Lehrerstreik in Bulgarien

Seit mittlerweile drei Wochen befinden sich Lehrer und Kindergartenpersonal in Bulgarien im Streik. Ebenso lange fällt bereits an den meisten Schulen des Landes der Unterricht aus, da sich etwa 80 Prozent des Lehrpersonals an den Streiks beteiligt. Die Lehrer fordern eine Verdoppelung ihrer Löhne und eine Erhöhung des Bildungsetats um mindestens fünf Prozent.

In den vergangenen Wochen kam es immer wieder zu Protestaktionen in der Hauptstadt Sofia und anderen großen Städten. In Sofia errichteten Lehrer ein Zeltlager und Straßenblockaden, in Burgas traten einige gar in den Hungerstreik um ihre Forderungen durchzusetzen. Am Donnerstag demonstrierten nach Gewerkschaftsangaben etwa 75.000 Lehrer und andere öffentliche Bedienstete auf dem Platz der Unabhängigkeit vor dem Parlamentsgebäude in Sofia.

Auf der Kundgebung, auf der neben Vertretern der Lehrergewerkschaften auch Regierungspolitiker sprachen, war die Atmosphäre angespannt. Während der Rede von Parlamentssprecher Georgi Pirinski riefen die Protestierenden immer wieder "Mafia". Auch in der Öffentlichkeit genießt der Streik der Lehrer große Unterstützung. Umfragen zufolge stehen zwischen 50 und 80 Prozent der Bevölkerung hinter den Streiks, auch wenn der Unterrichtsausfall viele Familien vor ernsthafte Probleme stellt.

Der Streik hat die verheerende Situation der Lehrer und des gesamten Bildungssystems in dem neuen EU-Mitgliedsstaat ans Tageslicht gebracht. Der durchschnittliche Verdienst eines Lehrers an einer öffentlichen Schule beträgt rund 170 Euro pro Monat. Viele Berufseinsteiger oder Aushilfslehrer liegen noch darunter. Ein Auslöser des Streiks war schlichtweg die Tatsache, dass ein Großteil des Lehrpersonals, bei stetig steigenden Preisen, nicht genügend Geld zum Leben hat.

In sämtlichen osteuropäischen EU-Staaten sind die Löhne im öffentlichen Dienst um ein Vielfaches geringer als in Westeuropa. Doch selbst im benachbarten Rumänien verdienen Lehrer doppelt, in Ungarn sogar vier Mal so viel wie in Bulgarien.

Die Süddeutsche Zeitung zitiert eine Lehrerin, die seit 35 Jahren unterrichtet und an ihrer Situation nahezu verzweifelt. "Heute sind wir bettelarm und erschöpft. Wir stehen mit abgetragenen Kleidern vor der Klasse und werden unser Verlierer-Image nicht los. Wie soll da ein Lehrer noch Autorität bei den Schülern haben?"

In den vergangenen zwei Jahren haben etwa 2.500 Lehrkräfte ihren Beruf aufgegeben, vor allem Männer, denn der Verdienst als Bauarbeiter oder Taxifahrer ist deutlich höher. Nur noch drei Prozent der Lehrer sind heute jünger als 30 Jahre. Diejenigen, die ihren Beruf bis zum Rentenalter ausführen, müssen danach mit einer Rente von umgerechnet 60 Euro ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Über 90 Prozent der Schulen sind öffentlich. Die Mittel für ihre Ausrüstung, für Personal und Instandhaltung wurden seit Anfang der neunziger Jahre wie sämtliche öffentlichen Ausgaben stetig gekürzt. Die jeweilige Regierung in Sofia, egal ob nominell rechts oder links, hat diese radikalen Kürzungen durchgesetzt, um die Kriterien für den Beitritt des Landes in die Europäische Union zu erfüllen.

