Die politische Laufbahn von Papst Benedikt XVI: Theokratie und gesellschaftlicher Rückschritt

Die Ernennung von Kardinal Joseph Ratzinger zum neuen Papst ist ein klares Signal, dass der Vatikan seinen Einfluss nutzen will, um den reaktionärsten politischen Kräfte innerhalb der herrschenden Eliten weltweit und insbesondere in Europa den Weg zu bereiten.

Ratzingers lange Geschichte als Vollstrecker der Kirchendoktrin und Berater von Papst Johannes Paul II. weist deutlich darauf hin, dass er sich als Papst Benedikt XVI. nachdrücklich in politische Angelegenheiten einmischen und Fragen wie Abtreibung und Homosexualität dazu benutzen wird, um der Entwicklung einer gesellschaftlichen Basis für eine rechte Politik und für rechte Parteien Vorschub zu leisten.

Der neue Papst unterhält enge Verbindungen zu ultrakonservativen Fraktionen innerhalb der katholischen Kirche, unter anderem zu Opus Dei, die dem demokratischen Kernprinzip der Trennung von Staat und Kirche feindlich gegenüberstehen und die Kirche über zivile Autoritäten stellen möchten. Solche theokratischen Tendenzen werden von den Parteien der Rechten zunehmend in ihr ideologisches Arsenal aufgenommen, um gegen die sozialen und demokratischen Errungenschaften vorzugehen, die im Laufe des 20. Jahrhunderts gemacht worden sind.

Eines der krassesten Beispiele für Ratzingers Einmischung in die politischen Angelegenheiten eines Landes war seine Rolle bei der US-Präsidentschaftswahl 2004. Eine Reihe von amerikanischen Bischöfen erklärte im Vorfeld der Wahlen, dass sie dem Kandidaten der Demokratischen Partei John Kerry, einem Katholiken, wegen seiner Befürwortung des Rechts auf Abtreibung die Heiligen Kommunion verweigern würden. Ihre Einmischung in die Wahl stellte eine offene Verletzung der in der US-Verfassung verankerten säkularen Grundlagen des Staates dar und war gleichbedeutend mit einem religiösen Aufruf an alle Katholiken, George W. Bush zu wählen.

Im Juni 2004 hatte Ratzinger eine Richtlinie für die amerikanischen Bischöfe formuliert, die darauf hinauslief, dass der Vatikan den Kirchenvertretern seine Segen gab, die die Abtreibungsfrage benutzten, um von einer Stimmabgabe für die Demokraten abzuraten. In seinem Sendbrief an den Bischof von Washington DC schrieb Ratzinger: "Ein Katholik würde sich der formellen Zusammenarbeit mit dem Bösen schuldig machen und wäre daher unwürdig, die Heilige Kommunion zu empfangen, wenn er deshalb für einen Kandidaten stimmt, weil dieser eine tolerierende Haltung zu Abtreibung und/oder Sterbehilfe einnimmt."

Offensichtlich auf Kerry bezogen schrieb Ratzinger, einem "katholischen Politiker, der sich beständig für die Tolerierung von Abtreibungs- und Sterbehilfegesetzen einsetzt und dafür stimmt", sollte die Kommunion verweigert werden.

Da der Vatikan offiziell gegen die Todesstrafe ist und die amerikanische Invasion im Irak verurteilt hatte, musste Ratzinger spitzfindig werden, um zu rechtfertigen, weshalb die Kirche sich gegen Kerry stellte und nicht gegen Bush. Dieser hatte nicht nur den unprovozierten Angriff gegen den Irak geführt sondern als Gouverneur von Texas auch mehr als 140 Hinrichtungen zugestimmt. "Nicht alle [...] Fragen haben dasselbe moralische Gewicht wie Abtreibung und Sterbehilfe", schrieb Ratzinger. "Es mag selbst unter Katholiken eine legitime Meinungsvielfalt über das Führen eines Krieges und die Anwendung der Todesstrafe geben, aber nicht [...] in Hinblick auf Abtreibung und Sterbehilfe."

