Spanien

Aznar wegen Unterstützung des Irakkriegs abgewählt

Die Parlamentswahlen in Spanien, die mit einer Niederlage der rechtsgerichteten Volkspartei (PP) des scheidenden Regierungschefs José María Aznar endeten, wurden zu einem Referendum über die Unterstützung der Aznar-Regierung für Washingtons Krieg gegen den Irak. Und dies, obwohl Aznar versucht hatte, die Terroranschläge in Madrid, bei denen nur drei Tage zuvor fast 200 Menschen getötet und 1500 verletzt worden waren, zur Rechtfertigung seines Bündnisses mit den USA auszunutzen. Der unerwartete Wahlsieg der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE), die den Einmarsch im Irak kritisiert hatte, erschütterte die bürgerlichen Regierungen weltweit - besonders in Washington und London.

In den Wahlen äußerte sich die breite, tiefe und starke Ablehnung der Bevölkerung gegenüber dem Krieg und den regierungsamtlichen Lügen, mit denen er einherging. Diese Stimmung beschränkt sich keineswegs auf Spanien. Sichtbar wurde das ganze Ausmaß der Opposition gegen die Kriegspolitik, die Aznar, der britische Premierminister Tony Blair und allen voran US-Präsident George W. Bush betreiben - eine Opposition, die in ganz Europa und in den USA kaum geringer ist als in Spanien.

Die PSOE wird die Regierung stellen, nachdem sie 42 Prozent der Stimmen erhielt, gegenüber 38 Prozent für die PP. Die Wahlbeteiligung erreichte einen Rekordstand von 77,2 Prozent - 8,5 Prozentpunkte mehr als bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2000.

Die PSOE gewann die größte Anzahl Stimmen, die je eine Partei auf sich vereinigen konnte - 10,9 Millionen, eine Steigerung um 2,8 Millionen gegenüber den Wahlen des Jahres 2000. Die Stimmenzahl der PP ging um 700.000 zurück. Besonders Erstwähler entschieden sich überdurchschnittlich häufig für die PSOE.

Die hohe Wahlbeteiligung ist weitgehend darauf zurückzuführen, dass sich viele unentschlossene Wähler nach den Bombenanschlägen in letzter Minute doch noch entschieden, an die Urne zu gehen. Mit der Abwahl der Volkspartei quittierten sie die ersten, völlig unbegründeten Behauptungen der Regierung, dass es klare Beweise für die Täterschaft der baskischen Separatistenbewegung ETA gebe. Als nach und nach immer mehr Hinweise auf die Schuld der al-Qaida bekannt wurden, griff unter den Spaniern, die in ihrer überwiegenden Mehrheit von Anfang an gegen den Krieg gewesen waren, die Überzeugung um sich, dass Aznar durch seine Unterstützung für die US-Invasion die Terrorgefahr erhöht hatte und die Regierung folglich eine politische Mitschuld an den tragischen Todesopfern des vergangenen Donnerstags traf.

Aznar galt in den Augen Bushs als wichtiger europäischer Verbündeter, dessen Bedeutung höchstens von Blair übertroffen wurde. Das Wall Street Journal bezeichnete seine Abwahl als "empfindlichen Schlag gegen Präsident Bushs Politik der Bekämpfung des islamischen Terrorismus und der Umgestaltung des Mittleren Ostens." Die Zeitung fuhr fort: "Die Sozialisten appellierten in ihrem Wahlkampf an die breite Opposition gegen den Irakkrieg, sodass die Partei eindeutig von den Anschlägen in Madrid profitierte, obwohl weder die baskischen Separatisten noch al-Qaida als Täter feststanden."

Die britische Zeitung Independent kommentierte: "Der plötzliche Machtverlust der spanischen Regierungspartei PP, die an der Seite Tony Blairs konsequent George Bushs ‚Krieg gegen den Terror' unterstützt hatte, kommt einem politischen Erdbeben gleich. Der Vorsprung, den Bush im Kampf um seine Wiederwahl ursprünglich innehatte, ist aufgrund der Unzufriedenheit wegen des Iraks ohnehin geschrumpft, und Blairs Glaubwürdigkeit wurde durch seine falsche Begründung des Kriegs beschädigt. Der Umschwung in Spanien könnte die politische Landschaft für die drei Haupthelden des Kriegs gegen Saddam von Grund auf verändern."

Die Wahlen durchbrachen das von den Medien verbreitete falsche Bild eines breiten Konsens in der spanischen Bevölkerung zur Unterstützung der rechtskonservativen Politik von Aznar, Bush und Blair. Sie brachten die wichtige politische Tatsache ans Licht, dass diese Regierungen auf einer sehr schmalen sozialen Basis ruhen.

Der unmittelbare Auslöser für Aznars Sturz bestand darin, dass seine Regierung sichtlich ohne Beweise und wider besseres Wissen der ETA die Schuld an den Bombenanschlägen zuschob. Vor aller Augen versuchte die Regierung, die Empörung der Bevölkerung über die Terroranschläge zu manipulieren und auszunutzen. Die Wut über diese Skrupellosigkeit mündete in den Wahlsieg der PSOE.

