IG-Metall und Electrolux einigen sich im Streit um das Nürnberger AEG-Werk

Vertreter von IG- Metall und dem schwedischen Elektrokonzern Electrolux haben sich in der Nacht zum Dienstag in München - in zum größten Teil geheimen Verhandlungen - auf einen Sozialtarifvertrag für die 1.750 Beschäftigten des AEG-Werks in Nürnberg geeinigt.

Das traditionsreiche Stammwerk wird demnach definitiv bis Ende 2007 geschlossen und die Produktion nach Italien und Polen verlegt. Bereits Mitte des Jahres sollen die ersten 500 Mitarbeiter entlassen werden, danach sollen vierteljährlich weitere Entlassungen folgen. Über das Ergebnis der Verhandlungen sollen in Urabstimmungen Ende dieser und Anfang kommender Woche noch die Beschäftigten entscheiden. Nach Angaben der IG Metall könnte dann bereits nächste Woche in Nürnberg wieder gearbeitet werden.

Fünf Wochen lang befinden sich die Beschäftigten des Werkes gegen die geplante Schließung im Streik. Auch die Beschäftigten der ausgegliederten Logistikabeilung in Nürnberg und an anderen Standorten legten die Arbeit nieder. Parallel zur Werkschließung in Nürnberg plante Electrolux die Änderung der Tarifzugehörigkeit für die eigenständigen GmbHs, was mit erheblichen Lohneinbußen verbunden gewesen wäre.

Kernpunkte der ausgehandelten Vereinbarung sind die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 1,8 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr und die Eingliederung der gekündigten Mitarbeiter in eine Beschäftigungsgesellschaft für die Dauer von einem Jahr. Darüber hinaus sollen für Beschäftigte über 53 Jahre großzügigere Vorruhestandsregelungen gelten. Für die ausgegliederten Abteilungen soll ein Haustarif erstellt werden. Einzelheiten sind noch nicht bekannt, als sicher gilt allerdings, dass die wöchentliche Arbeitszeit von derzeit 35 Stunden auf bis zu 38,5 Stunden erhöht werden soll.

Die Einigung, mit der die Schließung des Werkes zementiert wird, ist ein Schlag ins Gesicht der gesamten AEG-Belegschaft, die ihre Arbeitsplätze nicht tatenlos der Profitgier des Konzernmanagements opfern wollte. Der Arbeitskampf genoss große Sympathie und Unterstützung bei den Belegschaften anderer Unternehmen und der arbeitenden Bevölkerung insgesamt.

Das Ergebnis, das Gewerkschaft und Betriebsrat mit dem Management vereinbarten, kann nur als Kapitulation angesehen werden. Selbst die anfänglichen Forderungen von drei Monatsgehältern Abfindung pro Beschäftigungsjahr und der Einrichtung einer Beschäftigungsgesellschaft bis 2010 wurden bei weitem nicht durchgesetzt. Dagegen liegt die Vereinbarung nur wenig über dem ursprünglichen Angebot von Electrolux. Der Konzern hatte 0,7 Monatsgehälter Abfindung und eine einjährige Eingliederung in einer Beschäftigungsgesellschaft geboten. Das Volumen des gesamten Pakets liegt bei 153 Millionen Euro. Ursprünglich waren von Gewerkschaftsseite 350 Mio. gefordert und von Electrolux 105 Mio. geboten worden. Dementsprechend zeigte sich auch der Europachef von Electrolux John Bygge zufrieden über das "sehr gute Paket".

Gewerkschaftsvertreter redeten sich den Abschluss im Nachhinein schön. IG-Metall-Vize Berthold Huber und der IG-Metall Bevollmächtigte Jürgen Wechsler, der noch vergangene Woche vor der Belegschaft großspurig den Erhalt des Werkes als Ziel ausgegeben hatte, nannten den Sozialtarifvertrag "ein gutes Ergebnis". Auch Betriebsrat Harald Dix und Bayerns IG-Metallchef Werner Neugebauer lobten den Kompromiss.

Beifall für die Beendigung des Arbeitskampfes kam auch aus der Politik. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) erklärte, er freue sich über die Lösung des Konflikts. Auch Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD), der im Dezember mit über 6.000 Menschen gegen die Schließung des Werks demonstriert hatte, verbuchte das Ergebnis als "Erfolg". SPD-Wirtschaftsexperte Rainer Wend nannte den Kompromiss eine "relativ gute Regelung".

Von Anfang war es Gewerkschaft und Betriebsrat darum gegangen, eine rasche Einigung mit dem Management zu erzielen. Dabei akzeptierten sie, anders als die Belegschaft, die Schließung des Werkes. Bereits vor Streikbeginn hatten sie erklärt, man wolle Electrolux die Schließung lediglich "so teuer als möglich machen".

Ihr Hauptinteresse bestand darin, die Proteste gegen die Schließung so gering wie möglich zu halten. Als sich Mitte Dezember nach der Schließungsankündigung spontane Proteste der Belegschaft entwickelten, kamen Betriebsrat und Gewerkschaft mit dem Management überein, diese in Urlaub zu schicken, um Zeit zu gewinnen.