Es war kein Zufall, dass Ratzinger seine Stellungnahme wenige Monate vor den Wahlen abgab. Eine Woche zuvor hatte Bush den Vatikan besucht. Nach Informationen der Zeitung Northern Catholic Reporter hatte sich Bush gegenüber Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano, der die vatikanische Diplomatie leitet, beklagt, dass "nicht alle amerikanischen Bischöfe auf meiner Seite stehen". Er bat die Kirche darum, Druck auf die Bischöfe in den Vereinigten Staaten auszuüben, damit diese eine offenere Haltung zu kulturellen Fragen wie Abtreibung und Schwulenehe einnähmen.

Ratzingers Bemerkungen machten die Haltung der Kirche deutlich: Jedem, der Kerry wählte, konnte "formelle Zusammenarbeit mit dem Bösen" vorgeworfen werden. Sein Eingreifen trug dazu bei, dass Bushs Unterstützung unter Katholiken von 46 Prozent im Jahre 2000 auf 52 Prozent im Jahre 2004 stieg.

Eine andere Stellungnahme von Ratzinger im August 2004 stellte einen Versuch der katholischen Kirche dar, sich in die politischen Angelegenheiten Europas einzumischen, indem sie gegen die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union Stellung bezog. Ratzinger sagte in einem Interview mit der französischen Zeitung Le Figaro, die Türkei habe "im Lauf der Geschichte in ständigem Gegensatz zu Europa gestanden" und der türkische Staat repräsentiere "einen anderen Kontinent". Wolle man die beiden Kontinente gleichzumachen, bedeute dies "kulturellen Reichtum wirtschaftlichen Vorteilen zu opfern."

Seine Opposition gegen die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union gründete er offen auf die Tatsache, dass die Türkei ein muslimisch geprägtes Land ist. "Europa hat eine Kultur, die ihm eine gemeinsame Identität gibt. Die Wurzeln, aus denen dieser Kontinent hervorgegangen ist, sind die des Christentums", erklärte er.

Diese Anschauung - die an religiösen Chauvinismus und antimuslimischen Rassismus appelliert - ist zum Markenzeichen rechter und faschistischer Tendenzen in vielen europäischen Ländern geworden.

Der kirchenpolitische Kurs unter Benedikt XVI. ist zudem vorherzusehen, wenn man einen Blick auf die Fraktionen innerhalb der katholischen Kirche wirft, die sich am stärksten für seine Ernennung zum Papst einsetzten. Unter diesen befinden sich Opus Dei und Comunione e Liberazione (Gemeinschaft und Befreiung).

Ratzinger soll früh die nachdrückliche Unterstützung von drei führenden Mitgliedern des Opus Dei erhalten haben. Unter Berufung auf zwei Mitarbeiter von nicht-amerikanischen Kardinälen benannt die Washington Post am 21. April folgende Unterstützer Ratzingers: Julian Herranz Casado aus Spanien, der Präsident des Päpstlichen Rates zur Auslegung des Kanonischen Rechts, Dario Castrillon Hoyos aus Kolumbien, der Präfekt der Kongregation für den Klerus, und Alfonso Lopez Trujillo aus Kolumbien, der Präsident des Päpstlichen Rates für die Familie.

Mitglieder des Opus Dei sind unter Johannes Paul II. stark gefördert worden. Dieser hatte auch Josemaria Escriva, den Gründer von Opus Dei, zum Heiligen erklärt. Escriva, der eine wichtige Stütze des faschistischen Franco-Regimes in Spanien war, hatte Hitler wegen seiner Rolle im Spanischen Bürgerkrieg einst den "Retter der spanischen Kirche" genannt.

Trujillo nahm als Präsident des Päpstlichen Rates für die Familie eine Schlüsselrolle ein, reaktionäre Positionen zu Abtreibung, Geburtenkontrolle, Homosexualität und anderen kulturellen Fragen zu verbreiten. In einer Stellungnahme mit dem Titel "Die Familie und das Leben in Europa" vom 14. Juni 2003 forderte er eine stärkere Einmischung der Kirche in die europäische Politik und argumentierte, "dass man viele übelgesinnte Menschen in den europäischen Ländern zu gegebener Zeit durch das Eingreifen der Bischöfe [...] hätte aufhalten können".

