Hessen nach der Wahl

Linkspartei umwirbt die SPD

Knapp drei Wochen nach der Landtagswahl findet in Hessen noch immer ein heftiges Tauziehen um die Regierungsbildung statt.

Da SPD und CDU eine Große Koalition noch in der Wahlnacht ausgeschlossen haben, sind zur Bildung einer regierungsfähigen Mehrheit mindestens drei Parteien notwendig. Aber bisher sind weder die Grünen bereit, eine Koalition mit CDU und FDP einzugehen, noch die FDP, ein Bündnis mit SPD und Grünen zu schließen. Die FDP hat der SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti, die eine rot-gelb-grüne Ampelkoalition bevorzugt, am Dienstag nach mehreren Gesprächen und trotz verlockender Angebote eine endgültige Absage erteilt.

Damit rückt die Linkspartei ins Zentrum der Aufmerksamkeit, die mit ihren Abgeordneten einer Koalition aus SPD und Grünen zur Mehrheit verhelfen kann. Die Linkspartei ist dazu bereit und hat ein regelrechtes Liebeswerben um die SPD begonnen. Sie bietet sich Ypsilanti als Mehrheitsbeschafferin an. Diese könnte nach ihrer Wahl zur Ministerpräsidenten dann eine Minderheitsregierung mit den Grünen oder eine Koalition mit Grünen und Linkspartei bilden.

Die Rolle Amors, des Liebesboten, hat die Linkspartei dem 64-jährigen Dieter Hooge übertragen. Der ehemalige hessische DGB-Vorsitzende kennt das Innenleben der SPD. Er gehörte ihr selbst 40 Jahre lang an, bevor er 2004 austrat und sich an der Gründung der WASG beteiligte.

Hooge war von Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine ursprünglich als Spitzenkandidat für die hessische Landtagswahl erkoren worden. Doch wegen seiner bürokratischen Überheblichkeit und seinem Bekenntnis zu einer Regierungsbeteiligung mit der SPD scheiterte er im Sommer am Votum einer Frankfurter Delegiertenkonferenz. Darauf verzichtete er beleidigt auf eine weitere Kandidatur. Er ist daher nicht Mitglied der Landtagsfraktion der Linken in Wiesbaden, spielt aber nach wie vor eine Schlüsselrolle dabei, eine - wie auch immer geartete - Regierungszusammenarbeit mit der SPD durchzusetzen.

Vergangene Woche schickte er einen schleimigen Offenen Brief an seine alte sozialdemokratische Parteifreundin "Liebe Andrea". Darin schmeichelt er ihr und biedert sich in geradezu peinlicher Weise an.

Der Brief beginnt mit den Worten: "Liebe Andrea, Du hast durch die Wahl die große Chance bekommen, Deine Wahlversprechen einzulösen." Hessen könne wieder "ein vorbildliches soziales Reformprojekt in der guten Tradition unseres bedeutenden Ministerpräsidenten Zinn" werden, "wenn Du willst", fährt Hooge fort. "Für die Elemente eines solchen Reformprojektes hast Du gekämpft und dafür hast Du in Hessen ein Mandat erhalten..."

Wie ein enttäuschter Liebhaber flötet er dann: " Ich frage Dich: Warum verweigerst Du Dich..."

Dann appelliert Hooge an Ypsilanti, sie wisse doch sehr genau, dass die Linkspartei, ungeachtet der DKP- oder DDR-Vergangenheit einiger älterer Mitglieder und der antikapitalistischen Rhetorik einiger jüngerer, nichts mit Kommunismus zu tun habe. "Wir sind keine Partei, in der sogenannte kommunistische Altkader das Sagen haben, das belege ich Dir gerne, aber das wisst Ihr doch selbst."

Wie nahe die Linkspartei der SPD steht, macht Hooge im nächsten Absatz deutlich: "Wir sind doch nicht aus Bösartigkeit gegenüber der SPD entstanden. Das weißt Du doch so gut wie ich. Die WASG war 2004 hauptsächlich ein Produkt des Protestes gegen Schröder, Steinmeier und den Teil der Agenda-SPD, gegen die Du auf Parteitagen protestiert hast. Viele von Euch, Du nicht, haben doch mühsam soziale Gerechtigkeit wieder buchstabieren lernen müssen. Die nun vereinigte LINKE ist eine historische Zwangsläufigkeit, ob Du es willst oder nicht."

Zwei Tage nach Hooges politischem Liebesbrief tagte im Wiesbadener Stadtteil Mainz-Kostheim der Landesparteitag der Linken, auf dem Gregor Gysi als Hauptredner in dieselbe Kerbe schlug.

Die Frankfurter Rundschau fasste die Parteitagslinie mit den Worten zusammen: "Die Linke hatte sich bei früheren Parteitagen sehr skeptisch zur Kooperation mit SPD und Grünen geäußert. Nach ihrem Einzug in den Landtag schlägt die Parteispitze nun genau diese Zusammenarbeit vor - wenn auch versteckt hinter einem kritischen Ton."

Unterstützt wird das Werben der Linkspartei um die SPD von mehreren Zeitungen - der Zeit, der Frankfurter Rundschau und der Süddeutschen. Sie bedrängen die SPD, ihre abwehrende Haltung aufzugeben und die Linkspartei in die Regierungsverantwortung einzubinden.

