Treffen der Internationalen Redaktion der WSWS

Bericht über die Weltwirtschaft im Jahr 2006

2. Teil

Den folgenden Bericht hat Nick Beams anlässlich der Internationalen Redaktionskonferenz (IEB) der World Socialist Web Site gegeben, die vom 22. bis 27. Januar 2006 im australischen Sydney stattfand. Beams ist Mitglied der internationalen Redaktion und Nationaler Sekretär der Socialist Equality Party (Australien). Wir veröffentlichen den Bericht in drei Teilen.

An die wirtschaftlichen Widersprüche Chinas reichen nur die der Vereinigten Staaten heran. Denn beide sind durch die gleichen globalen wirtschaftlichen Prozesse geprägt. Die amerikanische und die chinesische Wirtschaft sind in einer finanziellen Symbiose zusammengekettet, in der die USA immer weiter in Schulden versinkt, um die Exportmärkte zur Verfügung zu stellen, von denen das chinesische Wachstum und das Wachstum der gesamten Weltwirtschaft abhängen. Gleichzeitig legen die chinesischen und anderen ostasiatischen Zentralbanken ihre Ausfuhrerlöse in den Finanzmärkten der USA an, um den Prozess in Gang zu halten.

Das hervorstechendste Merkmal der Finanzkrise ist das Anwachsen der Auslandsverschuldung der USA. Das augenblickliche Leistungsbilanzdefizit der USA, das ca. 6,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt, könnte im Jahr 2006 7,5 Prozent erreichen. Und sogar noch höhere Prozentsätze werden für die unmittelbare Zukunft vorausgesagt. Etwa 75 bis 80 Prozent der Auslandsüberschüsse des Rests der Welt sind nötig, um die Zahlungsbilanzlücke der USA zu finanzieren. Das bedeutet, ein Zufluss von mehr als 2 Milliarden Dollar pro Tag wird benötigt, um die USA zahlungsfähig zu erhalten. Der Wirtschaftswissenschaftler William R. Cline schätzt, dass das Leistungsbilanzdefizit 2010 auf 1,2 Billionen US-Dollar anwachsen könnte und die Schulden der USA, die derzeit bei 2,2 Billionen liegen - etwa 23 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - auf 8 Billionen US-Dollar wachsen könnten, was 50 Prozent des BIP entspricht.

Laut Cline wird der wirtschaftliche Schaden umso größer sein, je länger eine Regulierung der Schuldensituation aufgeschoben wird. Eine sofortige Regulierung würde Kürzungen der Inlandsnachfrage bei den Investitionen, dem Konsum und dem Steuerdefizit in Höhe von 4 Prozent des BIPs erfordern - eine beträchtliche Kürzung. Wenn die Regulierung jedoch um zehn Jahre verschoben würde, wären Kürzungen in Höhe von 9 Prozent des BIPs nötig, was eine tiefe globale Rezession auslösen würde.

Die immer weiter wachsende Zahlungsbilanzlücke ist nur eine der großen Ungleichgewichte der US-Wirtschaft. Vor fünf Jahren, als die Spekulationsblase am US-Börsenmarkt platzte und 7 Billionen US-Dollar vernichtete, gab es keine größere Rezession in der US-Wirtschaft. Das wurde hauptsächlich verhindert durch eine Reihe von Zinssatzsenkungen, initiiert durch die US-Notenbank. Diese Senkungen, die dazu führten, dass die Kurzzeitzinsen ins Negative abrutschten, sorgten für die Finanzmittel zur Schaffung einer Spekulationsblase auf dem US-Immobilienmarkt. Laut einer Studie hat diese Spekulationsblase einen Umfang von 5 Billionen US-Dollar - etwas 45 Prozent des BIPs der USA. Diese Zahl ergibt sich, wenn man die Differenz errechnet zwischen dem augenblicklichen Marktwert von Immobilien und dem Wert, den die Immobilien erreicht hätten, wenn der Wert dem langfristigen historischen Trend seit 1997 gefolgt wäre, dem Jahr als die Spekulationsblase sich zu entwickeln begann.

