Großbritannien:

Das Wahlbündnis "Respect" und die Politik des Opportunismus

Teil 2

Respect wurde auf der Grundlage einer Perspektive gegründet, die selbst im Vergleich mit der Gründung der Labour Party noch einen Rückschritt darstellt. Und trotz ihrem Anspruch, ein breites Bündnis zu sein, ist Respect ausschließlich das Ergebnis von Absprachen hinter den Kulissen zwischen der Socialist Workers Party und einer Handvoll Individuen.

Weniger als drei Monate lagen zwischen dem Vorschlag auf einem Londoner Treffen am 29. Oktober, Respect als eine "große Ablehnungskoalition" zu gründen, und dem nationalen Kongress vom Januar. In der Zwischenzeit fanden Versammlungen statt, auf denen mit Lindsey German und John Rees von der SWP, dem Parlamentabgeordneten George Galloway und dem Filmemacher Ken Loach immer die gleichen Hauptsprecher auftraten, ohne dass Beiträge aus dem Saal zugelassen wurden. Am 7. Dezember wurde der Entwurf für die Gründungserklärung mit dem Proviso veröffentlicht, dass bis zum Kongress keine Veränderungen möglich seien und pro Gruppe höchstens ein Zusatzantrag zugelassen werde.

Solch schamlose Eile wurde in nicht geringem Maß von Galloways Ausschluss aus der Labour Party am 29. Oktober bedingt. Obwohl er sich weigert, seinen Sitz in Glasgow-Kelvin aufzugeben, bedeuten bevorstehende Wahlen und der Neuzuschnitt von Wahlkreisgrenzen, dass seine Parlamentskarriere nur bis 2005 gesichert ist.

Die unkritische Unterstützung der SWP für Galloway spricht Bände. Er ist seit über 35 Jahren Mitglied der Labour Party und Parlamentsabgeordneter, hat Zeit seines Lebens die stalinistische Bürokratie in der ehemaligen Sowjetunion bewundert, ist ein vollendeter politischer Strippenzieher und Propagandist in eigener Sache. Dem marxistischen Sozialismus, den die SWP zu vertreten vorgibt, begegnet er mit offener Feindschaft. Während der öffentlichen Gründungsversammlung der "Ablehnungskoalition" zog Galloway über den revolutionären Sozialismus her, bezeichnete ihn als Fremdimport und stellte ihm seinen Glauben an eine Partei entgegen, die jedermann einschließt, selbst Tories die an Demokratie glauben.

"Mein Sozialismus stammt nicht von ‚blutrünstigen Revolutionären' und ist kein ausländischer ideologischer Importartikel. Er wurzelt in diesem Land", rief er aus.

Galloway hat Monate damit zugebracht, die stalinistische Kommunistische Partei Großbritanniens zu überzeugen, Respect beizutreten und den Zug zum Wahlerfolg nicht aus Hass gegen die "Trotzkisten" zu verpassen, aber ohne Erfolg. Noch während dieser Versuche ließ er sein eigenes pathetisches "Mea culpa" für seine politische Rechtfertigung des Stalinismus hören. Er erklärte: "Ich hatte mir eingeredet, dass man... viele Verstöße gegen Demokratie entschuldigen, wenn auch nicht rechtfertigen könne."

Eine auf Anti-Marxismus gegründete Allianz

Galloway verfügt weder über eine Machtbasis, noch über nennenswerte Unterstützung. Mit der SWP hat er eine fertige Wahlmaschine erhalten, auf die er sich stützen kann, um einem Programm, das ausgesprochen bürgerlich und antisozialistisch ist, einen linken Anstrich zu verleihen. Außerdem kann er mit der SWP sein eigenes politisches Projekt weiterverfolgen und gleichzeitig seine bisherigen Beziehungen zur arabischen Bourgeoisie aufrechterhalten sowie neue, wie die zur Muslimischen Vereinigung Großbritanniens, aufbauen.

