomische Entwicklung in der Zeit nach dem Krieg; dazu gehörte die Auflösung des britischen Empires und seines internen Systems von Protektionismus und Präferenzen.

Als Sweezy Harvard verließ, standen noch zwei Jahre seines Fünfjahresvertrags als Assistenzprofessor aus. Während des Kriegs wurde eine feste Stelle frei und Sweezy war einer der beiden Kandidaten in der Endausscheidung. Trotz starker Unterstützung durch Schumpeter erhielt er die Stelle nicht. Als er 1945 zurückkam, erfuhr er von seinen Freunden, dass "er keine Chance habe, im Institut eine feste Stelle zu bekommen" und dass "es keine Chance gab, dass sie je einen Marxisten nehmen würden". [3]

Da er keine eine feste Stelle erhalten konnte, entschloss sich Sweezy, die restlichen zwei Jahre seines Lehrvertrages nicht mehr wahrzunehmen. Er konnte mit dem Geld über die Runden kommen, dass ihm sein Vater hinterlassen hatte.

Der Wallace-Wahlkampf

1948 engagierte sich Sweezy stark im Präsidentschaftswahlkampf von Henry Wallace. Wallace, der Vizepräsident unter Roosevelt gewesen war, wurde 1946 aus der Truman-Regierung als Handelsminister entlassen, weil er der Sowjetunion zu sehr entgegengekommen war. Wallace nahm an der Wahl von 1948 als Führer der Progressiven Partei teil und versprach, die Politik Roosevelts fortzusetzen, weiter mit der Sowjetunion zu verhandeln, Einfluss auf die Wirtschaft zu nehmen und einen sogenannten "progressiven Kapitalismus" zu entwickeln.

In der schärfer werdenden Atmosphäre des Kalten Kriegs geriet Wallace’s Wahlkampf zu einem Flop. Sweezy und der radikale Journalist Leo Huberman waren der Auffassung, dass die Bewegung von Wallace eine sozialistische Alternative hätte propagieren sollen. Sie kamen zum Schluss, dass eine Zeitschrift gebraucht werde, die die Situation von einem solchen Standpunkt aus analysiert. Sweezys Kritik, die Kampagne von Wallace sei nicht sozialistisch, zielte nicht auf die Entwicklung eines auf die Arbeiterklasse gestützten politischen Kampfs. Vielmehr strebte er danach, das intellektuelle und politische Milieu der Volksfrontperiode und des zweiten Weltkriegs zu retten - New Deal Reformen im Inland und eine prosowjetische Orientierung in der Außenpolitik.

Die Chance für eine entsprechende Publikation ergab sich 1949, als ein Freund von Sweezy aus Harvard, der Literaturwissenschaftler F.O. Mathiessen, eine Erbschaft machte. Mathiessen bot Huberman und Sweezy an, ihnen für die nächsten drei Jahre je 5.000 Dollar für die Herausgabe des geplanten Magazins zur Verfügung zu stellen. Im Mai 1949 kam die erste Ausgabe der Monthly Review mit einem Artikel von Albert Einstein heraus. Titel des Artikels: "Warum Sozialismus?"

Aber in der Nachkriegszeit änderte sich das politische Klima dramatisch, als breite Teile des liberalen Milieus ebenso wie die Gewerkschaftsbürokratie den kalten Krieg und die damit einhergehenden antikommunistische hetze zu unterstützen begannen. Huberman und Sweezy wurden beide angegriffen. Huberman wurde 1953 vor das Senatskomitee von Senator McCarthy geladen.

Sweezy wurde 1954 im Rahmen der Untersuchung "subversiver Aktivitäten" zwei Mal vom Justizminister von New Hampshire unter Strafandrohung vorgeladen. Die Verfahren gegen Sweezy drehten sich um den Wahlkampf von Wallace, den Sweezy in New Hampshire geleitet hatte, um den Inhalt einer Vorlesung, die er gehalten hatte, und darum, ob er an den Kommunismus glaubte, oder nicht. Sweezy verweigerte unter Berufung auf den ersten Verfassungszusatz der amerikanischen Verfassung, der die Redefreiheit garantiert, die Aussage und wurde wegen Missachtung des Gerichts eingesperrt. Nachdem er auf Kaution freigelassen worden war, kam sein Fall vor den Obersten Gerichtshof, wo seine Verurteilung 1957 aufgehoben wurde - ein Zeichen dafür, dass die McCarthy Ära zu Ende ging.

Teil 2: Die Theorie der kapitalistischen Entwicklung

Paul Sweezys Ansichten zur politischen Ökonomie sollten eine zentrale Rolle für die sogenannte Monthly Review -Schule spielen. Sie nahmen in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre Gestalt an, als er ein Verständnis der Marxschen Analyse zu entwickeln begann.

Sweezys erstes und in mancherlei Hinsicht wichtigstes Werk, "Theorie der kapitalistischen Entwicklung", entstand weitgehend in einem Prozesses der Selbstklärung. Es hatte seinen Ursprung in Vorlesungen, die er über die Ökonomie des Sozialismus gehalten hatte, und beinhaltete eine Untersuchung der Theorien verschiedener sozialistischer Theoretiker. Sweezy erinnerte sich später, wie er in Seminaren für Studienanfänger das Niveau der Behandlung von Marx zu heben versuchte. Dabei habe er festgestellt, dass das "einen langen harten Kampf" erfordert, "die Traditionen und Hindernisse einer neoklassischen Ausbildung zu überwinden.... Ich brauchte lange, lange bis ich die marxistische Arbeitswerttheorie akzeptieren konnte, weil ich voll in der Denkweise der Grenznutzentheorie usw. befangen war. Und.... lange Zeit konnte ich nicht verstehen, dass es eine andere Werttheorie geben konnte, die völlig andere Ziele verfolgte." [4]

Aber die "Theorie der kapitalistischen Entwicklung" war nicht einfach eine Präsentation der Marxschen Ideen. Sweezy entwickelte darin vielmehr scharfe Meinungsverschiedenheiten mit Marxens Analyse "des tendenziellen Falls der Profitrate". Weil seine Behandlung dieser Frage in engem Zusammenhang mit seiner politischen Orientierung und seiner Analyse des amerikanischen Kapitalismus in seinem Buch "Monopolkapital" steht - ein Werk, das zur Zeit der politischen Radikalisierung der späten 1960er und der frühen 1970er Jahre weite Verbreitung fand - verlangt sie eine eingehende Untersuchung.

Der tendenzielle Fall der Profitrate

Der tendenzielle Fall der Profitrate war schon vor Marx ein deutlich erkennbares Phänomen im Kapitalismus. Der schottische Ökonom und Philosoph Adam Smith (1723-1790) führte sie auf zunehmende Konkurrenz zurück: mit dem Wachstum des Kapitals nahm auch die Produktion zu, was zu höherem Angebot, schärferer Konkurrenz und niedrigeren Preisen führte, und folglich zu einem Rückgang der Profite.

David Ricardo (1772-1823) zufolge dehnte sich mit der Ausdehnung des Kapitals und der Zunahme der Anzahl der Arbeitskräfte auch die Landwirtschaft aus. Das bedeutete, dass Land für den Anbau von Nahrungsmitteln für die gewachsene Arbeiterschaft bestellt wurde, das weniger fruchtbar war. Eine geringere Fruchtbarkeit des Bodens bedeutete höhere Kosten für die Nahrungsmittel, was wiederum zu höheren Löhnen und infolgedessen zu fallenden Profiten führte.

Marx wies beide Erklärungen zurück. Der tendenzielle Fall der Profitrate wurzelte weder in verschärfter Konkurrenz (Smith), noch in sinkender Produktivität der Landwirtschaft (Ricardo). Er war vielmehr der Ausdruck steigender Arbeitsproduktivität unter kapitalistischen Bedingungen.

Marxens Analyse in Band 1 seines Meisterwerks "Das Kapital" zeigte, dass die einzige Quelle von Mehrwert - der Grundlage von Profit, Grundrente und Zins - die Differenz zwischen dem neuen Wert war, den der Arbeiter im Produktionsprozess hinzufügte, und dem Wert der Ware, die der Arbeiter dem Kapitalisten zuvor verkauft hatte - seiner Arbeitskraft oder seiner Fähigkeit zu arbeiten. Während die Waren, die notwendig waren, den Arbeiter und seine Familie zu erhalten (Nahrungsmittel, Kleidung, Unterkunft), sage, vier Arbeitsstunden beinhalteten, wurde der Arbeiter für acht, zehn oder zwölf Stunden zu arbeiten genötigt. Diese Differenz ist die Quelle des Mehrwerts.

Aber Marx erklärte, dass es im Akkumulationsprozess einen Widerspruch gibt. Die Tatsache, dass sich die kapitalistische Produktion ausdehnt und die gesellschaftliche Produktivität der Arbeit entwickelt, bedeutet, dass jeder Arbeiter in der gleichen Zeit eine immer größere Masse Produktionsmittel in Waren verwandelt. Der Wert dieser Produktionsmittel (oder konstanten Kapitals) bleibt in den Waren, die das Ergebnis des Produktionsprozesses sind, erhalten, während die lebendige Arbeit (oder das variable Kapital) Wert hinzufügt. Diese lebendige Arbeit ist die einzige Quelle von Mehrwert. Aber das bedeutet, dass in dem Maße, wie sich die Arbeitsproduktivität entwickelt, der Anteil des konstanten Kapitals gegenüber dem variablen Kapital zunimmt (organische Zusammensetzung des Kapitals).

Mit der Entwicklung der Arbeitsproduktivität setzt die gleiche Menge lebendiger Arbeit eine immer größere Kapitalmasse in Bewegung, was bedeutet, dass der im Produktionsprozess erzielte Mehrwert eine immer größere Kapitalmasse vermehren muss. Das ist der Ursprung des tendenziellen Falls der Profitrate.

