Wahlen in Schottland:

Wie Tommy Sheridan den schottischen Nationalismus unterstützt

Im Vorfeld der Parlamentswahlen in Schottland überbieten sich angeblich marxistische Parteien darin, den schottischen Nationalismus zu unterstützen. Tommy Sheridan, der Führer von Solidarity - Scotland’s Socialist Movement (Solidarität - Schottlands Sozialistische Bewegung) hat sogar angedeutet, dass er die Scottish National Party (Schottische Nationalpartei) unterstützen werde. Er sagte dem Daily Record, er werde sich bei den Wahlen am 3. Mai hinter eine der "großen Parteien" stellen.

Solidarity ist aus der Scottish Socialist Party (SSP) hervorgegangen. Sie arbeitet in Deutschland mit der SAV zusammen, die ihrerseits in der WASG aktiv ist. Sheridan selbst und Rosemary Byrne, seine Abgeordnetenkollegin im schottischen Parlament, hatten die SSP im vergangenen Jahr nach einem öffentlich ausgetragenen Skandal verlassen. Sheridan prozessierte gegen die Zeitung News of the World, die ihm sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen hatte, und im Verlauf dieses Prozesses bezichtigten sich SSP-Mitglieder gegenseitig öffentlich der Lüge.

Sheridan hat den Verleumdungsprozess gegen die von Rupert Murdoch herausgegebene News of the World inzwischen gewonnen. Diese hat jedoch Berufung gegen das Urteil eingelegt. Die Staatsanwaltschaft untersucht gegenwärtig eventuelle Meineide auf beiden Seiten.

Unbeschadet der Vorwürfe der Murdoch-Presse ist Sheridan für die schottische Elite weiterhin Gold wert - seine populistische Demagogie verleiht den von der Labour Regierung unter Blair geschaffenen Autonomieeinrichtungen den dringend benötigten neuen Glanz. Er benutzt den Nationalismus, um die Arbeiter von grundlegenden Klassenfragen abzulenken. Im Gegenzug berichten die Medien mit ausgesprochenem Wohlwollen über ihn.

Unter der Schlagzeile "Tommy, der Königsmacher von Holyrood" [schottisches Parlament] hat Magnus Gardham, ein Reporter des Daily Record, über Sheridans Plan berichtet, "wenige Tage vor der Wahl vom 3. Mai seine Unterstützung für eine der großen Parteien zu erklären".

Angesichts der weit verbreiteten Feindschaft gegen den von der Blair-Regierung unterstützten Irakkrieg und deren wirtschaftsfreundliches Programm wird erwartet, dass Labour eine schwere Wahlniederlage erleiden wird. Obwohl voraussichtlich hauptsächlich die Scottish National Party (SNP) davon profitieren wird, steht nicht zu erwarten, dass sie eine eigene Mehrheit erringt, sondern eine Koalition mit mehreren Parteien eingehen muss.

Solidarity hat keine Kandidaten in den Wahlkreisen aufgestellt, sondern kandidiert nur auf regionalen Wahllisten. Die Gruppe hofft, ihre beiden Abgeordnetensitze im schottischen Parlament zu behalten. Obwohl Sheridan sich nicht ausdrücklich geäußert hat, wen er unterstützen will, geht der Daily Record davon aus, dass es die SNP sein wird. Er stützt sich dabei "auf die Wahlerklärung von Solidarity, die ein unabhängiges Schottland, die Abschaffung der Kommunalsteuern und die Nicht-Ersetzung der veralteten Trident Atom-U-Boote beinhaltet".

Die Zeitung stellt fest, dass dies "alles Ziele sind, die auch die SNP verfolgt, selbst wenn die beiden Parteien sich in der Vergangenheit über Details gestritten haben. Sheridan hat eine Koalition mit anderen Parteien ausgeschlossen, daher könnte dieses Vorgehen für ihn die beste Möglichkeit sein, Einfluss zu gewinnen".

Sheridans Versuch, im Unklaren zu lassen, welche Partei seine Unterstützung erwarten kann, wird auch von Hugh Kerr sabotiert, einem ehemaligen Labour-Abgeordneten im Europaparlament, der jetzt als Pressesprecher von Solidarity fungiert. Er hat bereits erklärt, er werde in seinem Wahlkreis für die SNP stimmen.

Ob Sheridan tatsächlich in die Lage des "Königsmachers" kommen wird, bleibt offen. Die Spaltung in der SSP, die von beiden Seiten mit Erbitterung über die Presse ausgetragen wurde, hat sowohl das alte wie das neue Instrument schwer beschädigt, mit dem er seine politischen Ambitionen verfolgen wollte.

2005 gewann die SSP über die Regionallisten sechs Sitze im schottischen Parlament. Die meisten wird sie wohl kaum verteidigen können, weil die SSP und Solidarity überall in Schottland gegeneinander antreten.