Die SWP hofft darauf, dass andere Vertreter der Gewerkschafts- und Labour-Bürokratie ihre Unterstützung für Galloway als Beweis dafür werten, dass ihnen die neue Koalition einen sicheren Zufluchtsort bietet. Und um die Botschaft noch unmissverständlicher zu machen, ist sie bereit, alles aufzugeben, was sie als "Beschwörungsformeln" oder "alten Ballast" bezeichnet.

Es ist praktisch unmöglich, einen politischen Kommentar der SWP über die neue Koalition zu finden, der keine rituelle Verurteilung des Sektierertums enthält. So rechtfertigt sie das Über-Bord-Werfen grundlegender sozialistischer und demokratischer Prinzipien.

Auf dem Kongress vom 25. Januar betrug die gesamte für Beiträge aus dem Saal vorgesehene Zeit weniger als zwei Stunden. Jede Kritik einzelner Aspekte der Erklärung wurde von der hauptsächlich aus SWP-Mitgliedern bestehenden Zuhörerschaft ausgebuht, ausgezischt und niedergestimmt. Ein Änderungsantrag, der vorschlug, das R in Respect solle für Republikanismus stehen, wurde von der SWP mit der Begründung abgelehnt, es sei falsch, ein großes Getue um die Monarchie zu machen; die Frage sei "unerheblich", da Frankreich und die USA, obwohl republikanisch, doch wohl kaum demokratischer seien als England.

Ein Vorstoß, in der Erklärung offene Grenzen zu fordern - und die Einwanderungskontrollen zu beenden - wurde ebenfalls abgelehnt.

Auch ein Zusatzantrag, der vorschlug, dass die gewählten Abgeordneten von Respect nicht mehr als das Gehalt eines gelernten Arbeiters beziehen dürfen - "ein Arbeitervertreter mit einem Arbeiterlohn" -, wurde mit großer Mehrheit überstimmt. Das SWP-Mitglied, das die Ablehnung begründete, argumentierte, dass sicherlich "keiner in diesem Saal diesen Anspruch nicht unterschreiben würde... Respect ist aber keine speziell sozialistische Organisation".

Er fuhr fort, es gebe "eine Gefahr, dass wir exklusiv werden könnten, wenn wir das annehmen. Was sagen wir dann zu Leuten wie George Galloway? Machen wir es zur Bedingung, dass sie einen Arbeiterlohn akzeptieren müssen? Das wäre ein falsches Signal, wofür Respect eigentlich steht."

Das wäre es tatsächlich. Galloway hat offen erklärt, er habe "mit der Vorstellung von Arbeitervertretern mit einem Arbeiterlohn" nichts am Hut, er könne auch "mit drei Arbeiterlöhnen nicht leben" und brauche 150.000 Pfund (ca. 225.000 Euro) im Jahr, "um als führende Person in einer Partei des britischen politischen Systems gut funktionieren zu können".

Respect und die Muslimische Vereinigung Großbritanniens

Die Behauptung der SWP, mit Respect werde sie einen breiteren Kreis erreichen als mit der Socialist Alliance, stützt sich im Wesentlichen auf ihre Identifizierung der wachsenden anti-imperialistischen Stimmung mit der muslimischen Bevölkerung. Es ist in der Tat schwer, ein anderes Argument zu finden, mit dem die SWP die Aufgabe ihrer bisherigen traditionellen Labour-Politik begründet, als ihren Wunsch, die Muslime nicht vor den Kopf zu stoßen.

Rees' Artikel "Die Linke nach dem Krieg" geht so weit, jegliche Kritik an der jüngsten Wendung der SWP mit Opposition gegen ihre "Zusammenarbeit mit der muslimischen Gemeinde" gleichzusetzen. Lindsey German antwortete Kritikern, die der Partei die Vernachlässigung der Verteidigung demokratischer Rechte von Frauen und Homosexuellen vorwerfen, sie sei "für die Verteidigung der Rechte von Homosexuellen. Aber ich bin nicht bereit, daraus ein Fetisch zu machen..."

