Bushs Rede zur Lage der Nation:

Herrschende Elite der USA in der Krise

Am Mittwoch hielt Präsident George W. Bush seine sechste "Rede zur Lage der Nation" vor dem Hintergrund einer demoralisierten Krisenstimmung, die nicht nur seine eigene republikanische Regierung, sondern das gesamte politische Establishment Amerikas erfasst hat.

Die Medien machten viel Aufhebens davon, dass Bush seine Rede zum ersten Mal vor einem demokratisch geführten Kongress halten musste. Die Stimmung war jedoch nicht so sehr von einer politischen Konfrontation gekennzeichnet, als von einer allgemeinen Verunsicherung und Besorgnis, da beide Parteien voll in das militärische und politische Debakel im Irak verwickelt sind.

Wie mehrere in dieser Woche veröffentlichte Umfragen unterstrichen haben, ist Bush meistverachtete Präsident seit Richard Nixon auf dem Höhepunkt der Watergate-Krise. Und diesem Präsidenten wurde wiederholt stürmischer Beifall gespendet, angeführt von der neuen "Madam Speaker" des Repräsentantenhauses, der demokratischen Kongressabgeordneten Nancy Pelosi.

Der Beifall, das Schulterklopfen und die Allgemeinplätze, die bei diesem jährlichen Ritual zur Gewohnheit geworden sind, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass das politische Establishment der USA von tiefgehenden Unstimmigkeiten und erbitterten Schuldzuweisungen zerrissen ist. Die erbittertste Opposition kommt dabei teilweise nicht von den mit neuer Machtfülle ausgestatteten Demokraten, sondern von Mitgliedern von Bushs eigener Partei

Es wird allgemein verstanden, dass der amerikanische Kolonialkrieg im Irak gescheitert ist und dass sechs Jahre Bush-Regierung zu einem enormen Niedergang der Stellung des US-Imperialismus im Weltmaßstab geführt haben.

Der "neue Weg nach vorn", den Bush vor weniger als zwei Wochen in einer Rede ankündigte, hat wachsende Befürchtungen heraufbeschworen, die militärische Eskalation im Irak zusammen mit den Drohungen gegen Iran und Syrien würden die Katastrophe weiter verschlimmern. Dennoch ähnelt die Reaktion des Kongresses der Lähmung von Fahrgästen, die mit einem drohenden Zugunglück konfrontiert sind: Sie wissen, was auf sie zukommt, können aber nichts tun, um es zu verhindern.

Die Angst vor den Konsequenzen der von Bush initiierten Eskalation ist verbunden mit einer noch größeren Furcht vor den Folgen einer endgültigen Niederlage des US-Imperialismus im Irak.

Die allgemeine Ratlosigkeit und Verzweiflung spiegelte sich in den unwirklichen und absurden Aspekten von Bushs Rede wider. Der "Oberbefehlshaber" erwähnte den Krieg im Irak - von dem jeder weiß, dass er das vorrangige Problem der Nation ist - erst gegen Ende seiner Ausführungen.

Das auffälligste Merkmal der gegenwärtigen "Lage der Nation" ist die beispiellose Entscheidung des US-Präsidenten, einen Krieg auszuweiten, der drei Monate zuvor in den Wahlen von der Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit abgelehnt wurde. Und trotzdem sprach er diese dreiste antidemokratische Missachtung der öffentlichen Meinung nicht ein einziges Mal an.

Stattdessen begann Bush seine Rede mit einer Reihe von reaktionären Vorschlägen zur Innenpolitik. "Unsere Aufgabe besteht darin, das Leben unserer amerikanischen Mitbürger zu verbessern und ihnen zu helfen, eine Zukunft voller Hoffnung und voller Möglichkeiten zu verwirklichen - und das ist die Aufgabe, die heute Abend vor uns steht", verkündete er

Tatsächlich bestand die "Aufgabe" an diesem Abend, wie schon im ganzen übrigen Jahr, darin, die Interessen der Banken und Unternehmen zu wahren, die beide großen Parteien kontrollieren. Bushs Vorschläge spiegelten allesamt diesen Schwerpunkt wider. Sie kamen der verschlüsselten Botschaft an die wichtigsten, profitträchtigsten Wirtschaftszweige gleich - die Energiekonzerne, die Monopole der Gesundheitsbranche, die Agrarindustrie und die Wall Street -, dass Bush die Absicht habe, neue Vorschläge einzubringen, um ihre Profite zu erhöhen.

