Europäische Mächte drängen in den Libanon

Seit der UN-Sicherheitsrat die Stationierung einer 15.000 Mann starken Truppe im Libanon beschlossen hat, drängen zahlreiche europäische Mächte danach, sich mit eigenen Soldaten daran zu beteiligen.

Frankreich, das maßgeblich am Zustandekommen der UN-Resolution beteiligt war, bekundet seit langem seinen Wunsch, das "Rückgrat" der Truppe zu stellen und deren Kommando zu übernehmen. Es befehligt schon jetzt die 2.000 Mann starke Unifil-Truppe im Südlibanon, die nun entsprechend aufgestockt und mit einem robusten Mandat versehen werden soll.

Italien kündigte am Wochenende an, es werde sich mit bis zu 3.000 Soldaten am Libanon-Einsatz beteiligen. Es gilt als potenzieller Stellvertreter für das Kommando. Auch Schweden und Griechenland haben eine Teilnahme zugesagt, und mit entsprechenden Schritten Spaniens und Polens wird fest gerechnet.

Auch in Deutschland soll die Entscheidung für einen Bundeswehreinsatz im Libanon bereits gefallen sein. Die Regierung hält sich zwar offiziell noch zurück, aber Medienberichten zufolge sind sich die Spitzen der Regierungsparteien über eine deutsche Beteiligung an der UN-Truppe einig.

Den ersten Vorstoß hatte am Wochenende der SPD-Vorsitzende Kurt Beck unternommen. Er sprach sich in einem ARD-Interview überraschend für den Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten aus und stieß damit sowohl in der eigenen wie auch in anderen Parteien auf erheblichen Widerspruch. Bisher galt eine Beteiligung an Militäreinsätzen, die Israel berühren, aufgrund der deutschen Verantwortung für den Holocaust als ausgeschlossen. Zudem hatte es stets geheißen, die Bundeswehr sei durch die Einsätze auf dem Balkan, in Afghanistan, im Kongo und anderswo bis an die Grenzen ihrer Kapazität ausgelastet.

Doch Beck erhielt Unterstützung von anderen Spitzenpolitikern. Das SPD-Präsidium bestätigte in einer Telefon-Schaltkonferenz "einmütig" die Linie des Parteivorsitzenden. Verteidigungsminister Franz Josef Jung und Innenminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) sprachen sich ebenfalls öffentlich für einen Libanoneinsatz aus. Schäuble sagte im ZDF: "Wir wollen uns nicht verweigern. Wir können uns nicht verweigern." Schließlich verkündete auch Bundespräsident Horst Köhler (CDU): "Da können wir uns nicht entziehen."

Am Dienstag meldete der Berliner Tagesspiegel unter Berufung auf Regierungskreise, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Franz Müntefering (SPD), Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hätten sich grundsätzlich für einen Einsatz entschieden. Bestätigt werden soll dies allerdings erst später, unter anderem um keine Widerstände im Bundestag zu wecken, der dem Einsatz zustimmen muss.

Auch das östliche Nato-Mitglied Türkei, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Krisenregion gelegen, will sich am Libanoneinsatz beteiligen. Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hat nach einem Treffen mit führenden Militärs angekündigt, eine formale Entscheidung werde fallen, sobald die UNO ein Einsatzkonzept für die Truppe beschlossen habe.

Gegensätzliche Interessen

Der Libanon-Einsatz gilt als äußerst riskant. Der Waffenstillstand ist erst zwei Tage alt und die Kämpfe können jederzeit wieder aufflammen. Die UN-Resolution, auf deren Grundlage der Waffenstillstand beruht, ist widersprüchlich und wird von den verschiedenen Parteien unterschiedlich interpretiert.

Doch ungeachtet der offenkundigen Risiken drängen die europäischen Regierungen darauf, Soldaten in den Libanon zu schicken - ein untrügliches Zeichen, dass sie damit massive eigene Interessen verfolgen. Dabei sind die Interessen der verschiedenen Akteure keineswegs identisch. Es ist bezeichnend, dass die europäischen Regierungen den Einsatz nicht unter dem Banner der Europäischen Union, sondern getrennt voneinander und in eigener Initiative organisieren.

Frankreich, das als ehemalige Kolonialmacht enge Beziehungen zur libanesischen Oberschicht unterhält, betrachtet die UN-Truppe als Chance, seine Stellung im Nahen Osten zu stärken.