Rees widmet einen großen Teil seines Artikels einer Nachkriegsstrategie für die Linke und lässt sich dabei begeistert über das politische Potential aus, das eine Unterstützung durch die sogenannte "muslimische Gemeinschaft" biete. Dort gebe es "den spürbaren Wunsch... eine realisierbare Alternative zu New Labour zu finden. Die Mehrheit dieser Gemeinschaft gehört zur Arbeiterklasse. Die Mehrheit dieser Gemeinschaft gehört in vielen Stadtzentren zu den verlässlichsten Stammwählern von Labour. Aus diesem Grund ist der Vorwurf einer Minderheit in der Socialist Alliance, es gehe dabei um ‚klassenüberschreitende Bündnisse' oder ‚Volksfrontpolitik' so falsch."

Er schloß: "In Großbritannien sind nur eine verschwindende Minderheit von Muslimen Anhänger des ‚islamischen Fundamentalismus' oder des sogenannten ‚politischen Islams'. Jene Linken, die so reden, als seien alle Muslime Fundamentalisten, verbreiten unakzeptable Vorurteile."

Die SWP bedient sich hier aus der politischen Trickkiste. Natürlich haben Sozialisten eine Verantwortung, muslimische Arbeiter und Jugendliche zu erreichen, die durch die imperialistische Aggression gegen Afghanistan und den Irak radikalisiert worden sind, und gegen die eine orchestrierte Regierungs- und Medienkampagne Vorurteile verbreitet. Aber die SWP hat andere Motive. Sie strebt eine Allianz mit der Führung von Organisationen wie der Muslimischen Vereinigung Großbritanniens (MAB) und die Unterstützung islamischer Kleriker auf Kosten der unabhängigen Klasseninteressen muslimischer Arbeiter an.

Die MAB ist eine bürgerliche Organisation, die eine fundamentalistische Spielart des Islam befürwortet. Als Ableger der Moslembruderschaft in Ägypten entstanden, hat sie nur geringe Unterstützung, überwiegend bei jungen Muslimen meist arabischer Herkunft. Ihre Antiimperialismus ist derselbe, wie er von zahlreichen mehr oder weniger radikalen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Organisationen in Nahost, Pakistan und in vielen anderen Teilen der Welt praktiziert wird. Diese Gesellschaftsschichten sind gegen eine sozialistische Perspektive zur Befreiung der Menschheit und streben nur eine für sie gerechtere Beziehung zur imperialistischen Bourgeoisie an, die ihnen einen Anteil an den wertvollen Naturschätzen und an der Ausbeutung der Arbeiter und Bauern zugesteht.

Auf britischem Boden nimmt dies die Form an, dass sie sich als Opposition gebärdet, um einige Zugeständnisse von der Regierung zu erhalten. Zu diesem Zweck ist die MAB verschiedenen Bündnissen beigetreten, die sich bereit erklärten, die "Interessen der Muslime" zu unterstützen. Wie die MAB erklärte, will sie Respect nur bei den Europawahlen unterstützen, aber bei den gleichzeitig stattfindenden Bürgermeisterwahlen für Ken Livingstone von der Labour Party stimmen. Die SWP hat dies als deutlichen Wink verstanden, dass sie sich an die Regeln zu halten habe. Im Falle eines Wahlsiegs werden die SWP, Galloway und Company nur zu gerne bereit sein, alles über Bord zu werfen, was die MAB stören könnte.

Keine Gruppe kann als Repräsentantin der "muslimischen Gemeinschaft" auftreten, weil eine solche Gemeinschaft nicht existiert. Muslime sind, wie die Anhänger jeder Religion, in Klassen gespalten. Wer die religiöse Identität über die Klasseninteressen stellt, wirkt spalterisch. Erstens werden dadurch religiöse Vorurteile auch in den Reihen von muslimischen Arbeitern und Jugendlichen hoffähig gemacht, von denen die meisten, wie Rees zugibt, weit davon entfernt sind, die fundamentalistische Weltanschauung der MAB zu teilen. Zweitens stößt eine solche Umarmung des Islamismus Hindus, Sikhs, Juden und andere Minderheiten ab und spaltet die ganze Arbeiterklasse noch mehr.