"Da die Masse der angewandten lebendigen Arbeit stets abnimmt im Verhältnis zu der Masse der von ihr in Bewegung gesetzten vergegenständlichten Arbeit, der produktiv konsumierten Produktionsmittel, so muss auch der Teil dieser lebendigen Arbeit, der unbezahlt ist und sich in Mehrwert vergegenständlicht, in einem stets abnehmenden Verhältnis stehn zum Wertumfang des angewandten Gesamtkapitals. Dies Verhältnis der Mehrwertsmasse zum Wert des angewandten Gesamtkapitals bildet aber die Profitrate, die daher beständig fallen muss." [5]

Als Marx das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate erklärte, zeigte er auch, dass es zahlreiche ihm entgegen wirkende Tendenzen gibt, die in der Entwicklung des Kapitalismus selbst begründet sind. Marx merkte an: Angesichts der enormen Entwicklung der Arbeitsproduktivität "tritt an die Stelle der Schwierigkeit, welche bisher die Ökonomen beschäftigt hat, nämlich den Fall der Profitrate zu erklären, die umgekehrte, nämlich zu erklären, warum dieser Fall nicht größer oder rascher ist". [6]

Einer der wichtigsten entgegenwirkenden Faktoren ist die Tendenz der Mehrwertrate (gemessen an dem Verhältnis der unbezahlten zur bezahlten Arbeit eines Arbeitstags), mit der Entwicklung der Arbeitsproduktivität zu steigen. Das bedeutet, dass zwar die Masse konstanten Kapitals gegenüber dem variablen Kapital steigt und dadurch die Profitrate sinken mag, der Anstieg der Mehrwertrate die Profitrate aber eher steigen lässt. Auf diesen Punkt stützte Sweezy seine Opposition gegen Marxens Analyse.

Sweezys Kritik

Bezeichnender Weise beginnt Sweezy seine Kritik mit dem Hinweis auf die Bedeutung, die Marx dem Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate für die Betrachtung der historischen Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise zumisst. "Für ihn besitzt es große Bedeutung", schrieb Sweezy. "Es hat gezeigt, dass die kapitalistische Produktion in sich gewisse innere Schranken für ihre eigene, ungehemmte Expansion hatte." [7]

In einer von Sweezy zitierten Passage macht Marx klar, dass der tendenzielle Fall der Profitrate ein Ausdruck des historisch beschränkten Charakters der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb des Kapitalismus selbst ist.

"Was Ricardo beunruhigt, ist, dass die Profitrate der Stachel der kapitalistischen Produktion und Bedingung, wie Treiber der Akkumulation, durch die Entwicklung der Produktion selbst gefährdet wird. Und das quantitative Verhältnis ist hier alles. Es liegt in der Tat etwas Tieferes zugrunde, das er nur ahnt. Es zeigt sich hier in rein ökonomischer Weise, d.h. vom Bourgeoisstandpunkt, innerhalb der Grenzen des kapitalistischen Verstandes, vom Standpunkt der kapitalistischen Produktion selbst, ihre Schranke, ihre Relativität, dass sie keine absolute, sondern nur eine historische, einer gewissen beschränkten Entwicklungsepoche der materiellen Produktionsbedingungen entsprechende Produktionsweise ist." [8]

Sweezy behauptet, dass Marx seine Formulierung des Gesetzes auf die Annahme einer konstanten Mehrwertrate gegründet habe. Das zeigt ein bemerkenswertes Unverständnis der Methode von Marx, der verschiedene Prozesse isoliert betrachtete, um ihre Wirkung auf die Akkumulation des Kapitals zu untersuchen. Es war notwendig, eine unveränderte Mehrwertrate zu unterstellen, um die Wirkung eines Anstiegs der organischen Zusammensetzung des Kapitals auf die Profitrate isoliert zu betrachten.

Eine solche wissenschaftliche Vorgehensweise war um so notwendiger, weil alle vorherigen Ökonomen die Mehrwertrate und die Profitrate nicht unterschieden hatten. Das konstante Kapital, das variable Kapital, die Mehrwertrate und die organische Zusammensetzung des Kapitals waren von Marx neu entdeckte Kategorien, mit deren Hilfe er in der Lage war, "das Geheimnis des Mehrwerts" zu entdecken. Daher war es vom methodologischen Standpunkt aus notwendig, die Wirkung dieser Variablen isoliert von einander sorgfältig zu untersuchen.

Sweezy ignoriert diese wichtigen Fragen der Methode und fährt mit seiner Kritik folgendermaßen fort:

"Es könnte daher scheinen, dass Marx kaum berechtigt war, eine konstante Mehrwertrate gleichzeitig mit einer steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals anzunehmen, selbst nicht in Begriffen seines eigenen theoretischen Systems. Ein Wachsen in der organischen Zusammensetzung des Kapitals muss einen Anstieg in der Produktivität der Arbeit bedeuten, und nach Marx’ eigenen Worten ist höhere Produktivität unweigerlich von einer höheren Mehrwertrate begleitet. Daher sollten wir im allgemeinen Fall annehmen, dass die wachsende organische Zusammensetzung des Kapitals pari passu mit einer wachsenden Mehrwertrate einhergeht. Wenn sowohl die organische Zusammensetzung des Kapitals wie auch die Mehrwertrate als variabel angenommen werden,... dann wird die Richtung, in der die Profitrate sich verändern wird, unbestimmt. Alles, was wir sagen können, ist nur dies, dass der prozentuale Zuwachs der Mehrwertrate geringer ist als die prozentuale Abnahme im Verhältnis des variablen zum Gesamtkapital." [9]

Für Sweezy gibt es keinen Grund für die "allgemeine Annahme", dass Veränderungen in der organischen Zusammensetzung des Kapitals schwerer wiegen als die Veränderungen der Mehrwertrate (Ausbeutungsrate). "Im Gegenteil, es würde den Anschein haben, dass wir die zwei Variablen, grob gesprochen, als gleichbedeutend ansehen müssen. Aus diesem Grund ist die Marxsche Formulierung des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate nicht sehr überzeugend." [10]

Eine Untersuchung der Analyse von Marx zeigt aber klar, warum die Steigerung der Mehrwertrate nicht auf Dauer die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals wettmachen kann. Im Gegensatz zu der Behauptung, Marx habe seine Schlussfolgerung auf die Voraussetzung einer gleichbleibenden Mehrwertrate gestützt, behandelt Marx die Fragen, die Sweezy aufwirft, ausdrücklich. Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität nehme eine "doppelte Form" an, bemerkte er. Auf der einen Seite bewirke sie eine Zunahme der Mehrarbeit (und deshalb des Mehrwerts), weil der Arbeiter den Wert seiner Arbeitskraft in kürzerer Zeit reproduziere. Auf der anderen Seite bewirke sie eine Abnahme der Anzahl der von einem gegebenen Kapital beschäftigten Arbeiter, also eine Abnahme der Masse des Mehrwerts.

"Beide Bewegungen gehen nicht nur Hand in Hand, sondern bedingen sich wechselseitig, sind Erscheinungen, worin sich dasselbe Gesetz ausdrückt. Indes wirken sie in entgegengesetzter Richtung auf die Profitrate." Die abnehmende Zahl beschäftigter Arbeiter reduziert die Masse des Mehrwerts und die Profitrate, während die zunehmende Mehrwertrate diesem Sinken tendenziell entgegenwirkt. Aber dieser Prozess hat definitive Grenzen, wie Marx aufzeigte, denn: "Zwei Arbeiter, die zwölf Stunden täglich arbeiten, können nicht dieselbe Masse Mehrwert liefern, wie 24, die jeder nur zwei Stunden arbeiten, selbst wenn sie von der Luft leben könnten und daher gar nicht für sich selbst zu arbeiten hätten." Mit anderen Worten, der Ausgleich für die verringerte Zahl beschäftigter Arbeiter durch den Anstieg der Mehrwertrate hat bestimmte Grenzen. Er kann den Fall der Profitrate verlangsamen, aber nicht aus der Welt schaffen. [11]

Marx ging auf diese Frage auch in der 1858 geschriebenen Vorarbeit zum "Kapital" ein. Er betrachtete die Teilung des Arbeitstages in notwendige Arbeit (die Zeit, die der Arbeiter benötigt, um den Wert seiner Arbeitskraft zu reproduzieren) und Mehrarbeit, und stellte fest, dass die zunehmende Arbeitsproduktivität eine abschwächende Wirkung auf die Ausdehnung der Mehrarbeit hat. Wenn z.B. der Arbeitstag von, sage, acht Stunden ursprünglich im Verhältnis von vier Stunden zu vier Stunden geteilt sei, dann eine Verdopplung der Arbeitsproduktivität zu einer Verminderung der notwendigen Arbeit auf zwei Stunden führe, würde das die Mehrarbeit auf sechs Stunden, oder um 50 Prozent, erhöhen. Wenn sich die Produktivität erneut verdopple und die notwendige Arbeit auf eine Stunde reduziere, würde das die Mehrarbeit von sechs auf sieben Stunden, oder um 16,67 Prozent erhöhen usw. Jede Steigerung der Arbeitsproduktivität würde einen geringeren Anstieg der Mehrarbeit hervorbringen.

Dabei machte Marx die Beobachtung, dass der Mehrwert zwar steigt, aber "in immer geringrem Verhältnis zur Entwicklung der Produktivkräfte" und daher "je entwickelter also schon das Kapital,... umso furchtbarer muss es die Produktivkraft entwickeln, um sich nur in geringem Verhältnis zu verwerten..." [12]

Die Tatsache, dass sich Sweezy trotz der recht umfangreichen Literatur, die es zu dieser Analyse gibt, sowohl in der "Theorie der kapitalistischen Entwicklung" als auch später darüber ausschwieg, kann nicht als Versehen oder intellektuelles Versagen interpretiert werden. Er entwickelte eine andere Orientierung.

Teil 3: Die Zusammenbruchstheorie

Die intellektuelle Atmosphäre der dreißiger Jahre auf dem Gebiet der Ökonomie wurde in erster Linie durch die Katastrophe der Großen Depression und der ihr folgenden Ausarbeitung der Theorien von John Maynard Keynes (1883-1946) in seinem Buch "Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" von 1936 bestimmt. Keynes unterzog die herrschende ökonomische Lehre, die einen Zusammenbruch wie den gerade erlebten nicht für möglich gehalten hatte, einer scharfen Kritik. Er erklärte, dass eine unzureichende effektive Nachfrage zu einer Situation führen könne, in der die Wirtschaft keine Vollbeschäftigung mehr gewährleistet.

Die wachsende Anziehungskraft der Keynes’schen ökonomischen Theorie führte zu einem neuen Interesse an den Erklärungen der Krisen des kapitalistischen Systems aufgrund der sogenannten "Unterkonsumtion". Diese Theorien waren ursprünglich von dem französischen Historiker Sismondi (1773-1842) während des ersten großen konjunkturellen Abschwungs nach den napoleonischen Kriegen entwickelt worden und lebten seither immer wieder auf. Sie besagten, dass die Konsumtion der Lohnarbeiter, deren Nachfrage letztlich den Markt für die von der kapitalistischen Industrie hergestellten Waren ausmache, durch die Akkumulation des Profits begrenzt werde, und die Wirtschaft deswegen krisenanfällig sei.

