Abbruch der Belagerung von Falludscha: Ein Debakel für den amerikanischen Imperialismus

Die Entscheidung der Bush-Regierung und des Pentagons, die Belagerung der irakischen Stadt Falludscha aufzugeben, ist ein schwerer Rückschlag für die US-Besatzungsmacht im Irak. Als sich abzeichnete, dass der Kampf gegen die tief in der Bevölkerung verwurzelte Aufstandsbewegung in den Straßen Falludschas von Haus zu Haus geführt werden müsste, gelangte die US-Regierung offenbar zu dem Schluss, dass die militärischen und politischen Kosten für eine Rückeroberung der Stadt zu hoch waren.

Der Abzug wurde am Donnerstag, dem 29. April, angekündigt. Kommandeure der Marineinfanteristen vor Ort gaben bekannt, dass sie die Kontrolle über Falludscha einer Gruppe ehemaliger irakischer Generäle übertragen würden, die zum Teil aus der Stadt stammten. Sie waren vergangenes Jahr aus der irakischen Armee entlassen worden, als die Besatzungsmacht diese auflöste. Die von den USA geleiteten neuen irakischen Sicherheitskräfte hatten ihnen eine Wiedereinstellung verweigert, weil sie unter Saddam Hussein hohe Stellungen bekleidet und der Baath-Partei angehört hatten.

Die Gründung einer "Schutzarmee für Falludscha" wurde zwar als Alternative zur Erstürmung der Stadt durch die Marines dargestellt, dennoch ist unverkennbar, dass dieser Ausgang der vierwöchigen Konfrontation in Falludscha den Widerstand gegen die Besatzer beflügelt. Korrespondenten berichteten, dass die Einwohner auf den Straßen tanzten und Guerillakämpfer ihren Sieg verkündeten, als die Marines ihre Stellungen im Nordwesten der Stadt räumten.

Die Washington Post berichtete: "Als die Kämpfer auf Lastwagen durch Falludscha fuhren und sich an verlassenen Straßenkreuzungen sammelten, hielten Anwohner die Finger zum Siegeszeichen geformt in die Höhe, und die Moscheen verbreiteten zur Feier des Tages Botschaften, in denen die Niederlage der Amerikaner verkündet wurde. "Wir haben gesiegt", sagte einer der Kämpfer, ein ehemaliger Soldat, der als seinen Namen nur "Abu Abdullah" angab. "Wir wollten die Amerikaner aus der Stadt halten, und das ist uns gelungen."

Ein Einheimischer beschrieb gegenüber der Los Angeles Times den Widerstand als Volksaufstand gegen die Besatzungsmacht. "Jeder Einwohner Falludschas, der eine Waffe tragen konnte, hat sich beteiligt", sagte er. "Wir sind alle Mudschaheddin. Die Mudschaheddin werden sich nicht mehr hinter Masken verstecken. Wir kämpfen offen. Unsere Beziehung zu dem neuen irakischen Kommandeur und seinen Leuten ist sehr gut. Sie kamen nicht in amerikanischen Panzern. Es sind unsere Söhne." Der Times -Reporter zitierte ein Transparent am Tor einer Moschee, das die Stimmung in der Stadt wiedergab: "Wir sind die Soldaten Mohammeds, und nicht die Soldaten Saddams. Uns ist der Tod so willkommen, wie Euch das Leben."

Die Bush-Regierung gab die Belagerung Falludschas unvermittelt auf, nachdem sie wochenlang immer wüstere Drohungen ausgestoßen hatte. Sie werde die Autorität der Besatzungsbehörde in der Stadt wiederherstellen, hatte es geheißen, und alle Waffenträger töten. Die britische Zeitung Guardian berichtete, dass eine Fraktion der Bush-Regierung die Stadt "einebnen" wollte, während eine andere argumentierte, dass ein solches Vorgehen den Irak unregierbar machen und anti-amerikanische Aufstände in anderen arabischen Ländern auslösen würde.

