Bad Reichenhall: Dacheinsturz fordert mindestens zwölf Tote

"Das Freizeitparadies mit den günstigsten Preisen". So warb die Eislauf- und Schwimmhalle in Bad Reichenhall im Berchtesgadener Land um Besucher. Doch am Montag nach Neujahr stürzte ein Großteil des Daches der 60 mal 30 Meter großen Eislaufhalle ein und begrub fast fünfzig Menschen unter sich.

Unmittelbarer Auslöser des Einbruchs waren die nassen Schneemassen, die sich seit über 24 Stunden auf dem Flachdach des Gebäudes türmten. Noch am späten Vormittag, so Oberbürgermeister Wolfgang Heitmeier, sei die Schneedecke auf dem Dach gemessen worden. Die Schneelast sei "unter der Marke gewesen, die als Grenze angegeben is.." Es habe kein Grund bestanden, den Schnee sofort vom Dach zu räumen, betonte Heitmeier, der seit acht Jahren für die Freie Wählergemeinschaft e.V. das Amt des Bürgermeisters ausübt.

Da es aber weiterhin ununterbrochen schneite, hätten sich die Mitarbeiter des Stadt-Sportamtes vorsorglich beschlossen, dass geplante Training der Eishockey-Mannschaften abzusagen. Dies geschah um 14.30 Uhr. Die auf dem Eis befindlichen Besucher wurden aber nicht gewarnt und die Halle nicht geräumt. Gegen 16.00 brach das Dach dann in der Mitte zusammen und begrub die gesamte Eisfläche unter sich.

300 Hilfskräfte der Polizei, der Feuerwehr, des Roten Kreuzes, des Technischen Hilfswerks und der Bundeswehr sowie mehrere Rettungshundestaffeln kamen zum Einsatz. Am Dienstag mussten die Bergungsarbeiten wegen akuter Einsturzgefahr der Trümmer stundenlang unterbrochen werden. Erst durch Spezialkräne, die eilig über verschneite Straßen herangebracht wurden, konnte die Suche nach Überlebenden fortgesetzt werden. Insgesamt konnten bisher 34 Verletzte und Schwerverletzte geborgen werden. Zwölf Menschen kamen ums Leben, darunter viele Kinder, drei weitere (eine Frau und zwei Kinder) werden noch vermisst.

Noch lässt sich nicht genau sagen, warum das Dach einstürzte, doch dass die Schneemassen lediglich "das Fass zum Überlaufen brachten", scheint sicher. So sagte der frühere Präsident der Berliner Baukammer im Nachrichtensender N24: "Der Schnee allein kann nicht die Ursache sein."

Seit Jahren sorgte die Anfang der 1970er Jahre errichtete Eislauf- und Schwimmhalle für politischen Zündstoff. Es gab Beschwerden, dass die Halle morsch sei und Regen durch das Dach tropfe. Das Nachrichtenmagazin Spiegel zitierte einen 12-jährigen Jungen, der als häufiger Besucher die Eishalle gut kannte. Er erzählte Reportern, dass es am vergangenen Sonntag "auf einer ganzen Bahnlänge tropfte, da haben sich kleine Hügelchen auf dem Eis gebildet".

Ein anonymer Mitarbeiter der Stadtverwaltung äußerte gegenüber den Medien: "Dass es reingeregnet hat, konnte jeder sehen, der dort mal auf der Tribüne war." Sigrid Schmidt, eine unmittelbare Anwohnerin, erhebt dieselben Vorwürfe. Mit eigenen Augen habe sie im Sommer Kübel auf der Tribüne gesehen, mit denen der Regen aus dem undichten Dach aufgefangen worden sei, und "wegen des Dachs bin ich im vergangenen Jahr nicht zum Eislaufen gegangen".

Seit 2003 war eine Sanierung des Komplexes geplant, aber immer wieder aufgeschoben worden. Oberbürgermeister Heitmeier besteht aber darauf, dass sich das Sanierungsvorhaben nur auf die Schwimmhalle bezog und dass es sich bei dem Wasser am Dach lediglich um Kondenswasser handelte.

