Der Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Armut erfordert eine sozialistische Perspektive, eine internationale Strategie und eine revolutionäre Partei

Der folgende Text wird am 21. Oktober auf den Demonstrationen gegen Sozialabbau als Flugblatt verteilt. Er kann als PDF-file herunter geladen werden.

Der Aktionstag, zu dem die DGB-Gewerkschaften aufgerufen haben, ist von einem offensichtlichen Widerspruch geprägt: Während Millionen Menschen über wachsende Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Armut besorgt sind, werden die Reden auf den Kundgebungen von Leuten gehalten, die in hohem Maße mitverantwortlich für die soziale Misere sind.

Die große Mehrheit der Gewerkschaftsfunktionäre sitzen in den Führungsgremien der SPD, haben in der Vergangenheit die unsoziale Politik der rot-grünen Bundesregierung mitgetragen und unterstützen heute die Große Koalition. Dieselben Leute, die auf den Kundgebungen eine "soziale und gerechte Politik" fordern, werden sich in den nächsten Tagen im SPD-Parteivorstand mit Arbeitsminister Müntefering und Finanzminister Steinbrück zusammensetzen, um über Form und Ausmaß des weiteren Sozialabbaus zu beraten.

Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi Frank Bsirske ist zwar Mitglied bei den Grünen, bildet aber keine Ausnahme. Er bietet ein besonders abstoßendes Beispiel für den Zynismus, der in den Chefetagen der Gewerkschaften vorherrscht. Er hat im öffentlichen Dienst Tarifabschlüsse vereinbart, die drastische Gehaltseinbußen, längere Arbeitszeiten und schlechtere Arbeitsbedingungen zur Folge haben. Die Einführung von Niedriglohngruppen, der neue Tarifvertrag des öffentlichen Diensts (TVöD) und die darin enthaltenen Öffnungsklauseln ermöglichen es den öffentlichen Arbeitgebern, die Sozialstandards immer weiter abzusenken.

Bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) setzte Bsirske in Absprache mit dem rot-roten Senat eine zehnprozentige Lohnsenkung durch. Als sich die Klinikärzte im Frühjahr mit Streiks gegen die Verschlechterungen des TVöD zur Wehr setzten, betätigte sich Verdi als Streikbrecher und stimmte in den Verleumdungschor der öffentlichen Arbeitgeber ein.

Nicht anders ist die Rolle der IG Metall bei VW, Opel, Siemens und vielen anderen Betrieben. Überall werden Knebelverträge mit Lohnsenkung und Sozialabbau durchgesetzt.

Die Gewerkschaften sind Teil einer regelrechten Verschwörung gegen die arbeitende Bevölkerung, die von der Großen Koalition unter Merkel und Müntefering angeführt wird. Zwischen Arbeitsmarktreformen und gewerkschaftliche Tarifpolitik besteht dabei ein direkter Zusammenhang. Seit der Einführung von Hartz IV sind selbst gut ausgebildete Facharbeiter und hoch qualifizierte Techniker bei Verlust des Arbeitsplatzes in kürzester Zeit mit einem Leben auf Sozialhilfe-Niveau konfrontiert. Die daraus resultierende Angst vor dem sozialen Absturz wird von den Gewerkschaften ausgenutzt, um in den Betrieben und Verwaltungen immer schärfere "Sozialdumping"-Verträge durchzusetzen.

Gleichzeitig bemühen sich die Gewerkschaften, den wachsenden Widerstand gegen diese Politik unter Kontrolle zu halten und eine soziale Explosion zu verhindern. Auch der gegenwärtige Aktionstag dient - in den Augen von Schulte, Peters, Bsirske & Co. - diesem Ziel.

Politische Bilanz

Die wichtigste Aufgabe besteht jetzt darin, politische Bilanz zu ziehen. Viele Kundgebungsteilnehmer sind nicht zum ersten Mal hier. Es gab in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Protestaktionen und Streiks. An Kampfbereitschaft und Mut zum Widerstand gegen die unsozialen Maßnahmen der Regierung hat es nicht gemangelt.

