Berliner Verkehrsarbeiter streiken gegen den rot-roten Senat

Letzten Freitag null Uhr bis Samstag 15.00 Uhr stand der öffentliche Nahverkehr in Berlin still. Die Mitarbeiter der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und ihres Tochterunternehmens Berlin Transport (BT), die gemeinsam in der Hauptstadt Busse, U- und Tram-Bahnen betreiben, legten ihre Arbeit in einem 39-stündigen Warnstreik nieder.

Sie fordern eine Erhöhung ihrer Löhne um 12 Prozent, mindestens jedoch 250 Euro brutto im Monat. Nur die Deutsche Bahn Tochter S-Bahn Berlin GmbH und die an Privatunternehmer vergebenen 11 Prozent der Bus-Linien Berlins wurden befahren.

Eigentlich hatte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi einen Warnstreik nur für Samstag angekündigt, der den Hauptberufs- und Schulverkehr nicht berührt hätte. Nachdem aber der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) am Donnerstag ein Angebot vorgelegt hatte, das ein Einfrieren der Löhne für die nahezu 10.000 Mitarbeiter der Stammbelegschaft und nur eine sechsprozentige, gestaffelte Lohnerhöhung für Neueingestellte beinhaltete und zudem verlauten ließ, die BVG-Arbeiter seien ohnehin überbezahlt, platzte den Beschäftigten der Kragen.

Noch am selben Abend rief Verdi den Streik für Freitagnacht aus, um nicht die Kontrolle zu verlieren.

Seit dem Abschluss des Tarifvertrags Nahverkehr (TV-N) vor zwei Jahren haben sich die Arbeitsbedingungen der BVG-Beschäftigten drastisch verschlechtert. Nach 2005 eingestellte Arbeiter bekommen ebenso wie die Fahrer der Berlin Transport nur 1650 Euro Brutto im Monat. Damals hatte Verdi zusammen mit der SPD/PDS-Regierung eine beispiellose Verschlechterung der Arbeits- und Tarifbedingungen organisiert. Die Mitarbeiter mussten auf bis zu zwölf Prozent ihres Gehaltes verzichten. Gleichzeitig wurde das Weihnachtsgeld gekürzt und das Urlaubsgeld gestrichen. Alte Beschäftigte erhalten seitdem einen Sicherungsbetrag zu ihrem Gehalt hinzu, der die Lohneinbußen geringfügig abmildern soll. Ebenso wurde die Arbeitsdichte durch neue Pausenregelungen, Wendezeiten und Buslinieneinsparungen verschärft. Unfälle und Übergriffe häufen sich.

Der TV-N wurden nicht in regulären Tarifverhandlungen debattiert, sondern direkt zwischen Verdi-Chef Bsirske und dem Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf (Die Linke) bei einem "persönlichen Waldspaziergang" und dann mit Regierungschef Berlins Klaus Wowereit (SPD) ausgehandelt. Verdi übernahm direkt die Aufgabe, die Personalkostensenkung gegen die Beschäftigten durchzusetzen. Im November letzten Jahres hatte der Senat die Zuschüsse an die BVG erneut um mehrere zehn Millionen Euro gekürzt.

Im Januar diesen Jahres verkündete der Senat stolz, dass das Land Berlin einen Haushaltsüberschuss von 80 Millionen Euro habe - das ist in etwa die Summe, die die Hauptstadt in den letzten Jahren an Zuschüssen für die BVG gestrichen hat. Dem Finanzsenator und Vorsitzenden des BVG-Aufsichtsrats, Thilo Sarrazin (SPD), gehen die Einsparungen trotzdem nicht weit genug. Er hegt neue Kürzungspläne, wenn er sagt: "Mit 165 Millionen Euro entfällt rund ein Drittel der Personalkosten in Höhe von 530 Millionen Euro auf Personal, das zu teuer und zuviel vorhanden ist."

