Deutsche Flüchtlings- und Abschiebepolitik und ihre Folgen

Aus Deutschland abgeschobener staatenloser Roma begeht Selbstmord

Am Samstag, den 17. März erhängte sich der 57jährige Marin Mogos im Transitbereich des Bukarester Flughafens Otopeni. Diese Verzweiflungstat kann man nur als Protest und Anklage gegen die unmenschliche Flüchtlings- und rigorose Abschiebepolitik der deutschen Regierungen und Behörden verstehen.

Marin Mogos war mit seiner Frau und seinen Kindern 1990 während der Unruhen nach dem Sturz des Diktators Ceaucescu aus Rumänien nach Deutschland geflohen. Sie waren wie Hunderte andere Roma und ihre Familien von der berüchtigten Geheimpolizei Securitate verfolgt und misshandelt worden. Die Frau von Marin Mogos verlor ein Kind, als Geheimpolizisten auf sie einprügelten, während sie schwanger war.

Die Mogos legten wie viele der anderen aus Rumänien geflohenen Roma ihre rumänische Staatsbürgerschaft ab, galten von da ab als staatenlos und stellten in Deutschland einen Asylantrag in der Hoffnung auf spätere Einbürgerung.

Das Asylverfahren der Familie zog sich von 1990 bis 2001 hin und endete mit einer Ablehnung des Asylantrags, da für die Ausländerbehörde Rumänien mittlerweile als "sicherer Drittstaat" gilt.

Die Familie Mogos, die unmittelbar nach ihrer Flucht in einer Sammelunterkunft für Asylsuchende in Schwalbach (Hessen) untergebracht worden war, lebte mittlerweile in Kastel bei Wiesbaden. Ihre fünf Kinder wuchsen hier auf, besuchten die Schule und waren wie so viele andere ebenfalls von Abschiebung bedrohte Asylsuchende und Geduldete vorbildlich integriert.

Nach der Ablehnung ihres Asylantrags wurde die Familie noch einige Monate geduldet. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden lehnte die Klage der Familie gegen die Ablehnung ihres Asylantrags und auch ihren weiteren Aufenthalt als Geduldete ab.

Kurz darauf wurde im Morgengrauen des 7. März 2002 die Familie Mogos, Vater Marin, Mutter Anisoara sowie die drei Kinder Gabriela, Gheorghe und Dorina - damals 15, 17 und 18 Jahre alt - aus ihrer Wohnung in Kastel, in der sie über zehn Jahre gelebt hatten, von insgesamt 14 Polizeibeamten abgeholt, in Handschellen abgeführt und nach Bukarest abgeschoben. Zwei weitere Kinder, die mit Deutschen verheiratet sind, konnten in Deutschland bleiben.

Seit diesem Tag fristete Marin Mogos und seine Familie ihr Dasein in einem Raum im geschlossenen Transitbereich des Bukarester Flughafens Otopeni. Marin Mogos hatte sich geschworen, nie wieder rumänischen Boden zu betreten.

Eine Klage gegen die Abschiebung durch die deutschen Behörden nach Rumänien und die Verletzung des Rechts auf Achtung seiner Wohnung durch die Polizei im Zuge der Abschiebeaktion wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Mai 2004 abgewiesen.

Das Gericht machte formalrechtliche Gründe, dass der Kläger seinen Klageweg in Deutschland nicht ausgeschöpft hätte, und die Tatsache, dass er nach zwischenzeitlich abgeschlossenen Vereinbarungen zwischen Deutschland und Rumänien, auch wieder nach Rumänien einreisen und dort leben könnte, geltend.

Beide Begründungen sind haarsträubend und da sie die tatsächliche Situation des Klägers und seiner Familie missachten, völlig zurück zu weisen.

Es ist nahezu aussichtslos für Asylsuchende in Deutschland auf dem Klageweg ihre Anerkennung zu erreichen und noch schwieriger bis fast unmöglich, wenn sie sich bereits außer Landes und in einem rechtlichen Niemandsland wie dem geschlossenen Transitbereich eines Flughafens befinden.

