Weshalb sabotieren IG Metall und Betriebsrat den Kampf bei Opel?

Selten zuvor bekamen Arbeiter auf einer Demonstration derart offen die Feindschaft von Gewerkschaften und Betriebsräten zu spüren, wie am vergangenen Dienstag während des europäischen Aktionstags gegen die angekündigten Massenentlassungen bei General Motors.

In Rüsselsheim attackierte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Opel, Klaus Franz, die streikenden Kollegen in Bochum und warf ihnen Egoismus vor. Ihr spontaner Streik sei ein Solidaritätsbruch, weil die europäischen Betriebsräte beschlossen hätten, dass "wir nur gemeinsam handeln" - und erst einmal verhandeln. Es dürfe nicht zu einer Situation wie 1998 in Flint (USA) kommen, als ein sinnloser Arbeitskampf zu großen Verlusten geführt habe. Durch den damaligen Streik der amerikanischen Arbeiter sei die GM-Aktie "nachhaltig geschädigt" worden.

Während die Kundgebungsteilnehmer Transparente und Schilder mit der Aufschrift "Verteidigung aller Arbeitsplätze an allen Standorten" trugen, erklärte Franz: "Ich warne vor der Illusion, dass der Kelch des Personalabbaus an uns vorübergeht, oder dass es mit ein paar Hundert abgebauten Stellen getan wäre". GM befinde sich seit fünf Jahren in der Verlustzone.

Franz bot dem Konzern weitgehende Zugeständnisse an. "Wir waren und sind bereit, im Dialog eine Lösung zu suchen." Man sei auch zu Opfern bereit - "für die Zukunft unserer Kinder" -, solange der Einkommensverlust nicht die zehn Prozent erreiche.

In Bochum durfte kein streikender Arbeiter auf der Kundgebung sprechen, obwohl viele Teilnehmer nur gekommen waren, um sich mit den streikenden Kollegen zu solidarisieren und ihnen zuzuhören. Statt dessen riefen IG Metall-Funktionäre und Betriebsräte gemeinsam mit dem katholischen Ruhrbischof und dem Präses der evangelischen Kirche dazu auf, den Streik schnellstmöglich zu beenden.

Nachdem sich die Spätschicht am Dienstag trotzdem weigerte, die Arbeit wieder aufzunehmen, und eine Abstimmung der gesamten Belegschaft forderte, organisierten Betriebsrat und IG Metall ein bürokratisches Manöver, das selbst für Gewerkschaftsstandards beispiellos ist. Obwohl "freie Aussprache" vereinbart war, sprachen auf der Belegschaftsversammlung am Mittwoch nur drei Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre und versuchten, die Belegschaft nach Strich und Faden einzuschüchtern. Das Podium und die Mikrophone wurden vom Werkschutz abgeschirmt.

Auf dem Stimmzettel für die schriftliche Abstimmung war die Frage, ob die Arbeit wieder aufgenommen werden soll, mit der Frage verknüpft: "Soll der Betriebsrat die Verhandlungen mit der Geschäftsführung weiterführen?" Wer die Arbeitsverweigerung fortsetzen wollte, musste sich also gleichzeitig für den Abbruch aller Verhandlungen aussprechen. Selbst unter diesen Bedingungen stimmte fast ein Drittel der Arbeiter für die Weiterführung des Streiks.

Es ist nicht zum ersten Mal, dass Betriebsräte und IG Metall einen Arbeitskampf sabotieren und streikenden Arbeitern in den Rücken fallen. Doch bisher war dies meist gegen Ende einer Konfrontation der Fall, wenn - nach oft wochenlangen Auseinandersetzungen - die Gewerkschaften einen Ausverkauf unterzeichnet hatten. Dass jetzt die Konfrontation mit der IG Metall und der Betriebsratsmehrheit gleich zu Beginn des Konflikts stattfindet, zeigt, wie grundlegend sich die Situation verändert hat.

Eine neue Runde weltweiter Angriffe

Die Ankündigung der GM-Konzernleitung, in Europa 12.000 Arbeitsplätze abzubauen und massive Kürzungen durchzusetzen, leitet eine neue Runde von Angriffen auf die Arbeiterklasse ein - und zwar nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit.

Am selben Tag, an dem die Arbeiter in Bochum zur Wiederaufnahme der Arbeit genötigt wurden, kündigte die Konzernleitung die Entlassung von 900 der 5.500 Beschäftigten im Pontiac Nutzfahrzeug-Montagewerk bei Detroit an. Ab Januar soll in diesem Werk eine Schicht gestrichen werden. GM begründet dies mit seiner schlechten Finanzlage und ungünstigen Absatzprognosen für das nächste Jahr. Im laufenden Jahr ist der Absatz der im Pontiac-Werk produzierten Pickup-Trucks noch erheblich gestiegen! Das Unternehmen nutzt seine globale Stellung rücksichtslos aus, um einen Standort gegen den anderen auszuspielen und die Beschäftigten zu immer neuen Zugeständnissen zu erpressen. Es hat die Möglichkeit, die Produktion nach Polen, nach Asien oder nach China zu verlagern, wo selbst Hungerlöhne von 5 Euro wie in Polen noch als viel "zu hoch" gelten.

