Schweiz: Wahlkampf deckt tiefe Brüche in der Gesellschaft auf

Am Sonntag werden in der Schweiz die beiden Kammern des Parlaments, der Nationalrat und der Ständerat, neu gewählt. Der derzeitige Wahlkampf ist der abstoßendste und schmutzigste in der Geschichte des Landes. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) des Rechtspopulisten Christoph Blocher hat dem Wahlkampf mit ihren ausländerfeindlichen Parolen den Stempel aufgedrückt.

Gipfel der rassistischen Kampagne der SVP ist ein Plakat, das drei weiße Schafe auf einem roten Boden mit Schweizerkreuz zeigt, die ein viertes, schwarzes Schaf mit Huftritt über den Rand hinaus befördern. Der UN-Sonderberichterstatter für Rassismus hat deshalb offiziell interveniert.

Parallel zum Wahlkampf sammelt die SVP Unterschriften für eine Volksinitiative "Für die Ausschaffung krimineller Ausländer". Sie verlangt die Abschiebung von Menschen ohne Schweizerpass, die zu Gefängnisstrafen verurteilt oder beschuldigt werden, missbräuchlich Sozialleistungen zu beziehen. Bei Minderjährigen soll die ganze Familie abgeschoben und damit der Sippenhaft unterworfen werden.

Ein Wahlvideo der SVP musste kurz nach Erscheinen wieder aus dem Verkehr gezogen werden, da die jugendlichen Darsteller gegen die Veröffentlichung klagten: Sie waren nicht informiert worden, dass es sich um einen SVP-Propagandafilm handelte. Der Film "Himmel oder Hölle" wird dennoch auf SVP-Wahlveranstaltungen gezeigt.

Der Kurzfilm beginnt mit der Aussage: "Wenn rot-grün gewinnt, geht die Schweiz kaputt". Dazu werden Gewaltdarstellungen gezeigt und von Horrormusik begleitet: Ein Jugendlicher spritzt Heroin, worauf es zu tödlichen Verkehrsunfällen kommt. Einer alten Frau wird die Handtasche gestohlen, Schulkinder werden verprügelt und junge Frauen belästigt und mit dem Messer bedroht. Im nahtlosen Übergang werden Muslime in der Schweiz gezeigt, kopftuchtragende Frauen mit zahlreichen Kindern, Männer, die herumsitzen und nicht arbeiten, dazwischen Schlagzeilen wie "Rentenbetrüger" und "Missbrauch stoppen!"

Zum Schluss wird unter dem Motto "SVP - mein Zuhause, unsere Schweiz" ein idealisiertes Klischee zelebriert: Gezeigt werden wohlgekleidete und zufriedene Städter, Angestellte, Eisenbahner, Bauern bei der Arbeit, Forscher, Schweizer Banken, das Militär - zuletzt das Land, das aus malerischen Seen, Bergen und Postkartenansichten besteht und dessen Sicherheit - so die Botschaft des Films - ein rigoroses Durchgreifen gegen Einwanderer und Sozialhilfeempfänger erfordert. Der Film stellt jede Hasspredigt in den Schatten.

Die Wahlkampagne der SVP, die mit nie gekanntem propagandistischem und finanziellem Aufwand betrieben wird, hat das Land polarisiert. Als die SVP am 6. Oktober einen Aufmarsch in Bern organisierte, versank die mittelalterliche Altstadt im Chaos. Jugendliche Demonstranten stellten sich der SVP entgegen und die Polizei reagierte mit Tränengas, Wasserwerfern und Festnahmen.

Ende der Konkordanzdemokratie

In der Vergangenheit waren Schweizer Parlamentswahlen eine eher unauffällige Angelegenheit. Ungeachtet des Wahlergebnisses änderte sich die Zusammensetzung der Regierung nicht. Die sieben Bundesräte (Minister) rekrutierten sich von 1959 bis 2003 nach der so genannten "Zauberformel" aus den vier größten Parteien - zwei aus der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), zwei aus der Sozialdemokratischen Partei (SP), zwei aus der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) und einer aus der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Seit 2003 stellt die SVP zwei und die CVP einen Bundesrat.

Der Regierungsvorsitz wechselt im jährlichen Rotationsverfahren. Entscheidungen werden mit Mehrheitsbeschluss getroffen und nach außen geschlossen vertreten. Die Regierungsmitglieder bleiben in der Regel so lange im Amt, bis sie sich selbst zum Rücktritt entschließen. Selbst wenn es zur Wahl eines neuen Bundesrats kommt, müssen so viele Kriterien beachtet werden - Parteizugehörigkeit, Sprachenproporz, Religionsproporz und Proporz zwischen den Kantonen - dass die Wahl eher einem Puzzlespiel gleicht, als einer politischen Entscheidung.

