Konservativer Abgeordneter tritt gegen Anti-Terror-Gesetze der Labour-Regierung auf

Der konservative britische Schatteninnenminister David Davis hat das politische Establishment des Landes mit seinem unerwarteten Rücktritt am 12. Juni durcheinander gewirbelt.

In einer improvisierten Pressekonferenz vor dem Parlament sagte Davis, er habe diesen Schritt getan, um in seinem Wahlkreis eine Nachwahl zu erzwingen. Er protestiere damit gegen die jüngsten Antiterrorgesetze der Regierung, die eine 42-tägige Inhaftierung ohne Anklageerhebung ermöglichen. Am Vorabend hatte die Regierung die Verlängerung dieser Frist mit einer Mehrheit von nur neun Stimmen durchgepeitscht. Entscheidend waren die Stimmen der Democratic Unionist Party, der radikal-protestantischen nordirischen Partei von Ian Paisley, der man für ihre Stimmen möglicherweise finanzielle Vorteile für Nordirland geboten hatte.

In seiner Erklärung vor der Presse griff Davis das Parlament an, weil es das in der Magna Charta gewährte Recht auf Freiheit und das Recht auf Haftprüfung (habeas corpus) abgeschafft habe und "dem Staat erlaube, möglicherweise unschuldige Bürger für bis zu sechs Wochen einzusperren".

Er ging davon aus, dass die Regierung das Gesetz mithilfe des Parliament Act auch gegen den Widerstand des House of Lords durchsetzen werde, und warnte, mit dem gleichen Argument, mit dem die 42-tägige Haftdauer gerechtfertig t werde, würden in Zukunft "56 Tage, 70 Tage und dann 90 Tage verlangt".

Die Verlängerung der Frist sei "das hervorstechendste Beispiel der schleichenden, heimlichen und unaufhörlichen Erosion grundlegender britischer Freiheiten", fuhr er fort, und führte als weitere Beispiele die Pläne der Labour Party an, Personalausweise und eine nationale DNA-Datenbank einzuführen.

Davis erklärte, er wolle bei der Nachwahl kandidieren, um die auch in den Medien unterstützte Behauptung Labours zu widerlegen, die 42-Tage-Haft und andere erweiterte Vollmachten des Staates genössen in der Öffentlichkeit überwältigende Unterstützung.

Westminster und die Medien waren schockiert und reagierten mit Hohn und Spott auf seine Ankündigung. Obwohl der Vorsitzende der Konservativen, David Cameron, Davis persönlichen Mut bescheinigte, wurde schnell deutlich, dass die Tory-Führung mit dem Lauf der Ereignisse sehr unzufrieden ist. Davis wurde sofort von Dominic Grieve als Schatteninnenminister abgelöst. Davis habe seine Rücktrittsentscheidung eigenmächtig getroffen, sagte Cameron, und es gebe keine Garantie, dass er seinen Posten zurückerhalte, sollte er die Nachwahl gewinnen.

Labour-Politiker und die Medien waren weniger zurückhaltend. Den ganzen Tag über wurde Davis als "bekloppt" und "verrückt" bezeichnet. Er stecke in einer "Mid-Life Crisis" und opfere seiner "Eitelkeit" und seinem "Egoismus" eine viel versprechende Karriere und mögliche Führungsrolle bei den Konservativen.

Vor der Bekanntgabe seiner Pläne hatte Davis sich die Zusicherung des Führers der Liberaldemokraten geholt, dass dessen Partei bei der Nachwahl keinen Kandidaten aufstellen werde. Die Liberaldemokraten waren bei der Parlamentswahl bis auf 5.000 Stimmen an Davis herangekommen, während Labour mit einem miserablen dritten Platz vorlieb nehmen musste. Kommentatoren in den Medien sagten, dies beweise, dass Davis reine Effekthascherei betreibe, weil er eine Nachwahl erzwinge, bei der er sich einer großen Mehrheit von vorneherein sicher sein könne.