Auf jeden Fall scheint Sheridan seinen eigenen Sitz unter allen Umständen halten zu wollen und versucht zu diesem Zweck, die Mächtigen von seiner Bereitschaft zu überzeugen, konstruktiv mit den großen Parteien zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig versucht er intensiv, in der Wählerschaft der schottischen Nationalisten zu wildern.

Es ist der SNP unter Ausnutzung der weitverbreiteten Feindschaft gegen Labour gelungen, sich als progressive und sogar linke Alternative zu positionieren. Jetzt bemüht sie sich, den transnationalen Konzernen zu versichern, dass deren Interessen bei ihr gut aufgehoben sind. Die Partei will die Besteuerung der Wirtschaft um acht auf zwanzig Prozent verringern, um Schottland gegenüber Irland als den günstigeren Standort für die Wirtschaft zu etablieren. Das liegt auf einer Wellenlänge mit den Forderungen der herrschenden Elite in ganz Großbritannien, in Schottland die "Eigenverantwortung" zu stärken, d.h. die relativ höheren schottischen Staatsausgaben im Vergleich zum übrigen Großbritannien zu senken.

Die SNP hat auch schon ihre Ankündigung eines Referendums zur Unabhängigkeit innerhalb der ersten 100 Tage ihrer Regierung auf Eis gelegt, um zu beweisen, dass ihr die effiziente Organisierung der schottischen Wirtschaft zugetraut werden kann.

Daraufhin erklärte Sheridan, er werde ein Referendum zur Unabhängigkeit innerhalb des von der SNP aufgegebenen Zeitplans fordern. In seinem Gespräch mit dem Daily Record beschuldigte er die Nationalisten praktisch, ihre Anhänger zu verraten. Er warf ihnen vor, in der Frage der Unabhängigkeit "zu schwanken". "Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, auf unseren eigenen Füßen zu stehen", sagte er.

In einem anderen Interview mit der Times bezeichnete er die SNP als die "Light-Version einer Unabhängigkeitspartei".

Sheridan erhebt den Anspruch, er trete im Unterschied zur SNP, die ein selbstständiges kapitalistisches Schottland fordert, für ein sozialistisches unabhängiges Schottland ein. Aber das ist kaum mehr als Augenwischerei. Im Manifest von Solidarity heißt es in zahlreichen Forderungen, das "schottische Volk" müsse "seine" Reichtümer selbst in die Hand nehmen. Gleichzeitig wird so getan, als ob der gemeinsame britische Staat für das Fehlen wirklicher demokratischer Teilhabe und Kontrolle verantwortlich sei, und nicht das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die Klassenausbeutung.

Ein Referendum zur Unabhängigkeit werde "ein direkter Mechanismus sein, mit dem das schottische Volk entscheiden kann, ob wir unser Land als vollgültige, souveräne und unabhängige Nation regieren wollen - frei von dubiosen, in Hinterzimmern von Parteien ausgekochten Deals, die heute so allgegenwärtig und eine Geißel der Demokratie sind", behauptet Solidarity.

An anderer Stelle erklärt Sheridan, die sechzehn Gesetzentwürfe, die seine Partei einbringen will, falls sie gewählt wird - von freier Schulspeisung bis hin zum Schutz der Landschaft - bewiesen, dass das schottische Parlament in der Lage sei, "echte und weit reichende Veränderungen zu bewirken, die der arbeitenden Bevölkerung und den Familien nützen".

Im Februar erklärte Sheridan auf einer vom Scotsman organisierten "Debatte zur Unabhängigkeitsfrage", an der auch Vertreter der Labour Party, der Konservativen, der Liberaldemokraten und der SNP teilnahmen, vor einem Publikum in Glasgow: "Ob man der Meinung ist, Schottland solle selbstständig werden oder nicht, das hat nichts mit Wissenschaft zu tun. Das ist in deinem Herzen und in deinem Kopf. Wir glauben, dass es Schottland als unabhängigem Land besser gehen wird."

Man könnte sich von einem angeblichen Sozialisten und Marxisten keine vernichtendere Erklärung vorstellen, als ein solches Bekenntnis zu einem "von Herzen kommenden" patriotischen Nationalismus.

Nach Sheridans Spaltung mit der SSP hatten die Socialist Workers Party (SWP) und die Socialist Party (SP) ihre Entscheidung, Solidarity zu unterstützen, unter anderem damit begründet, dass die SSP noch nationalistischer sei. Die SSP hat die schottische Unabhängigkeit zu einem ihrer Hauptprogrammpunkte erhoben und sich der Forderung der SNP nach einem Referendum angeschlossen. Der SSP-Abgeordnete Colin Fox schrieb: "Die SNP schwankt, hält nach Koalitionspartnern Ausschau und hat die Unabhängigkeit auf den dritten Platz verwiesen. Die Wähler werden sicher erkennen, dass die Scottish Socialist Party am entschlossensten für die Unabhängigkeit dieses Landes eintritt."