Die Bezugnahme auf das zwischen Deutschland und Rumänien im Jahr 1998 abgeschlossene Rückführungsabkommen von staatenlosen, ehemaligen rumänischen Staatsbürgern ist besonders zynisch. Dieses Abkommen ist erst am 1. Februar 1999 in Kraft getreten und mangels rückwirkender Gesetzeskraft auf Personen, die bereits vorher nach Deutschland eingereist waren und staatenlos sind, nicht anwendbar.

Die deutschen Behörden beziehen sich bei ihrer gnadenlosen Haltung auf eine Zusatzvereinbarung, die erst im Frühjahr des Jahres 2001 nach einer Unterredung zwischen den Innenministern Deutschlands und Rumäniens unterzeichnet worden war. Im Vorfeld dieser Vereinbarung hatte der deutsche Innenminister Otto Schily (SPD) der damals regierenden rot-grünen Koalition massiven Druck auf die rumänische Seite ausgeübt und damit gedroht, dass Deutschland der Aufnahme Rumäniens in die EU nicht zustimmen würde, wenn Rumänien nicht bereit wäre, auch staatenlose ehemalige Staatsbürger wieder aufzunehmen, die vor Inkrafttretung des Rückführungsabkommens nach Deutschland gekommen waren, auch wenn es dazu rechtlich nicht verpflichtet sei.

Der Selbstmord von Marin Mogos kann also nur angesichts der völligen Ausweglosigkeit seiner Situation und der seiner Familie nach über fünf Jahren erzwungenen Aufenthalts in einem Raum des geschlossenen Transitbereichs des Bukarester Flughafens Otopeni verstanden werden.

Nach Rumänien zurück wollte er aufgrund seiner früheren Erfahrungen mit Verfolgung und Unterdrückung und der völligen Unsicherheit in der Gegenwart nicht. Nach Deutschland zurück, wo er über zwölf Jahre seines Lebens vor der erzwungenen Abschiebung verbracht hatte und in dem alle seine familiären und sozialen Bindungen existieren, durfte er nicht. Zu der unerträglichen Situation für ihn selbst, der auch an Diabetes erkrankt war und nur unzureichend medizinisch versorgt werden konnte, kam die Qual, das Leid seiner Familie und die Perspektivlosigkeit seiner herangewachsenen Kinder mit an zu sehen, die allesamt an Depressionen leiden.

Der Fall von Marin Mogos und seiner Familie ist besonders tragisch, aber keineswegs ein Einzelfall.

So berichtete die in Koblenz ansässige Rhein-Zeitung in der Zeit vom 8. Juli 2003 bis 24. Dezember 2004 mehrmals ausführlich über den sehr ähnlich gelagerten Fall der Familie Codreanu, die fast 13 Jahre in Koblenz wohnte und am 10. März 2003 nach Bukarest abgeschoben wurde. Auch sie lebt seitdem auf dem Flughafengelände. Ausführliche Informationen über den Fall dieser Familie können über http://codreanu2.tripod.com/RZ.html eingesehen werden.

An erster Stelle verantwortlich für das gnadenlose Vorgehen gegen staatenlose Roma und Asylsuchende insgesamt ist die rot-grüne Regierung, die während ihrer Amtszeit von 1998 bis 2005 zahlreiche Verschärfungen in der Asyl- und Ausländerpolitik auf den Weg gebracht und durchgesetzt hat. Diese Politik wird von der jetzt regierenden Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD fortgesetzt und verschärft. Sie ist Bestandteil von umfassenden Angriffen auf demokratische und soziale Rechte der Bevölkerung insgesamt.

Der tragische Fall von Marin Mogos und das ungewisse Schicksal seiner Familie beleuchtet auch in drastischer Art und Weise, was der jüngste UNICEF-Bericht zur Lage von Roma-Kindern in Europa und zur Lage von Kindern aus Roma-Flüchtlingsfamilien in Deutschland zu Tage gebracht hat.