Dieses Anwachsen des Finanzvermögens - in einer Wirtschaft, die man virtuell nennen könnte - bildet einen krassen Gegensatz zu den wirtschaftlichen Vorgängen in der realen Welt. Die letzten Zahlen zeigen zum Beispiel, dass sowohl die Stunden- als auch die Wochenreallöhne im November 2005 niedriger lagen als ein Jahr zuvor. Seit die US-Wirtschaftsaufschwung im November 2001 begann, sind die Reallöhne von einfachen Arbeitern um 5 Prozent gefallen. Die Produktivität ist jedoch im selben Zeitraum um 13,5 Prozent gestiegen. 2005 stieg die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse um 2 Millionen. Das lag allerdings deutlich unter dem historischen Trend. Denn bei Aufschwüngen, die länger als 49 Monate andauern, liegt die durchschnittliche Zunahme bei 3,1 Prozent. Von März 1991 bis April 1995, eine Periode, die damals "Arbeitslosen-Aufschwung" genannt wurde, stieg die Beschäftigtenzahl um 7,8 Prozent. In der Zeit von November 2001 bis Dezember lag der Anstieg bei 2,7 Prozent. Letztes Jahr stiegen sie nur noch um 1,5 Prozent. Im vorhergehenden Aufschwung war die Zahl der Beschäftigten zur selben Zeit um 3,5 Prozent gestiegen.

Man schätzt, dass die USA etwa 8 Millionen weniger Arbeitsplätze hat, als die, die sie zum augenblicklichen Zeitpunkt bei einem Aufschwung aus einer Rezession erreicht haben müsste. Darüber hinaus liegen die Arbeitsplätze, die geschaffen wurden, am unteren Ende der Lohnskala. Billiglohn-Arbeitgeber wie Wal-Mart (der größte amerikanische Arbeitgeber), schufen 44 Prozent der neuen Jobs. Unterdessen befindet sich General Motors am Rande des Bankrotts.

Das tatsächliche durchschnittliche Haushaltseinkommen ist fünf Jahre hintereinander gesunken. Der Verschuldung der US-Haushalte ist nach Abzug der Inflation in den letzten vier Jahren um 35,7 Prozent gestiegen. Die persönliche Sparrate ist zum ersten Mal in der Nachkriegszeit negativ.

Greenspans "Rätsel"

In seinem halbjährlichen Bericht an den US-Kongress, den er am 16. Februar 2005 hielt, wies der Vorsitzende der US-Notenbank Alan Greenspan auf einige der Ungleichgewichte in der amerikanischen Wirtschaft hin. Er stellte fest, dass ein starkes Anwachsen der Ausgaben für den Konsum begleitet wurde von einem Rückgang der persönlichen Sparrate auf 1 Prozent im Jahr 2004, verglichen mit einer Rate von fast 7 Prozent im Verlauf der vorangehenden drei Jahrzehnte. Während der "rasante Anstieg der Immobilienpreise in den letzten Jahren" den Haushalten "erhebliche Kapitalgewinne" gebracht habe, " erhöhen" diese Gewinne, "die größtenteils durch ein Ansteigen der Hypothekenschuld realisiert wurden, nicht das Reservoir an nationalen Spareinlagen, die der Finanzierung von neuen Kapitalinvestitionen zur Verfügung stehen". Mit anderen Worten, stattgefunden hat ein Anwachsen des fiktiven Kapitals und keine Ausweitung von tatsächlichem Reichtum.