Auf der Grundlage dieser Theorien versuchte im 19. Jahrhundert der englische politische Ökonom Malthus (1766-1834) die Interessen sozialer Klassen zu verteidigen, die Adam Smith und andere als unproduktiv kategorisiert hatten - der Großgrundbesitzer, der Geistlichkeit, deren Einkommen sich aus der Grundrente speiste, oder der Staatsbeamten. Malthus behauptete, dass diese Klassen, die konsumierten ohne zu produzieren, eine notwendige gesellschaftliche Rolle für das Funktionieren der kapitalistischen Wirtschaft spielten. Keynes Theorie fußte auf dieser Tradition, wobei der Staat die Schlüsselrolle bei der Herstellung der Vollbeschäftigung zu spielen hatte - die nicht automatisch durch das Wirken des freien Marktes garantiert war.

Seine Theorien waren für "linke" Ökonomen und sogar für selbsternannte Marxisten attraktiv, weil sie die Möglichkeit für ein reformistisches Programm eröffneten, das eine Ausweitung der ökonomischen Rolle des Staates vorsah und schließlich zur Eroberung der "Kommandohöhen" der kapitalistischen Wirtschaft führen sollte.

Diese intellektuelle Atmosphäre spielte bei der Ausbildung von Sweezys Ansichten sicherlich eine wichtige Rolle. Er erklärte später. "Ich und meine ganze Generation waren sehr stark von Keynes, von der Allgemeinen Theorie, beeinflusst." [13] Inwieweit sich dieser Einfluss auch auf seine Kritik an der Marxschen Analyse des tendenziellen Falls der Profitrate erstreckte, kann man nicht sagen. Man kann aber festhalten, dass Sweezy die Theorie des "Zusammenbruchs" des Kapitalismus aufgrund des Wirkens dieser Tendenz ablehnte.

Grundlegende Widersprüche

Die "Zusammenbruchstheorie" hat im vergangenen Jahrhundert immer wieder im Zentrum von Konflikten über historische Perspektiven gestanden. In den späten neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts begann Eduard Bernstein, eine der führenden Persönlichkeiten der deutschen Sozialdemokratie, seinen Angriff auf Marx mit der Behauptung, die Zusammenbruchstheorie von Marx sei durch die Ereignisse widerlegt. Die Herausbildung von Kartellen und des Kreditsystems hätten der kapitalistischen Wirtschaft eine neue Stabilität gebracht.

Karl Kautsky, der führende Theoretiker der SPD, entgegnete Bernstein, dass Marx eine solche Theorie gar nicht vertreten habe. Rosa Luxemburg ging Bernsteins Herausforderung jedoch frontal an. In ihrer brillanten Broschüre "Sozialreform oder Revolution?" erklärte sie, entweder werde die sozialistische Transformation das Ergebnis der inneren Widersprüche des kapitalistischen Systems sein, die zu seinem Zusammenbruch führen würden, oder die von Bernstein behaupteten "Anpassungsmittel" könnten einen Zusammenbruch verhindern. In dem letzteren Fall wäre der Kapitalismus in der Lage, sich dauerhaft zu halten, und der Sozialismus höre auf, eine historische Notwendigkeit zu sein.

1913 versuchte sie in ihrem Buch "Die Akkumulation des Kapitals" die Grundlage für den kapitalistischen Zusammenbruch im Prozess der "Realisierung" des Mehrwerts nachzuweisen. Sie behauptete, Marx habe in seiner Analyse der Reproduktion des Kapitals im zweiten Band des "Kapital" mit seiner Annahme falsch gelegen, dass die Gesellschaft einzig aus Kapitalisten und Arbeitern bestehe. Wenn das so wäre, dann könne der im Produktionsprozess entstandene und in den Waren eingeschlossene Mehrwert nicht realisiert werden. Die Realisierung des Mehrwerts hänge von der Existenz nicht-kapitalistischer Märkte ab, an die die Waren verkauft werden müssten. Aber die Ausbreitung des Kapitalismus über die ganze Welt - die Entwicklung des Imperialismus - bedeute, dass diese nicht-kapitalistischen Gebiete schließlich dem kapitalistischen Markt einverleibt würden, was schlussendlich im Zusammenbruch gipfele, weil der Mehrwert nicht mehr realisiert werden könne.

Hier ist nicht der Ort, auf Luxemburgs Theorie näher einzugehen, die von vielen Seiten kritisiert wurde. Es soll genügen, darauf hinzuweisen, dass der Kernfehler ihrer Analyse darin bestand, die Rolle neuer Investitionen kapitalistischer Betriebe für die Realisierung schon produzierten Mehrwerts nicht zu beachten, wodurch die Möglichkeit der Ausdehnung der kapitalistischen Wirtschaft sichergestellt wurde.

Die Debatte über die Zusammenbruchstheorie wurde vom Ausbruch des ersten Weltkriegs, der Spaltung der zweiten Internationale und der Russische Revolution in den Hintergrund gedrängt. 1929 wurde sie von Henryk Grossmann mit der Veröffentlichung seines Buches "Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems" wieder aufgenommen. Grossmann erklärte, es sei der "große historische Beitrag" Rosa Luxemburgs gewesen, dass sie im Wesentlichen der Methode des "Kapital" treu blieb und zu beweisen versuchte, dass "der Entwicklung des Kapitalismus absolute innewohnende Grenzen gesetzt sind". [14] Allerdings verschob Luxemburgs Analyse die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus aus der Produktionssphäre in die Zirkulationssphäre. Die "Realisierung" war nicht das Problem für die langfristige Entwicklung des Kapitalismus, sondern das Problem bestand in der unzureichenden Gewinnung von Mehrwert, um die kapitalistische Akkumulation gewährleisten zu können - was sich in dem tendenziellen Fall der Profitrate ausdrückte.

Sweezy war der erste, der Grossmanns Werk in seiner "Theorie der kapitalistischen Entwicklung" einem englischsprachigen Publikum zugänglich machte. Aber er lehnte Grossmanns Analyse unter anderem deswegen ab, weil dieser die Probleme der Realisierung wegargumentiert hatte.

Sweezys Kritik widerspiegelte ohne Zweifel seine eigenen Sympathien für die "Unterkonsumtionstheorie". Aber auch andere Faktoren spielten eine Rolle. Die Zusammenbruchstheorie ist im vergangenen Jahrhundert gerade deswegen auf soviel Ablehnung gestoßen, weil sie die politischen Aufgaben der Marxisten so deutlich macht. Im Gegensatz zu der von ihren Gegnern so oft lancierten Karikatur der Zusammenbruchstheorie vertritt sie nicht die Vorstellung, der Kapitalismus werde irgendwann von allein zusammenbrechen, woraufhin die Arbeiterklasse quasi automatisch die Macht von der Bourgeoisie übernähme. Vielmehr erklärt sie die objektive Grundlage für die sozialistische Revolution. Sie zeigt auf, dass die Verschärfung der Widersprüche des Profitsystems zu einer Krise führt, die die Arbeiterklasse unausweichlich mit der Aufgabe der Machteroberung konfrontiert.

Das bedeutet, dass Marxisten die Arbeiterklasse an jedem Punkt des historischen Prozesses politisch auf ihre historische Aufgabe vorzubereiten versuchen. Das erfordert einen kompromisslosen Kampf, ihre politische Unabhängigkeit von allen anderen Klassen herzustellen.

Sweezys Ansichten hatten damit nicht viel zu tun. Die mit dem Eintritt der USA in den zweiten Weltkrieg veröffentlichte "Theorie der kapitalistischen Entwicklung" schloss mit einem Szenarium, in dem nach der militärischen Niederlage Deutschlands in ganz Europa die kapitalistische Herrschaft zusammenbrechen und der Sozialismus siegen würde. Das beinhaltete die Möglichkeit der Entstehung einer Situation, in der Großbritannien und die Vereinigten Staaten dann friedlich in den Sozialismus hätten hineinwachsen können.

Teil 4: "Monopolkapital"

In seinem nächsten großen Buch, "Monopolkapital", das er in Zusammenarbeit mit Paul Baran schrieb, formulierte Sweezy 1966 ausdrücklich, was er 25 Jahre vorher nur angedeutet hatte. Er stellte die Unterkonsumptionstheorie ins Zentrum seiner Analyse und verband sie mit einer Zurückweisung des Gesetzes des tendenziellen Falls der Profitrate. Aber dieses Gesetz war nicht sein einziges Opfer: Sweezy erklärte, auch Marxens Analyse der revolutionären Rolle der Arbeiterklasse müsse über Bord geworfen werden.

In der Einleitung zu diesem Werk kritisierte Sweezy zu Recht, dass vorgeblich marxistische Theoretiker wichtige Entwicklungen der kapitalistischen Wirtschaft in der Zeit nach der Depression nicht untersucht hatten. Besonders griff er die fehlende Analyse des Nachkriegsbooms an. Aber anstatt diese "Stagnation der marxistischen Sozialwissenschaft, das Nachlassen ihrer Lebendigkeit und schöpferischen Kraft" auf ihre Wurzeln zurückzuführen - die in der Kontrolle des Stalinismus über die Arbeiterbewegung und in der Ermordung vieler führender marxistischer Denker, allen voran Leo Trotzkis, lagen -, versuchte er, den Marxismus auf den neuesten Stand zu bringen, indem er seine Grundpfeiler einriss.

Nach Sweezys Auffassung gab es zwar komplexe objektive und subjektive Ursachen für diese Stagnation, aber zumindest eine konnte man bestimmen und überwinden: "Die marxistische Analyse des Kapitalismus geht in der Endanalyse immer noch von der Voraussetzung einer Konkurrenzwirtschaft aus." [15]

Das war, milde ausgedrückt, eine Verfälschung. Marx hatte immer wieder betont, dass die Bewegungsgesetze des Kapitalismus nicht in der Konkurrenz begründet seien - diese ist nur die Art und Weise, wie sie sich äußern -, sondern im Prozess der Kapitalakkumulation. Marx begann seine Analyse in Band I von "Das Kapital", indem er das Kapital als Ganzes und vor allem die Gewinnung des Mehrwerts behandelte, bevor er sich in Band III der Beziehung zwischen seinen Bestandteilen zuwandte.

