Großbritannien:

Das Euston-Manifest - Ex-Liberale werben für Imperialismus und Krieg

Am 25. Mai soll auf einer Versammlung in London offiziell das "Euston Manifest" vorgestellt werden. Es wird von seinen Autoren als Grundlage für eine "neue progressive demokratische Allianz" beschrieben und von den Medien als wichtiges politisches und Intellektuelles Ereignis behandelt.

Es gibt wohl nur wenige Anlässe, bei denen soviel Wind um so wenig gemacht und der tatsächliche Gehalt so unzutreffend dargestellt wurde.

Das Manifest wurde von einigen ehemals linken oder liberalen Akademikern und Journalisten geschrieben. Die meisten seiner prominenten Befürworter haben den Irakkrieg verteidigt, und zwar auf der Grundlage, dass der amerikanische und der britische Imperialismus die Aufgabe hätten, Diktaturen zu bekämpfen und Demokratie zu verbreiten. Angesichts des blutigen Debakels, in das die Invasion und die Besetzung des Irak gemündet haben, versuchen die Autoren jetzt eine neue Rechtfertigung für weitere imperialistische Interventionen auszuarbeiten - zu einer Zeit, da die Vorbereitungen für einen Krieg gegen den Iran schon weit vorangeschritten sind.

Die bekanntesten Persönlichkeiten, die für das Manifest werben, sind Norman Geras, emeritierter Politikprofessor der Universität Manchester, der einst Verbindungen der "New Left" hatte, und Nick Cohen, Kolumnist beim Observer, der die engen Beziehungen der Blair-Regierung zur Wirtschaft kritisiert und gleichzeitig alle Aspekte des so genannten "Kriegs gegen den Terror" entschieden verteidigt.

Sie gehörten zu einer Gruppe von etwa 20 "geistesverwandten Progressiven", die sich im Mai 2005 in einem Pub in Londoner Stadtteil Euston traf. Zu der Gruppe gehören sowohl individuelle Sympathisanten der Labour-Regierung als auch führende Lichter verschiedener Kampagnegruppen und Webseiten, die Labour und den Irakkrieg unterstützen. Viele haben einen links-zionistischen Hintergrund und gruppieren sich jetzt um Engage, die sich der Enttarnung und dem Kampf gegen "linken und liberalen Antisemitismus in der Arbeiterbewegung" widmet.

Vor und während der Irakinvasion 2003 fühlte diese Schicht Oberwasser. Ihre Mitglieder wurden von den Medien hofiert und eingeladen, Gastkommentare zu schreiben, in denen sie die Kriegsgegner als Freunde Saddams verleumdeten. Heute, da die USA und Großbritannien im Irak weithin verabscheut werden, und die Feindschaft gegen den Krieg und die Besatzung in Großbritannien weiter zunimmt, fühlen sich die Autoren des Manifests eindeutig isoliert und in der Minderheit. Diese Erfahrung hat sie aber nicht veranlasst, ihre Verteidigung des Imperialismus zu überdenken.

In dem Manifest heißt es, dass "die Erstunterzeichner dieser Erklärung in der Vergangenheit unterschiedliche Standpunkte zur Militärintervention im Irak eingenommen haben, einige waren dafür, andere dagegen". Die Unterzeichner, die vielleicht einmal gegen den Krieg waren, haben jetzt allerdings keine Probleme mehr, sich mit der Mehrheit der Kriegsbefürworter in der Gruppe zu solidarisieren. Das Manifest versichert, alle seien der Meinung, dass der Sturz des Baath-Regimes mit der "Befreiung des irakischen Volkes" gleichzusetzen sei und die Grundlage für Demokratie gelegt habe.

Das Dokument beginnt mir der Forderung nach "einem neuen politischen Bündnis", das "über die sozialistische Linke hinaus zu egalitären Liberalen und anderen mit zweifelsfrei demokratischem Ruf" reicht.

In Wirklichkeit hat die Euston-Gruppe für das, was sie "sozialistische Linke" nennt, nur Verachtung übrig. Das Manifest besteht in großen Teilen aus Kritik an nicht näher benannten linken Gruppen und Personen, die angeblich die demokratischen Ideale verraten hätten, für deren Verteidigung die Autoren einen Ausschließlichkeitsanspruch erheben. Sie klagen, sie seien "in einem großen Teil der Medien und anderen Foren des heutigen politischen Lebens unterrepräsentiert", und dies obwohl sich die übrige "Linke" "in jüngster Zeit gegenüber diesen Werten ziemlich anpassungsfähig erwiesen" habe.