Auch die Kritik an der SPD, der Linkspartei und den Gewerkschaften nimmt zu. Nicht umsonst hat die SPD in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten 40 Prozent ihrer Mitglieder und die Linkspartei bei der letzten Berliner Abgeordnetenhauswahl die Hälfte ihrer Wähler verloren.

Aber es genügt nicht, SPD und Linkspartei den Rücken zuzuwenden und die Gefolgschaft zu verweigern. Es ist notwendig, mit ihrem sozialreformistischen Programm zu brechen und sich einer neuen, sozialistischen Perspektive zuzuwenden.

Es gibt objektive Ursachen für die Rechtswende von SPD, Linkspartei und Gewerkschaften. In den sechziger und siebziger Jahren konnten sie im Rahmen des Kapitalismus einige soziale Verbesserungen durchsetzen, aber grundlegende Veränderungen in der Weltwirtschaft haben dieser Politik den Boden entzogen. Die heutige Wirtschaft wird von transnationalen Konzernen und internationalen Finanzinstituten beherrscht, die auf der Jagd nach billigen Arbeitskräften, niedrigen Steuern und Rohstoffen ein Land gegen das andere ausspielen und die Niedriglöhne in China und anderen Ländern nutzen, um Löhne und Sozialstandards auf der ganzen Welt zu senken. Die "gerechte" Verteilung des Bruttosozialprodukts zwischen den "Sozialpartnern" im nationalen Rahmen funktioniert nicht mehr, wenn Finanzströme und Investitionen in Länder mit niedrigeren Steuern und Löhnen ausweichen können.

SPD, Linkspartei und Gewerkschaften reagieren darauf, indem sie sich noch enger an die Interessen der Wirtschaft binden. Sie übernehmen die Verantwortung für die Verteidigung des "Industriestandorts Deutschland" und für die Verbesserung der "internationalen Wettbewerbsfähigkeit" der deutschen Konzerne, unterstützen den Sozialabbau, spalten die Arbeiter und spielen sie international gegeneinander aus. Je schärfer sich die gesellschaftlichen Gegensätze entwickeln, desto entschlossener stellen sie sich auf die Seite des Kapitals und predigen die Identität der Interessen von Arbeitern und Unternehmern.

Im Ergebnis wird nicht nur die soziale Krise immer schlimmer, auch die politische Fäulnis der Gesellschaft nimmt immer fortgeschrittenere Formen an. Denn während SPD, Linkspartei und Gewerkschaften Sozialkürzungen durchsetzen, wachsen am unteren Ende der Gesellschaft Verzweiflung und politische Frustration, die dann von rechtsradikalen Demagogen für ihre rassistische Politik ausgenutzt werden. Der Einzug der NPD in den Landtag Mecklenburg-Vorpommerns hat deutlich gemacht, wie akut diese Gefahr ist.

Sozialistische Perspektive

Angesichts dieser Situation müssen einige Wahrheiten ohne Umschweife und in aller Deutlichkeit ausgesprochen werden. Jahrzehntelang haben SPD und Gewerkschaften eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft mit der Begründung abgelehnt, die sozialen Gegensätze könnten im Rahmen der Soziapartnerschaft überwunden werden und das Grundgesetz schreibe die "Sozialbindung des Eigentums" vor. Auch heute noch predigen die hochbezahlten Partei- und Gewerkschaftsbeamten das alte Eiapopeia der "sozialen Marktwirtschaft".