Dementsprechend versprach der Präsident "den Bundeshaushalt auszugleichen ohne die Steuern zu erhöhen", das heißt, seine massiven Steuersenkungen für die Reichen beizubehalten und gleichzeitig die Überreste der Sozialprogramme für die arbeitende Bevölkerung zusammenzustreichen. Er forderte, die Regierung müsse "sich den Ansprüchen stellen", das heißt, sie müsse sich endlich daran machen, mit der Sozialversicherung sowie Medicare and Medicaid (öffentlicher Gesundheitsdienst für alte Leute und Bedürftige) aufzuräumen.

Bush schlug einen rückschrittlichen Plan vor, um angeblich den 47 Millionen Amerikanern zu helfen, die keine Krankenversicherung haben. Sein Heilmittel ist jedoch schlimmer als die Krankheit. Der Plan würde die Krankenkassenleistungen der Arbeitgeber zu versteuerndem Einkommen machen, was eine weitere Kürzung der Einkommen für etwa 30 Millionen Amerikaner bedeuten würde. Außerdem würde ein allgemeiner Steuerabzug eingeführt, der die Leute ermutigen soll, aus dieser Regelung auszuscheiden, was die medizinische Versorgung von etwa 160 Millionen Menschen in Gefahr brächte.

In der Einwanderungsfrage versprach Bush, Gesetze vorzulegen, die eine Neuauflage des "Bracero"-Programms bedeuten; damit soll der Agrarindustrie eine zuverlässige Versorgung mit unterdrückten, schlecht bezahlten Arbeitern garantiert werden, während den Einwanderern grundlegende Rechte verweigert werden.

Als er sich endlich dem Irak zuwandte, tat er das auf die übliche Weise, indem er den Aggressionskrieg, der von Washington schon lange zuvor vorbereitet worden war, als Reaktion auf den Terrorangriff vom 11. September 2001 und als entscheidende Front im "globalen Krieg gegen den Terror" darstellte.

Dass Millionen von Amerikanern schon längst die Behauptung ablehnen, die Invasion des Iraks sei eine Reaktion auf die Angriffe vom 11. September gewesen, fand im Kongress keinerlei Resonanz.

Angeführt von Pelosi standen die Demokraten wiederholt auf, um begeistert Beifall zu klatschen für den so genannten Krieg gegen den Terror und für diejenigen, die ihn führen. Sie standen auf und applaudierten Bush, als er erklärte, Washingtons Mission bestehe darin, "den Männern und Frauen des Nahen Ostens zu helfen, freie Gesellschaften aufzubauen und teilzuhaben an den Rechten der gesamten Menschheit". Und das angesichts der Tatsache, dass die USA Hunderttausende Iraker umgebracht, ihr Land in einen Alptraum des Todes und der Zerstörung verwandelt haben und ihre Macht in der Region immer noch auf das zionistisches Regime stützen, das die Palästinenser knebelt, sowie auf arabische Despoten, die ihr eigenen Völker unterdrücken.

Die Ratlosigkeit der Demokraten zeigte sich in vollendeter Form, als sie nach folgenden Worte von Bush von den Sitzen sprangen:

"Wir haben dies weitgehend vereint unternommen - vereint in unseren Ideen und unseren Überzeugungen. Und wie auch immer Sie gestimmt haben, Sie haben nicht für den Misserfolg gestimmt. Unser Land verfolgt eine neue Strategie im Irak - und ich bitte Sie, ihr eine Chance zu geben, sich zu bewähren. Und ich bitte Sie, unsere Soldaten im Einsatz und die, die sich auf dem Weg dorthin befinden, zu unterstützen."

Mit dieser Stelle zeigten die Redenschreiber von Bush, was sie wert sind. Der Absatz macht deutlich, dass die Demokraten Bushs Mittäter sind, weil sie dem Weißen Haus im Kongress einen Blankoscheck für den Aggressionskrieg gegen den Irak ausgestellt haben. Er macht auch deutlich, dass Demokraten und Republikaner dieselbe Meinung der herrschenden Elite Amerikas vertreten: Dass die internationalen Interessen des US-Kapitalismus mit militärischer Gewalt durchgesetzt werden müssen, insbesondere durch die Bemächtigung der Kontrolle über die Weltenergiereserven.