Was die wichtige demokratische Aufgabe der Verteidigung der Glaubensfreiheit angeht, so muss man eine rigorose säkulare Haltung einnehmen und darauf bestehen, dass keine Religion vor einer anderen Vorrang hat. Die SWP dagegen verkündet zwar lauthals ihre neue demokratische Wende, geht aber soweit, den Islamismus zu verteidigen, weil sie darauf spekuliert, dass die MAB und lokale Imams in der Lage sein werden, die anderthalb Millionen Muslime in Großbritannien als Wahlblock für Respect zu mobilisieren.

Notwendig ist eine sozialistische Partei

Im Gegensatz zu den Behauptungen von Respect ist die Antikriegsbewegung kein positives Modell für den Aufbau einer neuen Partei. Trotz der globalen Oppositionswelle gegen den amerikanischen und britischen Imperialismus war sie nicht in der Lage, den Krieg gegen den Irak zu verhindern, weil ihre Führer die Bewegung auf pazifistischen Appellen an angeblich progressive Teile der Bourgeoisie beschränkten.

Es reicht nicht aus, sich als Kriegsgegner zu bekennen. Das demokratische Defizit, das die Respect-Koalition ausgemacht hat, ist sehr real, aber seine grundlegende Wurzel ist eine beispiellose gesellschaftliche Polarisierung. Die sozialen Interessen der herrschenden Elite können nicht länger mit denen der breiten Masse der Bevölkerung vereinbart werden. Es ist nicht möglich, ein Mandat der Bevölkerung für eine Politik zu erhalten, die darauf abzielt, lebenswichtige soziale Dienstleistungen zu zerstören, Löhne zu zerschlagen und der arbeitenden Bevölkerung die Steuerlast aufzubürden. Die alten Parteien, und ganz besonders Labour, sprechen heute nur noch für eine Finanzoligarchie und stehen im offenen Gegensatz zu den Massen der Bevölkerung.

Eine neue Partei muss deshalb eine Lösung für alle sozialen und demokratischen Probleme der Arbeiterklasse anbieten - von Militarismus und Krieg bis zu wirtschaftlicher Unsicherheit, dem Mangel an Wohnungen, Gesundheitsversorgung und Bildung und dem Angriff auf demokratische Rechte. Sie muss auf fundamentalen Prinzipien fußen, die die Grundlage für ein wahrhaft demokratisches und sozialistisches Programm darstellen:

* Für die internationale Einheit der Arbeiterklasse

De imperialistische Krieg wurzelt im kapitalistischen Profitsystem und in der Aufteilung der Welt in antagonistische Nationalstaaten, die in Krisenzeiten einen gewaltsamen Kampf aller gegen alle auslösen. Der Kampf gegen Krieg muss sich auf den Kampf zur Vereinigung der Arbeiterklasse aller Nationen, Rassen und Religionen stützen und gegen den gemeinsamen Feind richten - das kapitalistische Profitsystem.

* Für soziale Gleichheit

Die gleichen Konzerninteressen, die die imperialistische Eroberungspolitik im Ausland diktieren, führen auch zu Angriffen auf den Lebensstandard der Arbeiter. Dies kann nur durch den Aufbau einer politischen Bewegung bekämpft werden, die darauf abzielt, das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die Produktion für Profit abzuschaffen, die Monopolisierung des gesellschaftlichen Reichtums durch eine Elite zu beenden und eine demokratische Kontrolle über das wirtschaftliche Leben zu errichten.

* Für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse

Die einzige Antwort auf den Zusammenbruch des Sozialreformismus besteht im Kampf für eine wirklich sozialistische Perspektive, die danach strebt, die Arbeiterklasse als unabhängige Kraft für die politische Machtübernahme und den Aufbau einer Arbeiterregierung zu mobilisieren.

Siehe auch:
Das Wahlbündnis "Respect" und die Politik des Opportunismus - Teil 1
(2. März 2004)
Eine entlarvende Episode: Wie die britischen Radikalen Ken Livingstone hofieren
( 13. Januar 2004)
Europäisches Sozialforum: Die französische LCR versucht die Opposition gegen die staatstragenden Linksparteien aufzufangen
( 18. November 2003)
Loading