Unter diesen Umständen verwundert es kaum, dass die Gewerkschaftsleitung laut des Verdi-Verhandlungsführers Frank Bäsler "große Schwierigkeiten hatte, die Kollegen ruhig zu halten". Erdogan Kaya (zweiter v. l.), ein 41-jähriger Busfahrer aus Berlin, drückt die Empörung seiner Kollegen aus. Er verstehe den Senat nicht, sagt er. "Wir haben doch immer unsere Steuern bezahlt und unsere Pflichten erfüllt. Dann bauen die Politiker Mist und ruinieren den Berliner Haushalt und wir müssen herhalten. Aber auch das haben wir 2005 gemacht. Jetzt ist es doch mal Zeit, dass wir etwas von diesem Geld zurückerhalten."

Die Arbeitsbelastung habe enorm zugenommen, berichtet Kaya. "Die Personenkilometer jedes Kollegen haben sich in den letzten Jahren fast verdoppelt. Unter meinen Kollegen nehmen Herzinfarkte zu und viele klagen über psychischen Stress." Claus Peter Geiler, 55 Jahre und ebenfalls Busfahrer, fügt hinzu, dass immer mehr Mitarbeiter fahrdienstunfähig würden. "Früher hatte mal jemand was mit den Knochen, heute sind es vor allem psychische Belastungen, die Kollegen unfähig machen, weiter als Fahrer zu arbeiten". Allein in den Jahren 2006 und 2007 wurden 125 BVG- und BT-Mitarbeiter tätlich angegriffen. "Die reduzierten Wendezeiten führen dazu, dass man Verspätungen nicht mehr ausgleichen kann und den ganzen Tag mitnimmt", sagt Geiler, "Die neuen Pausenregeln machen es unmöglich, sich mit Kollegen über belastende Situationen auszutauschen und im Kontakt zu bleiben."

Verdi bereitet Ausverkauf vor

Während den Kollegen noch die Wut über die letzten Lohnkürzungen durch den rot-roten Senat in den Gliedern sitzt und sie für ihre immer härtere und verantwortungsvolle Arbeit anständig entlohnt werden wollen, bereitet Verdi bereits einen Ausverkauf des Streiks vor. Verdi-Verhandlungsführer Frank Bäsler erklärte schon, dass die 12-prozentige Lohnforderung kein Dogma sei. "Die Kollegen sind daran interessiert, dass am Verhandlungstisch eine akzeptable Lösung gefunden wird." Eine Urabstimmung für einen regulären Streik wird noch nicht vorbereitet. Gegenüber der Berliner Morgenpost sagte er am Samstag: "Wir werden die Situation analysieren und erst einmal abwarten. Es ist ja auch Senatssitzung. Wir hoffen auf ein Gesprächsangebot von Seiten des Senats."

Von Seiten des Senats kamen bisher allerdings nur ablehnende Reaktionen. Sarrazin nannte den Streik unverhältnismäßig und erklärte: "Es wird nicht möglich sein, das Land oder die BVG materiell zu erpressen." Der BVG-Vorstandsvorsitzende Andreas Sturmowski stellte sogar die Rechtmäßigkeit des Streiks in Frage: "Unsere Kunden haben keine Chance bekommen, sich auf den Streik vorzubereiten. Das ist völlig unangemessen und hat mit einem regulären Warnstreik nichts zu tun", sagte er gegenüber der Berliner Zeitung.

Diese Reaktion ist vor allem deshalb beachtlich, weil die Forderung von Verdi außerordentlich gering ist. Rechnet man die Kürzung und Streichung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes mit ein, gleicht Verdis Zwölf-Prozent-Forderung nicht einmal die Kürzungen von 2005 aus. Auch der Gewerkschaftsplan sieht nämlich vor, dass der Sicherungsbetrag mit der Lohnerhöhung entfällt. Da es seit 2003 keine Lohnerhöhung mehr gegeben hat, die Inflation gerade im letzten Jahr aber enorm hoch war, läuft die Forderung auf einen massiven Reallohnverlust hinaus.

Verdi hat ausdrücklich klar gemacht, dass es trotz positiver Haushaltslage nicht darum geht, die Kürzungen von 2005 in Frage zu stellen. "Wir wollen die Kürzungen gar nicht rückgängig machen" erklärte der Personalratschef für den Bezirk Berlin-Süd, Axel Schröder (dritter v. l.), "Wir stehen zu den Verträgen, die wir 2005 gemacht haben."