Das die IG-Metall den Arbeitskampf überhaupt ausrief und über das Nürnberger Werk hinaus ausdehnte, war zum einen dem Druck der Belegschaften geschuldet und zum anderen der Unnachgiebigkeit des Managements, das fortgesetzt Belegschaft und Gewerkschaft provozierte. Zuvor hatten Gewerkschaft und Betriebsrat bereits Lohnkürzungen und eine Reduzierung der Belegschaft angeboten, wenn das Werk erhalten bleibe.

Hinter den Kulissen trafen Betriebsrat und Gewerkschaft mehrere Vereinbarungen, um negative Auswirkungen für das Unternehmen so gering wie möglich zu halten. So wurde beispielsweise ein "Notdienst" für die Auslieferung aus dem Nürnberger Zentrallager organisiert, um die Lieferung von Hausgeräten aufrecht zu halten. Dabei wurden mit Zustimmung der Gewerkschaft Leiharbeiter als Streikbrecher eingesetzt.

Besonders deutlich zeigte sich die Kumpanei mit dem Management daran, dass sich die IG-Metall weigerte, den Streik auf die Ersatzteilsparte Distriparts in Rothenburg auszuweiten. Ein Streik dort hätte binnen weniger Tage europaweit die Versorgung mit Ersatzteilen für AEG-Geräte zum Erliegen gebracht und damit Electrolux erheblich unter Druck gesetzt. Die Beschäftigten in Rothenburg hatten sich trotz massiver Einschüchterung von Seiten der Unternehmensleitung mit großer Mehrheit für Streik ausgesprochen.

Mitte Februar hatte die IG-Metall den ehemaligen bayrischen Wirtschaftsminister und jetzigen Bahnvorstand Otto Wiesheu als Vermittler vorgeschlagen, nachdem sich Electrolux nach mehreren Verhandlungsrunden immer noch unnachgiebig zeigte. Wiesheu hatte bereits im vergangenen Jahr beim Münchner Werk des Chip-Hersteller Infineon zwischen Gewerkschaft und Unternehmen vermittelt. Auch dort hatte der Kampf für einen Sozialtarifvertrag zur baldigen Schließung des Werkes geführt. Als Wirtschaftsminister gehörte Wiesheu von 1993 bis 2005 einer Landesregierung an, deren rigorose Sparpolitik Tausende von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst vernichtete. Der CSU-Politiker, so Bayerns IG-Metallchef Werner Neugebauer, sei "ein Mann, der Brücken bauen kann".

Das Ergebnis der Verhandlungen wurde am Dienstag von den Beschäftigten des AEG-Werks mit Empörung und Wut aufgenommen. Als Streikleiter Jürgen Wechsler der versammelten Belegschaft den Kompromiss erläuterte, erntete er Durchweg Pfiffe und Buhrufe. Symptomatisch für die Stimmung in der Belegschaft war die Reaktion eines türkischen Mitarbeiters, den die Süddeutsche Zeitung mit den Worten zitierte: "Die stecken doch alle unter einer Decke". Wütend bezichtigte er seine eigenen Interessenvertreter des Komplotts mit den Managern.

Betriebsrat Harald Dix forderte die Belegschaft umgehend dazu auf, dem Kompromiss in der Urabstimmung zuzustimmen, da seiner Ansicht nach nicht mehr erreicht werden könne. 25 Prozent müssen für das Verhandlungsergebnis votieren, damit es tatsächlich in Kraft treten kann.

Am Mittwoch, einen Tag nachdem Dix die AEG-Belegschaft verraten und verkauft hatte, reiste er mit einer Delegation zum Werk des Baggerherstellers CNH nach Berlin, um der Belegschaft "Mut zu machen". Diese wehrt sich gegen eine Verlegung des Standortes nach Italien. "Beim Streik benötigt man einen langen Atem", riet Dix. "Aber Vorsicht: Man darf auch nicht überziehen."

Der faule Kompromiss, den Gewerkschaft und Unternehmensleitung vereinbart haben, hat nicht nur Auswirkungen für die 1.700 Beschäftigten in Nürnberg. Dem Konzern ging es auch darum, ein Exempel zu statuieren. Electrolux plant in den kommenden Jahren die Schließung weiterer Werke in "Hochlohnländern". Deren Belegschaften werden unter Druck gesetzt und gegeneinander ausgespielt. Die feige Kompromissbereitschaft der Gewerkschaften spielt dem Konzern dabei in die Hände.

Einmal mehr wurde in Nürnberg deutlich, dass die Gewerkschaften zu einem ernsthaften Kampf zur Verteidigung von Arbeitsplätzen nicht in der Lage sind. Im Gegenteil: Sie isolieren sie und würgen sie letztendlich ab. Ihre Furcht besteht dabei darin, dass sich der Protest gegen Massenentlassungen bei AEG und anderen Betrieben, wie auch der Streik im Öffentlichen Dienst zu einer breiten Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung führen könnten.

Siehe auch:
Entlassungswelle stärkt Solidarität mit streikender AEG-Belegschaft
(14. Februar 2006)
Arbeitskampf bei AEG verschärft sich
( 4. Februar 2006)
Arbeitskampf bei AEG in Nürnberg
( 25. Januar 2006)
Belegschaft des AEG-Werks Nürnberg im Streik
( 20. Januar 2006)
Die Schließung des AEG-Werks in Nürnberg und die Rolle der Gewerkschaften
( 11. Januar 2006)
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