Anpassungsfähig gegenüber demokratischen Werten verhält sich die Euston-Gruppe selbst. Sie bemüht sich nach Kräften, das Ausmaß der Angriffe auf die Bürgerrechte durch die britische und die amerikanische Regierung klein zu reden. Bezeichnend ist ihre Haltung zum illegalen Krieg gegen den Irak. Sie erklärt einfach, sie sei nicht daran interessiert, "noch einmal im Abfall der Argumente für und wider die Intervention zu wühlen".

Stattdessen verkündet das Manifest: "Wir müssen uns gegen die abgrenzen, die die progressiv-demokratische Zielsetzung hinter einem simplifizierenden ‚Antiimperialismus’ und/oder der Feindschaft gegen die gegenwärtige US-Regierung verschwinden lassen."

Weiter heißt es, die "Verletzung grundlegender Menschenrechtsstandards in Abu Ghraib, in Guantanamo und durch die Praxis ‚außergesetzlicher Überstellungen’" müsse rundheraus als Abweichung von den "universellen Prinzipien" verurteilt werden, für die die demokratischen Länder, besonders die Vereinigten Staaten von Amerika, sich historische Verdienste erworben haben". Aber wer dieser "Abweichung" zuviel Gewicht beimisst, wird der "Anwendung von Doppelstandards" und des moralischen "Relativismus" beschuldigt. Selbst Amnesty International wird angegriffen, weil es einen "grotesken Vergleich zwischen Guantanamo und dem Gulag" gezogen habe.

Hinsichtlich der Vereinigten Staaten greift die Euston-Gruppe dann zu dem Trick, dessen sie ihre Gegner beschuldigt. Sie trifft keinen Unterscheidung zwischen der reaktionären Clique im Weißen Haus und dem amerikanischen Volk und denunziert auf dieser Grundlage jede Opposition gegen die Bush-Regierung als "Anti-Amerikanismus". Die USA seien weiterhin "Heimat einer starken Demokratie mit nobler Vergangenheit und dauerhaften verfassungsmäßigen und gesellschaftlichen Errungenschaften", erklärt das Manifest, und verschleiert damit die Tatsache, dass diese "Errungenschaften" von Seiten der US-Regierung und der herrschenden Elite unter heftigen Beschuss geraten sind.

Ein großer Teil des Dokuments besteht aus Platitüden und Binsenweisheiten. So wird der Terrorismus als "ein Völkerrechts-Verbrechen" bezeichnet und Unterstützung für die demokratischen Prinzipien der Aufklärung bekundet. Letzteres soll andeuten, dass die politischen Gegner der Euston-Gruppe diese Überzeugung nicht teilen.

Die Verfasser des Manifests kramen sämtliche Verleumdungen gegen die Antikriegsbewegung wieder hervor und käuen auch die letzte Rechtfertigung wider, die für die räuberischen Taten Washingtons und Londons jemals ins Feld geführt wurden.

"Linke, die mit demokratiefeindlichen Kräften gemeinsame Sache machen oder sie entschuldigen, müssen klar und deutlich kritisiert werden", erklären sie und werfen Gegner der Besetzung des Irak implizit mit islamischen Fundamentalisten in einen Topf.

Vergebens sucht man eine ähnliche Verurteilung der Rechten und ihrer Unterstützung für demokratiefeindliche Kräfte. An dieser Front ist die Euston-Gruppe bemüht, nur das Positive zu sehen. "Umgekehrt schenken wir auch liberalen und konservativen Stimmen und Ideen Beachtung, wenn sie dazu beitragen, demokratische Normen und Verhaltensweisen und den Kampf für menschlichen Fortschritt zu stärken."

Und wie tragen diese "liberalen und konservativen Stimmen" der Euston-Gruppe zufolge zum Kampf für menschlichen Fortschritt bei? Indem sie den ständigen Rückgriff auf militärische Gewalt unterstützen!

"Eine humanitäre Intervention ist, wenn sie nötig ist, keine Missachtung von Souveränität", versichert das Manifest. Wenn man zum Schluss gelange, dass ein Staat die Rechte seines Volkes verletzt habe, so "ist sein Anspruch auf Souveränität verwirkt, und die internationale Gemeinschaft hat die Pflicht, zu intervenieren und zu Hilfe zu kommen".

