Nur unter einer politischen Zielsetzung können Arbeitsplätze und Lebensstandard verteidigt werden

Wir veröffentlichen heute den Beitrag des Kandidaten der Socialist Equality Party für das Amt des US-Vizepräsidenten, Jim Lawrence, zu der Konferenz "Die US-Wahlen von 2004: Für eine sozialistische Alternative", die am 13./14. März von der World Socialist Web Site und der Socialist Equality Party in Ann Arbor, Michigan abgehalten wurde.

In den vergangenen Tagen erschienen an dieser Stelle bereits die Rede des Präsidentschaftskandidaten, Bill Van Auken, sowie der Eröffnungsbericht von David North, dem Leiter der internationalen Redaktion und Vorsitzenden der SEP in den USA.

Für die Notwendigkeit eines politischen Kampfs gegen das Profitsystem und seine beiden Parteien gibt es keinen überzeugenderen Beweis als die anhaltende Vernichtung von Arbeitsplätzen in den USA, die Millionen Arbeiter und ihre Familien in den USA um eine menschenwürdige Existenz gebracht hat.

In den letzten drei Jahren, in denen Bushs Politik das Vermögen der Konzernvorstände und Großinvestoren an der Wall Street aufgebläht hat, wurden mehr als drei Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Allein in den Bundesstaaten Michigan und Ohio waren es mehr als 300.000. Junge Menschen arbeiten für Löhne, bei denen an ein eigenes Haus oder an die Gründung einer Familie überhaupt nicht zu denken ist. Ältere Arbeiter müssen ihren Ruhestand hinauszögern und längere Arbeitszeiten ableisten, nur um den Lebensstandard zu halten, den sie vor knapp zwanzig Jahren erreichten, und um ihre Kinder und Enkel zu unterstützen, die sich mit explodierenden Kosten für Ausbildung, Gesundheit und Wohnen herumschlagen. Die Abschaffung betrieblicher Rentenkassen und subventionierter Altersvorsorge sowie die drohende Privatisierung der Sozialhilfe bringen außerdem die Gefahr mit sich, dass die Rente zum Leben überhaupt nicht mehr ausreicht, sodass viele ältere Beschäftigte bis zum Tod weiterarbeiten müssen.

Die Vernichtung von Arbeitsplätzen ist kein neues Phänomen. Seit Mitte der 1970er Jahre haben die amerikanischen Unternehmen Dutzende Millionen Jobs in der Automobilindustrie, im Bergbau, in der Stahl- und Textilindustrie und in vielen weiteren Schlüsselbranchen zerstört. Industriestädte wie Dayton, Detroit, Flint, Pittsburgh und andere im so genannten "Rostgürtel" Amerikas wurden regelrecht verwüstet.

Während der letzten 15 Jahre griff der Arbeitsplatzabbau von gewerblichen Arbeitnehmern auf Millionen Angestellte und Akademiker über, weil transnationale Unternehmen zur weiteren Kostensenkung die ganze Welt nach den niedrigsten Lohnkosten, den günstigsten Steuersätzen und den höchsten Profiten abgrasen. Mittlerweile geht man davon aus, dass bis zum Jahr 2015 mehr als drei Millionen Arbeitsplätze, vor allem im IT- und Finanzsektor, nach Indien, China, auf die Philippinen und in andere Länder verlagert werden, wo ein Software-Entwickler 6 Dollar die Stunde für dieselbe Arbeit erhält, die zuvor ein Fachmann in den USA für 60 Dollar leistete.

Sowohl Bush als auch John Kerry sind den Großunternehmen und der reichen Elite hörig, die Amerika regieren. Welcher von beiden auch die Wahl gewinnt, er wird dem Abbau von Arbeitsplätzen und Einkommen keinen Einhalt gebieten, sondern die Angriffe auf die arbeitenden Menschen fortsetzen. Das zeigte sich ganz deutlich, als Kerry letzten Monat nach Dayton kam und keine Antwort auf die Arbeitsplatzkrise hatte. Stattdessen regte er an, dass die Regierung den Unternehmern Anreize bieten sollte, um die Produktion in den USA zu halten und nicht in Niedriglohnländer zu verlagern. Das kann nichts anderes heißen als weitere Steuersenkungen und andere Deregulierungsmaßnahmen, die auf dem Rücken der Arbeiter ausgetragen werden.

Die Arbeiterklasse muss eine politische Strategie erarbeiten, um ihre Arbeitsplätze und ihr Einkommen zu verteidigen. Eine solche Strategie muss auf einem Verständnis der objektiven ökonomischen Veränderungen basieren, die in den letzten 25 Jahren stattgefunden haben, und auf einer kritischen Bewertung der Rolle und Politik aller, die im Namen der arbeitenden Menschen zu sprechen beanspruchten.