Der von UNICEF Anfang März vorgestellte Bericht untersucht vor allem die Lage der Roma-Kinder in Südosteuropa, wo die meisten Roma in großer Armut am Rande der Gesellschaft leben. In Albanien, Bulgarien und Rumänien werden nur zwischen 60 und 80 Prozent der Roma-Kinder eingeschult. In Bosnien-Herzegowina gehen 80 Prozent der Roma-Kinder nicht zur Schule.

Die meisten der acht bis zehn Millionen Roma Europas leben in Südosteuropa, allein mehr als zwei Millionen in Rumänien. Fast die Hälfte der Roma in diesen Ländern sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Die meisten Familien vegetieren in regelrechten Ghettos und Slums. Die Arbeitslosigkeit liegt oftmals bei fast 100 Prozent, die Armutsraten kaum niedriger. Über die Hälfte von ihnen muss mit weniger als 100 Euro im Monat auskommen. Jeder Vierte von ihnen lebt in baufälligen Gebäuden oder Baracken, oftmals ohne fließendes Wasser und Anschluss an die Kanalisation.

Die Lage der Roma war in den ehemals stalinistisch beherrschten Ländern Südosteuropas bereits früher schwierig. Seit der Wiedereinführung ungezügelter kapitalistischer Verhältnisse von 1989/90 an hat sich ihre Lage weiter verschlimmert. Als ein Indiz dafür sei hier nur der Anstieg der Analphabetenrate genannt. Sie ist vor allem bei den jüngeren untersuchten Altersgruppen, den 15 bis 24jährigen in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kosovo und Serbien wieder gestiegen, was im engen Zusammenhang mit der niedrigen Einschulungsquote der Roma-Kinder und der schwierigen sozialen Lage der Roma insgesamt steht.

Während der Herrschaft der Nazis in Deutschland wurden die Roma gnadenlos auf dem ganzen europäischen Kontinent als "Zigeuner" verfolgt. Bis 1945 wurden etwa 500.000 von ihnen in den Konzentrationslagern ermordet.

In Bezug auf das heutige Deutschland kritisiert der UNICEF-Bericht vor allem die schwierige und unsichere Lage der Kinder aus Roma-Flüchtlingsfamilien. Derzeit gibt es in Deutschland etwa 70.000 Sinti und Roma mit deutschem Pass und etwa 50.000 Roma-Flüchtlinge, die seit 1990 aus dem ehemaligen Jugoslawien, vor allem nach dem Beginn der dortigen Bürgerkriege, geflohen sind. Unter ihnen befinden sich etwa 20.000 Kinder.

UNICEF verweist vor allem auf den ungesicherten Aufenthaltsstatus, der sich negativ auf die Roma und ihre Kinder auswirkt. Etwa zwei Drittel der 50.000 Roma-Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien sind nur "geduldet". Das heißt sie leben mit der ständigen Angst vor Abschiebung und haben auch während der Zeit ihrer Duldung in Deutschland nur eingeschränkte Rechte. So erhalten die Flüchtlinge nur 70 Prozent des Sozialhilfesatzes. Sie dürfen nicht arbeiten und haben keinen Anspruch auf Kindergeld, Erziehungsgeld und umfassende medizinische Versorgung. Im Saarland haben die Kinder von Geduldeten kein Anrecht, die Schule zu besuchen. In Hessen und Baden-Württemberg besteht für sie keine Schulpflicht und auch in anderen Bundesländern, Städten und Gemeinden hängt es sehr oft von den Initiativen von Sozialarbeitern, Lehrern und Eltern ab, ob die Kinder von Geduldeten zur Schule gehen können.

Die ausführlichen Berichte von UNICEF zur Lage der Roma-Kinder in Europa können über http://www.unicef.de eingesehen werden.

Siehe auch:
Rumänien und Bulgarien auf dem Weg in die Europäische Union
(6. Juli 2004)
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