Am 24. April, nur fünf Tage vor dem Abzug, begab sich Bush auf seinen Landsitz in Camp David, um per Videokonferenz mit seinen höchsten nationalen Sicherheitsbeamten über die Erstürmung der Stadt zu beraten. Man entschied, von einem Angriff abzusehen, um nach Möglichkeit gemeinsame Patrouillen von US-Marines und irakischen Sicherheitskräften zu organisieren. Diese sollten am 27. April beginnen, wurden jedoch mehrfach verschoben und schließlich aufgegeben. Währenddessen flogen Kampfflugzeuge und Hubschrauber der US-Armee mehrere Luftangriffe auf Falludscha.

Noch am Mittwoch, dem 28. April, verglichen Vertreter des Weißen Hauses Falludscha mit der Tet-Offensive des Vietnamkriegs. Es sei unumgänglich, erklärten sie, ein Exempel zu statuieren und die Widerständler zu vernichten, um die Überlegenheit der US-Armee zu demonstrieren und bei der amerikanischen Bevölkerung nicht den Eindruck eines Scheiterns der US-Intervention zu erwecken. Ein hoher Militär erklärte gegenüber der Los Angeles Times : "Wenn wir hineingehen, das sage ich Ihnen, dann mit schweren Waffen. Dann werden wir Menschen töten."

Am nächsten Tag kam es zu der Übereinkunft zwischen dem amerikanischen Kommandeur David Conway und der Gruppe irakischer Generäle, und einen weiteren Tag später, am 30. April, zog der erste irakische Befehlshaber, der ehemalige Generalmajor Jassim Mohammed Saleh, unter Hochrufen in die Stadt ein. Demonstrativ hatte er die Uniform angezogen, die er unter Saddam Hussein trug. Einige Hundert irakische Freiwillige begleiteten ihn. Die amerikanischen Befehlshaber kündigten an, dass die neue Truppe "die Verantwortung für Sicherheit und Stabilität" übernehmen und die Checkpoints der Stadt besetzen werde, die zuvor von US-Truppen besetzt worden waren.

Zwei Bataillone der US-Armee, die den schlimmsten Kämpfen in Falludscha widerstanden hatten, gaben die Gebäude auf, die sie den Aufständischen abgenommen hatten, und ebneten die improvisierten Barrikaden wieder ein, die sie während der dreiwöchigen Belagerung aufgeworfen hatten. Am Wochenende hatten sie sich bereits mehr als fünf Meilen hinter ihre ursprünglichen Frontstellungen zurückgezogen, obwohl Militärsprecher zunächst lediglich eine "Neupositionierung" angekündigt hatten.

Die raschen Änderungen von Taktik und Politik der USA erschienen in hohem Maße improvisiert und unkoordiniert. Die Befehlshaber der Belagerung, die Besatzungsbehörde in Bagdad, das Pentagon und das Weiße Haus gaben widersprüchliche Erklärungen ab. Es war nicht klar, auf welcher Ebene als erstes die Entscheidung fiel, sich mit den ehemaligen Kommandeuren Husseins zu einigen und ihnen die Kontrolle über Falludscha zu übertragen.

Die Washington Post - die den Krieg vehement unterstützt - kommt zu dem Schluss, dass die Entscheidung zum Abzug einer regelrechten Panikstimmung innerhalb der Regierung entsprang. Am 1. Mai schrieb sie: "So wurde die Entscheidung, sich an ehemalige Generäle der irakischen Armee zu wenden, um die Kontrolle über Falludscha zurückzugewinnen, unter verwirrenden Umständen getroffen. Militärsprecher im Irak gaben Bedingungen bekannt, die in Washington noch gar nicht überprüft worden waren. Außerdem fiel die Entscheidung vor dem Hintergrund des zunehmenden Unmuts der Iraker über die Besatzung der USA, und vor dem Hintergrund der Fernsehbilder über einen möglichen psychologischen und sexuellen Missbrauch irakischer Häftlinge durch US-Soldaten. Bei einigen Beobachtern hinterließ die Regierung den Eindruck, dass sie verzweifelt nach irgendeiner Alternative griff, ohne über ein wirkliches Konzept zu verfügen, wie sich diese neue Taktik in ihre Gesamtstrategie einfügte oder welche Risiken sie bergen könnte. In weiten Teilen der Welt wurde das Abkommen zunächst als Rückzug der Amerikaner angesichts des hartnäckigen Widerstands der Aufständischen beschrieben."