Hinzu kommt, dass die Kompetenzen der Bundesregierung beschränkt sind. Viele Befugnisse liegen bei den Parlamenten und Regierungen der 26 Kantone oder bei den Kommunen. Über wichtige Gesetze und Entscheidungen finden regelmäßig Volksabstimmungen statt.

Diese sogenannte "Konkordanzdemokratie" ist die spezifisch schweizerische Form des sozialen Kompromisses, wie er in der Nachkriegsperiode in allen westeuropäischen Ländern vorherrschte. Das fein verästelte, auf Konsens angelegte System des Föderalismus hält ein Land zusammen, dem die sprachlichen und geografischen Voraussetzungen für eine Nation fehlen und das durch tiefe gesellschaftliche und kulturelle Gegensätze geprägt ist.

Dies 7,5 Millionen Einwohner zählende Schweiz verfügt über vier offizielle Sprachen (deutsch, französisch, italienisch und rätoromanisch) und über zwei Hauptreligionen (römisch-katholisch und evangelisch-reformiert), die sich vor 160 Jahren noch in einem Bürgerkrieg bekämpften. Neben den Sitzen internationaler Großbanken (UBS, Credit Suisse) und globaler Konzerne (Nestlé, Novartis, Roche) finden sich auf engstem Raum ländlich Gegenden, in denen die bäuerliche Folklore noch zur Alltagskultur gehört. Hochentwickelte Industriezweige (Maschinenbau, Feinmechanik, Pharma) paaren sich mit primitivsten Formen der Landwirtschaft in den Bergen.

Die Neutralität in Verbindung mit dem Bankgeheimnis hat die Schweiz reich gemacht. Die Neutralität ermöglichte es ihr in zwei Weltkriegen, mit allen Seiten Geschäfte zu machen. Das Bankgeheimnis machte sie zum Anziehungspunkt für Großvermögen aus der ganzen Welt. Die Schweizer Großbank UBS ist mit 3,3 Billionen Franken Kundengeldern auch heute noch der größte Vermögensverwalter weltweit. Hinzu kommt dank der Naturschönheiten des Landes eine lukrative Tourismusindustrie.

Solange es gelang, die Grenzen einigermaßen abzuschotten, konnten die Gegensätze im innern des Landes mit Hilfe dieses Reichtums abgedämpft werden. Der Sozialstaat erreichte zwar nie das Ausmaß der europäischen Länder mit einer starken Arbeiterbewegung. Aber die Arbeitslosigkeit war gering und das Lohnniveau relativ hoch. Die Landwirtschaft wurde hoch subventioniert und vor Importen geschützt.

Mit der Globalisierung, dem Wachstum der Europäischen Union und dem Ende des Kalten Krieges hat dieses System Risse bekommen. In der Schweizer Gesellschaft sind tiefe Gräben aufgebrochen. Der Aufstieg der SVP ist ein direktes Ergebnis davon.

Soziale Spannungen

Im Vergleich zu den umliegenden Ländern ist zwar die Arbeitslosenquote in der Schweiz mit 3,3 Prozent immer noch vergleichsweise niedrig und das Lohnniveau hoch. Doch die pauschalen Zahlen täuschen. Soziale Unsicherheit, prekäre Arbeitsverhältnisse und Armut haben gewaltig zugenommen.

Die Arbeitsplätze haben sich auf den Dienstleistungssektor verlagert, in dem Teilzeitarbeit, Scheinselbständigkeit und Niedriglöhne weit verbreitet sind. Arbeiteten 1971 sowohl im Industrie- wie im Dienstleistungssektor noch jeweils 46 Prozent aller Beschäftigten, so sind es heute im Industriesektor nur noch 24 Prozent, im Dienstleistungssektor dagegen 72 Prozent. Der Anteil des Landwirtschaftssektors hat sich im selben Zeitraum von 8,2 auf 4,1 Prozent halbiert.

Die Zahl der Unterbeschäftigten hat stark zugenommen. So kamen 2004 zu den 178.000 offiziellen Arbeitslosen 378.000 Unterbeschäftigte hinzu; mithin suchten also 13 Prozent der aktiven Bevölkerung nach einer Vollzeitarbeitsstelle.