Nach dem Mord an Ministerpräsident Rafiq al-Hariri, einem persönlichen Freund von Präsident Jacques Chirac, hatte Frankreich im vergangenen Jahr eng mit den USA zusammengearbeitet, um Syrien aus dem Libanon zu vertreiben und der so genannten "Zedernrevolution" zum Erfolg zu verhelfen. Auch der mit Syrien verbündeten Hisbollah steht es ablehnend gegenüber. Das bedeutet jedoch nicht, dass Frankreich und die USA dieselben Ziele verfolgen.

Für Washington, das frühzeitig in die israelischen Kriegspläne eingeweiht war und diese voll unterstützte, diente der israelische Angriff auf den Libanon als Vorbereitung und Generalprobe für einen Militärschlag gegen den Iran. Durch die Zerschlagung der Hisbollah, die von der schiitischen Bevölkerung unterstützt wird, sollte ein potentieller Oppositionsherd ausgeschaltet werden. Gleichzeitig dienten die Luftangriffe auf die vergrabenen Stellungen der Hisbollah als Test für die Wirksamkeit von Luftschlägen gegen den Iran, wie der Journalist Seymour Hersh in der jüngsten Ausgabe des New Yorker unter Berufung auf Geheimdienst- und Militärkreise berichtet.

Frankreich, das schon den Irakkrieg abgelehnt hatte, steht den US-Kriegsplänen gegen den Iran äußerst skeptisch gegenüber. Es versucht sich als Sachwalter der gemäßigten arabischen Bourgeoisie auszugeben, die fürchtet, zwischen dem aggressiven Vorgehen der USA und der daraus erfolgenden politischen Radikalisierung der Massen zerrieben zu werden.

Während Washington jeden Kontakt zu Teheran zurückweist, war Paris während des Libanonkriegs bemüht, den Iran in die Verhandlungen einzubeziehen. "Wir betrachten die Iraner mehr denn je als respektierten und wichtigen Akteur", verkündete der französische Außenminister Philippe Douste-Blazy am 31. Juli während eines Besuchs in Beirut. Und unmissverständlich an die Adresse Washingtons und Jerusalems gerichtet fügte er hinzu, es sei "offensichtlich, dass wir keine Destabilisierung des Libanon akzeptieren dürfen, die eine Destabilisierung der Region nach sich ziehen könnte". Der Iran sei "ein großes Land, ein großes Volk und eine große Zivilisation, das respektiert wird und eine stabilisierende Rolle in der Region spielt".

Obwohl sich die französische Haltung im Libanon nur in Nuancen von der amerikanischen unterschied, bemühten sich regierungsnahe Medien - wie die Tageszeitung Le Figaro -Frankreich als großen Gegenspieler der USA darzustellen. Sie feierten die Sicherheitsratsresolution zum Libanon, die weit hinter den Ansprüchen Washingtons und Jerusalems zurückblieb, als großen Erfolg der französischen Diplomatie.

Deutschlands Rolle

Die deutsche Außenpolitik ist dagegen uneingeschränkt pro-israelisch. Sie steht in dieser Hinsicht der amerikanischen wesentlich näher als der französischen. Während des gesamten Kriegs war aus Berlin nicht ein Wort der Kritik an der israelischen Kriegsführung zu vernehmen.

In der offiziellen Debatte über die Entsendung der Bundeswehr wird denn auch gar nicht versucht, den Eindruck der Unparteilichkeit zu vermitteln. Als einer der häufigsten Gründe für den Einsatz deutscher Truppen wird die "Sicherung der staatlichen Existenz Israels" genannt, die, so Regierungssprecher Thomas Steg, eine "Grundkonstante der deutschen Außenpolitik" sei.

Um zu verhindern, dass es zu Konflikten zwischen deutschen und israelischen Soldaten kommt, soll die Bundeswehr nicht im Südlibanon an der Grenze zu Israel zum Einsatz kommen. Stattdessen sollen laut den bisher bekannten Plänen die Bundesmarine die libanesische Küste und Bundespolizisten die libanesisch-syrische Grenze bewachen, um den Waffennachschub an die Hisbollah zu unterbinden.