Der Begriff des Kapitals und seine Expansion mussten vor der Konkurrenz analysiert werden, weil im Kapitalismus die Konkurrenz die Form ist, die der Konflikt zwischen den verschiedenen Teilen des Kapitals annimmt. Mit anderen Worten, Marx konnte die Konkurrenz nicht vor der Analyse des Kapitals als gegeben annehmen, weil die Konkurrenz auf der Grundlage dieser Analyse erklärt werden musste.

Eine Verfälschung von Marx

Sweezy zufolge war Marx sich zwar vollkommen über die Existenz von Monopolen bewusst, aber er "behandelte... Monopole nicht als Wesenselement des Kapitalismus, sondern mehr als Überbleibsel aus der feudalen und merkantilistischen Vergangenheit, deren Beachtung nur den klarstmöglichen Blick auf die Grundstruktur und Tendenzen des Kapitalismus verstellt hätte". [16] Marx habe die der kapitalistischen Ökonomie inne wohnende Tendenz zur Konzentration und Zentralisation erkannt, doch habe er nicht versucht, die Funktionsweise einer von großen Unternehmen und Monopolen dominierten kapitalistischen Ökonomie zu erforschen.

Dieses Argument ist eine der wesentlichen theoretischen Grundlagen des "Monopolkapital" und der darin aufgestellten Behauptung, die von Marx entdeckten Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Ökonomie, insbesondere das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, müssten revidiert werden, um der Rolle von Monopolen gerecht zu werden.

Das ganze Vorgehen ist von Verfälschungen der Position von Marx geprägt. Erstens hatte Marx, wie Sweezy sehr wohl weiß, schon 1847 in seiner Antwort auf Proudhon klar gemacht, dass die der Konkurrenz inne wohnende Logik im Kapitalismus das Monopol ist.

Marx schrieb: "Herr Proudhon spricht nur vom modernen Monopol, das durch die Konkurrenz geschaffen wird, aber wir wissen alle, dass die Konkurrenz aus dem feudalen Monopol hervorging. So war die Konkurrenz ursprünglich das Gegenteil des Monopols und nicht das Monopol das Gegenteil der Konkurrenz. Das moderne Monopol ist somit nicht eine einfache Antithese, sondern im Gegenteil die wahre Synthese.

These: das feudale Monopol, Vorgänger der Konkurrenz.

Antithese: die Konkurrenz.

Synthese: das moderne Monopol, welches die Negation des feudalen Monopols ist, insofern es die Herrschaft der Konkurrenz voraussetzt, und welches die Negation der Konkurrenz ist, insofern es Monopol ist.

Somit ist das moderne Monopol, das bürgerliche Monopol, das synthetische Monopol, die Negation der Negation, die Einheit der Gegensätze. Es ist das Monopol in seinem reinen, normalen, rationellen Zustande."[17]

Weit davon entfernt, Monopole als ein Überbleibsel des Feudalismus zu behandeln, erklärte Marx, dass das moderne Monopol die Konkurrenz sowohl beinhaltet, als auch aus ihr erwächst.

"In der Praxis des Lebens findet man nicht nur Konkurrenz, Monopol und ihren Widerstreit, sondern auch ihre Synthese, die nicht eine Formel, sondern eine Bewegung ist. Das Monopol erzeugt die Konkurrenz, die Konkurrenz erzeugt das Monopol. Die Monopolisten machen sich Konkurrenz, die Konkurrenten werden Monopolisten. Wenn die Monopolisten die Konkurrenz unter sich durch partielle Assoziationen einschränken, so wächst die Konkurrenz unter den Arbeitern, und je mehr die Masse der Proletarier gegenüber den Monopolisten einer Nation wächst, umso zügelloser gestaltet sich die Konkurrenz unter den Monopolisten der verschiedenen Nationen. Die Synthese ist derart beschaffen, dass das Monopol sich nur dadurch aufrecht erhalten kann, dass es beständig in den Konkurrenzkampf eintritt." [18]

Im Gegensatz zu Sweezys Behauptung, dass Marx es versäumt habe, die Wirkung von Monopolen zu untersuchen, hat er ihre Wirkung auf die Verteilung des Mehrwerts herausgearbeitet. Insoweit ein bestimmtes Teilkapital in der Lage war, das Eindringen von rivalisierendem Kapital in seine Produktionssphäre zu verhindern, konnte es seine Preise so festsetzen, dass seine Profitrate über dem Durchschnitt lag. Aber das änderte nichts an der Menge des Mehrwerts, den das Kapital insgesamt erzielen konnte. Es bedeutete ganz einfach, dass stärker monopolisierte Teile des Kapitals zumindest vorübergehend Vorteile auf Kosten anderer, stärker konkurrierender Teile ziehen konnten. Die Verteilung des Mehrwerts änderte sich, aber nicht seine Gesamtmasse.

Wie die Passagen aus der Polemik gegen Proudhon zeigen, betonte Marx, dass die Konkurrenz sich aus dem Kampf gegen den Feudalismus entwickelt hatte. Das Wesen dieses Kampfs war nicht die Zerschlagung großer Unternehmen - der Handelsfirmen, die durch königliches Dekret geschützt waren -, sondern die Befreiung der Arbeit von den Fesseln der Feudalwirtschaft, durch die die Bauern an das Land und in den Städten an das Zunftwesen gefesselt waren.

Das Wesen der Konkurrenz im Kapitalismus ist nicht, wie der marxistische Autor John Weeks schrieb, der Konflikt zwischen kleinen ökonomischen Einheiten oder Firmen. [19] Im Feudalismus gab es Kleinproduktion, aber keine Konkurrenz. Die Konkurrenz beginnt mit dem Auftreten freier Lohnarbeit und mit der Produktion für den Markt, die vom Profitstreben angetrieben wird. Selbst im Kapitalismus sind kleine Firmen oft noch von sogenannten "natürlichen Monopolen" geschützt, z.B. den hohen Kosten des Transports über weite Entfernungen.

Die Konkurrenz, d.h. der Kampf jeder Abteilung des Kapitals um die Aneignung des größtmöglichen Anteils am verfügbaren Mehrwert, verschärft sich mit der Entwicklung der Großproduktion. Die Entwicklung des Massentransports und der Kommunikationssysteme im nationalen und globalen Maßstab bedeutet, dass jedes Unternehmen unmittelbar dem Druck des Weltmarkts ausgesetzt ist.

Die Konkurrenz hat in den letzten beiden Jahrzehnten mit der Entstehung riesiger transnationaler Konzerne, die die Arbeitskräfte und Rohstoffe in jedem Winkel des Globus ausbeuten, einen neuen Höhepunkt erreicht. Dazu gehört die Entstehung riesiger Banken und Geldmarktinstituten, die die enormen Finanzmittel aufbringen können, die für das Eindringen des Kapitals in neue Produktionssphären notwendig sind. Konkurrenz hat zu größerer Monopolisierung geführt, aber gleichzeitig hat die größere Monopolisierung den globalen Kampf um Märkte, Rohstoffe und Profite verschärft.

Letztlich ist die Globalisierung die Realisierung eines Prozesses, den Marx als der Entwicklung des Kapitalismus immanent bestimmt hatte. Sie hat die objektiven historischen Grundlagen für die Entwicklung einer höheren Gesellschaftsform gelegt. Marx hat also nicht, wie Sweezy behauptet, die Untersuchung der Bedeutung der Großproduktion vernachlässigt, sondern sie steht im Mittelpunkt seiner Analyse.

Die erste historische Transformation in der Entwicklung des Kapitalismus war die Trennung der Arbeiter von ihren Produktionsmitteln und die Schaffung einer Klasse freier Lohnarbeiter. Aber sobald dieser Prozess abgeschlossen ist und "sobald die kapitalistische Produktionsweise auf eigenen Füßen steht, gewinnt die weitere Vergesellschaftung der Arbeit und weitere Verwandlung der Erde und anderer Produktionsmittel in gesellschaftlich ausgebeutete, also gemeinschaftliche Produktionsmittel, daher die weitere Expropriation der Privateigentümer, eine neue Form. Was jetzt zu expropriieren, ist nicht länger der selbstwirtschaftende Arbeiter, sondern der viele Arbeiter exploitierende Kapitalist. Diese Expropriation vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Zentralisation der Kapitale. Je ein Kapitalist schlägt viele tot. Hand in Hand mit dieser Zentralisation oder der Expropriation vieler Kapitalisten durch wenige entwickelt sich die kooperative Form des Arbeitsprozesses auf stets wachsender Stufenleiter, die bewusste technische Anwendung der Wissenschaft, die planmäßige Ausbeutung der Erde, die Verwandlung der Arbeitsmittel in nur gemeinsam verwendbare Arbeitsmittel, die Ökonomisierung aller Produktionsmittel durch ihren Gebrauch als Produktionsmittel kombinierter, gesellschaftlicher Arbeit, die Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarkts und damit der internationale Charakter des kapitalistischen Regimes." [20]

Die Lektüre dieser Zeilen beweist, dass die Zeit keineswegs über Marx hinweggegangen ist, wie Sweezy behauptet. Man könnte mit einiger Berechtigung sagen, dass die Welt erst jetzt zu Marx aufgeschlossen hat.

Teil 5: "Die steigende Tendenz des Surplus"

Paul Sweezys Behauptung, die von Marx entdeckten Gesetze träfen nur auf die Konkurrenzwirtschaft des neunzehnten Jahrhunderts zu, lief darauf hinaus, dass das Anwachsen der Arbeitsproduktivität nicht mehr länger zu einem tendenziellen Fall der Profitrate führte. Vielmehr würden die Monopole zu einem "tendenziellen Ansteigen des Mehrwerts" führen.

Nach Sweezy waren Firmen im Konkurrenzkapitalismus "Preisnehmer", während sie im Monopolkapitalismus "Preismacher" waren. Mit anderen Worten: riesige Konzerne seien in der Lage, "die Preise für ihre Produkte beliebig festsetzen" zu können [21]. Im Monopolkapitalismus versuchten Firmen nicht, sich gegenseitig zu unterbieten. Aber sie bemühten sich weiterhin, ihre Kosten durch Innovationen zu senken, was zu "abwärtsgerichteten Trend der Produktionskosten" führte.