Im Firmenbereich, erläuterte er, hinken die Kapitalanlagen, obwohl sie in einem, was er "vernünftigen Maß" nannte, gewachsen seien, dennoch hinter dem Anstieg der Profite und dem Kapitalfluss hinterher. "Dies ist höchst ungewöhnlich: Es war eine tiefe Rezession nötig, um die letzte solche Konstellation 1975 hervorzubringen." Die Firmen seien zurückhaltend bei neuen Investitionen und "konzentrierten sich auf Kostendämpfung". Obwohl er so nicht argumentierte, war dies umso ungewöhnlicher, weil sich die amerikanische Wirtschaft zur Zeit dieses Berichts seit drei Jahren im Aufschwung befand, für den man eine Expansion von Firmeninvestitionen erwarten würde.

Die Situation enthielt noch andere Eigentümlichkeiten. Obwohl die US-Notenbank die kurzfristigen Zinssätze erhöhte, fiel der Langzeit-Zinssatz für Rentenpapiere weiterhin. Dieses "weitgehend unerwartete Verhalten der Welt-Rentenmärkte" erklärte Greenspan, "bleibt ein Rätsel".

In einer Rede im Juni 2005 stellte Greenspan fest, dass "das deutliche Sinken der langfristigen Zinssätze der US-Notenbank im letzten Jahr trotz eines Ansteigens des Kurses für Staatspapiere um 200 Basispunkte ohne Frage noch nie da gewesen ist. Die Rendite für zehn Jahre laufende Schatzwechsel liegt augenblicklich bei 4 Prozent, 80 Basispunkte niedriger als vor einem Jahr." Andere langfristige Zinsen sind sogar noch deutlicher gesunken.

Das Sinken von langfristigen Zinsen auf risikoarme Schuldtitel war einer der Faktoren, der Investoren dazu veranlasste, ihre Gelder in Schuldtitel mit hohem Risiko zu investieren, wodurch die Zinssätze sanken. "Die Jagd nach Rendite", erklärt er, " zeigt sich besonders deutlich im massiven Geldzufluss zu privaten Eigenkapitalfirmen und Hedge-Fonds. Diese waren in der Lage, beträchtliche Geldmittel von Investoren anzuziehen, die offensichtlich überdurchschnittliche, dem Risiko angepasste Gewinnraten suchen, die natürlich nur von einer Minderheit der Investoren erreicht werden können. Um diese Nachfrage zu befriedigen, entwickeln Hedge-Fonds-Manager immer aufwändigere Handelsstrategien, um vermeintliche Arbitrage-Möglichkeiten auszunutzen, von denen man - in vielen Fällen fälschlicherweise - annimmt, dass sie hohe Renditen bringen."

Mit anderen Worten, die Ursache für dieses beispiellose Phänomen liegt darin, dass das Finanzkapital, das den Globus ständig auf der Suche nach Profit umkreist, jetzt riskantere Investitionen tätigen muss, um dieselbe Rendite wie in der Vergangenheit zu bekommen.

In einer Rede vom 10. März letzten Jahres beschäftigte sich der designierte Chef der US-Notenbank, Ben Bernanke, mit dem "Rätsel" von Greenspan. Nachdem er ausführlich das rasante Anwachsen des US-Zahlungsbilanzdefizits - von 1,5 Prozent des BIPs 1996 auf mehr als 6 Prozent heute - beschrieben hatte, betonte er, dass dies kein amerikanisches Problem sei. "Ich behaupte, dass im Verlauf des letzten Jahrzehnts eine Kombination verschiedenster Kräfte zu einer erheblichen Vermehrung des weltweiten Angebots an Spareinlagen geführt hat - eine globale Spareinlagen-Schwemme - was sowohl die Erklärung bietet für das Anwachsen des US-Zahlungsbilanzdefizits als auch die relativ niedrigen Zinssätze überall auf der Welt heute." Er stellt fest, dass diese Schwemme zwar für den Zufluss an Geldmitteln in die Vereinigten Staaten sorgt, um ihr Zahlungsbilanzdefizit auszugleichen, aber während sie gleichzeitig die Zinssätze niedrig halten, nicht zur Finanzierung von Investitionen genutzt werden. Stattdessen würden sie benutzt, den Konsum und den Hausbau auszuweiten.

