Lokführer benötigen die Unterstützung aller Arbeiter

Seit der Ausdehnung des Streiks auf den Güterverkehr wird der Druck auf die Lokführer massiv erhöht. Der Bahnvorstand forderte die Lokführergewerkschaft GDL ultimativ zu Verhandlungen auf, legte aber kein neues Angebot vor. Durch Personalchefin Margret Suckale ließ Bahnchef Hartmut Mehdorn erklären, der Streik im Güterverkehr sei "eine ernsthafte Bedrohung" und gefährde Arbeitsplätze nicht nur bei der Bahn, sondern in großen Teilen der Wirtschaft.

"Die GDL hat eine Verhandlungspflicht", betonte Frau Suckale am gestrigen Donnerstag im ZDF-Morgenmagazin. Es gehe nicht an, dass eine "Splittergewerkschaft Deutschland lahmlegt" und damit nicht nur die Bahn, sondern die ganze Wirtschaft treffe. Schon Stunden bevor der erste Güterzug streikbedingt angehalten wurde, gab der Sprecher des Bahn-Tochterunternehmens Railion, Marek Polster, Verluste in "zweistelliger Millionenhöhe" bekannt. Mehrere Großkunden der Bahn hätten bereits vorsorglich Kurzarbeit beantragt. Wenn Kraftwerke nicht mehr mit Kohle beliefert werden könnten, drohe ein nationaler Notstand.

Fakt ist, dass der Bahnvorstand sich nach wie vor weigert, ein ernsthaftes Verhandlungsangebot vorzulegen und damit die Ausdehnung des Streiks auf den Güterverkehr bewusst provoziert hat. Frau Suckale, die sich mit ihren sieben Vorstandskollegen ein Jahresgehalt von 20 Millionen Euro teilt und die Lokführer mit monatlich 1.500 Euro abspeisen will, sollte das Wort "Verantwortung" besser nicht in den Mund nehmen.

Der Bahnvorstand ist entschlossen, die Lokführer in die Knie zu zwingen. Er stellt die GDL vor ein Ultimatum: entweder sie akzeptiert in der einen oder anderen Form den Tarifabschluss der beiden anderen Bahngewerkschaften Transnet und GDBA, oder sie wird zerschlagen. Um das zu erreichen, verweigert Mehdorn seit Monaten ernsthafte Verhandlungen. Jetzt zwingt er die Lokführer in einen Großkonflikt, der sehr schnell zu Produktionsengpässen in mehreren Industrien führen kann.

Frau Suckales Warnungen vor einem nationalen Notstand machen deutlich, was der Bahnvorstand vor hat. Er will mit seiner Verweigerungshaltung den Konflikt weiter anheizen und gleichzeitig der GDL Verhandlungsboykott vorwerfen. Die Gewerkschaft soll für einen drohenden nationalen Notstand verantwortlich gemacht und mit der Begründung der "Unverhältnismäßigkeit" erneut vor Gericht gezerrt werden.

Der Bahnvorstand hat den Streik der Lokführer zu einer Grundsatzfrage gemacht und wird dabei von allen Wirtschaftsverbänden, der Bundesregierung, einem Großteil der Medien und den DGB-Gewerkschaften unterstützt. Jeder Widerstand gegen den seit Jahren andauernden Lohn- und Sozialabbau soll eingeschüchtert und unterdrückt werden.

Setzt sich der Bahnvorstand durch und zwingt die Lokführer zum Nachgeben, wird das eine Welle weiterer Angriffe auf alle Lohnabhängigen einleiten. In vielen Großkonzernen liegen bereits ausgearbeitete Pläne über Massenentlassungen, Verlängerung der Arbeitszeit und drastische Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen vor. So hat beispielsweise Telekom den Abbau weiter 35.000 Arbeitsplätze angekündigt.

Deshalb ist es wichtig, dass sich die ganze arbeitende Bevölkerung mit den Lokführern solidarisiert und den Streik verteidigt. Wir wiederholen unseren Aufruf, der in den vergangenen Wochen weit verbreitet wurde: "Lasst nicht zu, dass die Lokführer von den DGB-Gewerkschaften isoliert, vom Bahn-Management an die Wand gedrückt und von der Klassenjustiz kriminalisiert werden! Baut Solidaritätskomitees auf und macht den Kampf der Lokführer zum Ausgangspunkt einer breiten Offensive gegen Lohn- und Sozialabbau und gegen die Große Koalition in Berlin!"

Ein Spiegel der Gesellschaft

Die Aggressivität und Schamlosigkeit, mit denen der Bahnvorstand seine Privilegien und hemmungslose Bereicherung verteidigt, während er gleichzeitig den Beschäftigten das Recht auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen und ein Einkommen abspricht, von dem man leben und eine Familie ernähren kann, widerspiegeln die Verhältnisse auch in anderen Bereichen der Gesellschaft.