GM ist dabei kein Einzelfall. Bei Siemens, DaimlerChrysler und VW kann man dasselbe erleben. Überall werden die Belegschaften gegeneinander ausgespielt und mit der Drohung der Produktionsverlagerung erpresst. Die Abwärtsspirale, die so in Gang gesetzt wird, führt ins Bodenlose.

Weder die SPD, noch die Gewerkschaften und Betriebsräte haben dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Ihre Perspektive ist von der Ideologie der "Sozialpartnerschaft" geprägt, der grundsätzlichen Übereinstimmung der Interessen von Kapital und Arbeit. Selbst in den sechziger und siebziger Jahren, als sie noch Verbesserungen und Zugeständnisse erreichten, hatten sie stets auch das Interesse des Kapitals im Sinn. "Man darf die Kuh nicht schlachten, die man melken will", lautete damals eine der gängigen gewerkschaftlichen Weisheiten.

Auch jetzt erklärt jeder Betriebsrats- und Gewerkschaftssprecher wieder gebetsmühlenhaft, er habe "großes Verständnis für die Probleme des Betriebes". Doch unter den Bedingungen der Globalisierung führt die Rücksicht auf die Konzerninteressen direkt in die Katastrophe. Sie macht die Gewerkschaften "erpressbar bis zur Kinderarbeit", wie es ein Bochumer Betriebsrat schon vor Jahren formulierte.

Während Spitzenmanager und Kapitaleigner riesige Summen aus der Produktion herausziehen und für private und politische Zwecke verwenden; während GM zu den wichtigsten Spendern des Wahlkampfs von George W. Bush gehört (der gegenwärtige Stabschef im Weißen Haus, Andrew H. Card, stand lange Jahre als Lobbyist in den Diensten von GM, bevor er im Herbst 2000 in den Führungszirkel um Präsident Bush nach Washington kam); während die Spitzengehälter der Manager ins Unermessliche steigen - starren Gewerkschaft und Betriebsrat gebannt auf die negativen Konzernbilanzen und predigen Opfer und Verzicht.

Am Tag des Streikabbruchs in Bochum unterschrieben Betriebsrat und Geschäftsleitung eine "Gemeinsame Erklärung", in der es heißt: "Beide Seiten verfolgen das Ziel, die Standorte Rüsselsheim und Bochum soweit wettbewerbsfähig zu machen, dass sie über 2010 hinaus als Automobilwerke erhalten werden können." Bereits am nächsten Tag wurde deutlich, was diese Vereinbarung bedeutet. Im Werk Rüsselsheim wird die Nachtschicht abgeschafft und die Entwicklungsabteilung deutlich reduziert. Dadurch werden 3.200 Beschäftigte ihre Arbeit verlieren.

Man muss mit Betriebsrat und IG Metall brechen

Die Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre sind fest verankert in den Konzeptionen der Mitbestimmung und Klassenzusammenarbeit. Sie können nicht anders - und sie wollen nicht anders. Die Kaltschnäuzigkeit, mit der sie am Dienstag in Bochum den Streik abgewürgt haben, macht deutlich, dass sie auch in Zukunft mit Werkschutz und Polizei reagieren werden, wenn sie die "Sozialpartnerschaft" gefährdet sehen. Sie saßen über Jahre hinweg mit den Managern in den Aufsichträten und haben die selben Tantiemen eingestrichen. Jetzt sehen sie ihre Hauptaufgabe darin, für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Man muss sich nur den Werdegang einiger dieser Bürokraten und Co-Manager ansehen. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz ist ein besonders abstoßendes Exemplar dieser Spezies. Noch heute ist er mit Außenminister Joschka Fischer (Grüne) befreundet. Beide kennen sich seit Anfang der siebziger Jahre, als sie - gemeinsam mit dem Bankierserben und späteren Stadtkämmerer Tom Koenigs und dem heutigen Europaabgeordneten der Grünen Daniel Cohn-Bendit - in der Frankfurter "Sponti-Szene" aktiv waren.

Mitte der siebziger Jahre begann Franz als Autolackierer bei Opel und stieg Anfang der achtziger Jahre im Betriebsrat die Karriereleiter hoch. Heute sitzt er als stellvertretender Vorsitzender im Aufsichtsrat des Unternehmens und hat nach eigenen Bekunden mehrere "Standortsicherungsverträge" mit jeweils drastischem Lohn- und Sozialabbau ausgearbeitet. Auch das Sanierungsprogramm "Olympia" trägt seine Handschrift, schreibt Die Welt und preist ihn als kompetenten Co-Manager, der auch bei der Konzernleitung "großen Respekt" genieße.