Die PP war deshalb krampfhaft bemüht, die ETA zum Täter zu erklären, weil Aznar sich als entschiedenster Gegner ihrer Terrortaktik und als Wächter der territorialen Unversehrtheit Spaniens dargestellt hatte. Im Wesentlich hatte Aznar versucht, das Augenmerk der Öffentlichkeit auf diese Fragen zu konzentrieren, um von seinen Haushalts- und Sozialkürzungen abzulenken. Gleichzeitig befürchtete die Regierung - zu Recht, wie sich herausstellte - dass es auf die PP und ihren Spitzenkandidaten Mariano Rajoy zurückschlagen würde, wenn die Öffentlichkeit zu der Auffassung käme, dass die Bombenanschläge auf das Konto der al-Qaida gingen.

Die überwiegende Mehrheit der spanischen Bevölkerung - in Umfragen waren es 90 Prozent - war gegen den Irakkrieg. Im Herbst und Winter 2003 gingen Millionen auf die Straße, um gegen die Kriegsvorbereitungen zu protestieren. Aznar hatte sich ähnlich wie sein britischer Amtskollege Tony Blair dreist über den Willen der eigenen Bevölkerung hinweggesetzt, indem er das koloniale Unterfangen der USA unterstützte.

Wenige Minuten nach den Anschlägen von Madrid machten Sprecher der Volkspartei in öffentlichen Erklärungen die ETA dafür verantwortlich. Am Nachmittag desselben Tages wies Außenministerin Ana Palacio ihre Botschafter an: "Sie sollten bei jeder Gelegenheit die Verantwortung der ETA für diese brutalen Angriffe unterstreichen."

Zunächst schien die Taktik der PP aufzugehen. Der Wahlkampf wurde ausgesetzt, und für den 12. März rief die Regierung einen nationalen Tag der Trauer und Gedenkens aus.

Obwohl dieser Tag offiziell keinen parteipolitischen Charakter haben sollte, sorgte die PP dafür, dass überall reichlich Transparente gegen die ETA verteilt wurden, bevor elf Millionen Menschen - ein Drittel der spanischen Bevölkerung - auf die Straßen gingen. Die Regierung bezeichnete die Demonstrationen als Solidaritätsbekundungen "mit den Opfern, mit der Verfassung und für den Sieg über den Terrorismus". Der Hinweis auf die Verfassung des Jahres 1978 implizierte eine Täterschaft der ETA, da diese Verfassung die territoriale Unversehrtheit und Einheit des spanischen Staates bekräftigt.

Die PSOE unterstützte die Fiktion unpolitischer Proteste. Ihr Führer, José Luis Rodríguez Zapatero, soll seine Partei angewiesen haben, jede Debatte darüber, dass die PP möglicherweise die wahren Urheber der Gräueltaten vertusche, zu unterlassen. Die Kundgebungen von zwei Millionen Menschen in Madrid und anderen Städten verliefen weitgehend schweigend, sodass oberflächlich der Eindruck der nationalen Einheit verstärkt wurde, den die Medien eifrig verbreiteten.

Washington und London bildeten sich ein, dass auch sie die Tragödie von Madrid ausschlachten könnten, um den "Krieg gegen den Terror" nochmals als legitim zu rechtfertigen. Man wollte die Anschläge zum 11. September Europas erklären - nicht nur, weil es furchtbare Schreckenstaten war, sondern auch, weil man sich ein weiteres Signal für einen Rechtsruck der Innen- und Außenpolitik versprach.

Bush legte vor der spanischen Botschaft in Washington einen Kranz nieder und hielt eine Ansprache, in der er Aznar als Verbündeten und Gegner der ETA lobte. Blair, der britische Außenminister Jack Straw und andere hielten Reden über den Terrorismus als neuer Bedrohung des Weltfriedens und stellten zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen in Aussicht.

Doch das Erscheinungsbild nationaler Einheit in Spanien war trügerisch. Im Laufe des Wochenendes staute sich in der Bevölkerung immer mehr Wut auf die PP an, die weiterhin die ETA als Hauptverdächtige bezeichnete, obwohl immer mehr Beweise für das Gegenteil auftauchten.

Die ETA selbst bestritt zwei Mal jede Verantwortung. Der Radiosender Cadena SER zitierte Vertreter des Geheimdienstes mit den Worten, sie seien zu 99 Prozent sicher, dass die Angriffe von islamischen Extremisten begangen worden seien. Fünf Männer, unter ihnen drei Marokkaner, wurden verhaftet. Einem von ihnen werden Verbindungen zu einer Gruppe vorgeworfen, die der al-Qaida nahe steht.

Am Morgen des Wahltages meldete die Regierung schließlich, in einem Abfallbehälter sei ein Videoband gefunden worden, auf dem ein Mann, der sich als Oberbefehlshaber der al-Qaida in Europa bezeichne und bei dem es sich um Abu Dujan al-Afghani handele, die Verantwortung für die Bombenanschläge übernehme und diese als "eine Antwort auf Eure Kollaboration mit den Verbrechern, Bush und seinen Verbündeten" bezeichne.