Laut einer Studie zählen 7,5 Prozent der aktiven Bevölkerung zu den "Working Poor" - d.h. sie haben Arbeit, verdienen aber nicht genug, um davon leben zu können. Besonders hoch ist die Zahl der "Working Poor" im Einzelhandel, bei persönlichen Dienstleistungen, in der Landwirtschaft und im Hotelgewerbe. Hier sind die Durchschnittslöhne seit den 1990er Jahren um 12 Prozent gesunken.

Auch die Zahl prekärer Arbeitsplätze hat zugenommen. Unbefristete Arbeitsverträge werden durch befristete abgelöst, die Zeit- und Teilzeitarbeit wächst. Laut einer Erhebung des Hilfswerks Caritas ist jeder zehnte Arbeitsplatz bei Männern und jeder fünfte bei Frauen prekär.

Nach Angaben der Caritas waren im Jahr 2005 in der Schweiz eine Million Menschen - das ist ein Siebtel der Bevölkerung - von Armut betroffen: 200.000 Rentner, 600.000 Personen im erwerbsfähigen Alter und mehr als 200.000 Kinder und Jugendliche. Zwei Jahre zuvor hatte die Caritas die Zahl noch auf 850.000 geschätzt. Im Kanton Zürich - einer Hochburg von Blochers SVP - gelten sogar 23 Prozent der Bevölkerung als arm oder armutsgefährdet.

Die Öffnung der Grenzen zur Europäischen Union hat den Druck auf Arbeitsbedingungen und Löhne zusätzlich erhöht. Die Schweizer Wirtschaft ist dringend auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Jede vierte Person, die in der Schweiz ihr Geld verdient, hat keinen Schweizer Pass. Seit den 1960er Jahren liegt der Ausländeranteil an der Bevölkerung bei 15 Prozent, nach 1990 stieg er auf heute 20 Prozent.

Eingesetzt werden die Arbeitskräfte aus dem Ausland vor allem in schweren und schlecht bezahlten Jobs im Bau und Hotelgewerbe, mit der Öffnung der EU-Grenzen auch vermehrt in hochqualifizierten Bereichen wie Medizin, Ausbildung und Management. Tausende deutsche Facharbeiter und Akademiker arbeiten mittlerweile in der Schweiz.

Die Spannungen und Ängste, die soziale Krise ausgelöst werden, finden keinen fortschrittlichen politischen Ausdruck. Gewerkschaften und Sozialdemokratische Partei sind fester Bestandteil des Schweizer Konkordanzsystems.

Die SP ist seit einem halben Jahrhundert loyales Mitglied der bürgerlichen Allparteienkoalition. Die Gewerkschaften haben vor 70 Jahren, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, ein Friedensabkommen mit den Unternehmerverbänden unterzeichnet, in dem sie auf Streiks und jegliche Kampfmaßnahmen verzichten und sich verpflichten, alle Konflikte einvernehmlich zu lösen. Das Friedenabkommen ist seither mehr oder weniger unverändert in Kraft geblieben. Streiks sind in der Schweiz eine Seltenheit.

Unter diesen Bedingungen ist es Blochers SVP gelungen, die Ängste und Spannungen zu instrumentalisieren und in eine chauvinistische Richtung zu lenken.

Der Aufstieg der SVP

In der SVP finden sich alle Gegensätze, die die Schweizer Gesellschaft prägen, in bizarr übersteigerter Form wieder.

Christoph Blocher selbst ist Multimilliardär und gehört zu den reichsten Männern des Landes. Das siebte von elf Kindern eines Dorfpfarrers arbeitete erst in der Landwirtschaft, studierte dann Jura, machte Karriere im Chemieunternehmen Ems-Chemie und übernahm 1983 dessen Aktienmehrheit. Als international tätiger Unternehmer genießt Blocher die Unterstützung von Großbanken und anderen Teilen der Wirtschaft.

Blochers Wirtschaftsprogramm ist ultraliberal: Steuersenkungen, harter Sparkurs, Reduzierung der Sozial- und sonstigen Staatsausgaben. Das Bankgeheimnis verteidigt er mit Zähnen und Klauen gegen die EU. Einzig in der Landwirtschaft hält er an Subventionen fest, um die Bauern nicht vor den Kopf zu stoßen.

Der SVP-Wahlkampf wird von finanzstarken Gönnern mit Millionenbeträgen gesponsert. Die Süddeutsche Zeitung, die der SVP einen "hochprofessionellen Wahlkampfstil" bescheinigt, schreibt, der Partei scheine "Geld in nahezu unbegrenzter Menge aus unbekannten Quellen zur Verfügung zu stehen - sicher nicht gespendet von ihrer größten Wählergruppe, eher bildungsfernen und unterdurchschnittlich verdienenden Schweizern".