Erst letztes Jahr hatte Neil Davidson im Socialist Worker, der Zeitung der SWP, geklagt: "Die zunehmende Debatte über einen Austritt Schottlands aus dem Vereinigten Königreich sollte nicht dazu führen, dass die Linke sich von halbgaren Argumenten einfangen lässt... Wenn wir die britische Arbeiterklasse praktisch abschreiben, dann werden großartige Deklarationen über ‚die Zerstörung des britischen Staates’ höchstens zu gefährlichen Illusionen in einen reformistischen Weg zum Sozialismus in Schottland führen."

Obwohl sie den größten Teil der Mitgliedschaft von Solidarity stellen, haben aber weder die SWP noch die SP gegen Sheridans nationalistische Ausbrüche protestiert. An ihrem Schweigen lässt sich ihr Opportunismus ermessen. Südlich der Grenze, in England, gerieren sie sich als Befürworter der "Klasseneinheit", in Schottland dagegen propagieren sie die arbeiterfeindliche Perspektive des Separatismus und lassen die SNP und das schottische Parlament als progressive Alternative zu Labour und Westminster erscheinen.

Im Herald sagte der Komiker Mark Steel, ein prominenter Anhänger der SWP und von Solidarity : "Wenn sie die Unabhängigkeit wollen, und solange sie nicht alle anderen massakrieren, was, so weit ich weiß, in Schottland nicht der Fall ist, dann bin ich voll dafür."

Sheridans Erklärungen beweisen erneut, dass es bei der Spaltung der SSP nicht um prinzipielle Fragen ging. Solidarity und die SSP haben das gleiche Programm. Und beide Parteien nahmen im vergangenen Monat Seite an Seite mit rechten Organisationen - wie der Seed of the Gael, der Free Scotland Party und der Scottish Enterprise Party - an der Demonstration "Unabhängigkeit über alles" in Edinburgh teil.

Die soziale und politische Zusammensetzung dieser bunt gemischten Prozession von weniger als 600 Leuten unterstrich, dass die SSP und Solidarity mit ihrer Unterstützung für die schottische Unabhängigkeit die selbstsüchtigen Interessen von Schichten der regionalen Bourgeoisie und Kleinbourgeoisie artikulieren, die den nationalen Separatismus nutzen wollen, um direkte Beziehungen mit dem globalen Kapital und der Europäischen Union herzustellen. Darin tun sie es der Lega Nord in Italien und dem rechtsradikalen Vlaams Belang in Belgien gleich.

Es interessiert die ex-radikale Bruderschaft im Umkreis von Solidarity und SSP nicht im Gerngsten, dass diese Perspektive - wie in Jugoslawien - zu katastrophalen Folgen für die Arbeiterklasse führt. Ihr Eintreten für nationalen Separatismus ist ihr Weg, sich weiter in den kapitalistischen Staatsapparat zu integrieren.

In anderen Ländern haben Organisationen, die früher behaupteten, man könne die alten Arbeiterorganisationen nach links drücken, auf die Rechtswendung der Bürokratien mit der offenen Preisgabe ihrer trotzkistischen und revolutionären Ansprüche reagiert und sind direkt in bürgerliche Regierungen eingetreten.

Rifondazione Comunista spielt zum Beispiel in Italien eine entscheidende Rolle, die Prodi-Regierung an der Macht zu halten. Erst im vergangenen Monat unterstützte sie den Truppeneinsatz in Afghanistan im Rahmen der US-geführten Besatzung, obwohl es in Italien unter Arbeitern und Jugendlichen eine überwältigende Ablehnung des Kriegs gibt.

Eine solche Rolle streben Solidarity und die SSP ebenfalls an.

Eine wirklich sozialistische Alternative zum Nationalismus und zum wirtschaftsfreundlichen Programm der Labour Party und der SNP wird einzig und allein durch die Socialist Equality Party verkörpert. Wir betonen, dass der Internationalismus - d.h. die Überwindung aller nationalen Spaltungen der Arbeiterklasse - die entscheidende Grundlage für den Kampf gegen den Kapitalismus ist. Die Aufgabe der Arbeiterklasse ist nicht die Schaffung immer kleinerer Länder, sondern der Aufbau der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa als Teil einer sozialistischen Weltföderation. Nur mit dieser Perspektive kann der Kampf gegen das global organisierte Kapital erfolgreich geführt werden.

Siehe auch:
Wahlerklärung der Socialist Equality Party (Großbritannien): Wählt SEP für eine sozialistische Alternative in Schottland und Wales
(3. April 2007)
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