Die Krise der griechischen Regierung und die Rolle der "Linken"

Griechenlands konservative Regierung um Premierminister Kostas Karamanlis gerät immer stärker unter Druck. Die Proteste von Schülern und Studenten, die nach der Tötung eines 15-jährigen Schülers Anfang Dezember ausgebrochen waren, ebben zwar langsam ab, doch noch immer sind im ganzen Land Hunderte von Universitäten und Schulen besetzt. Auch über die Weihnachtsfeiertage kam es in Athen zu Zusammenstößen zwischen protestierenden Jugendlichen und der Polizei.

Es wird immer deutlicher, dass die Proteste den tiefen Unmut gegenüber der politischen Elite des Landes zum Ausdruck bringen. Karamanlis’ Nea Demokratia genießt in der Bevölkerung kaum Unterstützung. Die Mehrheit der Griechen sieht in den Protesten das berechtigte Aufbegehren gegen eine korrupte Clique in Wirtschaft und Politik, die sich hemmungslos bereichert, während sie gleichzeitig immer schärfere Angriffe gegen die Bevölkerung durchführt.

Jüngste Umfragen sehen erstmals seit den Wahlen 2006 Oppositionsführer George Papandreou von der sozialdemokratischen Panhellenischen Bewegung (PASOK) vor Karamanlis. Das Linksbündnis Syriza hat die Kommunistische Partei (KKE) in den Meinungsumfragen überholt und rangiert nun auf Platz drei der Umfragen.

Unter dem Druck der anhaltenden Demonstrationen hat Regierungschef Karamanlis die Umbildung seines Kabinetts angekündigt. Doch dieser Versuch, den Unmut der Bevölkerung durch die Entlassung einiger Sündenböcke zu dämpfen, dürfte kaum von Erfolg gekrönt sein. Die Regierungspartei Nea Demokratia verfügt nur über eine hauchdünne Mehrheit von einem Sitz im Abgeordnetenhaus, und Karamanlis ist mittlerweile auch in seiner eigenen Partei nicht mehr unumstritten.

Angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise und drohender Massenentlassungen in allen Branchen ist die Befürchtung groß, dass die Proteste der Studenten mit Streiks der Arbeiter zusammenfallen. Angesichts dieser Situation wird der Ruf nach einer "starken Regierung" immer lauter.

Nicht nur PASOK-Chef Papandreou, sondern auch Gewerkschaften, das Linksbündnis Syriza und Teile der Medien fordern Neuwahlen. Die Athener Zeitung titelte Mitte Dezember "Stelle zu besetzen - gesucht wird eine Regierung". Dabei ist nicht nur die Bildung einer Großen Koalition aus Nea Demokratia und PASOK, sondern auch eine so genannte Links-Regierung aus PASOK, Syriza und KKE im Gespräch.

Vor allem linke Gruppierungen schüren die Illusion, dass mit der Abwahl der gegenwärtigen Karamanlis-Regierung eine politische Wende und eine Verbesserung für die Bevölkerung verbunden wären. Ein Blick auf die griechische Parteienlandschaft macht deutlich, dass dies keineswegs der Fall ist.

PASOK

Viele Missstände und die katastrophalen Verhältnisse an Schulen und Universitäten, gegen die sich die Proteste richten, stammen aus Zeiten, in denen PASOK die Regierung stellte. Seit dem Ende der Militärregierung im Jahr 1974 dominierte die sozialdemokratische Panhellenische Bewegung die griechische Politik. Von 1981 bis 1989 und von 1993 bis 2004 stellte PASOK die Regierung und übte darüber hinaus starken Einfluss auf die Gewerkschaften des Landes aus. Vor allem der Gewerkschaftsverband GSEE hat eine lange und enge Bindung an die PASOK.

Während der 80er Jahre vertrat die PASOK stark nationalistische Konzeptionen, die sich vor allem in antiamerikanischer und antieuropäischer Rhetorik äußerten. Sie führte begrenzte Sozialreformen durch, orientierte sich aber dann, wie andere europäische sozialdemokratische Parteien auch, in den 90er Jahren zunehmend am neoliberalen Wirtschaftsmodell und führte unter dem Druck der Europäischen Union einen rigiden Sozialabbau durch.

Mit dem Antritt der PASOK-Regierung von Konstantin Simitis wurde ab 1996 ein rabiater Reformprozess in Gang gesetzt, der sich in einer massiven Deregulierung und Privatisierung des gesamten öffentlichen Bereichs äußerte. An diese Politik hat Karamanlis ab 2004 im Wesentlichen angeknüpft.

Auch außenpolitisch wurde ein scharfer Rechtsruck vollzogen. PASOK bekannte sich uneingeschränkt zur NATO und zur EU. 1999 stimmte die PASOK-Regierung dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien zu und unterstützte vorbehaltlos den "Antiterrorkampf" der EU. Gegen diese Politik verstärkte sich der Widerstand in der Bevölkerung. Im Jahr 2000 konnte sich PASOK in den Wahlen nur noch knapp gegenüber der ND behaupten.