Ich selbst habe im Jahr 1966 bei General Motors angefangen, ich trat damals nach meiner Einstellung im Karosseriewerk Delco in Dayton, Ohio trat der Gewerkschaft United Auto Workers bei. Zwar geriet ich schnell in Streit mit der Gewerkschaftsführung, betrachtete aber wie viele Millionen andere Arbeiter die Gewerkschaften als Organisationen, mit denen die Arbeiterklasse für eine Verbesserung ihrer Lage kämpfen konnte. Ich gehörte einer Generation von Arbeitern an, die radikalisiert wurde durch den Vietnamkrieg, die Bürgerrechtsbewegung und den Kampf gegen die Verschlechterung des Lebensstandards, die sich damals infolge der Wirtschaftskrise in den USA und weltweit einstellte. Im Jahr 1970 legten bei GM 350.000 Beschäftigte für zwei Monate die Arbeit nieder.

Dieser Streik mobilisierte die Unterstützung anderer Arbeiter und kleiner Geschäftsleute in ganz Dayton. Er stellte damals eine starke Bewegung der Arbeiterklasse dar, doch heute kann die UAW nicht einmal mehr ihre eigenen Mitglieder mobilisieren, von breiteren Arbeiterschichten ganz zu schweigen.

Der damalige Streik war Bestandteil einer riesigen Welle militanter Arbeitskämpfe, an denen LKW-Fahrer (die Teamsters), Arbeiter von General Electric, Schauerleute, Bauarbeiter, Beschäftigte von Telefongesellschaften und andere beteiligt waren. Im Zusammenhang mit diesen Arbeitskämpfen wuchs die Empörung über die Demokratische Partei, die den Krieg in Vietnam angezettelt hatte und gemeinsam mit der Nixon-Regierung die Arbeiterklasse für den Krieg und die Wirtschaftskrise zur Kasse bat.

Mein Bruch mit den Demokraten erfolgte im Jahr 1972, als sich der ehemalige Gouverneur von Alabama, George Wallace, um die Kandidatur für die Demokraten bewarb. Er erhielt damals eine Menge Unterstützung und gewann die Vorwahlen in Michigan. Ich erinnere mich noch an das Flugblatt, das die Workers League, die Vorgängerin der Socialist Equality Party, damals herausgegeben hatte. Sie stellte darin die Frage, wie eine Partei, die im Namen der Arbeiterklasse zu sprechen behauptete, einen Mann wie Wallace in ihren Reihen dulden konnte - einen Rassisten, der für die Rassentrennung eintrat, und offenkundigen Gegner der Arbeiterklasse.

Kurz darauf wurde ich Mitglied der Workers League. Ich fühlte mich angesprochen von ihrer Forderung, dass die Gewerkschaften eine Arbeiterpartei aufbauen sollten, um die beiden bestehenden Parteien zu besiegen und die Arbeiterklasse an die Macht zu bringen. Diese Forderung gewann breite Unterstützung; und sogar Teile der Gewerkschaftsbürokratie, die wussten, wie verhasst die Demokraten unter den Arbeitern waren, erklärten, sie seien im Prinzip auch für eine Arbeiterpartei, nur sei die Zeit dafür noch nicht reif.

In Wirklichkeit waren die UAW und die AFL-CIO-Spitze gegen jeden Bruch mit den Demokraten. Sie verteidigten den Kapitalismus, und durch ihr Bündnis mit der Demokratischen Partei hinderten sie die Arbeiterklasse daran, zu einem Programm zu finden, mit dessen Hilfe das Wirtschaftsleben von Grund auf in einer Weise umgestaltet werden könnte, die den Interessen der Arbeiter, nicht einer reichen Minderheit dienen würde.

Seit den 1940er Jahren ist Feindschaft gegen den Sozialismus das Leitprinzip der amerikanischen Gewerkschaftsbürokratie. Damals führten die Spitzen von AFL und CIO eigene Hexenjagden innerhalb der Gewerkschaften durch. Damit zerstörten sie nicht nur die Kampffähigkeit der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung innerhalb der USA. Auf der Grundlage desselben Antikommunismus unterstützte der AFL-CIO auch den Vietnamkrieg und arbeitete mit der CIA zusammen, um linke Gewerkschaften und Widerstandsbewegungen in Asien, dem Nahen Osten, Afrika und Lateinamerika zu unterwandern. Ein unbestreitbares Vermächtnis dieser Politik war die Entstehung eben jener Billiglohngebiete, in welche die US-Unternehmen heute Arbeitsplätze verlagern.