Sowohl der israelische Regierungschef Ehud Olmert als auch der Zentralrat der Juden in Deutschland haben sich ausdrücklich für einen Bundeswehreinsatz im Libanon ausgesprochen. Für die israelische Regierung dürfte dabei eine Rolle spielen, dass sie Deutschland als Gegengewicht zu Frankreich betrachtet. "Sie weiß," schreibt die Frankfurter Rundschau, "dass die Franzosen eine besondere Rolle spielen werden. Sie gelten als eher ‚araberfreundlich’. Da ist es Jerusalem nur recht, wenn Deutsche eine einseitige Orientierung verhindern."

Ähnlich wie Paris pflegt aber auch Berlin gute Beziehungen zu den arabischen Hauptstädten. Obwohl die Kritik an der amerikanischen Nahostpolitik seit der Regierungsübernahme durch Angela Merkel weitgehend verstummt ist, bedroht das aggressive Vorgehen der USA in der Region auch weiterhin die Interessen der deutschen Wirtschaft, für die der Nahe Osten als Öl- und zukünftiger Gaslieferant und als Absatzmarkt eine wichtige Rolle spielt. Daher ist die deutsche Außenpolitik bemüht, das provokative Vorgehen der USA zu unterlaufen.

So versucht Berlin - anders als Paris und Washington, die Syrien systematisch boykottieren - auch Damaskus in ein gemeinsames Vorgehen im Libanon mit einzubeziehen. Nachdem mit Ausnahme des spanischen Außenministers Miguel Angel Moratinos seit Monaten kein ranghoher westlicher Politiker die syrische Hauptstadt besucht hatte, plante Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am gestrigen Dienstag ein Zusammentreffen mit dem syrischen Staatschef Baschar al-Assad. Als Gegenleistung für eine Zusammenarbeit im Libanon sollten Assad engere wirtschaftliche Beziehungen zur EU angeboten werden.

Steinmeier sagte seinen Besuch allerdings in letzter Minute wieder ab, nachdem Assad Israel in einer Rede vor dem syrischen Journalistenverband als "Feind" bezeichnet hatte, mit dem es keinen Frieden geben werde, und die syrische Unterstützung für Hisbollah als "große Ehre" rühmte.

Bezeichnenderweise betonen die Befürworter eines Bundeswehreinsatzes stets, dass ein solcher Einsatz im deutschen Interesse sei. So erklärte Regierungssprecher Thomas Steg am Montag im Namen der im Urlaub weilenden Bundeskanzlerin, ein deutscher Beitrag zu Frieden und Stabilität im Nahen Osten sei eine Frage des "unmittelbaren nationalen Interesses". Neben historischen Gründen, der Sicherung der staatlichen Existenz Israels, führte er auch geopolitische Gründe an: Der Nahe Osten liege in unmittelbarer Nachbarschaft Europas.

Auch andere CDU-Politiker, wie der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Eckart von Klaeden, betonen, die Stabilität des Nahen Ostens liege im "deutschen Interesse". Und der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer sprach in einem taz -Interview sogar von einem "virulenten deutschen Interesse an einer schnellen Eindämmung des Konflikts".

Was ist mit diesem "deutschen Interesse" gemeint?

Zum einen die wirtschaftlichen und politischen Interessen des deutschen Imperialismus in der Region. Eine militärische Präsenz würde es Deutschland leichter machen, diese Interessen gegenüber den Ansprüchen anderer Großmächte, insbesondere der USA zu behaupten.

Zum andern ist mit dem Libanonkrieg und dem unerwarteten Widerstand, auf den die israelische Armee dabei gestoßen ist, ein weiterer Faktor hinzu gekommen. Die Fähigkeit der Hisbollah, der hochgerüsteten israelischen Armee einen vollen Monat lang zu widerstehen, ist Ausdruck einer revolutionären Gärung unter breiten Shichten der Bevölkerung. Sie beschränkt sich nicht auf den Libanon und gefährdet die konservativen arabischen Regimes ebenso wie das israelische und die imperialistischen Interessen in der Region.

Angesichts dieser Gefahr schrumpfen die Gegensätze zwischen den USA, Frankreich und Deutschland. Unter "Stabilität des Nahen Ostens" versteht die deutsche Außenpolitik in erster Linie die Eindämmung dieses revolutionären Potentials. Deshalb schickt sie deutsche Soldaten in das höchst riskante Unternehmen, die Hisbollah zu entwaffnen, während sie gleichzeitig die Kriegsverbrechen Israels rechtfertigt und entschuldigt.

Siehe auch:
Vor Beginn des Waffenstillstands im Libanon: USA und Israel stehen vor politischem Debakel
(15. August 2006)
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