Als Georgious Papandreou kurz vor den Wahlen 2004 den Vorsitz der Sozialisten übernahm, waren diese bereits derart diskreditiert, dass auch ein populistisch geführter Wahlkampf und Versprechen sozialer Wohltaten nichts mehr halfen und die ND mit Karamanlis die Wahl gewann.

Im jüngsten Wahlkampf 2007 stellte sich Papandreou gezielt als linke Alternative zu Karamanlis dar. Er versprach, gegen die Korruption vorzugehen und mehr Mittel für das marode Renten- und Gesundheitssystem bereit zu stellen. Doch ohne Erfolg. Die griechische Bevölkerung hat ihre bitteren Erfahrungen mit der PASOK gemacht. Während ihrer fast 20-jährigen Regierungszeit hatte sich ein Netz von Filz und Korruption über das Land ausgebreitet. Den Methoden der kriminellen Bodenspekulanten, die für die verheerenden Waldbrände im letzten Jahr verantwortlich waren, hatte sie immer ihren Segen erteilt, und die Kürzungspolitik im öffentlichen Bereich begann lange, bevor Karamanlis an die Macht kam.

Heute werden die innerparteilichen Grabenkämpfe der PASOK nur durch die akute Krise der ND übertüncht. PASOK-Chef Papandreou kann sich seit der letzten Wahl nur mühsam auf seinem Stuhl halten. Die innerparteilichen Kämpfe drohen die Partei früher oder später zu zerreißen. In der Öffentlichkeit genießt sie ohnehin kaum Unterstützung. Umfragen zufolge lehnen 86 Prozent der Griechen sowohl die Konservativen als auch die Sozialisten ab.

KKE

Die Kommunistische Partei Griechenlands ist die älteste Partei des Landes. Sie hat auf die Studentenproteste mit einem deutlichen Rechtsruck reagiert und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in den Mittelpunkt ihrer Politik gestellt. Sie hat die Protestierenden als "blindwütige Gewalttäter" verurteilt und vor "jugendlicher Selbstjustiz" gewarnt.

An den Universitäten versuchen die Studentenverbände der KKE die Studenten unter Kontrolle zu halten. Bei großen Demonstrationen ist es mittlerweile Gang und Gäbe, dass die KKE eine eigene Demonstration organisiert, um den Widerstand zu spalten und die Proteste zu schwächen. Als einzige Oppositionspartei lehnt sie die Forderung nach Neuwahlen ab und stärkt der konservativen Regierung den Rücken.

Diese Politik ist für die KKE nicht neu. Im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion initiierte die Partei ein Bündnis der linken Parteien unter Einbeziehung der zuvor abgespaltenen Eurokommunisten, das unter dem Namen "Koalition der Linken und des Fortschritts 1989" 13 Prozent der Stimmen errang und sogar eine kurzlebige Koalitionsregierung mit der ND bildete. Schon damals versuchte sie, die durch Korruptionsvorwürfe schwer angeschlagene konservative Regierung zu stützen.

Bis Ende der 80er Jahre hatte sich die KKE stark an Moskau orientiert. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion brach sie ein. Nach der Abspaltung mehrerer Flügel ist heute nur noch ein harter Kern überzeugter Stalinisten übrig geblieben, der aber durch interne Konflikte zerrissen ist.

In der Bevölkerung, insbesondere der Jugend, verliert die KKE rasch an Unterstützung. Sie stützt sich vor allem auf einen umfangreichen Parteiapparat. In Zeiten der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion war es der KKE gelungen, ein ansehnliches Parteivermögen zusammenzuraffen. Dazu gehören eine Druckerei, zwei Rundfunksender, Industrie- und Außenhandelsgesellschaften, Baufirmen und Hotels.

Syriza

Von der gegenwärtigen Krise der Regierung kann das Linksbündnis Syriza am ehesten profitieren. Es tritt in Worten sehr radikal auf und hat Unterstützung für die Protestierenden bekundet. Teilweise haben sich Syriza und die in ihr vereinten Gruppierungen an den Demonstrationen beteiligt und Maßnahmen zur Bekämpfung der sozialen und politischen Krise gefordert.

Doch hinter der radikalen Rhetorik von Syriza steckt nichts weiter als reformistische Protestpolitik. Das Parteibündnis versucht, die rasante Linksentwicklung von großen Teilen der Bevölkerung zu kanalisieren und in für die herrschende Klasse ungefährliche Kanäle zu lenken. Syriza stellt keine politische Alternative zur PASOK und KKE dar.

Gegenüber den Medien haben die politischen Führer von Syriza ihre Unterstützung für die Proteste relativiert. Sie waren stets bemüht, ihre Loyalität gegenüber den staatlichen Organen zu versichern. Nachdem Syriza eine Einladung Karamanlis’ zu einem Treffen mit allen Fraktionen des Parlaments angenommen hatte, um über Lösungen der Krise zu diskutieren, forderte Fraktionschef Alekos Alavanos vor kurzem neben mehr Jobs und einer Verbesserung des Arbeitsrechts eine demokratische Reform der Polizeikräfte. Zwar hätten die Jugendlichen berechtigte Forderungen, erklärte Alavanos, doch stünden auf der anderen Seite die "Polizisten als Bürger".