Mit diesem Argument wurde dann umgehend die Absicht Labours begründet, keinen eigenen Kandidaten aufzustellen. Ex-Innenminister David Blunkett griff Davis’ Rücktritt als "kindischen und unreifen" öffentlichen Werbegag an.

"Ich bin der Meinung, dass weder die Labour Party noch die Liberaldemokraten seinem Egoismus die Genugtuung eines Wahlkampfs geben sollten, der lediglich der öffentlichen Hand und den Parteien eine Menge Geld kostet, nur um die gleichen Argumente noch einmal vorzubringen, die er als Schatteninnenminister schon kraftvoll vorgetragen hat", sagte er.

Eine weitere Wendung ergab sich am Donnerstagabend, als Rupert Murdochs Sun die Absicht bekannt gab, gegen Davis antreten zu wollen, falls Labour keinen eigenen Kandidaten aufstelle. Der ehemalige Herausgeber der Sun, Kelvin McKenzie, sagte, er habe seine Kandidatur mit Murdoch auf einer Party zum 40. Geburtstag der gegenwärtigen Herausgeberin, Rebekah Wade, erörtert.

McKenzie sagte, er sei "zu 90 Prozent" sicher, dass er kandidieren werde, falls Labour das nicht täte. Als Begründung gab er an, die Sun lehne die von David Davis vertretene bisherige Haft-Höchstdauer von 28 Tagen ohne Anklageerhebung entschieden ab und sei "immer schon für 42 Tage eingetreten, und wenn es sein muss auch für 420 Tage".

Hat Murdoch den Plan mit Labour ausgeheckt?

Dass Großbritanniens prominenteste rechte Boulevard-Zeitung Davis so hart angeht, ist umso erstaunlicher, als der Tory-Abgeordnete in den meisten politischen Fragen ihr Seelenverwandter ist. Davis unterhielt enge Beziehungen zum Thatcher-Flügel der Partei und wurde als Favorit für die Parteiführung gehandelt, bis er 2005 von dem aufgehenden Stern Cameron überstrahlt wurde.

Sein Rücktritt widerspiegelt nicht nur Meinungsverschiedenheiten in der Konservativen Partei, sondern darüber hinaus in breiten Kreisen des traditionellen rechten Flügels des britischen Establishments. Diese Abgrenzung wird aber mit dem strammen Rechtskurs der Labour Party und ihrer ehemals liberalen Peripherie in den Medien immer problematischer.

Davis’ eintreten für "individuelle Freiheit" in Fragen der Terrorgesetze und staatlicher Überwachung passt sehr gut mit seinem enthusiastischen Eintreten für den freien Markt zusammen, das dem Sozialstaat wenig oder keinen Raum lässt. Er tritt konsequent dafür ein, dass sich die Tory-Partei als Vertreterin einer in jeder Hinsicht geringen Rolle des Staates darstellt. Es wurde ihm zugute gehalten, dass die Partei fast einstimmig gegen die 42-Tage-Frist stimmte, obwohl viele ihrer Abgeordneten besorgt waren, es könne der Eindruck entstehen, sie stellten den "Krieg gegen den Terror" in Frage.

Er sagte, er sei zurückgetreten, weil er befürchte, dass Cameron im Vorfeld der Parlamentswahl immer stärker unter Druck gerate und sich am Ende mit der Haftverlängerung abfinden könnte, wenn die Regierung ihre ganze Macht dafür einsetze. Er leugnete, dass sein Vorgehen langfristig als personalpolitische Herausforderung Camerons gedacht sei. Die Nachwahl, bei der er große Unterstützung erwarte, werde aber hilfreich sein, die Spannkraft der Tories zu erhöhen.