Im vergangenen Jahr spielte er eine wichtige Rolle beim Ausverkauf des Metallarbeiterstreiks in Ostdeutschland. Nachdem er beim anschließenden Stühlerücken an der IG Metall-Spitze nicht zum Zuge kam, wird er bei Opel als Kandidat für einen Spitzenposten im Management gehandelt.

Die Lehre aus dem Streikbruch in Bochum ist eindeutig: Es ist unmöglich gegen die Angriffe der Konzernleitung zu kämpfen, ohne mit dem Betriebsrat und der IG Metall zu brechen. Die Arbeitklasse braucht eine grundlegend neue Orientierung. Sie muss sich politisch und organisatorisch neu aufstellen.

Ein sozialistisches Programm

Der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit lässt sich weder versöhnen, noch durch Kompromisse aus der Welt schaffen. Das bedeutet, dass Arbeitsplätze und soziale Errungenschaften nur im Rahmen eines sozialistischen Programms verteidigt werden können, das die Arbeiter über die Grenzen hinweg zusammenschließt. Es ist notwendig sich auf eine lange politische Auseinandersetzung vorzubereiten. Als Antwort auf den Bankrott der Sozialdemokratie und ihres Programms der Klassenversöhnung, muss sich die Arbeiterklasse einer sozialistischen Perspektive zuwenden.

Im Mittelpunkt eines sozialistischen Programms steht die internationale Vereinigung der Arbeiter. Es geht nicht nur um die Probleme in diesem oder jenem Betrieb. Die Angriffe der Konzerne bedrohen die Arbeiterklasse und die gesamte Gesellschaft überall auf der Welt. In den unterentwickelten Ländern nicht minder, als in den Industriemetropolen.

Die Verbindung zu den anderen Standorten darf nicht länger den Gewerkschaften und Betriebsräten überlassen werden, die hinter ihren Phrasen über Solidarität daran mitarbeiten, einen Standort gegen den anderen auszuspielen.

Eine internationale Strategie muss direkt mit einer sozialistischen Perspektive verbunden sein. Die Drohungen des GM-Vorstands - aber auch die Maßnahmen bei Siemens, DaimlerChrysler, Volkswagen oder Karstadt - machen deutlich, dass die Profitinteressen der Konzerne und Banken mit den grundlegenden Bedürfnissen und Interessen der Bevölkerung nicht mehr vereinbar sind. Letztere müssen aber an erster Stelle stehen.

Alle wichtigen Konzerne müssen unter die demokratische Kontrolle der Gesellschaft gestellt werden. Das Privateigentum an Produktionsmitteln endet dort, wo es den Interessen des Gemeinwohls, das heißt der Bevölkerung, zuwiderläuft. Diese demokratische Kontrolle muss auch im Betrieb aufgebaut werden. Arbeiter sollten den Geheimverhandlungen der Betriebsräte und Gewerkschaften mit der Geschäftsleitung offen ihr Misstrauen aussprechen und deren Ergebnisse von vorneherein als "null und nichtig" ablehnen. Als anerkannte Belegschaftsvertreter sollten nur diejenigen gewählt werden, die sich dem Diktat der Konzernleitung nicht beugen und bedingungslos die Interessen aller Arbeiter an allen Standorten vertreten.

Die Belegschaft muss ständig über alle Verhandlungen auf allen Ebenen informiert werden. Die Schweigepflicht darf nicht akzeptiert werden. Die Geschäftsbücher und alle Unternehmenspläne, die die Belegschaft betreffen, müssen offengelegt werden.

Es handelt sich um einen politischen Kampf, der den Aufbau einer neuen Partei erfordert. Das wichtigste Instrument zum Aufbau einer neuen internationalen sozialistischen Partei ist die World Socialist Web Site (WSWS). Sie verbindet die betrieblichen Kämpfe mit politischen Analysen aller wichtigen Ereignisse weltweit und leitet ein neues Stadium in der politischen Entwicklung der Arbeiterklasse ein. Lest und engagiert euch für die WSWS. Nehmt Kontakt mit der Redaktion auf und informiert sie über wichtige Entwicklungen. Kommt zu den Lesekreisen der WSWS!

Siehe auch:
Wie weiter nach der Niederlage bei General Motors? - Eine Bilanz des achtwöchigen Arbeitskampfs in den USA
(20. August 1998)
Streiks gegen Entlassungen bei General Motors in Europa
( 31. Januar 2001)
Opel-Arbeiter vor massivem Stellenabbau und Lohnsenkungen in ganz Europa
( 11. September 2001)
Der Kampf bei Opel wirft grundlegende politische Fragen auf
( 19. Oktober 2004)
Opel erpresst Belegschaft mit drohender Werksschließung
( 25. September 2004)
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