Ende Oktober veröffentlichte die Berliner Zeitung eine Studie über die Gründe, weshalb der Streik der Lokführer "trotz Zugausfällen, Verspätungen und Staus" noch immer große Sympathien genießt. Unter der Überschrift "Gerechtigkeit für alle" zitiert das Blatt Statistiken, die deutlich machen, wie sehr sich die Lebensverhältnisse für die große Mehrheit der Bevölkerung verschlechtert haben, während die Wirtschaft boomt und eine kleine Elite in Saus und Braus lebt.

"Trotz steigender Bruttolöhne verdient ein Arbeitnehmer netto heute im Durchschnitt weniger als vor 15 Jahren. Gründe dafür sind geringe Lohnerhöhungen, höhere Preise, steigende Abgaben und Steuern", heißt es in dem Artikel. Und weiter: "Im laufenden Jahr werden die Gewinne der dreißig Konzerne aus dem Deutschen Aktienindex zum sechsten Mal in Folge mit zweistelligen Prozentsätzen zulegen. Auch die Überschüsse der siebzig kleineren Firmen aus dem Index MDax wachsen kräftig. Seit dem Boomjahr 2000 haben die hiesigen Unternehmen ihre Gewinne mehr als verdoppelt - unter anderem durch Lohnkostensenkungen, Entlassungen und Arbeitszeitverlängerung. Das Leid der Arbeitnehmer ist die Freud der Aktionäre."

Allein die dreißig Dax-Unternehmen werden laut Schätzungen im nächsten Jahr knapp 28 Milliarden Euro an Dividenden ausschütten - vier Milliarden mehr als im Vorjahr und doppelt so viel wie im Jahr 2005.

Die Berliner Zeitung zitiert eine Verkäuferin, die ihre Einkommensverluste in den zurückliegenden zehn Jahren beschreibt und ausspricht, was Millionen denken: "Ich lese immer vom Aufschwung - bei mir gibt’s keinen Aufschwung." Nach einer Forsa-Umfrage vom Juli geht es 36 Prozent der Deutschen finanziell schlechter als im Vorjahr.

Im selben Zeitraum stiegen die Bezüge der deutschen Top-Manager um fast 19 Prozent auf durchschnittlich 4,6 Millionen Euro im Jahr, errechnete die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger. Damit verdienen "Deutschlands Unternehmenslenker" 52 Prozent mehr als im Jahr 2003. Nach einer Expertise der Unternehmensberatung Kienbaum zahlen sich die Vorstände der hundert größten deutschen Unternehmen etwa 43 Mal so viel aus wie ihren Angestellten. Mitte der Neunziger waren es noch 20 Mal so viel.

Wenn also Bahnchef Mehdorn & Co. behaupten, die Forderungen der Lokführer seien "überzogen" und "außerhalb jeder Normalität", dann ist das absurd. Offensichtlich ist genug Geld da, um die Taschen der acht Vorstände voll zu stopfen. Laut Medienberichten wurden die Bezüge für die acht Vorstandsmitglieder im Zeitraum von 1999 bis 2005 "rechnerisch" um 400 Prozent, von 3,7 Millionen Euro auf 14,7 Millionen Euro, erhöht. Seitdem stiegen sie auf 20 Millionen Euro. Mehdorns eigenes Gehalt ist im letzten Jahr um 100 Prozent gestiegen, auf 3,18 Millionen Euro.

Die Streikbrecherrolle von Transnet und DGB

Mit der Ausdehnung des Streiks auf den Güterverkehr verschärft sich auch die Streikbrecherrolle der Bahngewerkschaft Transnet, die ganz offen und schamlos als gelbe Gewerkschaft fungiert und dabei von den anderen DGB-Gewerkschaften unterstützt wird.

Gemeinsam mit der Besamtenvereinigung GDBA unterstützt Transnet die Privatisierungspläne der Bahn. Beide Organisationen befinden sich in einer Tarifunion und haben den Personalabbau und den Tarifabbau der vergangenen Jahre mitgetragen. Nun beraten sie den Bahnvorstand bei seinem Vorgehen gegen die Lokführer und fordern die eigenen Mitglieder zum Streikbruch auf.

Zeitgleich mit dem Beginn des Streiks am Donnerstag gab Transnet-Chef Norbert Hansen ein Interview im Deutschlandradio. Dort beschimpfte er die Lokführer als "Tarif-Brecher" und warf ihnen vor, sie verletzten mit ihren Forderungen die "Solidarität" mit den übrigen Bahnbeschäftigten. Unter "Solidarität" versteht Hansen die enge Zusammenarbeit mit dem Bahnvorstand, wofür er als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender auch fürstlich entlohnt wird.

Im Deutschlandradio machte Hansen keinen Hehl daraus, warum er den Streik der Lokführer bekämpft. Auf die Frage, warum er über die Lokführergewerkschaft derart erzürnt sei, antwortete er: "Es geht ja hier auch um eine Frage, die weit über die Bahn hinausgeht. Wenn diese GDL sich durchsetzt mit ihrem Anspruch an den eigenständigen Tarifvertrag, obwohl die Bezahlung verbessert werden kann auf friedlichem Wege, dann ist das ein Signal für viele andere Bereiche." Dann müsste die Tarifpolitik "grundlegend geändert" werden.