Von den Kürzungen ausgenommen waren nur einige wenige Schulen. Beispielsweise eine staatlich finanzierte Schule am Rande Sofias, die früher nur den Kindern der stalinistischen Nomenklatura offen stand. Seit dem Zusammenbruch des stalinistischen Regimes Anfang der neunziger Jahre besucht dort ausschließlich der Nachwuchs der Politiker und der Neureichen den Unterricht.

Während die Lehrer auf den Straßen Sofias gegen die unhaltbaren Zustände in den Schulen demonstrierten, erklärte der Rektor der Sofioter Universität Boyan Biolchev, er sei gezwungen, die Universität zu schließen, sollte die Regierung der Forderung nach höheren staatlichen Zuschüssen nicht nachkommen. Er sagte zwar ausdrücklich, es handle sich nicht um eine "Streikaktion", doch der Zusammenhang mit den Protesten der Lehrer ist unübersehbar. Seit langem stehen die Universitäten vor demselben Problem wie die Schulen: Ständigen Kürzungen der Fördermittel und einer miserablen Bezahlung des Personals.

Symptomatisch für Zustand der Gesellschaft

Die Krise des Schulsystems ist symptomatisch für den Zustand der bulgarischen Gesellschaft. Eine schmale Schicht von Super-Reichen hat sich auf Kosten der breiten Masse, die mit sozialem Elend und Armut konfrontiert ist, ungeheuerlich bereichert. Die gegenwärtige Regierung besteht zum großen Teil aus solchen Neureichen und fühlt sich ausschließlich diesen verpflichtet.

Seit den Parlamentswahlen vor zwei Jahren regiert eine große Koalition unter dem Sozialisten Sergej Stanischew. Seine Sozialistische Partei (BSP) entstand Anfang der neunziger Jahre aus der stalinistischen Staatspartei. Wie so viele ehemalige Bürokraten in Osteuropa vollzog auch Stanischew eine rasche Wandlung zu einem glühenden Verfechter kapitalistischer Eigentumsverhältnisse und des freien Marktes.

Nach einer schwierigen Regierungsbildung regiert die BSP nun in einer Koalition mit der rechten Partei des ehemaligen Zaren Simeon Sakskoburgotski (NDSW) und der Partei der türkischen Minderheit (DSP) das Land. Obwohl das Bündnis alles andere als stabil ist und politische Krisen an der Tagesordnung sind, stimmen Stanischew und Sakskoburgotski darin überein, die Interessen der herrschenden Elite unter allen Umständen gegen die Bevölkerung zu verteidigen.

Die bisherigen Angebote der Regierung an die streikenden Lehrer waren inakzeptabel und eine reine Provokation. BSP und NDSW sind entschlossen, den Forderungen der Lehrer nicht nachzugeben. Obwohl diese durchaus erfüllbar wären - die bulgarische Wirtschaft verzeichnete im vergangenen Jahr eine der höchsten Wachstumsraten in der EU -, fürchten sie, andernfalls mit Forderungen anderer Berufsgruppen konfrontiert zu werden.

Gleichzeitig mit den Lehrern protestieren auch die Forstarbeiter für deutlich höhere Löhne. Seit dem 4. Oktober sind die Wald- und Forstarbeiten in weiten Teilen des Landes zum Stillstand gekommen. Die öffentlich Bediensteten in diesem Bereich fordern ebenfalls eine hundertprozentige Erhöhung ihrer Bezüge sowie einen Ausgleich für Überstunden und Nachtarbeit.

Auch sie sind hoffnungslos unterbezahlt. Ein ausgebildeter Forstwirt verdient zwischen 150 und 180 Euro pro Monat. Dabei haben die Forstarbeiter die geplanten Einnahmen für das gesamte Jahr bereits jetzt erfüllt. Alles, was sie jetzt erwirtschaften, wandert direkt in die Staatskasse.

Bildungsminister Daniel Valchev und Finanzminister Plamen Orescharski provozierten vergangene Woche die Streikenden noch zusätzlich. Während den Verhandlungen mit der Lehrergewerkschaft am Sonntag wurde ein privates Gespräch der beiden vom TV-Sender bTV mitgeschnitten. Die beiden unterhielten sich äußerst abwertend über die Verhandlungen und gestanden sich gegenseitig ein, überhaupt kein Interesse an einer Einigung zu haben.