Diese Worte könnten von Premierminister Tony Blair persönlich stammen. Er hat sich seit Jahren darauf spezialisiert, gezielt künstliche Empörung über Länder zu schüren, in denen die Großmächte intervenieren wollen, um dort einen "Regimewechsel" als große zivilisatorische Mission erscheinen zu lassen. Eine solche Propaganda war besonders im Zusammenhang mit dem Irakkrieg wichtig, als große Teile der Bevölkerung dagegen waren und Washington und London vollkommen zu Recht im Verdacht hatten, sie wollten lediglich die Vorherrschaft über die Ölvorräte im Nahen Osten sichern.

Mit Hilfe solcher Demagogie wird die Aufmerksamkeit von den Implikationen der Präventivkriegspolitik der Bush-Regierung abgelenkt, die internationale Rechtsgrundsätze, wie die Respektierung der nationalen Souveränität, mit Füßen tritt, sobald sie eine Gefahr für die imperialistischen Interessen der USA wittert. Die Invasion im Irak und die nachfolgenden Ereignisse haben ans Licht gebracht, dass es sich dabei um faule Ausreden handelt. Daher der verzweifelte Versuch der Unterzeichner des Euston-Manifests, eine pseudo-demokratische Rechtfertigung für militärische Aggressionen zu entwickeln.

Diese eigentliche Absicht des Manifests wird von der Zielgruppe der Euston-Gruppe sehr wohl verstanden. Die Gruppe hat von zwei verschiedenen Seiten Rückendeckung erhalten: In Großbritannien haben mehrere Guardian- und Observer -Journalisten, die Labour unterstützen, das Dokument begrüßt. Darunter sind Norman Johnson und Will Hutton, sowie die Journalisten der Financial Times John Lloyd, Julie Burchill und Oliver Kamm, die alle den Irakkrieg unterstützt haben. Kamm ist der Verfasser von Anti-Totalitarianism: The Left-wing Case for a Neoconservative Foreign Policy ("Anti-Totalitarismus: Eine linke Begründung für eine neokonservative Außenpolitik").

Christopher Hitchens schrieb, er sei "geschmeichelt von der Einladung, das Manifest zu unterzeichnen, was ich wahrscheinlich auch tun werde; aber wenn ich zustimme, dann wird es das konservativste Dokument sein, das ich jemals unterzeichnet habe." "Konservativ" ist es für Hitchens vermutlich deshalb, weil es sich offensichtlich an die politische Linke richtet, von der er sich längst verabschiedet hat, um zum erklärten Bewunderer der Neokonservativen in Washington zu werden.

Er braucht sich keine allzu großen Sorgen zu machen, denn das Manifest wird auch vom amerikanischen Neo-Konservativen William Kristol unterstützt. In einem Artikel für den Weekly Standard unter der Überschrift "Ein paar gute Liberale" hat Kristol das Manifest als "beeindruckendes Dokument" bezeichnet. Er fragt, ob es "im Kampf gegen Tyrannei und Terror zu viel verlangt" sei, "zu hoffen, dass anständige Liberale und Konservative gemeinsame Sache machen?" Die Antwort auf seine Frage gab er sich gleich selbst. Er schreibt: "Wir glauben es nicht, und wir hoffen, dass dieser Fanfarenstoß aus Übersee auch unter den amerikanischen Linken zu einer Wiedergeburt von politischem Mut und moralischer Klarheit beitragen möge."

Der Anspruch der Euston-Gruppe könnte nicht vernichtender entlarvt werden als durch Kristols Unterstützung. Als Mitbegründer des "Projekts für das Neue Amerikanische Jahrhundert" und langjähriges Mitglied des American Enterprise Institute, beides notorisch rechte Think-Tanks, hat Kristol schon 1998 Krieg gegen den Irak gefordert, um einen Regimewechsel herbeizuführen, und dabei darauf hingewiesen, dass der Irak über einen "bedeutenden Teil der Weltölvorräte" verfügt.

Kristol hat keine Probleme, hinter der "demokratischen" Kulisse der Euston-Gruppe die entschiedene Hinwendung einer Schicht ehemaliger Liberaler ins Lager der imperialistischen Reaktion zu erkennen.

Siehe auch:
Grüner Militarismus
(25. Mai 2006)
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