Das Bündnis mit den Demokraten war das wichtigste Mittel, mit dem die Gewerkschaftsbürokratie die Kämpfe der Arbeiterklasse erstickte und den Bedürfnissen des amerikanischen Kapitalismus unterordnete. Während der 1980er Jahre - einem Jahrzehnt gewaltsamer Klassenkämpfe - hat der AFL-CIO bewusst einen Streik nach dem anderen ausverkauft, um den Widerstand der Arbeiterklasse zu brechen und den Unternehmensführungen zu helfen, die Arbeitskosten zu senken.

Die UAW und der AFL-CIO machten sich in den 1980er Jahren offiziell die Politik des Korporatismus zu eigen. Sie wiesen die bloße Vorstellung zurück, dass Arbeiter irgendwelche andere Interessen hätten, als die Unternehmer. Gewerkschaftsfunktionäre zogen in die Vorstände von Unternehmen wie Chrysler ein. Außerdem wurden eine Vielzahl mitbestimmungsartiger Gremien geschaffen, in denen Unternehmensleitung und Gewerkschaften zusammenarbeiteten, um im Interesse der "Wettbewerbsfähigkeit" die Arbeitshetze zu steigern und andere Maßnahmen zur Kostensenkung durchzusetzen.

Gemeinsam mit dem Management verbreiteten die UAW und die übrigen Gewerkschaften einen üblen nationalen Chauvinismus und Rassismus, um den amerikanischen Arbeitern einzureden, ihr Feind sei nicht das Big Business, sondern die japanischen und europäischen Arbeiter, die angeblich amerikanische Jobs klauten.

Wohin hat dieser Wirtschaftsnationalismus geführt? Als ich der UAW beitrat, hatte sie 2,25 Millionen Mitglieder in den Betrieben. Heute sind es noch 638.000. In den gesamten USA sind nur noch 8,2 Prozent der Beschäftigten des Privatsektors gewerkschaftlich organisiert, und nur noch 2,2 Millionen Fabrikarbeiter. Das sind 60 Prozent weniger, als noch vor zwanzig Jahren.

Das ganze Land ist mit Industrieruinen übersät. Trotz ihrer Demagogie über die "Rettung amerikanischer Arbeitsplätze" waren die UAW und AFL-CIO-Offiziellen nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Arbeitsplatz zu verteidigen. Es gab keinen ernsthaften Kampf zur Verhinderung von Betriebsstillegungen und Massenentlassungen.

In unserem Wahlaufruf heißt es dazu: "Die Orientierung der alten Arbeiterorganisationen - Schutz der nationalen Industrie und des nationalen Arbeitsmarktes - wird von der global integrierten Produktion und der nie da gewesenen Mobilität des Kapitals unterlaufen. Die Rolle dieser bürokratischen Apparate, unter anderem des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO in den Vereinigten Staaten, hat sich vollständig gewandelt: Während sie früher Druck auf die Unternehmer und die Regierung ausübten, um Zugeständnisse für die Arbeiter zu erlangen, setzen sie heute die Arbeiter unter Druck, um Zugeständnisse für die Unternehmer herauszuholen und somit Kapital anzulocken. Diese Organisationen, die an ein nationales Programm gebunden sind, können nur noch eine zutiefst reaktionäre Rolle spielen."

Die Gewerkschaftsführer und andere, die für Wirtschaftsnationalismus eintreten, insbesondere Leute wie Dennis Kucinich und Ralph Nader, kritisieren einen Aspekt des Kapitalismus, verteidigen aber das Profitsystem als Ganzes. Doch die Ausbeutung der Arbeiterklasse ist das Wesen des Kapitalismus. Schon in den 1950er Jahren begannen die "großen drei" Autohersteller in Detroit, die Produktion aus Gebieten mit hohem gewerkschaftlichen Organisationsgrad in die Südstaaten zu verlagern, wo die Lohnkosten niedriger waren. Die Fortschritte im Bereich von Technologie und Transport ermöglichen ihnen heute, die ganze Welt nach billigen Arbeitskräften abzusuchen.

Die Ursache für die Vernichtung von Arbeitsplätzen ist nicht der Welthandel als solcher, noch nicht einmal die Globalisierung. Sie liegt in einem Wirtschaftssystem, das die Anhäufung von Privatreichtum höher stellt als die Befriedigung der Bedürfnisse aller Menschen. Ein System, in dem nur 587 Menschen über 1,9 Billionen Dollars verfügen, während die Hälfte der Weltbevölkerung von weniger als zwei Dollars am Tag leben muss, ist zum Untergang verurteilt.

