Ungarische Rechtsextreme gründen paramilitärische "Garde"

In Ungarn wurde Ende August in aller Öffentlichkeit und unterstützt von führenden politischen und gesellschaftlichen Kräften eine rechtsextreme, paramilitärische "Ungarische Garde" gegründet. Das ist eine ernst zu nehmende Warnung an die ungarische und die europäische Arbeiterklasse.

Rund 1.000 Sympathisanten und Anhänger fanden sich auf der Budapester Burg, direkt vor dem Amtssitz von Staatspräsident Laszlo Solyom, zur Vereidigung der ersten Mitglieder der Garde ein. Unter den Teilnehmern befanden sich nicht nur Vertreter diverser rechtsradikaler und faschistischer Gruppierungen, sondern auch solche der führenden konservativen Oppositionspartei Fidesz sowie katholische, evangelische und calvinistische Priester, die die Fahnen weihten. Lajos Für, Verteidigungsminister der ersten konservativen Regierung nach der Wende unter Premier Jozsef Antall, "vereidigte" die neuen Gardisten und überreichte ihnen feierlich Urkunden.

Dabei wurde eine rot-weiß-rote Flagge gehisst, wie sie die ungarischen Faschisten während des Zweiten Weltkriegs benutzt hatten, als die Horthy-Diktatur mit Hitler-Deutschland verbündet war. Die Teilnehmer waren zum Teil in schwarze Uniformen gekleidet. Auch der Tag der Vereidigung war nicht zufällig gewählt. Vor 1100 Jahren hatte die ungarische Armee am 25. August in der Schlacht von Bratislava die bayrischen Truppen geschlagen.

Bereits im Vorfeld ihrer Gründung hatte die "Garde" ihre Ziele erklärt. Sie wolle das "physisch, seelisch und geistig wehrlose" Ungarn "verteidigen". Ihre Mitglieder werden explizit dazu aufgefordert, schießen zu lernen - eine unmissverständliche Drohung, Gewalt anzuwenden. Ein Ziele besteht darin, die sozialliberale Regierung von Premier Ferenc Gyurcsany zu "beseitigen".

Anführer der Garde ist der 29-jährige Gabor Vona, Vorsitzender der ultra-rechten Partei Jobbik (Bewegung für ein rechteres Ungarn). Jobbik ging 1999 aus einer Studentenverbindung hervor, die von David Kovacs, einem langjährigen Mitglied der ebenfalls rechtsextremen Lebens- und Wahrheitspartei (MIEP) geführt wurde. Der ehemalige Geschichtsstudent Vona arbeitete zuvor eng mit ex-Premier und Oppositionsführer Victor Orban zusammen, der mit dem Aufbau von "Bürgerwehrkreisen" versucht hatte, Unterstützung für den Fidesz von ganz rechts außen zu erhalten.

Fidesz spielt seit langem ein Doppelspiel. Nach außen hin gibt sich die Partei freiheitlich-demokratisch, tatsächlich kooperiert sie aber aus Engste mit faschistischen Kräften. Während ihrer Regierungszeit von 1998 bis 2002 wurde sie von der MIEP unterstützt. Zahlreiche Fidesz-Politiker stehen in engem Kontakt zu MIEP, Jobbik und anderen ultrarechten Gruppen. Aus den Fidesz-Reihen kam auch der Vorschlag, innerhalb der Armee eine "Vaterlands-Garde" aufzubauen.

Ermutigt durch die Unterstützung aus Teilen der herrschenden Elite setzt sich der braune Mob zunehmend aggressiv in Szene. Knapp ein Jahr nach den gewaltsamen Ausschreitungen in Budapest demonstrierten letzte Woche erneut rund 10.000 Menschen gegen die Regierung Gyurcsany. Aufgerufen hatten rund 30 Gruppierungen, vorwiegend rechtsradikale. Im September werden noch weitere Demonstrationen der Rechten erwartet.