Die Dienstleistungsgewerkschaft ist nicht ansatzweise bereit, einen Kampf mit dem Senat aus Linke und SPD aufzunehmen, der in Berlin in den letzten Jahren einen beispiellosen sozialen Kahlschlag angerichtet hat. Sie sieht ihre Aufgabe nicht darin, den Widerstand gegen diese Politik zu organisieren, sondern sie gegen die Arbeiter durchzusetzen. Gerade der Berliner Verdi-Bezirk ist eng mit SPD und vor allem mit der Linkspartei verbunden. Im Vorstand sitzen mindestens drei Mitglieder der Linkspartei. Gerd Boddin, im Berliner Verdi-Vorstand zuständig für den Osten der Stadt, sitzt sogar in der Bundesgeschäftsstelle der Linkspartei.

Zudem ist die Gewerkschaft eng mit den Unternehmen und insbesondere den öffentlichen Unternehmen verstrickt, in denen sie aktiv ist. 2007 berief der achtzehnköpfige Aufsichtsrat der BVG (mit neun Arbeitnehmervertretern von Verdi) einstimmig Lothar Zweiniger zum neuen Personalchef. Zweiniger war vorher stellvertretender Landesvorsitzender von Verdi-Niedersachsen und später Personalchef der Bremer Verkehrsbetriebe BSAG. Die BSAG hatte er "fit" für den globalen Markt gemacht. Er setzt sich auch jetzt für eine Orientierung der BVG auf den internationalen Markt ein.

Die sozialen Angriffe hat Verdi nicht nur im Falle der BVG mitorganisiert. Auch bei den öffentlich Beschäftigten setzte der Senat mithilfe der Gewerkschaften eine zwölfprozentige Lohnkürzung durch. Nach den Kürzungen setzte sich der Berliner Verdi-Geschäftsführer Roland Tremper im Oktober 2006 mit den Senatoren der Linkspartei und weiteren Fraktionsangehörigen zusammen, um über das weitere Vorgehen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu beraten. Das Urteil versagte der Hauptstadt Zuschüsse vom Bund.

Die Weigerung, dem Senat ernsthaft entgegenzutreten zeigt sich besonders deutlich in der Spaltungstrategie der Gewerkschaft. Im Tarifkonflikt mit der Berliner Regierung stehen zur Zeit nicht nur die BVG-Beschäftigten, sondern auch 60 000 Angestellte in Behörden, Kitas, Schulen und Bezirksämtern sowie Mitarbeiter der Polizei und Feuerwehr. Auch wenn Verdi maßgeblich in der Tarifgemeinschaft dieser Bereiche vertreten ist, ist nicht ansatzweise ein gemeinsames Vorgehen geplant.

Den Berliner Arbeitern ist nicht verborgen geblieben, welche Rolle Verdi in der Vergangenheit gespielt hat. An der Basis regt sich Unmut. Seit ihrer Gründung im Jahr 2001 hat Verdi ein Fünftel ihrer Mitglieder verloren. Der Streik der Lokführer hat den Beschäftigten gezeigt, dass das Tarifkartell der großen Gewerkschaften nicht unantastbar ist. Es gibt eine wachsende Zahl von Übertritten seitens Bus- und Straßenbahnfahrer in ganz Deutschland zur Lokführergewerkschaft GDL. In Berlin betrifft das besonders die BT. Laut Hans-Joachim Kernchen, GDL-Chef von Berlin sollen in den letzten Wochen einige Dutzend Mitglieder und ein Drittel der Betriebsräte der BT zur GDL übergetreten sein. "Die Leute haben einfach genug von der Kungelei zwischen Verdi und der BVG und machen jetzt ihrem Ärger über die erheblichen Einkommenseinbußen Luft", erklärt Kernchen.

Unter diesen Bedingungen kann der Warnstreik nur als Ventil für den angestauten Unmut der Belegschaft verstanden werden. Hinter den Kulissen sind die Verdi-Funktionäre längst dabei, einen faulen Kompromiss mit ihren Freunden im Senat auszuhandeln. Die Verkehrsarbeiter in Berlin müssen ihren Arbeitskampf unabhängig von der Gewerkschaftsbürokratie organisieren und ihn zum Teil einer breiten Bewegung gegen den rot-roten Senat und seine Politik des Sozialkahlschlags machen.

Loading