Die reflexartige Reaktion der Sun auf Davis’ Rücktritt zeigte anschaulich, welche Art von "Druck" er im Auge hatte. Die Sun war schon immer die enthusiastischste Befürworterin von Angriffen auf demokratische Rechte. Ihrer Verachtung für demokratische Freiheiten hat McKenzie immer wieder unmissverständlich Ausdruck verliehen. Er gehört zu den Wenigen, die Davis wie ein engagierter Liberaler aussehen lassen.

McKenzie, ein Privatschulzögling, der sich selbst zum "Mann des Volkes" stilisiert hat, brüstet sich mit seiner Gleichgültigkeit gegenüber größeren staatlichen Vollmachten. Wer "nur Gutes denke", habe nichts zu befürchten, sagte McKenzie gegenüber der BBC. Das ist als Aussage unsinnig, aber es bestätigt, dass die 42-Tage-Frist für die Sun weniger mit nationaler Sicherheit, als mit ideologischer und politischer Überwachung, Zensur und Unterdrückung zu tun hat.

Die Absicht der Sun, bei Nichtantreten Labours zu kandidieren, unterstreicht außerdem, in welchem Ausmaß sich die Regierung und ihre Politik mit den Forderungen und Interessen des Medientycoons Murdoch decken, eines der führenden Vertreter der Wirtschaft in Großbritannien.

Murdoch hat eine wichtige Rolle bei dem Entschluss der Regierung gespielt, eine Parlamentesentscheidung über die 42-Tage-Frist zu erzwingen, obwohl ein Scheitern der Abstimmung fraglos das Ende der Regierung Brown bedeutet hätte. Der notorische Großsprecher McKenzie hat ausgeplaudert, dass Gordon Brown und Tony Blair auf der Geburtstagsparty anwesend waren, auf der über die mögliche Kandidatur der Sun gegen Davis gesprochen wurde. Es ist anzunehmen, dass Murdoch und die Labourführung ihre Strategie gegen Davis zusammen ausgearbeitet haben.

Die Stimmung dreht sich

Bereits am Wochenende war klar, dass die Bemühungen, Davis zu verunglimpfen und ins Leere laufen zu lassen, nach hinten los gegangen sind. Nicht Davis erwies sich als isolierter Spinner, der sich lächerlich macht und verlieren muss, sondern die Regierung und die Medien hatten den Kontakt zur öffentlichen Meinung verloren.

Politische Kommentatoren mussten zugeben, dass E-Mails und Postings auf Nachrichtenwebseiten überwiegend Davis unterstützten. Viele von ihnen waren Anhänger der Labour Party oder der Liberaldemokraten, die enttäuscht waren, dass nicht Vertreter ihrer Parteien, sondern ein Tory sich für bürgerliche Freiheiten einsetzte.

Als die Meinungsumfragen am Montag eine noch deutlichere Unterstützung für die Konservativen signalisierten, hatte Labour immer noch nicht erklärt, ob die Partei einen Kandidaten aufstellen werde. Auch die Sun hielt sich weiter bedeckt.

Unabhängig von seinen ursprünglichen Absichten hat Davis’ Rücktritt alle offiziellen Parteien in eine Krise geworfen. Die schon vorher sehr unpopuläre Labour Party ist nicht in der Lage, ihre Polizeistaatsmaßnahmen öffentlich zu verteidigen, und sie weiß das auch. Ihre Weigerung, einen Kandidaten aufzustellen, wird als weiterer Beweis für ihre zunehmende Bedeutungslosigkeit gesehen werden. Sollte sie die Verteidigung ihrer Politik der Sun überlassen, würde sie damit nur bestätigen, dass die Regierung kaum mehr als ein politischer Handlanger von Murdoch ist.