"Die ganze Motivation der Kostenreduzierung ist das Ziel, die Profite zu erhöhen. Die monopolistische Marktstruktur versetzt die Kapitalgesellschaften in die Lage, von den Früchten der steigenden Produktivität den Löwenanteil in Form von höheren Profiten direkt einzustecken. Das heißt, im Monopolkapitalismus sind fallende Kosten gleichbedeutend mit ständig wachsenden Profitspannen. Und ständig wachsende Profitspannen bedeuten wiederum Gesamtprofite, die nicht nur absolut, sondern auch im Verhältnis zum Sozialprodukt steigen. Setzen wir die angehäuften Profite vorerst mit dem ökonomischen Surplus der Gesellschaft gleich, so können wir es ein Gesetz des Monopolkapitalismus nennen, dass der Surplus in dem Maße, wie sich das System entwickelt, sowohl eine absolut wie relativ steigende Tendenz aufweist." [22]

Dies wurde zwar als eine neue Analyse verkauft, aber es war in vielerlei Hinsicht nichts weiter als die Umkehrung der Theorie der fallenden Profitrate von Adam Smith. Während nach Smith die fallende Profitrate das Ergebnis zunehmender Konkurrenz war, schlossen Baran und Sweezy, dass aufgrund des Fehlens von Konkurrenz und aufgrund der Fähigkeit der Firmen, "die Preise zu machen", der Mehrwert oder der Profit anstiegen.

Baran und Sweezy verhehlten nicht, dass das Gesetz des steigenden Mehrwerts ein grundlegendes Abweichen von der Marxschen Analyse war.

"Dieses Gesetz fordert unverzüglich zu einem Vergleich mit dem klassisch-marxistischen Gesetz von der fallenden Tendenz der Profitrate heraus. Ohne in eine genaue Untersuchung der verschiedenen Versionen jenes Gesetzes einzutreten, können wir sagen, dass sie alle ein Konkurrenzsystem voraussetzen. Wenn wir das Gesetz von der fallenden Profitrate durch das Gesetz des steigenden Surplus ersetzen, weisen wir damit nicht einen geheiligten Lehrsatz der politischen Ökonomie zurück; wir revidieren ihn auch nicht, wir berücksichtigen lediglich die unzweifelhafte Tatsache, dass die kapitalistische Wirtschaft einem grundlegenden Wandel unterworfen ist, seit dieser Lehrsatz aufgestellt wurde. Was an der strukturellen Veränderung vom Konkurrenz- zum Monopolkapitalismus wesentlich ist, findet in diesem Austausch der Theoreme seinen theoretischen Ausdruck." [23]

Bei der Formulierung dieses neuen Gesetzes beging Sweezy den Fehler, unterschiedliche Dinge in einen Topf zu werfen.

Es ist vollkommen richtig, dass ein einzelnes Unternehmen, oder auch mehrere Unternehmen, ihre Profite durch die Monopolisierung ihrer Produktmärkte und das Anheben ihrer Preise erhöhen können. Aber daraus folgt nicht, dass in der Wirtschaft insgesamt der Mehrwert steigt. In dem Ausmaß, in dem einzelne Firmen ihre Preise so weit erhöhen, dass sie eine überdurchschnittliche Profitrate erzielen, erhöhen sich damit die Gestehungskosten der Firmen, die diese Produkte kaufen, wodurch deren Profitrate eher sinkt. Es wird kein zusätzlicher Mehrwert geschaffen, er wird lediglich von einer Firma auf eine andere übertragen, so wie auch durch Betrug oder Raub kein neuer Wert entsteht - obwohl einzelne Individuen sich durch solche Methoden durchaus bereichern können. Und insoweit die Produkte monopolisierter Unternehmen in den Konsum der Arbeiterbevölkerung eingehen, werden die Kosten der Arbeitskraft tendenziell ansteigen, ein Ansteigen der Löhne erfordern und dadurch die Profite drücken. Natürlich kann man argumentieren, dass die Löhne unter Druck und unter dem Wert der Arbeitskraft bleiben mögen. Aber in diesem Fall hätten wir kein neues Gesetz, sondern lediglich eine der von Marx klar bestimmten Methoden, mit denen das Kapital ständig versucht, dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegenzuwirken.

Sweezys Ablehnung des Gesetzes des tendenziellen Falls der Profitrate sollte weitreichende Folgen für seine Einschätzung der historischen Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise haben.

Marx beschrieb den tendenziellen Fall der Profitrate als "das wichtigste Gesetz der modernen politischen Ökonomie", besonders in "historischer Sicht". Denn der Versuch, seiner Wirkung zu entkommen, ist die Triebkraft für die ständige Revolutionierung der Produktivkräfte im Kapitalismus.

Marx betonte, dass die Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeitsproduktivität die objektiven Grundlagen für den Aufbau einer wirklich menschlichen Zivilisation schafft, frei von Armut und Mangel. Das mache zum ersten Mal in der Geschichte die "freie Entfaltung Aller" möglich. Aber das Gesetz bewies, dass der Anstieg der Arbeitsproduktivität unvereinbar mit einem Gesellschaftssystem ist, das auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruht. "Über einen gewissen Punkt hinaus wird die Entwicklung der Produktivkräfte eine Schranke für das Kapital... An diesem Punkt angelangt, tritt das Kapital, das heißt Lohnarbeit, in dasselbe Verhältnis zur Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums und der Produktivkräfte, wie Zunftwesen, Leibeigenschaft, Sklaverei, und wird als Fessel notwendig abgestreift. Die letzte Knechtsgestalt, die die menschliche Tätigkeit annimmt, die der Lohnarbeit auf der einen, des Kapitals auf der anderen Seite, wird damit abgehäutet." Die zunehmende Unvereinbarkeit der Entwicklung der Produktivkräfte mit den bestehenden Produktionsverhältnissen, die sich in Krisen und Widersprüchen äußert, die aus der Natur des Kapitals selbst entspringen, "ist die schlagendste Form, worin ihm advice gegeben wird, to be gone and to give room to a higher state of social production". [24]

Die Unterkonsumtionstheorie

Sweezys Gesetz des ständig zunehmenden Mehrwerts bedeutete, dass der zentrale Widerspruch des Kapitalismus nicht mehr, wie bei Marx, im Produktionsprozess und dem Zwang, Mehrwert anzuhäufen, zu suchen war. Stattdessen war er in der Sphäre der Marktbeziehungen angesiedelt. Das zentrale historische Problem des Kapitalismus war nicht mehr die Akkumulation von Mehrwert, sondern seine Verteilung.

Diese "Unterkonsumtions"-Theorie hatte, wie Sweezy anmerkte, eine lange Geschichte, die bis zu Malthus und Sismondi zurückging. Er erklärte: "Was sowohl die Klassiker wie Marx davon abhielt, sich intensiver mit der Frage einer angemessenen Surplusabsorbierung zu befassen, war vielleicht ihre tiefe Überzeugung, dass das zentrale Dilemma des Kapitalismus in der... ‚fallenden Tendenz der Profitrate' bestand. Unter diesem Blickwinkel schienen die Grenzen der kapitalistischen Expansion mehr in einer Verknappung des Surplus als Triebkraft zur Aufrechterhaltung der Akkumulation zu bestehen, als in der Unzulänglichkeit der charakteristischen Arten der Surplusverwertung". [25]

Der Grund für die Hartnäckigkeit der "Unterkonsumtions"-These - von Sismondi im frühen neunzehnten Jahrhundert bis heute - liegt in der Tatsache, dass sie direkt mit den Erscheinungsformen der kapitalistischen Krisen korrespondiert. Wenn Waren nicht mehr verkauft werden können, Unternehmen Überkapazitäten haben und Arbeitslosigkeit sich breit macht, dann erscheint nichts logischer, als für das Problem die Überproduktion und die Unfähigkeit des Marktes verantwortlich zu machen, den Mehrwert zu absorbieren, der im Produktionsprozess geschaffen wurde. Aber wenn, wie Marx oft bemerkte, Erscheinung und Wesen zusammenfielen, dann wäre jede Wissenschaft unnötig.

Die Realisierung des Mehrwerts, der in den dem kapitalistischen Produktionsprozess entsprungenen Waren verkörpert ist, ist für das Kapital ein allgegenwärtiges Problem. Damit der Prozess der Akkumulation weitergehen kann, müssen diese Waren wieder in Geld verwandelt werden, indem sie auf dem Markt verkauft werden.

Ein Teil der "effektiven Nachfrage" kommt aus der Konsumtion der Arbeiter, und ein Teil aus der produktiven Konsumtion der kapitalistischen Betriebe - durch den Kauf von Rohmaterialien und Produktionsmitteln. Aber wenn Betriebe keine neuen Investitionen tätigen, dann wird diese Nachfrage unzureichend. Der Markt wird sich nur dann genügend ausdehnen, um den Mehrwert realisieren zu können, wenn die Produktion erweitert wird. Und das wird nur geschehen, wenn weiterhin Mehrwert gewonnen wird. Also ist die fortgesetzte Erzielung von Mehrwert der Schlüssel zum Problem der Realisierung.

Wenn die Akkumulation weitergeht, wird ein Teil des Mehrwerts für Investitionen eingesetzt - das heißt, um Arbeiter einzustellen und zusätzliche Rohstoffe, Maschinen und andere Produktionsmittel anzuschaffen. Diese zusätzlichen Ausgaben in einer Sphäre der Wirtschaft stellen die "effektive Nachfrage" für die Realisierung von Mehrwert dar, der in anderen Sphären der Wirtschaft produziert worden ist. Aber wenn der Akkumulationsprozess ins Stocken gerät, werden Investitionen gekürzt und es kommt zu einem Warenstau, zu Überkapazitäten und Arbeitslosigkeit, und es entsteht der Eindruck einer Überproduktion.

Mit andern Worten ist das Phänomen der Überproduktion die Form, in der auf dem Markt die Probleme erscheinen, die im Produktionsprozess entstanden sind (nämlich die Probleme der Akkumulation von Mehrwert), und die ihren Ausdruck im Fall der Profitrate finden.