Er forderte die Einrichtung eines "Beobachters", der "die apostolischen Bewegungen, die Politiker und Gesetzesgeber verfolgen [soll] mit dem Ziel, sie zu informieren und zu formen".

Opus Dei unterhält enge Verbindungen zur spanischen Partido Popular (Volkspartei), deren Wurzeln ebenfalls auf das Franco-Regime zurückgehen. Mitglieder der Organisation hatten hohe Staatsämter unter der PP-Regierung von Jose Maria Aznar inne, die im März 2004 abgesetzt wurde.

Diese extrem rechte Fraktion in der katholischen Kirche gewinnt auch immer stärkeren Einfluss auf das politische Establishment der Vereinigten Staaten, was sich insbesondere an der Gestalt des Republikanischen Senators Rick Santorum zeigt. Santorum behauptet, kein Mitglied von Opus Dei zu sein, war aber ein prominenter Gast auf dem Kongress anlässlich des 100. Geburtstags von Escriva, der im Januar 2002 in Rom stattfand. Dort verurteilte er die Rede des US-Präsidenten John F. Kennedy aus dem Jahre 1960, in der Kennedy die Trennung von Staat und Kirche verteidigt und erklärt hatte, dass er der Kirche keinen Einfluss auf seine politischen Entscheidungen gestatten würde.

Die andere katholische Fraktion, die Ratzinger stützte, war Comunione e Liberazione, deren Einfluss insbesondere in Kreisen der wirtschaftlichen und politischen Elite Italiens groß ist. Am 21. April berichtete die Los Angeles Times, dass ein "vielsagendes Zeichen" für Ratzingers Aufstieg das "Begräbnis von Monsignore Luigi Giussani, dem Gründer von Comunione e Liberazione" war. Die Messe, die im Februar stattfand, wurde unter anderem vom italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi besucht. "Ratzinger vertrat den kranken Papst und leitete trotz anderweitiger Erwartungen die Begräbniszeremonie an Stelle von Kardinal Dionigi Tettamanzi, dem Erzbischof von Mailand. Ratzingers Moralpredigt erhielt enthusiastischen Applaus. Auf die Bemerkungen von Tettamanzi, einem rivalisierenden Papstanwärter, reagierte das Publikum mit Schweigen."

Tettamanzi wurde von liberaleren Fraktionen in der katholischen Hierarchie unterstützt. Der begeisterte Empfang für Ratzinger war ein Signal, dass die herrschende Elite Italiens fest hinter ihm steht.

Comunione e Liberazione war erst kürzlich in den Schlagzeilen, weil ein Mitglied, Rocco Buttiglione, von Italien zum Kommissar für Justiz der Europäischen Union bestimmt wurde. Das EU-Parlament verhinderte, dass er dieses Amt einnehmen konnte, weil er Homosexualität als "Sünde" bezeichnet hatte. In der italienischen Politik ist Buttiglione ein Vorkämpfer der Bewegung für die Rücknahme des Rechts auf Abtreibung.

Die amerikanischen Medien verschweigen praktisch vollständig die reaktionäre Einmischung Kardinals Ratzingers bei den Wahlen 2004. Genauso die Demokratische Partei. John Kerry, der die direkte Zielscheibe von Ratzingers Eingreifen war, nannte dessen Beförderung zum Papst "einen großen Zeitpunkt der Hoffnung, Erneuerung und Möglichkeit für die katholische Kirche". Kerry erklärte, er und seine Frau beteten dafür, dass "das Pontifikat von Papst Benedikt XVI. die Welt auf gleiche Weise berühren wird, wie es Johannes Paul II. tat".

Siehe auch:
Papst Benedikt XVI - ein konservativer Dogmatiker
(21. April 2005)