Benmarks Bemerkungen weisen auf eine andere charakteristische Besonderheit der Situation hin: Die Mittel, die in die Vereinigten Staaten fließen, werden nicht für produktive Investitionen genutzt, die für eine Vermehrung des Angebots an Gütern für den Weltmarkt sorgen und dadurch mithelfen würden, das Handelsdefizit auszugleichen. Stattdessen finanzieren sie Formen von Ausgaben, die noch höhere Importe erfordern, dadurch das Zahlungsbilanzdefizit erhöhen und die Notwendigkeit von noch höherem Zufluss an Mitteln erzeugen.

Der Wirtschaftskorrespondent der Financial Times Martin Wolf, veröffentlichte am 13. Juni 2005 einen Artikel mit dem Titel: "Das Sparparadoxon". "Merkwürdige Dinge spielen sich in der Weltwirtschaft ab: fallende Zinssätze für langfristige Wertpapiere, schwindende Unterschiede zwischen den Renditen für sichere und riskantere Anlagen, große Finanzdefizite und riesige globale Zahlungs-,Ungleichgewichte’ sollten unter normalen Umständen nicht zusammentreffen. Was ist hier also los? Die Antwort ist, kurz zusammengefasst, ein globaler Überschuss an Soll-Spareinalgen auf dem Hintergrund schwacher Investitionen, niedriger Inflation und immer enger miteinander verflochtener Wirtschaften."

"Um die Gegenwart zu verstehen", fährt er fort, "müssen wir zurückgehen in die 1930er. Das,Sparparadoxon" war die am wenigsten eingängige und, für den klassisch ausgebildeten Wirtschaftswissenschaftler moralisch, theoretisch und praktisch anstößigste Idee in John Maynard Keynes The General Theory of Employment, Interest and Money, veröffentlicht 1936, als Antwort auf die Große Depression. Es ist möglich, argumentierte er, dass der Privatsektor mehr sparen als investieren will. Das ist das Paradoxon. Was für Individuen gut ist, kann für die Wirtschaft schlecht sein. Heute, zu Beginn des neuen Jahrtausends, ist Keynes Warnung wieder angebracht." Laut Wolf leben wir wieder in einer "keynesianischen Welt".

Oberflächlich betrachtet ist dies eine ganz außergewöhnliche Schlussfolgerung vom wichtigsten Wirtschaftskommentator einer weltweit führenden Finanzzeitschrift. Trotz allen Pochens auf die Wunder des globalen Markts und den Vorhersagen auf die besten Wachstumszahlen seit zwei Jahrzehnten, zieht er den Schluss, dass die Weltwirtschaft einige derselben Probleme zeigt wie in dem verheerenden Jahrzehnt der dreißiger Jahre. Die "keynesianische Welt", wie er sie nennt, war nicht nur eine Welt der Wirtschaftskrise, sondern auch von wachsendem Handelsprotektionismus und sich vertiefenden Konflikten zwischen den großen kapitalistischen Mächten, was letztendlich zum Krieg führte.

Eine weitere Analyse des "Zinssatz-Rätsels" hat der Präsident der Notenbank Australiens, Ian Macfarlane, vorgelegt. Laut Macfarlane "ist die viel versprechendste Erklärung eine, die mit den Überschuss-Ländern beginnt und sich darauf konzentriert, warum in diesen Ländern die nationalen Spareinalgen so viel höher liegen als die nationalen Investitionen." Wenn die asiatischen Länder hohe Überschüsse aufweisen, dann müssen andere Länder Defizite haben.