Mit anderen Worten: Die Tarifpolitik soll nicht durch den kämpferischsten Teil der Belegschaft bestimmt werden, der Verbesserungen durchsetzt, an denen sich dann auch alle anderen Beschäftigten orientieren, sondern die Tarifverträge sollen von den gewerkschaftlichen Spitzenfunktionäre in Absprache mit der Konzernleitung diktiert werden.

Mit dieser Art von "Knebelverträgen" wurden in den vergangenen Jahren massive Verschlechterungen in vielen Betrieben erzwungen. Während Hansen und andere DGB-Funktionäre das "Prinzip der Einheitsgewerkschaft" und einheitlicher Tarifverträge gegen die GDL anführen, spalten sie an anderer Stelle systematisch die Belegschaft.

Bei Telekom stimmten Verdi und ihre Betriebsräte der Ausgliederung von 50.000 Beschäftigten in eine betriebseigene Billiglohnfirma zu und unterschrieben Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, die neun Prozent Lohnsenkung bei vier Stunden Mehrarbeit die Woche bedeuten. Die IG Metall unterstützte 2004 das "Pforzheimer Abkommen", das den Unternehmen die Möglichkeit gibt, Tarifvereinbarungen in einzelnen Abteilungen oder auf breiter Front zu unterlaufen. Wobei der Tarifvertrag seine Gültigkeit behält und die Beschäftigten an die betriebliche Friedenspflicht gebunden sind.

Auch eine weitere Aussage von Norbert Hansen im Deutschlandradio war sehr aufschlussreich. Auf die Frage, mit welchen Konsequenzen er rechne, falls der Streik in der kommenden Woche anhalte und möglicherweise auf den Fernverkehr ausgedehnt werde, antwortete Hansen: "Das hat nach meiner Einschätzung weitgehende Konsequenzen auch für die Tarifautonomie, für das Streikrecht, das ja kein gesetzliches Recht ist. Wir wollen das auch gar nicht in Deutschland, weil das meistens einschränkend wirkt. Es ist vielmehr ein Richterrecht und ich befürchte, wenn jetzt das Gemeinwohlprinzip verletzt wird, dass dann eine politische Diskussion einsetzt, die für alle Gewerkschaften zu einer schweren Niederlage werden kann."

Hat man je eine derart feige Argumentation gehört? Nach Hansen schützt man das Streikrecht vor staatlichen Angriffen, indem man es nicht ausübt. Dieser Lakai Mehdorns sieht das "Gemeinwohlprinzip" grundsätzlich von den Arbeitern verletzt, während in Wirklichkeit der Bahnvorstand die Auseinandersetzung systematisch verschärft und zuspitzt.

Die Mitglieder aller Gewerkschaften sollten gegen die reaktionäre Streikbrecherpolitik von Transnet, die von allen DGB-Gewerkschaften mitgetragen wird, Sturm laufen, Protestbriefe schreiben und ihrer Beitragszahlungen einstellen, wenn die Hetze gegen den Lokführerstreik nicht offiziell zurückgenommen wird.

Eine Frage der Perspektiven

Die neue Streikoffensive der GDL ist zu begrüßen. In den vergangenen Wochen hat die nachgiebige Haltung der GDL dem Bahnvorstand immer wieder in die Hände gespielt, und auch jetzt versuchen Teile des GDL-Vorstands um den CDU-Politiker Manfred Schell, möglichst schnell einen Kompromiss zu finden.

Die Ausdehnung des Streiks auf den Güter- und Fernverkehr und die damit entstandene Verschärfung der Auseinandersetzung erfordert aber ein Programm, das nicht bei gewerkschaftlicher Militanz stehen bleibt. Der Streik hat politische Dimensionen angenommen.

Die Verteidigung der Einkommen sowie von sozialen und demokratischen Rechten erfordert eine grundlegend neue politische Strategie. Anstatt der Profitinteressen der Wirtschaft müssen die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung in den Mittelpunkt gestellt und eine sozialistische Zielsetzung verfolgt werden. Die Produktion im allgemeinen und derart wichtige Unternehmen wie die Bahn AG müssen der Kontrolle der Finanzaristokratie entrissen und in den Dienst der Gesellschaft als ganzer gestellt werden.

Das kann nur erreicht werden, wenn Arbeiter mit ihren alten, nationalen Organisationen brechen und sich europa- und weltweit zusammenschließen, um für eine sozialistische Reorganisation der Gesellschaft zu kämpfen.

Die Lokführer brauchen in diesem Kampf die Solidarität der gesamten Arbeiterklasse. Diese Unterstützung muss direkt mit dem Aufbau einer internationalen sozialistischen Partei - der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) verbunden werden.

Siehe auch:
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