Der Verwaltungsratspräsident der Schweizer Großbank UBS, Marcel Ospel (mit 24 Mio. Franken Jahresverdienst einer der bestbezahlten Manager), ist mit Christoph Blocher privat befreundet und hat diesen kürzlich als Gast zu seiner Hochzeit eingeladen. Im UBS-Verwaltungsrat sitzt auch der SVP-Nationalrat Peter Spuhler. Unter den Medien ist es die Weltwoche, die völlig zum Sprachrohr der SVP degeneriert ist.

Obwohl Blocher den Kreisen der Hochfinanz angehört und von diesen unterstützt wird, stützt sich seine politische Karriere auf einen dumpfen Nationalismus, der die Ängste und Vorurteile ärmerer, vorwiegend ländlicher Bevölkerungsschichten mobilisiert. Seine Wahlkampfauftritte sind von ländlicher Folklore begleitet: Von Schweizer Fahnen, Trachten, Kuhglocken und einem Geißbock, der vorneweg marschiert.

Die SVP war ursprünglich eine Partei des ländlichen Kleinbürgertums, der Bauern und Handwerker in der protestantischen, deutschsprachigen Schweiz. Ihre Vorgängerin, die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB), war 1936 entstanden, weil sich diese Schichten nicht mehr der großbürgerlichen FDP unterordnen wollten.

Bis in die 1980er Jahre war die behäbig konservative SVP mit einem Stimmenanteil von zehn bis zwölf Prozent die kleinste unter den vier Bundesratsparteien. Blocher hat sie in eine rechtspopulistische Protestpartei verwandelt, die im gesamten Land und unter allen Bevölkerungsschichten Unterstützung mobilisiert und mit einem Wähleranteil von 27 Prozent (2003) zur stärksten Partei der Schweiz geworden ist.

Blochers Aufstieg begann in der Bankenmetropole Zürich und stieß lange Zeit auf den Widerstand der Parteiführung im ländlich geprägten Kanton Bern. 1986 führte er eine erfolgreiche Kampagne gegen den UNO-Beitritt, 1992 gegen den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Der Erfolg der Volkabstimmung gegen den EWR-Beitritt trug wesentlich zu Blochers Aufstieg bei.

2003 wurde die SVP schließlich zur stärksten Bundesratspartei und erzwang die Sprengung der alten "Zauberformel". Auf Kosten der CVP erhielt sie einen zweiten Sitz im Bundesrat. Blocher zog als Justiz- und Polizeiminister in die Schweizer Regierung ein.

Seither gebärdet er sich als Regierungsmitglied und Oppositionsführer in einer Person. Als Justizminister lancierte er ein neues Asyl- und Ausländergesetz, das Flüchtlinge ohne Pass jeglicher demokratischer Rechte beraubt und zu Freiwild macht. Gleichzeitig greift er öffentlich die Arbeit der Regierung an, deren Mitglied er ist.

Feigheit der Sozialdemokraten

Das Konkordanzprinzip ist so zu einer reinen Floskel verkommen. Doch die anderen Parteien haben nicht den Mut, das Bündnis mit Blocher zu sprengen. Sie starren auf die SVP, wie das Kaninchen auf die Schlange.

Vor allem die Feigheit der Sozialdemokratischen Partei (SP) kennt in dieser Hinsicht keine Grenzen. Sie sitzt seit vier Jahren gemeinsam mit Blocher in der Regierung und vertritt deren Beschlüsse - einschließlich ihrer ausländerfeindlichen Gesetze - gemäß den ungeschriebenen Regeln der Konkordanzdemokratie nach außen. Die Sozialdemokratin Micheline Calmy-Rey ist in diesem Jahr turnusgemäß sogar Bundespräsidentin. Die Möglichkeit eines Austritts aus der Regierung und einer offenen Konfrontation mit Blocher ziehen die Sozialdemokraten noch nicht einmal in Erwägung.

Als der Uno-Menschenrechtsrat in Genf Kritik am rassistischen Schäfchenplakat der SVP übte, stellten sich die anderen Regierungsparteien geschlossen hinter Blocher. "Verblüffend ist die offizielle Stellungnahme der Schweizer Regierung, des Bundesrates, gegenüber der Uno: ‚Die SVP-Kampagne zur Ausschaffungsinitiative steht im Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit’", kommentierte der Spiegel.