Das ganze Gerede, man müsse den Welthandel einschränken oder die Tendenz zur grenzüberschreitenden Produktion unterbinden, ist utopisch und reaktionär. Außerdem schürt es die Illusion, dass man die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer bekämpfen könne, ohne das Hauptproblem anzugehen: die Unvereinbarkeit des Profitsystems mit den sozialen Bedürfnissen der Massen.

Die Arbeiter müssen umdenken und sich als Teil einer internationalen Klasse begreifen. Genau wie die Unternehmen ihre Aktivitäten global organisieren, so müssen auch die Arbeiter ihre Kämpfe auf internationaler Ebene führen. Protektionismus und Nationalismus stehen dem entgegen und zwingen Arbeiter in einen Konkurrenzkampf um die niedrigsten Löhne und schlechtesten Arbeitsbedingungen.

Ein solcher, neuer Standpunkt der amerikanischen Arbeiter würde den Kampf der Arbeiter in Mexiko, Indien, China und anderen Niedriglohnländern um bessere Löhne und Bedingungen stärken. Wir müssen die Mentalität zurückweisen, die von den Unternehmern und der Gewerkschaftsbürokratie verbreitet wird: "Wir" gegen "die". Wir müssen stattdessen die Kämpfe der Arbeiter in jedem Teil der Welt um sichere Beschäftigungsverhältnisse und einen anständigen Lebensstandard koordinieren.

Was lernen wir aus der Geschichte der amerikanischen Arbeiterbewegung? Man kann nichts erreichen, ohne die Arbeiterklasse im Kampf über religiöse und ethnische Grenzen hinweg zu vereinen. Die sozialistisch gesonnenen Arbeiter, die in den 1930er Jahren die Sitzstreiks und die Industriegewerkschaften organisierten, ließen sich durch die rassistische Hetze der Unternehmensleitungen nicht spalten und bemühten sich um den Zusammenschluss aller Arbeiter - schwarzer, weißer, und eingewanderter aus Italien und verschiedenen Ländern Osteuropas.

Meine Onkel schlossen sich damals der NAACP an (National Association for the Advancement of Colored Peoples, einer nationalen Organisation zur Förderung farbiger Minderheiten). Sie wurden 1941 zu dem Ford-Rouge-Werk in Dearborn, Michigan, gebracht, um dort als Streikbrecher gegen die überwiegend weißen Autoarbeiter eingesetzt zu werden. Sobald sie merkten, was gespielt wurde, schlossen sie sich dem Kampf an, und die Belegschaft setzte sich gegen Ford durch.

In diesem Sinne müssen sich auch heute die Arbeiter in den USA auf die Seite der Arbeiter auf der ganzen Welt stellen und gegen unseren gemeinsamen Feind vorgehen - das globale Profitsystem.

Die globale Produktion muss im Interesse der Arbeiterklasse reorganisiert werden, und die technologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Errungenschaften der Gesellschaft eingesetzt werden, um den Lebensstandard deutlich zu erhöhen, die soziale Ungleichheit in jedem Land abzuschaffen und auch die Unterschiede zwischen reichen und armen Ländern zu beseitigen. Das ist die Perspektive des Weltsozialismus, für die unsere Partei kämpft.

Alle arbeitenden Menschen stehen heute vor der großen Herausforderung, ihre politischen Ansichten zu überdenken und altbackene Vorurteile gegen den Sozialismus abzuschütteln, die von den Big-Business-Politikern und Gewerkschaftsbürokraten verbreitet werden. Ist es denn ein Zufall, dass ausgerechnet in dem Land, in dem der Antikommunismus quasi zur offiziellen Staatsreligion erhoben wurde, die soziale Ungleichheit schlimmer ist, als in jedem anderen Industriestaat?

Das stärkste Argument für den Sozialismus ist allerdings die Krise des Kapitalismus. Ob nun Bush nach den Wahlen im Weißen Haus sitzt oder sein demokratischer Herausforderer - immer mehr Arbeiter und Studenten werden in den politischen Kampf getrieben werden. Die Kampagne, die Bill Van Auken und ich führen, ist eine Vorbereitung auf die Zukunft. Wir vertreten eine sozialistische Alternative zu der Sackgasse, in welche das Profitsystem die Menschheit geführt hat.

Siehe auch:
"Die US-Wahlen von 2004: Für eine sozialistische Alternative"
(16. März 2004)
Eröffnungsbericht von David North
( 18. März 2004)
Rede des Präsidentschaftskandidaten Bill Van Auken
( 19. März 2004)
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