Im vergangenen September hatte die so genannte Lügen-Rede von Premier Gyurcsany Proteste gegen seine Regierung ausgelöst. Der Ministerpräsident hatte die umstrittene Rede kurz nach der Parlamentswahl vom 23. April gehalten, um seine Sozialistische Partei (MSZP) auf das Sparpaket einschwören, das zwei Wochen später verabschiedet wurde. Gyurcsany hatte in der Rede zugegeben, dass er die Wähler bewusst und absichtlich belogen und für notwendig erachtete Sparmaßnahmen aufgeschoben hatte, um die Wahl zu gewinnen.

Da sonst niemand der Empörung über die Rede und die unsoziale Politik Gyurcsanys Ausdruck verlieh, konnten die Rechten auf den Demonstrationen ungehindert das Wort ergreifen und die Proteste für sich ausnutzen.

Europäisches Problem

In Bulgarien wurde bereits vor einigen Monaten eine ähnliche paramilitärische Gruppe gegründet. Bojan Rassate, ehemaliger Chef der rassistischen Bulgarischen Volksunion, rief eine "Nationalgarde" ins Leben, die sich die Verteidigung der "hilflosen Bulgaren gegen Zigeunerbanden" auf die Fahne geschrieben hat.

Die Garde hat einen Fackelmarsch für den bulgarischen Faschisten Hristo Lukov und mehreren Paraden auf Schulhöfen sowie öffentlichen Plätzen organisiert und Romas tätlich angegriffen. Mehrere Dutzend Skinheads, die zum größten Teil in der Garde organisiert sind, überfielen Mitte August in der Hauptstadt Sofia den hauptsächlich von Roma bewohnten Stadtteil Krasna Poljana und attackierten die Bewohner. Bereits einige Tage zuvor hatten etwa 30 Rechtsradikale drei Jugendliche Roma angegriffen und einen von ihnen schwer verletzt. Darauf hin kam es zu spontanen Protesten der Roma gegen die rechte Gewalt, in deren Folge es ebenfalls gewalttätige Ausschreitungen gab.

Die Reaktion von Politik und Medien glich der in Ungarn. Die regierenden Sozialisten unter Sergej Stanischew, die mit der rechts-konservativen Partei des Zarensprosses Simeon Sakskoburggotski eine große Koalition führen, verurteilten nicht einmal die Angriffe. Stattdessen schoben sie die Schuld den Roma in die Schuhe. Der stellvertretende Innenminister Kamen Penkow erklärte gegenüber der Presse, es gäbe in den betroffenen Stadtteilen Sofias überhaupt keine Skinheads. Schuld an den Gewalttätigkeiten seien ausschließlich "Roma-Banden".

Auch in den meisten anderen Parlamenten Osteuropas sitzen extrem rechte Kräfte, teilweise sind sie sogar an der Regierung beteiligt. So paktiert in der Slowakei die sozialdemokratische Smer von Robert Fico mit der neo-faschistischen Slowakischen Nationalpartei. In Polen waren bis vor kurzem zwei ultrarechte Parteien Koalitionspartner der Kaczynski-Brüder.

Dies spiegelt sich auch im Europäischen Parlament wieder. Mit dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens zogen mehrere Abgeordnete der bulgarisch nationalistischen Ataka und der Großrumänienpartei ins Straßburger Parlament ein und ermöglichten es den Rechtsextremen, sich zu einer Fraktion zu formieren. Europas rechter Rand sammelt sich unter dem Namen "Identität, Tradition und Souveränität". Dazu gehören u.a. Jean-Marie Le Pen vom französischen Front National, Andreas Mölzer von den österreichischen Freiheitlichen und Alessandra Mussolini, die Enkelin des italienischen Diktators.

Dank dem Fraktionsstatus erhalten die Parlamentarier mehr Geld aus dem Budget des Parlaments. Sie haben Stimmrecht in der "Konferenz der Präsidenten", die über die Tagesordnung entscheidet. Außerdem können sie leichter Änderungsvorschläge für Gesetzvorhaben einreichen. Die Gruppe wird auch mit Dolmetschern, Assistenten und anderem Personal ausgestattet.