Diese Forderung nach einer Polizeireform ist direkt mit einem Aufruf zur Stärkung der Staatsmacht verbunden. Nachdem Syriza-Chef Alexis Tsipras einige schwammige Forderungen für bessere Bedingungen der Jugend aufgestellt hatte, kündigte er an, er werde sie dem Staatspräsidenten Karolos Papoulias überreichen. Ohne dass er es ausdrücklich sagte, war diese Initiative mit einer Aufforderung an den Staatspräsidenten verbunden, er solle schlichtend in die Auseinandersetzung eingreifen. Doch Präsident Papoulias verkörpert wie kaum ein anderer das korrupte System des Landes. Der langjährige Außen- und Verteidigungsminister war in unzählige Affären verstrickt und verfügt über beste Kontakte zu den mächtigen Dynastien des Landes. Er hat sowohl die Unterstützung von PASOK als auch von der ND.

Alavanos und Tsipras verkörpern die soziale und politische Orientierung Syrizas in typischer Weise. Der Ökonom Alavanos stammt aus dem erz-stalinistischen Milieu der Kommunistischen Partei. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die auch in der griechischen KP einen heftigen Schock ausgelöst hatte, wechselte Alavanos zu Synaspismos, das er mitbegründete und das heute dem Bündnis Syriza angehört. Er gehört zur Oberschicht des Landes und besitzt zahlreiche Grundstücke auf der Insel Tenos.

Nach Alavanos’ Rücktritt vom Parteivorsitz stritten Fotis Kouvelis, der seine politische Karriere im Widerstand gegen die Militärdiktatur von 1967 bis 1974 begonnen hatte, und der 33-jährige Tsipras um seine Nachfolge.

Kouvelis ist langjähriges Führungsmitglied der aus einer Spaltung der Kommunistischen Partei Griechenlands hervorgegangenen Inlands-KKE. Er war Generalsekretär ihrer Nachfolgepartei EAR, die später in Synaspismos aufging. Er sitzt seit 1989 fast ununterbrochen im Parlament und war 1989 sogar für ein paar Monate Justizminister. Er personifiziert den Versuch, sich mit der KKE zusammenzuschließen und sich anschließend gemeinsam der PASOK anzunähern, um ein breites Linksbündnis auf parlamentarischer und Regierungsebene zu bilden.

Kouvelis unterlag schließlich dem Vorsitzenden der Jugendbewegung Tsipras, der sich gegen einen solchen Kurs aussprach. Tsipras’ legte bisher das Schwergewicht auf die außerparlamentarische Bewegung. Bei den Wahlen für das Bürgermeisteramt in Athen hatte er auf Anhieb über zehn Prozent der Stimmen erreicht.

Tsipras’ Wahl zum Synaspismos-Vorsitzenden widerspiegelte die Befürchtung, das Bündnis Syriza könnte sich durch eine Annäherung an die diskreditierte Sozialdemokratie politisch zu schnell verschleißen. Doch je akuter die Krise der beiden großen Parteien wird, desto weniger verschließen sich die Parteien von Syriza einer Zusammenarbeit mit ihnen.

Ohnehin sind die Differenzen rein taktischer Natur. Auf kommunaler Ebene gibt es seit langem eine enge Zusammenarbeit zwischen PASOK und der radikalen Linken.

Grundsätzlich ähnelt die Politik von Syriza stark der reformistischen Politik der PASOK in den 80er Jahren. Stopp von Privatisierungen, Erhöhung öffentlicher Ausgaben und ein Ausbau des sozialen Netzes verbunden mit antiamerikanischer und EU-kritischer Außenpolitik waren auch das Programm der Sozialdemokraten von einst.

"Soziale Reformen bringen die Gesellschaft in die richtige Richtung.", erklärte der Pressesprecher von Syriza Andreas Karitzis gegenüber der World Socialist Web Site, "Mit öffentlichem Eigentum beschränken wir die Macht der Konzerne." Ein Vorbild seien die Linksregierungen in Lateinamerika, wie Hugo Chavez in Venezuela. "Das ist das Modell", bekräftigte Karitzis.

Vor diesem Hintergrund hält sich die Partei alle Möglichkeiten einer Regierung mit der PASOK offen. "Wenn man in einer Regierung sitzt, kann es einer solchen Entwicklung entweder förderlich sein oder nicht", erklärte Karitzis.

Dies macht deutlich, dass keine dieser politisch bankrotten "linken" Parteien der griechischen Bevölkerung eine Lösung aus der gegenwärtigen Krise aufzeigen kann. Vielmehr setzten sie alles daran, die bestehende Ordnung zu verteidigen.

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