Auch auf die gewaltsamen Ausschreitungen in Bern reagierten die anderen Parteien, indem sie sich mit der SVP solidarisierten. Sie versprachen, deren "Recht auf freie Meinungsäußerung" bedingungslos zu schützen. Bundespräsidentin Calmy-Rey sagte dem Sonntagsblick, das Recht auf Versammlungsfreiheit dürfe nicht von ein paar hundert Extremisten beschnitten werden. Der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät, ebenfalls ein Sozialdemokrat, verurteilte die Gewalt "in aller Schärfe"; die Meinungsfreiheit in der Schweiz gelte für alle, auch für die SVP.

Die SVP bedankte sich postwendend mit neuen, geifernden Angriffen auf die Sozialdemokraten und die Grünen. Jetzt zeige sich, verkündete sie, dass "linksfaschistische Gewaltbereitschaft" über die Bürgerfreiheiten triumphiere. Dies seien "die Früchte der links-grünen Politik durch die jahrelange Verhätschelung, das Totschweigen, Schönreden und die Duldung linksalternativer Gewaltexzesse".

Mit seiner Kampagne für eine Abschottung der Schweiz treibt Blocher ein gefährliches Spiel. Wenn Fremdenfeindlichkeit und Chauvinismus überhand nehmen, könnte sich das negativ auf das Tourismus- und Bankengeschäft auswirken, auf die die Schweizer Wirtschaft dringend angewiesen ist.

Das Schüren von Rassismus ist in der Schweiz mit ihrer sprachlichen und kulturellen Vielfalt zudem ein Jonglieren mit Dynamit. Es könnte leicht auf die Schweiz selbst zurückschlagen und das Land sprengen, wie dies schon im zweisprachigen Belgien zu beobachten ist. Doch die Angst, dass sich die wachsenden sozialen Spannungen in offenen Klassenkämpfen entladen, ist in der herrschenden Elite des Landes offenbar so groß, dass sie diese Risiken in Kauf nimmt.

Man sollte Blochers Einfluss auch nicht überschätzen. Meinungsumfragen deuten darauf hin, dass die SVP den Zenit ihres Einflusses bereits erreicht hat. Sie sagen ihr nur eine geringe oder gar keine Verbesserung des 27-Prozent-Ergebnisses von 2003 voraus. Die Bedeutung dieser Zahl wird zudem durch den Umstand gemindert, dass die Wahlbeteiligung seit langem unter 50 Prozent liegt und ein Fünftel der Einwohner des Landes kein Wahlrecht haben, weil sie keinen Schweizer Pass besitzen.

Blocher hat also nur einen geringen Teil der Bevölkerung hinter sich, kann aber aufgrund des Fehlens jeder ernsthaften politischen Alternative sehr viel politische Wirkung erzielen.

Mittlerweile mehren sich die Anzeichen, dass das Ende der Konkordanzdemokratie auch in der Schweiz eine neue Periode von Klassenkämpfen einleitet.

Nur eine Woche vor dem Wahltermin entwickelten sich in der Bauindustrie teilweise militante Streiks. Am Montag, den 15. Oktober, beteiligten sich über 5.000 Bauarbeiter an einem Warnstreik und legten 50 Baustellen in Bern, Genf, Neuenburg und in den Alpen still. Vor dem Berner Hauptbahnhof wie auf den Großbaustellen der NEAT (Neue Eisenbahn-Alpentransversale), dem größten Bauprojekt Europas, ruhte die Arbeit.

Von rund 36.000 Bauarbeitern, die in einer Urabstimmung befragt wurden, sprachen sich 84 Prozent für einen nationalen Streik aus, um einen neuen Landesmantelvertrag (LMV) für die über 80.000 Bauarbeiter in der Schweiz durchzusetzen. Die Bauarbeiter wehren sich dagegen, dass die Arbeitszeiten weiter flexibilisiert und die Anfangslöhne junger, ungelernter Arbeiter um zehn Prozent gesenkt werden.

Auch in der Schweiz stellt sich jetzt dringend die Aufgabe des Aufbaus einer neuen politischen Partei, die die Interessen der arbeitenden Bevölkerung vertritt. Eine Stimmabgabe für die Sozialdemokraten oder die Grünen am kommenden Sonntag wird Blocher und die von ihm verkörperten Gefahren nicht bannen. Nur eine internationale sozialistische Perspektive kann eine Antwort auf die Aufgaben und Probleme geben, vor denen die arbeitende Bevölkerung steht.

Siehe auch:
Volksabstimmung akzeptiert schärfste Asyl- und Ausländergesetze
(26. September 2006)
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