Teil 6: Die Arbeiterklasse wird abgeschrieben

Die Hinwendung Sweezys zur "Unterkonsumtionstheorie" war ein Ergebnis der äußeren Umstände, unter denen das "Monopolkapital" entworfen und geschrieben wurde. Das Jahrzehnt von Mitte fünfziger bis Mitte sechziger Jahre erlebte den Höhepunkt des wirtschaftlichen Nachkriegsbooms. In dieser Zeit, als große Konzerne, wie die Autohersteller, in der Lage waren, die Preise selbst zu bestimmen, Produktionsziele festzulegen und den zu erzielenden Profit vorauszuplanen, und als alle Vorhersagen über einen "Zusammenbruch" scheinbar sehr weit hergeholt waren, schien das zentrale Problem des Kapitalismus eher in der Absorption des Mehrwerts als in seiner Produktion zu bestehen.

Sweezy verstand seine Analyse als eine Modernisierung des Marxismus, die diesen auf den neuesten Stand bringen sollte, und als Überwindung der theoretischen Sterilität, die die Nachkriegsjahre gekennzeichnet hatte. Es ging aber um wesentlich mehr als um eine Verschiebung des Schwerpunkts - um eine stärkere Betonung der "Unterkonsumtion" anstelle des tendenziellen Falls der Profitrate. Vielmehr gab Sweezy damit die historische Perspektive von Karl Marx auf, wonach der Kampf für den Sozialismus im Verständnis der objektiven Notwendigkeit wurzelt, den Kapitalismus zu stürzen. Für Marx war das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate Ausdruck der Tatsache, dass das Kapital selbst zum Hindernis für seine eigne weitere Ausdehnung wird. Eine höhere Form der gesellschaftlichen Produktion wird notwendig, um den Fortschritt der menschlichen Zivilisation, den der Kapitalismus in Gang gesetzt hat, zu ermöglichen.

Aber wenn, wie Sweezy behauptet, das Kapital tatsächlich fähig ist, endlos Mehrwert zu erzielen, dann hat sich diese historische Perspektive überholt. Rosa Luxemburg hatte das sehr klar erkannt: "Nehmen wir hingegen mit den ‚Sachverständigen' die ökonomische Schrankenlosigkeit der kapitalistischen Akkumulation an, dann schwindet dem Sozialismus der granitene Boden der objektiven historischen Notwendigkeit unter den Füßen. Wir verflüchtigen uns alsdann in die Nebel der vormarxschen Systeme und Schulen, die den Sozialismus aus bloßer Ungerechtigkeit und Schlechtigkeit der heutigen Welt und aus der bloßen revolutionären Entschlossenheit der arbeitenden Klassen ableiten wollten." [26]

Sweezy folgte genau diesem Weg. Im "Monopolkapital" wurzelt die sozialistische Perspektive nicht in den objektiven Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise. Vielmehr wird sie als Mittel hingestellt, die Irrationalitäten der kapitalistischen Produktionsweise und ihre Widerspiegelung im täglichen Leben zu überwinden. "Denn hinter der Hohlheit, der Entwürdigung und dem Leiden, das die menschliche Existenz in dieser Gesellschaft vergiftet, befindet sich die tiefreichende Irrationalität und der moralische Bankrott des Monopolkapitalismus selbst... Wir haben einen Punkt erreicht, an dem die einzige Rationalität darin liegt, das hoffnungslos irrational gewordene System umzustürzen." [27]

Ironischerweise drängten die Widersprüche im Akkumulationsprozess gerade zu der Zeit wieder an die Oberfläche, als Sweezy sie überwunden glaubte. Diese Ironie trifft man häufig in der theoretischen Entwicklung von Leuten, die Marx verbessern wollen. Seit Mitte der sechziger Jahre begann die Profitrate zu sinken. Mit Beginn der siebziger Jahre trat der Weltkapitalismus in seine schwerste Krise seit den dreißiger Jahren ein.

Die Neue Linke

Die wachsende Krise war sowohl Ursache wie auch Folge des Aufschwungs der Kämpfe der Arbeiterklasse, und das traf auch auf die Vereinigten Staaten zu. In der Zeit von 1968 bis 1975 nahmen diese Kämpfe in mehreren Ländern revolutionäre Ausmaße an. Sweezy aber hatte aufgrund seiner Theorie der unbeschränkten Mehrwertakkumulation die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse schon abgeschrieben - zumindest in den entwickelten kapitalistischen Ländern.

Die Frage, welche soziale Kraft die Basis für den Sturz des Kapitalismus bilden könne, wurde im "Monopolkapital" so beantwortet: "Die Antwort der traditionellen Marx-Orthodoxie - dass das Industrieproletariat sich schließlich in einer Revolution gegen seine kapitalistischen Unterdrücker erheben muss - klingt nicht länger überzeugend. Die Industriearbeiter sind eine verschwindende Minderheit der amerikanischen Arbeiterklasse, und ihr organisierter Kern in den Grundstoffindustrien ist in großem Maße als Konsumenten und ideologisch abgerichtete Mitglieder der Gesellschaft in das System integriert. Sie sind nicht wie in Marx' Tagen die besonderen Opfer des Systems, obwohl sie zusammen mit allen anderen Klassen und Schichten unter seiner Naturwüchsigkeit und Irrationalität leiden - mehr als einige, weniger als andere."

Zur Bekräftigung fuhr Sweezy fort: "Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die inneren Triebkräfte des entwickelten Monopolkapitalismus beschränken, ist der Schluss kaum zu umgehen, dass eine schlagkräftige revolutionäre Aktion nur eine dürftige Aussicht hat, das System zu stürzen. Aus diesem Blickwinkel gesehen, dürfte der wahrscheinlichere Verlauf der Entwicklung eine Fortsetzung des gegenwärtigen Verfallsprozesses sein, wobei der Widerspruch zwischen dem Zwang des Systems und den elementaren Bedürfnissen der menschlichen Natur immer unerträglicher wird. Das logische Ergebnis wäre die Verbreitung immer heftigerer psychischer Störungen, die zu der Schwächung und schließlichen Unfähigkeit des Systems führen muss, nach seinen eigenen Bedingungen zu funktionieren."

Hoffnung am Horizont boten aber die Kämpfe, die gegen den amerikanischen Imperialismus ausbrachen - die kubanische Revolution und der Vietnamkrieg. Sweezy erklärte: "Die höchste Form des Widerstands ist der revolutionäre Krieg mit dem Ziel, sich aus dem kapitalistischen Weltsystem zu lösen und Gesellschaft und Wirtschaft auf sozialistischer Grundlage neu aufzubauen." [28]

Diese Massenkämpfe spielten seit Mitte der sechziger Jahre eine zentrale Rolle bei der Radikalisierung der studentischen Jugend in den entwickelten kapitalistischen Ländern. Aber die Studentenbewegung kündigte nur einen tiefer liegenden Prozess an. Wie so oft nahm die Bewegung einer unbeständigen Schicht der Gesellschaft, der Studenten, größere Klassenkämpfe vorweg.

In der Studentenbewegung herrschten alle möglichen Vorurteile und verwirrten Meinungen vor - besonders hinsichtlich der Rolle der Arbeiterklasse. Das war nicht anders zu erwarten, insbesondere in den Vereinigten Staaten, wo die antikommunistische Gewerkschaftsführung im kalten Krieg eine so üble Rolle gespielt und die Arbeiterklasse politisch entwaffnet hatte.

Aber wie die Passagen aus dem "Monopolkapital" zeigen, hat Sweezy nicht gegen die falschen Vorstellungen der Studenten angekämpft, sondern dazu beigetragen, sie zu verstärken. Er tat dies gemeinsam mit den politischen Tendenzen, die später als "Neue Linke" bezeichnet wurden. Er schrieb die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern ab und glorifizierte die nationalen Befreiungskämpfe der sogenannten dritten Welt.

Sweezy hielt zwar formal am internationalen Charakter des Sozialismus fest, verstand die sozialistische Revolution aber als eine Reihe nationaler Kämpfe, deren erster zur Entstehung der Sowjetunion geführt hatte. In den sechziger Jahren, nach den Enthüllungen in Chrustschows "Geheimrede" auf dem 20. Parteitag der KPdSU im Jahre 1956, war es für viele Intellektuelle wie Sweezy unmöglich geworden, die Verbrechen des Stalinismus und die dadurch herbeigeführten Katastrophen zu leugnen. Aber sie behielten ihre wesentlich nationale Sichtweise bei. Sie zogen keine gründliche Bilanz der Ursachen für die Degeneration der russischen Revolution. Sie übertrugen ihre Sympathien einfach auf Castro und Mao.

Diese Orientierung brachte Sweezy der pablistischen Tendenz näher, die sich in der Vierten Internationale entwickelt hatte, und die ebenfalls die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse zurückwies. Anfang der fünfziger Jahre entwickelten Michel Pablo und sein enger Mitarbeiter Ernest Mandel die Auffassung, die Perspektive der 1938 von Trotzki gegründeten Vierten Internationale müsse verändert werden, um sie mit der "neuen Weltrealität" in Einklang zu bringen. Der Sozialismus wurde nicht mehr als Ergebnis des unabhängigen Kampfs der Arbeiterklasse unter der Führung der revolutionären Partei gesehen. Statt dessen erwarteten sie, dass er sich aus dem Konflikt "des kapitalistischen Regimes mit der stalinistischen Welt" ergeben, und in einem Jahrhunderte langen Prozess zur Bildung von deformierten Arbeiterstaaten führen werde.

Anfang der sechziger Jahre kamen sich Monthly Review und die Pablisten näher. Huberman und Sweezy nahmen enge Beziehungen zur Castro-Führung auf. Zur gleichen Zeit behaupteten die Pablisten, das Epizentrum der Weltrevolution habe sich auf den antiimperialistischen Kampf verlagert. Sie erklärten Castro zu einem "natürlichen Marxisten", der auf Kuba einen Arbeiterstaat geschaffen habe.

Die neue Verbindung wurde Ende der sechziger Jahre dadurch symbolisiert, dass Harry Braverman, ein ehemals führendes Mitglied der pablistischen Cochran-Clarke Tendenz, die sich 1952 von der amerikanischen Socialist Workers Party abgespalten hatte, die Verantwortung für den Verlag der Monthly Review übernahm.

Teil 7: Die sozialistische Revolution

Nach der Veröffentlichung von "Monopolkapital", das sich in der wachsenden Protestbewegung einer großen Leserschaft erfreute, baute Sweezy seine Theorie über die nicht-revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse weiter aus. Anlässlich eines Vortrags, den er vor der Third Annual Socialist Scholars Conference im September 1967 hielt, behauptete er, seine Analyse stehe mit der von Marx in Einklang.