"Wenn kein anderes Land bereit wäre, Defizite zu machen, dann würde die Weltwirtschaft in eine Abwärtsspirale geraten, wobei die ex ante (zuvor existierenden) Spareinlagen größer wären als die ex ante Investitionen. Ohne Frage werden die Länder, die bereit sind, Defizite zu machen, diejenigen sein, in denen die Konsumenten, Firmen und Regierungen die größte Bereitschaft zum Verbrauch haben und deren Finanzsysteme am effizientesten dabei sind, den Zufluss an Weltersparnissen weiterzuvermitteln." (Ian Macfarlane, "What are Global Imbalances" Reserve Bank Bulletin Oktober 2005)

Gemäß dieser Analyse sind die US-Defizite und -Schulden notwendig, um das Wirtschaftswachstum der Welt aufrechtzuerhalten und eine "Abwärtsspirale" in eine Weltwirtschaftskrise zu vermeiden, angesichts eines Mangels an Investitionsmöglichkeiten im Vergleich zur Höhe der Spareinlagen. In den 1930er Jahren, als Keynes mit dieser Situation konfrontiert war, riet er dazu, die Staatsausgaben zu erhöhen, um das Defizit bei der effektiven Nachfrage auszugleichen, der durch den Mangel an Investitionen hervorgerufen wurde. Jetzt haben wir einen Keynesianismus, angeführt von den Konsumenten, finanziert durch niedrige Zinssätze und wachsende Schulden.

Eine globale Finanzkrise

Wenn man es aus diesem Blickwinkel betrachtet, wird klar, dass die USA nicht der Ursprung des Problems sind. Das Anwachsen des US-Zahlungsbilanzdefizits, der Anstieg der Schulden, die Immobilien-Spekulationsblase und all die anderen sich anhäufenden finanziellen Widersprüche in der US-Wirtschaft sind der Ausdruck von tiefgehenden Problemen des Akkumulationsprozesses der kapitalistischen Weltwirtschaft als ganzer.

Als die Asien-Krise 1997-98 ausbrach, erklärte das Internationale Komitee, dass es sich in Wirklichkeit nicht um eine "asiatische" Krise handelte - nicht der Mangel an geeigneten Märkten, der Vetternwirtschafts-Kapitalismus oder die diversen anderen Erklärungen, die zu dieser Zeit geboten wurden - sondern das Ergebnis von Widersprüchen innerhalb der Weltwirtschaft. Diese Widersprüche kamen zuerst im asiatischen Raum zum Ausdruck, aber tauchten dann wieder auf beim russischen Schuldenrückzahlungsverzug und in der Krise des globalen Finanzsystems nach dem Aus für den US-Hedge-Fond "Long Term Capital Management" im September 1998.

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Krise ausbrach, war der ostasiatische Raum, die am schnellsten wachsende Region der Weltwirtschaft - verantwortlich für zirka 50 Prozent des weltweiten Wachstums in der ersten Hälfte der 1990er Jahre. Daher rührten die Behauptungen der Weltbank von einem "Wirtschaftswunder". Mit dem Ausbruch der Krise setzte ein massiver Schrumpfungsprozess ein. Die Investitionen gingen sehr stark zurück und blieben niedrig. Nach 1997-98 fielen die die Investitionen in Asien, ausgenommen Japan und China, zwischen 7 und 8 Prozentpunkten des BIPs. Das bedeutet, von einem Niveau von fast 35 Prozent des BIPs sind sie auf etwa 25 Prozent gesunken.

Natürlich hören die Erklärungen von Macfarlane, wie alle Keynesianischen Erklärungen, da auf, wo sie eigentlich anfangen sollten. Die entscheidende Frage ist: Was ist die Ursache für den Mangel an Investitionen, der zu der "globalen Spareinlagen-Schwemme" geführt hat. Dieses Phänomen ist der Ausdruck - ebenso wie in den 1930er Jahren - eines Abwärtsdrucks auf die Profitrate. Die Tendenz der Profitrate zu fallen, bedeutet nicht, dass sich dann eine Krise entwickelt, wenn die Profite auf Null fallen - diese Tatsache wird von denjenigen vergessen, die behaupten, Marx’ Analyse biete keine Erklärung, weil eine fallende Profitrate immer noch heißt, dass es Investitionsmöglichkeiten gibt, wenn auch zu einer niedrigeren Ertragsrate.