Der erste Vorschlag von Regierungsseite, die Bezüge des Lehrpersonals um 10 Prozent zu erhöhen, ist angesichts einer Inflationsrate von 12 Prozent unverschämt. Sie wurde dementsprechend abgelehnt. Ebenso eine anschließend angebotene Erhöhung um 30 Prozent bei gleichzeitigem Abbau von rund 25 Prozent der Stellen und die Einführung einer leistungsbezogenen Bezahlung, bei der unter dem Strich für die Lehrer nicht mehr herausgekommen wäre.

Premier Stanischew und Staatspräsident Georgi Parwanow halten sich mit öffentlichen Äußerungen bislang recht bedeckt. In einigen Interviews erklärten sie zwar ihr Verständnis für die Lehrer, verwiesen aber auch immer wieder auf die Haushaltslage und den ständigen Sparzwang. Der Grund für ihre Vorsicht liegt vor allem in den Ende des Monats anstehenden Kommunalwahlen. Die zu erwartenden starken Verluste für die Sozialisten und die Zarenpartei würden ihnen nicht nur den Machtverlust in einigen Kommunen bringen, sondern auch die Stabilität der Koalition in Sofia weiter unterhöhlen.

Die Unnachgiebigkeit, mit der die bulgarische Elite auf die berechtigten Forderungen der Lehrer reagiert, steht im krassen Gegensatz zu ihrer Unterwürfigkeit gegenüber dem internationalen Kapital. Ein jetzt erschienener Bericht der Weltbank bescheinigt dem Land eine Vorreiterrolle in Bezug auf geleistete "Reformen". Unter 178 Staaten steht der Balkanstaat unter den ersten Zehn, die Steuererleichterungen und andere Vorteile für Unternehmen auf den Weg gebracht haben.

Zu den Forderungen der Lehrer erklärte der Mitautor der Studie, Simeon Dyankov, "dass die zunehmend lauter werdenden Rufe nach Lohnerhöhungen im öffentlichen Sektor viel von der geleisteten Arbeit verderben würden".

Vor allem Finanzminister Orescharski lehnt jeden Kompromiss mit den Streikenden strikt ab. Der Parteilose ist eine der meist gehassten Figuren des Landes. Als Mitglied der rechten Kostow-Regierung, die Anfang der neunziger Jahre das Land regierte, war er maßgeblich an der Zerschlagung und Privatisierung der bulgarischen Industrie beteiligt, die zu einer bis dahin unbekannten Verelendung der Bevölkerung geführt hat.

Die Rolle der Gewerkschaften

Die Lehrerstreiks stehen unter der Führung verschiedener Gewerkschaftsorganisationen. Mittlerweile zeichnet sich immer mehr ab, dass ein Erfolg der Arbeitskämpfe unter deren Führung sehr unwahrscheinlich ist. Während es unter den Lehrern an Kampfeswillen und Opferbereitschaft nicht mangelt, zielt die Streiktaktik der Gewerkschaftsführung auf einen Deal mit der Regierung ab, um ihre eigene Stellung zu stärken.

Führende Gewerkschaftsfunktionäre erklärten wiederholt, der Streik habe keinen politischen Inhalt. "Ich möchte ausdrücklich betonen, dass unsere Forderungen rein sozialer Natur sind", erklärte beispielsweise Schiwka Scheljaskowa, Vorsitzende der Lehrergewerkschaft in der Gewerkschaftsvereinigung Konföderation der Arbeit Podkrepa.

Diese Versuche, den Streiks jeden politischen Inhalt zu nehmen, kommen nicht von ungefähr. Die großen bulgarischen Gewerkschaften stehen politisch weit rechts.