Ein Scheitern dieser Strategie hätte vom Standpunkt des politischen Establishments betrachtet katastrophale Auswirkungen für die weltweiten imperialistischen Interessen der USA. Aus diesem Grund werden die Demokraten unter der zynischen Losung "Unterstützt unsere Truppen" auch weiterhin den Krieg finanzieren.

Der politische Bankrott der angeblichen Opposition der Demokraten gegen Bushs Kriegspolitik wurde in der offiziellen Reaktion der Partei unterstrichen. Vorgetragen wurde die offizielle Stellungnahme vom demokratischen Kongress-Neuling Senator Jim Webb aus Virginia, der selber Vietnam-Veteran und früherer Republikanischer Marineminister war.

Nachdem er den Krieg als "schlecht geführt" bezeichnet hatte, versprach sich Webb bei seinem vorbereiteten Text auf enthüllende Art und Weise. "Die Mehrheit der Nation unterstützt diesen Krieg nicht mehr", begann er und korrigierte sich dann: "Unterstützt die Art und Weise nicht mehr, wie dieser Krieg geführt wird, und auch das Militär tut das nicht mehr."

Realität ist, dass die überwältigende Mehrheit diesen Krieg in der Tat ablehnt. Laut einer Umfrage, die von NBC und dem Wall Street Journal am Vorabend der Rede veröffentlicht wurde, wollen 65 Prozent den Abzug aller US-Truppen aus dem Irak bis zum Ende des Jahres. Die Demokraten setzen sich jedoch für seine Fortsetzung ein.

Webb führte weiter aus: "Wir brauchen eine neue Ausrichtung. Keinen Schritt zurück vom Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Keinen überstürzten Abzug, der sich darüber hinwegsetzt, dass dadurch noch mehr Chaos entstehen könnte."

Das ganze Gerede der Demokraten über eine "Umgruppierung" der US-Truppen ist nichts anderes als eine alternative Strategie zur Fortführung der Besatzung und des Kriegs gegen das irakische Volk. Mit dem Unterschied, dass man sich nicht mehr so stark auf die US-Kampftruppen stützen will, sondern mehr auf die irakischen Stellvertreter, unterstützt von amerikanischen "Beratern", schnellen Eingreiftruppen und der Luftwaffe.

Die viel gepriesene, unverbindliche Senatsresolution gegen Bushs Truppenaufstockung erklärt im ersten Satz: "Die Strategie der Vereinigten Staaten und ihre Präsenz im Irak kann nur mit der Unterstützung des amerikanischen Volks und einer parteiübergreifenden Unterstützung des Kongresses aufrechterhalten werden." Und sie fährt fort: "Unsere Chancen auf Erfolg im Irak zu erhöhen, sollte unser Ziel sein, und die besten Chancen auf Erfolg gibt es bei einer Änderung der gegenwärtigen Strategie."

Bushs Rede lief auf eine flehentliche Bitte um diese "parteiübergreifende" Unterstützung hinaus - Unterstützung von den Demokraten und schwankenden Mitgliedern seiner eigenen Partei für einen verschärften Angriff auf das irakische Volk. Obwohl die Demokraten wie auch ein großer Teil der Republikanischen Partei die möglicherweise verheerenden Folgen dieser neuen Taktik fürchten, haben sie als Alternative nur eine Variante für die Fortführung des Kriegs zu bieten

Die Rede zur Lage der Nation und die Reaktion der Demokraten haben erneut unterstrichen, dass es unmöglich ist, einen wirklichen Kampf für ein Ende des Irakkriegs zu führen, ohne die arbeitenden Menschen zu mobilisieren, und zwar unabhängig von und in Opposition zu der Demokratischen und der Republikanischen Partei sowie der herrschenden Unternehmerelite, deren Interessen beide Parteien dienen.

Siehe auch:
Rumsfelds
(18. Januar 2007)
Entlassung: Das erste Bauernopfer nach den Wahlen in den USA
( 11. November 2006)
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