Lange bevor die Profitrate insgesamt auf Null gesunken ist, kann sich eine Krise entwickeln, wenn die Profite aus zusätzlichen Investitionen vernachlässigbar werden. Das bedeutet, die durchschnittliche Profitrate könnte recht hoch bleiben, wenn jedoch die Profitrate aus zusätzlichen Investitionen sehr niedrig ist - das ist die Art und Weise, wie sich der tendenzielle Fall der Profitrate manifestiert - dann wird sich eine Krise entwickeln. In einer solchen Situation werden die Investitionen gedrosselt. Die Investoren werden keine neuen Unternehmungen wagen. Stattdessen werden sie ihr Geld behalten, um auf bessere Zeiten zu warten, und versuchen, andere Möglichkeiten auf den Finanzmärkten oder in der Spekulation zu finden.

Solche Entscheidungen haben weit reichende Folgen, weil die Investition die zentrale Rolle in der Dynamik der kapitalistischen Wirtschaft spielt. Wie die frühen Kritiker des kapitalistischen Systems aufzeigten - und ihre Analyse wurde von den Anhängern der Theorie vom zu geringen Konsum seitdem wiederholt -, bedeutet die bloße Existenz des kapitalistischen Profits, dass die Löhne der Arbeiter nicht ausreichen, um die Waren, die im Prozess der kapitalistischen Produktion entstehen, zu realisieren - d. h. sie wieder in Geld zu verwandeln.

Aber wenn das stimmt, wie funktioniert dann die kapitalistische Wirtschaft? Der Konsum der Arbeiter ist nicht die einzige Quelle echter Nachfrage. Die Nachfrage nach Anlagegütern und darunter die Nachfrage nach Anlagegütern, mit denen die zukünftige Nachfrage befriedigt werden soll (d. h. Investition) spielt die Schlüsselrolle, nicht nur um die Produktion auf demselben Niveau zu halten, sondern um sie zu steigern. Investition eilt der augenblicklichen Stufe der wirtschaftlichen Entwicklung voraus und schafft die Märkte der Zukunft. Wenn dieser Prozess unterbrochen wird, dann durchläuft die kapitalistische Wirtschaft eine "Abwärtsspirale".

Das Ausbrechen einer solchen Krise kann verhindert werden, wenn eine andere Quelle echter Nachfrage gefunden wird, um die unzureichende Investition zu ersetzen. Solche Maßnahmen werden jedoch nicht allein aus sich heraus die Krise lösen, die ihren Ursprung nicht in dem Mangel an echter Nachfrage als solcher hat, sondern in einem Zuwenig an Mehrwert im Verhältnis zur Masse des Kapitals - ein Defizit, das sich in dem Druck auf die Profitrate manifestiert. Weil sie das grundlegende Problem nicht lösen können, werden ankurbelnde Maßnahmen unweigerlich zur Entwicklung neuer Widersprüche und Probleme führen.

In der gegenwärtigen Situation haben die Finanzmaßnahmen der US-Behörden - die Aufrechterhaltung der Liquidität und ein System von niedrigen Zinssätzen - zwar die USA und die gesamte Weltwirtschaft vor einer Rezession geschützt, sie haben aber auch mächtige Quellen der Instabilität geschaffen. Die enorme Ausdehnung der Liquidität und die Entstehung eines globalen Finanzsystems, das keinerlei Regulierungsmöglichkeiten irgendeiner Autorität mehr unterliegt, verbunden mit der immer verzweifelteren Suche nach Rendite - d. h. nach Profit - haben die Bedingungen für eine Finanzkrise geschaffen, auf die verschiedene Fachleute von Zentralbanken und Finanzbehörden kürzlich hingewiesen haben.