Die Konföderation der Unabhängigen Gewerkschaften Bulgariens (KNSB), dem auch der Verband der Lehrer angeschlossen ist, ist der größte Verband. Sie ging aus der offiziellen stalinistischen Gewerkschaft hervor, die bis Ende der 80er Jahre der Kommunistischen Partei nahe stand. Podkrepa, in der die meisten Lehrer organisiert sind, ist der zweitgrößte. Er ist 1989 aus der anti-kommunistisch geprägten Demokratiebewegung entstanden und stand in den ersten Jahren nach der Wende stramm an der Seite der Kostow-Regierung. Podkrepa selbst bezeichnet sich als christlich.

Darüber hinaus existiert noch der Nationale Gewerkschaftsbund Promanja (NPS), eine relativ junge Gewerkschaft, die eine wichtige Rolle beim Sturz der sozialistischen Regierung in den 90er Jahren gespielt hatte. Berüchtigt ist sie für ihr nationalistisches und populistisches Auftreten. Ihre führenden Vertreter haben enge Verbindungen zu den diversen Rechtsparteien des Landes.

Die Gewerkschaften sahen in den Jahren nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Bürokratie ihre Hauptaufgabe darin, innerhalb der Betriebe für Ruhe und Ordnung zu sorgen, um den Übergang des Volkseigentums in private Hände reibungslos abzuwickeln. Darüber hinaus sind sie seitdem bemüht, sozialpartnerschaftliche Institutionen nach westeuropäischem Vorbild ins Leben zu rufen.

Letzteres gelang allerdings niemals wirklich, da die raffgierige und nicht selten kriminelle Elite Bulgariens jede noch so geringe Beschneidung ihrer Interessen erbittert bekämpft.

Anfang der neunziger Jahre sprachen sich sämtliche Gewerkschaften für eine rasche Privatisierung der staatlichen Betriebe aus und organisierten diese zu einem großen Teil mit. Der KNSB hatte zu diesem Zweck einen eigenen Fonds gegründet. Nicht selten verdienten sich damit die ehemaligen Apparatschiks der stalinistischen Gewerkschaft eine goldene Nase, während in den billig verscherbelten Betrieben Massenentlassungen und Lohnsenkungen für die Beschäftigten an der Tagesordnung waren.

Es ist bezeichnend, dass Ende der neunziger Jahre über die Hälfte der von der Gewerkschaft mitverwalteten Betriebe Konkurs anmeldeten, nachdem satte Gewinne in die Taschen des Managements abgeflossen waren.

Auch die Tatsache, dass heute der durchschnittliche Verdienst eines Arbeiters in Bulgarien teilweise immer noch nur ein Zehntel dessen beträgt, was in den alten EU-Staaten verdient wird, spricht Bände über die Gewerkschaften. Seit Mitte der neunziger Jahre haben die großen Gewerkschaftsverbände Einfluss auf die Lohnpolitik und führen regelmäßig Verhandlungen mit der Regierung.

Dass die Gewerkschaften gegenwärtig den Streik der Lehrer verbal unterstützen, hat zwei Gründe. Zum einen laufen ihnen die Mitglieder in Scharen davon. Viele Einzelgewerkschaften haben mittlerweile ernste finanzielle Probleme. Der Hauptgrund ist allerdings die Furcht der Gewerkschaften, der Streik könnte sich außerhalb gewerkschaftlicher Bahnen entwickeln. Aufgrund der extrem angespannten sozialen Lage hat der Streik der Lehrer das Potenzial, sich auszubreiten und sich gegen die gesamte politische Elite des Landes zu richten. Das fürchten die Gewerkschaften ebenso sehr wie die Regierung.

Siehe auch:
Politische Krise in Rumänien und Bulgarien verschärft sich
(30. Mai 2007)
Rumänien und Bulgarien treten der Europäischen Union bei
(29. Dezember 2006)
Präsidentschaftswahlen in Bulgarien: Ein Misstrauensvotum gegen die politische Elite
(28. Oktober 2006)
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