Sweezy zufolge war die Arbeiterklasse zu der Zeit, als noch keine Maschinen in den Prozess der kapitalistischen Produktion eingeführt waren - von Marx als "Manu"-faktur im Gegensatz zur "Maschinen"-faktur bezeichnet - von konservativen Handwerkstraditionen dominiert. Erst als die Einführung von Maschinen diese Traditionen durchbrach, wurde die Arbeiterklasse eine revolutionäre Kraft, allerdings nur für eine begrenzte Zeitspanne.

"Wenn die revolutionären Möglichkeiten der Frühzeit der modernen Industrie verpasst werden [wie das in Westeuropa, aber nicht in Russland, der Fall war - NB], dann wird das Proletariat eines industrialisierten Landes tendenziell immer weniger revolutionär. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Behauptung von Marx, der Kapitalismus produziere seine eignen Totengräber, falsch wäre. Wenn wir den Kapitalismus als globales System betrachten, was die einzig korrekte Sichtweise ist, dann sehen wir, dass er in eine Handvoll Ausbeuterstaaten und eine viel zahl- und bevölkerungsreichere Gruppe von ausgebeuteten Ländern gespalten ist. Die Massen in diesen ausgebeuteten Dependancen sind in gleicher Weise und aus den gleichen Gründen revolutionär, aus denen Marx das Proletariat der Frühzeit der modernen Industrie für revolutionär gehalten hatte. Und schließlich beweist die Weltgeschichte seit dem zweiten Weltkrieg, dass diese revolutionäre Kraft tatsächlich in der Lage ist, erfolgreiche revolutionäre Kämpfe gegen die kapitalistische Vorherrschaft zu führen." [29]

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Sweezy diese Zeilen nur acht Monate vor den Mai-Juni-Ereignissen in Frankreich schrieb, der größten und explosivsten Bewegung der Arbeiterklasse seit den dreißiger Jahren. Dem Generalstreik in Frankreich folgten eine Reihe von Erschütterungen in den großen kapitalistischen Ländern, vom heißen Herbst 1969 in Italien bis zum Bergarbeiterstreik in England und der portugiesischen Revolution von 1975.

Die Ereignisse in Frankreich versetzten den bürgerlichen Theorien vom "Ende der Ideologien" und dem Verschwinden des Klassenkampfes, die sich in den fünfziger Jahren Beliebtheit erfreuten, einen schweren Schlag. Nur Sweezy ließ sich nicht beirren. 1972 vertrat er in seinen Schriften immer noch den Standpunkt, der grundlegende Widerspruch der Nachkriegsepoche sei nicht der zwischen Bourgeoisie und Proletariat, sondern zwischen "den von den USA dominierten Metropolen und den revolutionären nationalen Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt".

Die Erwartungen von Marx hätten sich nicht erfüllt, weil die "technologischen und strukturellen Veränderungen in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern das auf dem Höhepunkt der industriellen Revolution revolutionäre Proletariat in ein viel differenzierteres und nicht-revolutionäres Proletariat in der Epoche des entwickelten Monopolkapitalismus verwandelt haben". Gleichzeitig, so Sweezy weiter, "haben Entwicklungen auf Weltebene die ausgebeuteten Massen in der Dritten Welt allmählich in eine revolutionäre Kraft verwandelt, die in der Lage ist (wie China und Vietnam beweisen), die technologisch fortgeschrittensten kapitalistischen Nationen herauszufordern und zu besiegen". [30]

Es steht außer Zweifel, dass seit den dreißiger Jahren weitreichende Veränderungen in der kapitalistischen Ökonomie stattgefunden haben, und noch größere standen bevor, als Sweezy diese Zeilen schrieb. Seit den siebziger Jahren nahm die Industriearbeiterklasse in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern in relativen wie absoluten Zahlen ab. Aber das bedeutet nicht, dass sie "verschwand". Aufgrund der unaufhörlichen Revolutionierung des Produktionsprozesses, des wichtigsten Merkmals der kapitalistischen Produktionsweise, verändert sich die Zusammensetzung der Arbeiterklasse ständig. Die Arbeiterklasse, die Marx im Paris der späten 1840er Jahre erlebte, "verschwand" im Laufe der folgenden Jahrzehnte mit dem Aufkommen neuer industrieller Verfahren. Und auch die Veränderungen durch die Fließbandproduktion und das Entstehen riesiger Konzerne in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts führten zur Herausbildung völlig neuer Kategorien von Arbeitern. Dieser Prozess wiederholt sich heute durch die Computer- und Informationstechnologie.

Die Ausdehnung des Proletariats

Sweezy stützte seine Einschätzung der historischen Rolle der Arbeiterklasse auf eine völlig einseitige Bewertung der Veränderungen in der Struktur der kapitalistischen Wirtschaft.

Die Arbeiterklasse, das Proletariat, definiert sich nicht durch die Form ihrer Arbeit, sondern durch ihrer Beziehung zu den Produktionsmitteln. In einer Fußnote zur englischsprachigen Ausgabe des Kommunistischen Manifests von 1888 erklärte Engels: "Mit Proletariat meinen wir die Klasse der modernen Lohnarbeiter, die über keinerlei Produktionsmittel verfügt und daher nur ihre Arbeitskraft verkaufen kann, um zu überleben."

Geht man von dieser Definition aus, so ist klar, dass das Proletariat weit davon entfernt ist, zur Minderheit zu werden. Es stellt heute die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern dar. Die Klasse, die tatsächlich "verschwindet", ist die alte Mittelklasse - Kleinunternehmer und kleine Bauern, die in der Vergangenheit ein gewisses Maß an Unabhängigkeit bewahren konnten.

Mit Engels' Definition ist diese Frage natürlich nicht erschöpfend behandelt. Doch sie sagt aus, dass mit dem Begriff Klasse eine soziale Beziehung gemeint ist. Die Klasse der Proletarier umfasst die große Mehrheit der lohnabhängigen Bevölkerung, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben muss.

Sweezys Auffassungen wurden stark vom Aufstieg der sogenannten neuen Mittelschichten beeinflusst, die bei den großen Industrie- und Finanzunternehmen beschäftigt sind. In den 1950er und 1960er Jahren, als die Profitraten stabil waren oder gar einen Zuwachs verzeichneten, konnten diese Schichten trotz ihres im Grunde proletarischen Charakters gewisse begrenzte Errungenschaften und Zugeständnisse erzielen. Nach Sweezys Theorie des ständig steigenden Surplus schienen diese Zugeständnisse außerdem dauerhaft garantiert zu sein, denn schließlich waren die neuen Mittelschichten im Vertrieb, Versicherungswesen, Marketing und im öffentlichen Dienst beschäftigt - allesamt Bereiche der Wirtschaft, die den Mehrwert abschöpfen.

Doch der erneute tendenzielle Fall der Profitrate sowie der heftige Wettbewerb, den er unter den großen Konzernen auslöste, zogen zunehmende Angriffe auf diese "Angestellten"-Schichten der Belegschaften nach sich. Für eine gewisse historische Zeitspanne blieb der wesentlich proletarische Charakter dieser sozialen Schichten dank machtvoller, wenn auch vorübergehender Bedingungen verborgen. Die begrenzten Zugeständnisse, die sie einst genossen, sind inzwischen zerstört. Sie werden als das behandelt, was sie in Wirklichkeit sind: als Lohnarbeiter, die man heuert und feuert, die man im Interesse des Profitsystems entlässt oder größerer Arbeitshetze unterwirft. Diese Lebenserfahrung liegt den zunehmend wirtschaftsfeindlichen Stimmungen breiter Bevölkerungsteile in allen großen kapitalistischen Ländern - und vor allem in den Vereinigten Staaten - zugrunde.

Der Niedergang des nationalen Befreiungskampfes

Sweezys These von der nicht-revolutionären Rolle der Arbeiterklasse in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, wie auch seine Verherrlichung der nationalen Befreiungskämpfe in der Dritten Welt und ihrer stalinistischen und maoistischen Führer, stützte sich auf vorübergehende historische Faktoren.

Im Kampf für den Sozialismus wird das Abwerfen des imperialistischen Jochs sicher eine gewaltige Bedeutung haben. Doch die Geschichte der vergangenen dreißig Jahre hat eindeutig die Richtigkeit von Trotzkis Analyse bestätigt: "Nur die Eroberung der Macht durch das Weltproletariat vermag allen Nationen unseres Erdballs wirkliche und unerschütterliche Entwicklungsfreiheit zu sichern." [31]

Im Mai 1975 verzeichnete der nationale Befreiungskampf mit dem militärischen Sieg über die USA in Vietnam seinen größten Erfolg. Doch tiefgreifende Veränderungen in der politischen Ökonomie des Weltkapitalismus waren bereits im Gange. Die begrenzten Erfolge der nationalen Befreiungsbewegungen wurden von zwei konjunkturellen Faktoren getragen: Dem Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit und der Existenz der Sowjetunion als Gegengewicht zum US-Imperialismus.

Nur fünfzehn Jahre nach dem Sieg in Vietnam hatte sich die Situation völlig verändert. Der Nachkriegsboom war definitiv zu Ende und die Sowjetunion war zusammengebrochen. Dies führte dazu, dass die ehemaligen Führer der nationalen Befreiungskämpfe, allen voran die Kommunistische Partei Chinas, ihre Wirtschaft dem freien Markt öffneten und um ausländische Investitionen wetteiferten. In Vietnam war die US-Armee besiegt worden, doch das imperialistische Finanzkapital erwies sich letztlich als noch mächtigerer Feind.

Das Scheitern der nationalen Befreiungsbewegungen - und ihre Verwandlung in kleinkarierte Zweigstellen des Weltkapitalismus - hat die Aussichten für den internationalen Sozialismus nicht getrübt. Dieselben Prozesse, die ihren Niedergang herbeiführten - insbesondere die Globalisierung der kapitalistischen Produktion - haben ein starkes Anwachsen der Arbeiterklasse bewirkt. Sie entwickelt sich nun in Weltregionen, wo sie zuvor kaum existierte. Das ist eine qualitative und nicht nur quantitative Veränderung. Der globale Charakter der kapitalistischen Produktion und Finanzmärkte hat die Bedingungen für die Vereinigung der Arbeiterklasse in einem zuvor undenkbaren Maße geschaffen.

Das setzt voraus, dass die Arbeiterbewegung mit einer historischen Perspektive bewaffnet wird, die sich auf die strategischen Lehren des zwanzigsten Jahrhunderts stützt. Damit kommen wir zu einem letzten, zentralen Thema im politischen Leben Paul Sweezys, seiner Haltung gegenüber der trotzkistischen Bewegung.