Schon kurz nach der Wahl forderte die Zeit die SPD unter der Überschrift "Links wagen!" auf, sie müsse "endlich aufhören, die Linkspartei im Westen zu dämonisieren", und bereit sein, über ihren eigenen Schatten zu springen. Die Süddeutsche Zeitung fragte: "Wer hat Angst vorm roten Mann?", um anschließend den Politikwissenschaftler Josef Esser mit den Worten zu zitieren: "Das sind alles honorige und engagierte Leute... die könnten alle genauso in der SPD sein."

Später unterzog die Süddeutsche Zeitung die Linkspartei einem "Praxistest", um den kritischen Stimmen aus der Wirtschaft entgegenzutreten. Der Artikel lobte die Berliner Regierungspolitik der Linkspartei über den Klee. Im Bundesland Berlin stelle die Linke seit fast sieben Jahren den Wirtschaftssenator, und die Bundeshauptstadt habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht, schreibt Phillip Grassmann.

Die damalige PDS habe bei der Koalitionsbildung mit der SPD 2001 ganz bewusst das Amt des Wirtschaftssenators für sich reklamiert, "um damit Politikfähigkeit zu beweisen", was Wirtschaftssenator Gregor Gysi mit Bravour gelungen sei. "Mit Eloquenz, Engagement und nicht zuletzt auch mit seinem Witz erreichte es Gysi, die Vorbehalte in der Wirtschaft gegen die PDS zu überwinden", lobt die Süddeutsche.

In Wirklichkeit hat nicht Gysis Witz die Wirtschaft überzeugt, sondern der beispiellose Sozialabbau, den der rot-rote Senat gegen die eigenen Wähler durchsetzte. Ein CDU-geführter Senat wäre damit auf heftigen Widerstand gestoßen. Massenarbeitslosigkeit und Armut sind in Berlin dramatisch angestiegen, und die Einkommen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst wurden um 12 Prozent gesenkt, bei einer gleichzeitigen Verlängerung der Arbeitszeit.

Die Zeit kommentierte das "sozialdemokratische Dilemma" bereits Ende Januar mit den Worten, die SPD stecke in einer "strategischen Falle", und prognostizierte: "Nur mit der Öffnung zur Linken kann sie sich daraus befreien." Denn "eine rot-rot-grüne Regierung" könne sich für Ypsilanti "als der einzige Weg entpuppen, Ministerpräsidentin zu werden".

Am Ende des langen Artikels, der alle Bedenken abwägt, kommt der Autor zur zentralen Frage: "Doch was spricht dagegen, die Linke auch im Westen einem realpolitischen Praxistest zu unterziehen? Entweder sie entwickelt sich darin - wie einst die Grünen und die PDS im Osten - zu einer zuverlässigen politischen Kraft; dann könnte sie für die SPD dauerhaft ein Partner werden. Oder das Problem ‚linke Protestpartei’ erledigt sich innerhalb weniger Jahre von selbst."

Diese Kampagne, die Linkspartei in die hessische Landesregierung einzubinden, hat nichts mit Sympathien für eine linke Politik zu tun. Vielmehr wird die Linkspartei gebraucht, um die wachsende Opposition in der Bevölkerung aufzufangen und unter Kontrolle zu halten. Es lohnt sich in diesem Zusammenhang, einen Blick zurück auf die Erfahrungen mit der rot-grünen Bundesregierung zu werfen.

Als SPD (unter Führung Oskar Lafontaines) und Grüne 1998 die Bundestagswahl gewannen und nach 16 Jahren die Regierung Kohl ablösten, sprachen viele von einem Neubeginn und hofften auf eine linkere Politik. Doch die rot-grüne Bundesregierung setzte eine massive Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen durch, zu der die Kohl-Regierung nicht fähig gewesen wäre.

Die Grünen wurden vor zehn Jahren bewusst in die Regierung geholt, weil die alten Parteien zu verbraucht und zu diskreditiert waren, um derartige Angriffe durchzusetzen. Die ehemaligen Pazifisten spielten eine Schlüsselrolle beim Sozialabbau und bei der Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien, der den Auftakt für weltweite Kriegseinsätze der Bundeswehr bildete und eine Rückkehr zur imperialistischen Außenpolitik einleitete.

Heute, nachdem auch die Grünen diskreditiert sind und der Widerstand in der Bevölkerung wächst, ist die Linkspartei an der Reihe, den Unwillen der Bevölkerung aufzufangen und als bürgerliche Ordnungsmacht zu fungieren. In Hessen, wo einst Joschka Fischer seine ersten Sporen als grüner Landesminister verdiente, sollen nun die Abgeordneten der Linkspartei - direkt oder indirekt - in die Regierung eingebunden werden.

Die Arbeiterklasse muss auf der Hut sein. Eine rot-rot-grüne Regierung in Wiesbaden wäre kein Fortschritt. Ypsilanti würde im Bündnis mit Al-Wazir und van Ooyen ihre Politik genau so an den Bedürfnissen der Banken und Wirtschaftsverbände ausrichten, wie die rot-grüne Bundesregierung oder der rot-rote Berliner Senat. Die sozialen und politischen Angriffe würden fortgesetzt, und die Enttäuschung der Wähler könnte leicht von rechten Demagogen ausgenutzt werden.

Siehe auch:
Massiver Linksruck in der Bevölkerung
(29. Januar 2008)
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