Ob diese Beweise authentisch sind, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass die PP-Regierung keine stichhaltigen Beweise für die von ihr behauptete Täterschaft der ETA vorlegen konnte. Innenminister Angel Acebes sah sich veranlasst, öffentlich zu dementieren, dass die Regierung "Beweise verfälscht oder versteckt" habe. Doch es half alles nichts mehr.

Im Laufe des Samstags, des 13. März, eskalierten die wütenden Proteste gegen die Volkspartei. Etwa 5.000 Menschen versammelten sich vor der Zentrale der Volkspartei und riefen: "Unsere Toten, Euer Krieg!" In der baskischen Stadt Bilbao protestierten 8.000.

Am Wahltag spitzte sich die Lage weiter zu. Als Mariano Rajoy in der Nähe von Madrid seine Stimme abgab, wurde er von Demonstranten als "Mörder" beschimpft. Aznar und seine Frau wurden während der Stimmabgabe ausgebuht und bedrängt.

Doch ungeachtet der starken und breiten Opposition, die zum Fall der Volkspartei führte, weist die Wahl der PSOE keinen Weg vorwärts für die Arbeiterklasse in Spanien oder anderswo. Diese bürgerliche Partei des spanischen Establishments hat völlig unverdient von der Massenopposition gegen Aznar und den Irakkrieg profitiert.

Zapatero führte eine populistische Kampagne gegen Aznars Beteiligung am Irakkrieg, sein Bündnis mit Bush und die rechte Innenpolitik der Regierung. Er sagte, er sei für den Rückzug der 1.300 spanischen Soldaten aus dem Irak. Einmal erklärte er sogar, er wünsche, dass Bush die amerikanische Präsidentenwahl verliere.

Man sollte derartige demagogische Äußerungen nicht wörtlich nehmen. Die PSOE hat nicht nur vor der Wahl geschwiegen, als die Volkspartei Lügen und verfälschte Informationen über die Bombenanschläge von Madrid verbreitete, Zapatero hat seinen geschlagenen Gegnern auch nach der Wahl sofort die Hand gereicht. Er pries Rajoy als "würdigen Gegner" und bot ihm seine "Zusammenarbeit in staatsbezogenen Angelegenheiten" an.

Zapatero sagte, er werde sich im Parlament mit nahezu allen politischen Gruppen verständigen und einen "kontinuierlichen und permanenten Dialog" führen. Er versprach, sich regelmäßig mit der Volkspartei zu treffen, um "die Einheit der politischen Kräfte im konzentrierten Kampf gegen den Terrorismus" sicherzustellen.

Sein Einheitsangebot erstreckte sich auch auf die USA. Er sagte: "Meine Regierung wird freundschaftliche Beziehungen zu allen Regierungen der Welt unterhalten und natürlich auch zu den USA." Er trat für eine große, internationale Allianz gegen den Terror ein und verlangte ein Ende "unilateraler Kriege".

Zapateros Gegnerschaft gegen den Irakkrieg und die Besetzung des Landes ist rein pragmatisch und taktischer Natur. Sie bringt die Besorgnis eines Teils der spanischen Bourgeoisie zum Ausdruck, die der Ansicht ist, Aznar habe sich zu eng und zu unkritisch den USA angeschlossen. Der zukünftige Regierungschef tritt dafür ein, die "traditionelle Achse der spanischen Außenpolitik" wieder zu beleben, insbesondere die enge Zusammenarbeit mit Deutschland und Frankreich. Er betrachtet dies als Möglichkeit, die unilateralen Bestrebungen Washingtons zu zügeln und sicherzustellen, dass die europäischen Mächte ihren Anteil an der Ausbeutung des Nahen und Mittleren Ostens und anderer Regionen erhalten.

Zapatero hat sein Versprechen, die spanischen Truppen aus dem Irak zurückzuziehen, mit Vorbehalten versehen. Er sagte, er werde dies bis zum 30. Juni bewerkstelligen, "falls bis dahin nicht die UNO die Kontrolle übernimmt" oder "eine richtige Verfassung in Kraft ist". Das gibt ihm ziemlich viel Manövrierraum. Washington beabsichtigt nämlich, bis zum 30. Juni ein formelles Marionettenregime zu installieren und den Irak auf dieser Grundlage für souverän zu erklären.

In Spanien selbst wird die PSOE nicht wesentlich von der rechten Austeritätspolitik der Aznar-Regierung abweichen. Sie ist entschlossen, die wirtschaftlichen Auflagen der Europäischen Union in jeder Hinsicht zu erfüllen, was verschärfte Angriffe auf Arbeitsplätze und Sozialleistungen bedeutet. Ihre uneingeschränkte Unterstützung des "Kriegs gegen den Terror" hat außerdem zur Folge, dass sie die Angriffe auf demokratische Rechte fortsetzen wird, die mit den Erfordernissen dieses Kriegs gerechtfertigt werden.

Loading