Sweezy und Leo Trotzki

Sweezy bezog erstaunlicherweise nie ausführlich Stellung zu Trotzkis Kampf gegen den Stalinismus, insbesondere dessen Kampf gegen die stalinistische Doktrin vom "Sozialismus in einem Land", obwohl Trotzkis Schriften in seiner eigenen politischen Entwicklung eine wichtige Rolle spielten. Trotzkis "Geschichte der russischen Revolution", die nach Sweezys eigenen Worten einen starken Einfluss auf ihn ausübte, erschien auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Trotzki und dem Stalinismus. Sweezy muss auch Trotzkis vernichtende Kritik der Politik Stalins, der Kommintern und der Kommunistischen Partei Deutschlands gekannt haben, die Hitler im Januar 1933 den Weg an die Macht ebnete.

Wenn Sweezy seine eigene politische Entwicklung diskutiert, übergeht er diese Fragen. 1987 wurde er bei einem Interview gefragt, weshalb er sich während der Radikalisierung der sechziger Jahre nie einer politischen Partei angeschlossen habe. Sweezy antwortete, er betrachte seine Rolle als "Versuch, bestimmte radikale Traditionen zu bewahren, ein Gespür für die Geschichte, was in einer der existierenden Parteiformationen, sektiererischen Formationen nicht möglich wäre. Deshalb haben wir versucht, etwas zu entwickeln, das für alle nützlich ist, wenn sie sich auf die historische Entwicklung stützen wollen. Die einzige ernsthafte politische Partei war damals die Kommunistische Partei, sowie die Trotzkisten, die eine Variante der Kommunistischen Partei darstellen, d.h. die Parteien, die aus der Dritten Internationale hervorgegangen sind. Doch vom Standpunkt der geistigen Kreativität waren sie völlig unmöglich." [32]

Sweezys Kennzeichnung der trotzkistischen Bewegung als einer "Variante" der Kommunistischen Partei war, gelinde gesagt, unehrlich, sie war typisch für Ex-Stalinisten und ihr Umfeld. Sweezy wusste sehr wohl, dass die Vierte Internationale im erbitterten Kampf gegen Theorie und Praxis des Stalinismus aufgebaut worden war. Dabei war es nicht nur um das Schicksal der russischen Revolution, sondern des gesamten sozialistischen Projekts gegangen. Jeder Marxist, der an der historischen Wahrheit interessiert war, musste zu dem Konflikt über grundlegende Perspektivfragen Stellung nehmen, der in der Russischen Kommunistischen Partei aufgebrochen war und schließlich zur Gründung der Vierten Internationale führte.

Der Charakter der sozialistischen Revolution selbst erforderte eine derartige Analyse. Wie Marx erklärte, waren die bürgerlichen Revolutionen des achtzehnten Jahrhunderts noch rasch von Erfolg zu Erfolg geeilt: "Proletarische Revolutionen dagegen, wie die des neunzehnten Jahrhunderts, kritisieren beständig sich selbst, unterbrechen sich fortwährend in ihrem eigenen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem anzufangen, verhöhnen grausam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche, scheinen ihren Gegner nur niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der Erde sauge und sich riesenhafter ihnen gegenüber wieder aufrichte, schrecken stets von neuem zurück vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke, bis die Situation geschaffen ist, die jede Umkehr unmöglich macht..." [33]

Um wie viel mehr trafen diese Bemerkungen auf die russische Revolution und die Zeit danach zu. Sweezys Schweigen über diese großen Fragen widerspiegelte letztlich eine tief verwurzelte Skepsis in die sozialistische Revolution. Das fand wiederum in seinen Theorien zur politischen Ökonomie seinen Widerhall.

Als Sweezy 1978 schließlich doch über Trotzkis historisches Vermächtnis schrieb, verzichtete er darauf, sich ernsthaft mit den zentralen Fragen zu beschäftigen. In einem Artikel der Monthly Review zum Klassencharakter der Sowjetunion vertrat er die Auffassung, in der Sowjetunion existiere ein "neuer Typ" einer herrschenden Klasse. Trotzkis These, die stalinistische Bürokratie sei eine parasitäre Kaste - und keine neue herrschende Klasse - sei zwar sehr "attraktiv", doch habe sie den Test der Zeit nicht bestanden. Je länger die Bürokratie herrsche, "desto weniger überzeugend ist die trotzkistische Theorie über ihr eigentliches Wesen".

Es sei "absurd", so Sweezy, zu behaupten, das Regime sei in Gefahr. "Ökonomisch wie militärisch ist die Sowjetunion erstarkt, und die Fähigkeit des Regimes, diese zunehmende Macht zu steuern und in seinem eigenen Interesse einzusetzen, war noch nie offensichtlicher." [34]

Diese Zeilen wurden geschrieben, als die Sowjetunion ins Endstadium ihrer Krise eintrat. Gerade sieben Jahre später hievte die Bürokratie Gorbatschow an die Spitze, um ihre soziale Stellung durch die Wiedereinführung des kapitalistischen Systems zu sichern. Ende 1991 war die Sowjetunion aufgelöst. Wieder einmal war Sweezy just zu dem Zeitpunkt von der scheinbaren Dauerhaftigkeit einer zeitweiligen Situation ausgegangen, als sich diese dramatisch zu verändern begann.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion unterzog alle Theorien über eine "neue herrschende Klasse" einem Test. Die stalinistische Bürokratie vollendete die Konterrevolution, die sie in den zwanziger Jahren eingeleitet hatte, genaue wie es Trotzki mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor vorausgesagt hatte.

"Ein Zusammenbruch des Sowjetregimes", schrieb Trotzki, "würde unweigerlich einen Zusammenbruch der Planwirtschaft und damit die Abschaffung des staatlichen Eigentums nach sich ziehen. Die Zwangsbindung der Trusts untereinander und zwischen den Fabriken würde sich lockern. Die erfolgreichsten Unternehmen würden sich beeilen, selbständige Wege zu gehen. Sie könnten sich in Aktiengesellschaften umwandeln oder eine andere Übergangsform des Eigentums finden, etwa mit Gewinnbeteiligung der Arbeiter. Gleichzeitig und noch leichter würden die Kolchosen zerfallen. Der Sturz der heutigen bürokratischen Diktatur wäre also, wenn keine neue sozialistische Macht sie ersetzt, gleichbedeutend mit einer Rückkehr zu kapitalistischen Verhältnissen bei katastrophalem Rückgang von Wirtschaft und Kultur." [35]

Wir haben Sweezys theoretisches Werk so ausführlich besprochen, weil die von ihm behandelten Fragen insbesondere auf dem Feld der politischen Ökonomie heute noch von entscheidender Bedeutung sind. Ist ein ständig steigender Mehrwert typisch für das kapitalistische System? Oder gibt es unlösbare Widersprüche im Prozess der Akkumulation selbst, die an einem bestimmten Punkt derart explosive Gestalt annehmen, dass die Zukunft der Zivilisation bedroht ist?

War die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse nur eine vorübergehende Phase der kapitalistischen Entwicklung im neunzehnten Jahrhundert? Oder ist die Arbeiterklasse - die zum erstenmal in der Geschichte die Mehrheit der Weltbevölkerung ausmacht - heute aufgerufen, einen Weg aus der historischen Sackgasse zu weisen, in die der Kapitalismus die Menschheit geführt hat?

Der Aufbau einer internationalen sozialistischen Bewegung, die die Arbeiterklasse politisch neu bewaffnen kann, erfordert vor allem die Aneignung aller großen strategischen Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts, die in Geschichte und Programm der trotzkistischen Bewegung verkörpert sind.

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Anmerkungen

1) zitiert nach John Bellamy Foster Memorial Service für Paul Marlor Sweezy, Manthly Review, März 2004.

2) Interview mit Paul Sweezy von Sungar Savran und E. Ahmet Tonak, veröffentlicht in Monthly Review, April 1987

3) ibid.

4) Interview mit Paul Sweezy von Sungar Savran and E. Ahmet Tonak in Monthly Review, April 1987

5) Marx, Das Kapital, Band III, MEW Band 25, Berlin 1968, S. 223

6) Marx, ibid. S. 242

7) Sweezy, "Theorie der kapitalistischen Entwicklung", Köln 1959, S.74

8) Marx, ibid., S. 269-70

9) Sweezy, ibid., S. 78

10) Sweezy, ibid., S. 80

11) Marx, ibid., S. 257

12) Marx, "Grundrisse", Berlin 1974, S. 246

13. Interview mit Paul Sweezy, ibid.

14. Henryk Grossmann, Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems, Verl. Neue Kritik (1967)

15. Paul A. Baran und Paul M. Sweezy, Monopolkapital, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1967, S. 14

16. Baran und Sweezy, ibid, S. 14

17. Marx, Das Elend der Philosophie, MEW Bd 4, S. 163

18. Marx, ibid, S. 163-64

19. John Weeks, Capital an Exploitation, Princeton University Press, Princeton 1981

20. Marx, Das Kapital, Band 1, MEW Band 23, S.790

21. Paul A. Baran und Paul M. Sweezy, Monopolkapital, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1967, S. 63

22. Baran und Sweezy, ibid., S. 77

23. Baran und Sweezy, ibid.

24. Karl Marx, Grundrisse, Berlin 1974, S. 635-36

25. Baran und Sweezy, ibid., S. 115

26. Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals, Eine Antikritik, in Ges. Werke Band 5, Berlin 1990, S. 446

27. Paul A. Baran und Paul M. Sweezy, Monopolkapital, Suhrkamp 1967, S. 346-78

28. Baran und Sweezy, ibid., S. 347-48

29. Paul M. Sweezy, Marx and the Proletariat in Modern Capitalism and Other Essays, Monthly Review Press, New York 1972 (aus dem Englischen)

30. Sweezy, ibid., S. vi

31. Leo Trotzki, Krieg und die IV. Internationale, 1935, in : Lenin und Trotzki über Krieg, Essen 1983, S. 54

32. Interview mit Paul Sweezy, ibid.

33. Karl Marx, Der Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, in MEW Band 8, S. 118

34. Paul Sweezy, Is There a Ruling Class in the USSR? Monthly Review, October 1978 (aus dem Englischen)

35. Leo Trotzki, Verratene Revolution, Arbeiterpresse Verlag Essen, 1997, S. 275

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