Folge der kapitalistischen Restauration

Der ungarische Regierungschef Gyurcsany, seine MSZP und die mit ihr regierende liberale SZDSZ bezeichnen die neu gegründete "Garde" zwar als "Schande für Ungarn". Das kann aber nicht über ihre eigene politische Verantwortung für das Anwachsen gefährlicher rechter Tendenzen hinwegtäuschen. Dass heute faschistische Elemente weitgehend unbehelligt von den offiziellen Parteien und Institutionen ihr politisches Programm verbreiten und Terror gegen Minderheiten ausüben können, ist in erster Linie ein Ergebnis der rechten Politik der angeblichen Sozialisten.

Der Zynismus der stalinistischen Wendehälse, die die Restauration des Kapitalismus organisiert, sich dabei hemmungslos bereichert und die sozialen Errungenschaften der Bevölkerung zerschlagen haben, aber trotz allem unter dem Etikett "Sozialisten" auftreten, ist Wasser auf die Mühlen rechter Demagogen. Die wachsende Armut und Perspektivlosigkeit, verbunden mit einer gezielten nationalistischen Hetze der herrschenden Eliten, liefert den Nährboden für das Anwachsen rechter Tendenzen.

Gyurcsanys Sozialisten sind dafür beispielhaft. Siebzehn Jahre nach der Einführung marktwirtschaftlicher Verhältnisse ist Ungarn von Demokratie und Wohlstand so weit entfernt wie noch nie. Während eine schmale Schicht über öbszönen Reichtum verfügt, leben immer mehr Menschen in prekären Lebensverhältnissen.

Gyurcsany, der seine politische Laufbahn als Jugendfunktionär in der stalinistischen Staatspartei begann, erwarb sich im Laufe der "wilden" Privatisierungen der neunziger Jahre ein Millionenvermögen, gehört zu den einhundert Reichsten Ungarn und sorgt nun als Regierungschef für die Umsetzung von "Reformen" im Interesse des internationalen Kapitals. Zahlreiche Weggefährten Gyurcsanys sitzen heute in hohen Ämtern und Parteiposten.

Wendehälse wie Gyurcsany finden sich in nahezu jedem osteuropäischen Land,und ihre Politik ähnelt sich wie ein Ei dem Anderen. Stanischew in Bulgarien und Fico in der Slowakei, um nur zwei zu nennen, begannen ihre Karriere ebenfalls in den stalinistischen Parteien und haben sich dann zu uneingeschränkten Verfechtern einer marktliberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik gemausert.

Unter den ungarischen Sozialisten wurden Reformen im Gesundheits- und Rentensystem verwirklicht, die zu einem sprunghaften Ansteigen der Krankenkassenbeiträge und Medikamentenpreise geführt haben. Die Renten werden künftig noch unter dem heutigen Niveau liegen. Die Energiepreise sind in den letzten zwei Jahren um bis zu 30 Prozent gestiegen, die Mehrwertsteuer wurde um 5 Prozent erhöht. All das fand bei stagnierenden oder gar sinkenden Löhnen statt.

Auf der anderen Seite stehen konservative, anti-kommunistische Kräfte, die nicht selten von ehemaligen Dissidenten geführt werden. Orbans Partei Fidesz entstand Ende der achtziger Jahre und gelangte während der Wende zu Prominenz. Sie griff den Stalinismus von rechts an. Während sie damals Freiheit und Demokratie forderte und gegen den totalitären kommunistischen Staat wetterte, befürwortet sie heute selbst totalitäre Staatsformen. Vor den Wahlen im Frühjahr letzten Jahres formulierte Orban dies deutlich. "Die Republik ist bloß ein Gewand, das sich die Nation überstreift", erklärte er, und deutete damit an, dass er sich auch ganz andere Staatsformen, etwa eine Diktatur, gut vorstellen kann.

Dies geht mit dem Schüren von Ressentiments gegen Minderheiten und Ausländer einher. Mittlerweile übernimmt der Fidesz Forderungen, die bislang nur von ultra-rechten Kräften vertreten wurde, wie beispielsweise die Rückgabe Transsylvaniens an Ungarn.

Siehe auch:
Der Streit um das Erbe des Aufstands von 1956
(27. Oktober 2006)
Nach Kommunalwahlen fordern rechte Parteien Rücktritt der Regierung
( 6. Oktober 2006)
Lehren aus den Ereignissen in Ungarn
( 29. September 2006)
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