Die geplante Sanierung war Teil von Privatisierungsplänen. Die Stadt wollte die Schwimm- und Eislaufhalle in der einen oder anderen Weise loswerden, da die Anlage ein jährliches Defizit von 650.000 Euro verursachte. Die Sanierungskosten hätten sich Presseberichten zufolge auf rund 6 Millionen Euro belaufen. Stattdessen wurden für mehr als 30 Millionen Euro ein neues Luxusbad, die Rupertus-Therme, gebaut sowie für 600.000 Euro die Sanierung einer 150 Meter langen Kurstrasse finanziert. Es wurden auch Gelder für den Bau eines Golfplatzes bereitgestellt sowie für Kurgärten und weitere Prestigeobjekte, mit dem Ziel, gut zahlende Kurgäste anzulocken.

Gleichzeitig erhöhte die Stadt die Eintrittspreise für die Eislauf- und Schwimmhalle und für das Freibad erheblich. Auch die Beitragserhöhung für den Besuch der städtischen Musikschule, die Gebührensteigerung für die Kindergartenplätze sowie die hohen Friedhofs- und Parkgebühren führten zu wachsendem Unmut.

Es wäre aber nicht fair, die Verantwortung allein auf die kommunalen Entscheidungsträger abzuwälzen. Die Bundes- und Landespolitik spielt bei dieser Entwicklung eine große Rolle. Kurorte wie Bad Reichenhall sind von den Auswirkungen der Gesundheitsreform, die von der rot-grünen Bundesregierung in den vergangenen Jahren verabschiedet wurde, stark betroffen. Die drastischen Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen, die dazu geführt haben, dass Kurmaßnahmen kaum noch ärztlich verschrieben werden und als vorbeugende Maßnahmen völlig gestrichen wurden, haben zur Folge, dass die Zahl der Kurgäste dramatisch zurückgegangen ist.

Die alte und neue Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) steht an der Spitze einer Politikerschicht, die für die verheerenden gesellschaftlichen Konsequenzen ihrer Entscheidungen nicht die geringste Verantwortung übernehmen.

Während sich Arbeiterfamilien und der Großteil der Bevölkerung einen Kur-Aufenthalt kaum noch leisten können, orientiert sich die Politik der Kurorte darauf, die Besserverdienenden anzulocken. So kommt es, dass Luxusbäder und exklusive Shopping-Meilen gebaut wurden, während der Erhalt der Eislauf- und Schwimmhalle sträflich vernachlässigt wurde.

Dazu kommt noch, dass mit dem wachsenden finanziellen Druck auf Städte und Kommunen die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen vorangetrieben wird und die staatliche Überprüfung und Kontrolle abnimmt. Während jedes Auto alle zwei Jahre vom technischen Überwachungsdienst überprüft wird, gibt es für öffentliche Bauten wie Schwimmbäder, Eishallen und Bahnhöfe zwar detaillierte Bau-Vorschriften, aber mit Abschluss der Bauarbeiten geht die Verantwortung für die Sicherheit der Bauten auf den jeweiligen Bauherrn über, im hiesigen Fall auf die Stadtverwaltung von Bad Reichenhall, und da gibt es - abgesehen von Brücken - keine gesetzlich verankerte Kontrollpflicht.

Dies hat zur Folge, dass Sonderbauten unter Umständen erst Jahrzehnte nach ihrer Errichtung auf ihre Sicherheit überprüft werden. Das Problem der Sicherheitskontrolle wird noch durch die aufgrund von Sparmaßnahmen unterbesetzten Bauaufsichtsbehörden verschärft.

Mit heftigen Vorwürfen gegen die Verantwortlichen haben Einwohner aus der Region und aus vielen Teilen Deutschlands, Europas und der USA in einem online-Kondolenzbuch der Stadt den Betroffenen ihre Solidarität ausgedrückt. Unter anderem ist dort zu lesen: "Ich bedauere den Vorfall, hoffe aber auch, dass die Verantwortlichen für diese Sauerei gnadenlos zur Rechenschaft gezogen werden! Ich hoffe, es kommen Schadensersatzansprüche in Millionenhöhe auf Sie zu, um endlich die Verantwortung vor den Profit zu stellen."

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