Früher traten nur wir Marxisten dieser Propaganda entgegen und beharrten auf dem unversöhnlichen Gegensatz zwischen den sozialen Klassen. Heute ist der Klassencharakter der Gesellschaft für Jedermann sichtbar. Die penetrante Arroganz und Überheblichkeit, mit der Josef Ackermann, der Chef der Deutschen Bank, und andere Banken- und Konzernchefs ihre Gehälter um Millionen erhöhen, während sie gleichzeitig weitere Massenentlassungen und Werksschließungen ankündigen, Steuervergünstigungen für die Reichen und Sozialabbau für alle anderen fordern, sind eine Kampfansage.

Unter der politischen Oberfläche braut sich ein gewaltiger sozialer Sturm zusammen. Während Gewerkschaftsbürokraten und Politiker vor einer sozialen Explosion warnen, sehen wir unsere Aufgabe darin, eine solche Entwicklung vorzubereiten und in eine progressive Richtung zu lenken. Denn eine Massenrebellion ist unvermeidlich und notwendig. Erst das Eingreifen von Hunderttausenden in die politische Entwicklung wird der selbstherrlichen Macht der Absahner in Politik und Wirtschaft Einhalt gebieten.

Wir stellen der sozialen Katastrophe und kapitalistischen Anarchie ein Programm entgegen, das sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientiert. Ein solches Programm muss drei wesentliche Bestandteile umfassen:

Erstens muss es die Bedürfnisse der Bevölkerung höher stellen, als die Profitinteressen der Wirtschaft - es muss für eine sozialistisch Perspektive eintreten. Die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung lassen sich nicht mit einer Gesellschaftsordnung vereinbaren, die auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und dem Nationalstaat beruht. Die soziale Krise kann im Rahmen der bestehenden kapitalistischen Verhältnisse nicht überwunden werden.

Die soziale Frage ist untrennbar mit dem Kampf zur Verteidigung demokratischer Rechte und gegen Militarismus und Krieg verbunden. Solange der gesellschaftliche Reichtum in wenigen Händen konzentriert bleibt, das Arbeitsleben von demokratischer Mitsprache ausgeklammert ist, Presse und Medien in der Verfügungsgewalt von großen Konzernen und Bildung und Kultur das Privileg einer kleinen Elite sind, kann von wirklicher Demokratie keine Rede sein.

Zweitens kann den Angriffen auf soziale und demokratische Rechte durch Demonstrationen und "Druck von unten" nicht dauerhaft Einhalt geboten werden. Dazu ist eine politische Bewegung nötig, die völlig unabhängig von der SPD, der Linkspartei und den Gewerkschaften ist - d.h. der Aufbau einer neuen Partei.

Und drittens muss im Zentrum einer politischen Neuorientierung der Arbeiterklasse eine internationale Perspektive stehen. Kein einziges gesellschaftliches Problem kann im beschränkten regionalen oder nationalen Rahmen gelöst werden.

Die Spalterpolitik der Gewerkschaften, die einen Standort gegen den anderen ausspielen, muss zurückgewiesen werden. Anstatt sich gegeneinander aufhetzen zu lassen, müssen Arbeiter die Verantwortung für ihre Kollegen in Osteuropa und anderen Teilen der Welt übernehmen und sich international zusammenschließen.

Wir setzten der Europäischen Union, dem Europa der Konzerne und Banken, die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa, die Einigung des Kontinents von unten entgegen.

Als deutsche Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale stützt sich die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) auf große historische Erfahrungen. Die Vierte Internationale ist der lebendige Beweis dafür, dass es eine marxistische Alternative zur Sozialdemokratie und zum Stalinismus gibt.

Wir wenden uns an jeden, der die reaktionäre Politik der Großen Koalition und ihrer Handlanger in den Gewerkschaften ablehnt: Es ist höchste Zeit, mit den Illusionen und Hoffnungen auf eine Linkswende der alten reformistischen Bürokratien Schluss zu machen und sich dem Aufbau einer neuen revolutionären Partei zuzuwenden.

Nehmt Kontakt auf mit der PSG! Beteiligt Euch an Diskussionsveranstaltungen! Lest unsere Tageszeitung im Internet www.wsws.org/de.

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