Sprecher des Pentagons bezeichneten die neue Regelung als minimale Änderung, als bloße Übergabe einiger weniger Wachposten von den Marines an die neue irakische Militärtruppe - obwohl doch Tausende Marines abzogen.

Am Sonntag bestritt General Richard Myers, der Generalstabschef der US-Streitkräfte, in mehreren Nachrichtensendungen rundheraus, dass die Marines von Falludscha abgezogen seien, und verurteilte entsprechende Presseberichte als völlig unzutreffend. Doch, wie die Post meldete: "In Wirklichkeit haben zwei Marinebataillons - das 1. Bataillon, 2. Marineregiment, und das 2. Bataillon, 2. Marineregiment - ihre Stellungen in oder nahe der Stadt verlassen. Das 1. Bataillon räumte seinen vorgeschobenen Stützpunkt in einer Brauerei innerhalb der Stadt und zog sich am Freitag auf eine Stellung fünf Meilen außerhalb zurück."

Einige Vertreter der US-Behörden vor Ort nannten Saleh als neuen Oberbefehlshaber der Schutzarmee für Falludscha, hatten diese Wahl aber offenbar nicht mit Washington abgesprochen. Myers erklärte während seiner Fernsehauftritte am Sonntag, dass Saleh nur eine zweitrangige Rolle zufallen solle. Es sei "von unten" ausgewählt worden. "Nun brauchen wir eine Politik, die uns wieder auf die Höhe der Geschehnisse vor Ort bringt."

Ein Militärvertreter der USA äußerte gegenüber der Post seine Verzweiflung über den jüngsten Rückschlag: "Eben haben wir ihm noch gesagt, er könne eine Brigade bilden und die Stadt übernehmen. Und nun sagen wir ihm, er müsse beiseite treten? Sollen wir von ihm verlangen, dass er einfach nach Hause geht?" Am nächsten Tag gab das Pentagon bekannt, dass ein weiterer Ex-General Husseins, der ehemalige Leiter des Militärgeheimdienstes Muhammad Latif, das Oberkommando über Falludscha erhalten solle, während Saleh für eine untergeordnete Position vorgesehen sei.

Saleh selbst hat inzwischen bestritten, dass sich überhaupt ausländische Kämpfer in Falludscha befanden - was der Hauptvorwand für die Belagerung gewesen war. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Stadt, erklärte er, seien vielmehr durch die Anwesenheit des US-Militärs ausgelöst worden: "Die Gründe für den Widerstand liegen in den Provokationen und Razzien der Amerikaner und in der Abschaffung der Armee. Deshalb schlossen sich die Iraker dem Widerstand an", erklärte er gegenüber Reuters.

Ein Mitarbeiter Salehs erklärte gegenüber der Presse: "Es gibt hier keine anderen Kämpfer als die Einwohner von Falludscha. Hier sind keine Araber, und selbst wenn Araber hier wären, dann wäre dies keine Schande für die islamische Stadt. Die Amerikaner brachten Angehörige unterschiedlicher Nationalitäten hierher - Briten, Spanier, Salvadoreaner, Ukrainer. Weshalb dürfen sie das und wir nicht?"

Ungeachtet seines brüchigen und vorübergehenden Charakters widerlegt das Abkommen von Falludscha die Behauptungen der Regierung Bush, dass der Widerstand gegen die US-Besatzungsmacht lediglich von einer Handvoll Terroristen oder "ehemaligen Anhängern des Regimes" getragen würde und keine nationale Massenopposition zum Ausdruck bringe.

Offiziere der US-Armee gestanden ein, dass viele Kämpfer, die sich gegen die Marines wandten, nun Teil der Schutzarmee für Falludscha werden und Waffen sowie andere Lieferungen vom Pentagon erhalten könnten. Wenn sich die politische Lage in der Stadt erneut bis zur Explosion zuspitzt - was allgemein erwartet wird - dann könnte dieses Kriegsmaterial in der nächsten Kampfrunde durchaus gegen die Besatzungstruppen eingesetzt werden.

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