In einer Rede, die er im letzten September gehalten hat, verweist der Generaldirektor der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Malcolm Knight, auf das "beispiellose Tempo", in dem das globale Finanzsystem in den letzten 30 Jahren expandiert ist. Mit dem Ende der festen Wechselkurse 1973, entwickelten sich Devisenkassa- und Devisentermin-Märkte, gefolgt von einer Ausdehnung der Märkte für Staatsanleihen und dann neue Märkte, auf denen Investoren Risiken absichern oder vermeiden konnten. Die Folge war ein "globales Finanzsystem, das widerstandsfähiger zu sein scheint gegenüber Finanzschocks, die von einzelnen Ländern ausgehen".

"Das heutige globale Finanzsystem", folgert er, "ist weitaus effizienter und robuster gegenüber kleinen oder mittleren Schocks als vor 20 Jahren oder selbst vor einem Jahrzehnt. Und, das Finanzsystem im Lot zu halten erfordert nicht mehr die direkten, nicht vom Markt bestimmten Interventionen der Zentralbanken und Regulierer, die man in jenen weit zurückliegenden Tagen offensichtlich brauchte. Aber das heutige komplexe, vom Markt beherrschte Finanzsystem schafft auch mehr Anreize als in der Vergangenheit für die Marktteilnehmer, "Rendite zu erzielen", mehr Kapazitäten, das Fremdkapital auszuweiten, einen größeren Spielraum für das Reagieren auf die uralten destabilisierenden Gefühle von Euphorie und gedrückter Stimmung. Kurz gesagt, unser Finanzsystem könnte anfällig sein gegenüber neuen Kombinationen von schädlichen Risiken, die sich auf die reale Wirtschaft auswirken könnten." (Rede von Malcolm Knight vor dem Internationalen Währungsfonds, Washington, 6. September 2005)

Der leitende Wirtschaftswissenschaftler des IWF, Raghuram Rajan, gab eine ähnliche Einschätzung in einer Abhandlung, die im letzten August veröffentlicht wurde. "Während das System die Risiko tragenden Möglichkeiten der Wirtschaft besser ausnutzt, indem es die Risiken breiter verteilt, nimmt es gleichzeitig mehr Risiken auf sich. Darüber hinaus sind jetzt die Verflechtungen zwischen den Märkten und zwischen den Märkten und den Institutionen ausgeprägter. Während das dem System hilft, sich auf kleine Schocks einzustellen, setzt es das System gleichzeitig großen systemischen Schocks aus - umfangreiche Veränderungen von Anlagepreisen oder Veränderungen der angesammelten Liquidität. ... Kurzum, während ich glaube, es wäre eine angemessene Verallgemeinerung zu sagen, dass das Finanzsystem die meiste Zeit stabiler ist, gibt es auch die Chance für exzessive Instabilität in wirklich schlimmen Zeiten (genauso wie eine höhere Wahrscheinlichkeit für solche nachfolgenden Vorfälle). Bedauerlicherweise wissen wir nicht, ob dies ernste Sorgen sein sollten, bis das System auf die Probe gestellt worden ist. Das Beste wäre, wenn das System mit Schocks von wachsender Größe konfrontiert würde, es jedes Mal herausfindet, was der Fehler ist und stabiler wird... Die Gefahr liegt darin, dass die Wirtschaft von einem vollendeten Sturm getroffen wird, bevor sie stresserprobt ist."

Und was könnten die Bedingungen für ein solches Ereignis sein?

"Eins der möglichen Szenarien besteht darin, dass die Wirtschaft durch eine Periode von extrem niedriger Risikoabneigung geht (d. h. eine lang gezogene Periode mit niedrigen Zinssätzen), in der die Anlagekurse falsch ausgerichtet werden und damit die Möglichkeit für eine Neuaufstellung schaffen, mit negativen Folgen, die sich in die Wirtschaft fortpflanzen."

Kurz gesagt, eine Periode wie die gegenwärtige.

Siehe auch:
Bericht über die Weltwirtschaft im Jahr 2006 - 1. Teil
(30. März 2006)
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