Auch die Sun scheint in einer selbstverschuldeten Krise zu stecken, besonders seit McKenzie öffentlich hinausposaunt hat, dass Murdoch sich bereit erklärt habe, seinen Wahlkampf zu finanzieren. Weil Murdoch Bürger der Vereinigten Staaten ist, wären seine Gelder nach britischem Wahlrecht illegal. Und wenn Davis McKenzie besiegen sollte, der schon einmal erfolglos bei Kommunalwahlen in Surrey kandidiert hat, dann würde der Anspruch der Zeitung, die wahre "Stimme des Volkes" zu sein, schweren Schaden nehmen.

Trotz der Popularität, die Davis’ Schritt anscheinend genießt, sind die Tories keineswegs glücklich damit, einen Kampf für Bürgerrechte führen zu sollen. Es wäre ihnen natürlich sehr recht, Labour eins auszuwischen, aber das letzte, was sie wollen, ist eine Infragestellung der gesamten Anti-Terror-Gesetzgebung. Dies umso mehr, wenn die Bühne eine Art Volksabstimmung außerhalb der dünnen Luft von Westminster ist. Einige der schärfsten Angriffe auf Davis kamen von seinen Tory-Freunden. Viele in der Parteiführung zögern nicht weniger als Labour, sich mit Murdoch anzulegen.

Die Liberaldemokraten, die sich gerne als entschiedene Verfechter demokratischer Rechte hinstellen, haben diese Position praktisch an einen Rechten abgetreten, den viele ihrer eigenen Anhänger als ideologischen Feind betrachten.

Der Eindruck, dass die politischen Verhältnisse in Bewegung geraten sind, wurde von mehreren Solidaritätsadressen für Davis aus dem gesamten politischen Spektrum verstärkt. Nach mehreren Tagen gaben zwei Labour-Abgeordnete, die gegen die 42-Tage Regelung gestimmt hatten, bekannt, dass sie Davis unterstützen werden. Es handelt sich um die Abgeordneten Bob Marshall-Andrews und Ian Gibson. Die Satzung der Labour Party verbietet es Mitgliedern, Wahlkampf für eine andere Partei zu machen. Brown steht also vor der Frage, ob er disziplinarisch gegen sie vorgehen und damit riskieren will, sie zu Märtyrern zu machen.

Ein weiterer Prominenter, der Davis seine Unterstützung zugesagt hat, ist Tim Collins, der Oberst im Ruhestand, dessen Ansprache an das 1. Bataillon des Royal Irish Regiment vor dessen Verschiffung in den Irak zu Beginn der Irakinvason von der Presse als Beweis für die "Demokratisierungs-Mission" Großbritanniens gepriesen worden war.

Solcherlei Unterstützung hat zu Spekulationen geführt, ob Davis’ Kampagne vielleicht eine neue politische Bewegung ins Leben rufe, "eine Art Obama-Bewegung", wie es ein Kolumnist des Observer nannte.

Unabhängig von dem unmittelbaren Ergebnis von Davis’ Kampagne gewinnt man den Eindruck, dass mit seinem Rücktritt und den darauf folgenden Reaktionen einem Teil der herrschenden Klasse bewusst geworden ist, wie ablehnend die Öffentlichkeit dem politischen System gegenüber eingestellt ist. Diese Entfremdung übersteigt alles, was öffentlich zugegeben wird.

Angesichts einer Wirtschaftsrezession, steigender Arbeitslosigkeit und immer größerer finanzieller Unsicherheit von Millionen von Arbeitern und Familien befürchten die herrschenden Kreise, dass sich die bestehenden politischen Parteien als völlig unzureichend erweisen. Sie können die noch unartikulierte, aber rebellische Stimmung unter breiten Schichten der arbeitenden Bevölkerung nicht mehr lange kontrollieren.

So werden Davis und seine politischen Verbündeten unter scharfer Beobachtung stehen, ob es ihnen gelingt, diese Unzufriedenheit aufzufangen und zu verhindern, dass sie eine unabhängige, sozialistische Richtung einschlägt.

Siehe auch:
Großbritannien: Brown steht in der Europa- und Iranfrage an der Seite der USA
(28. November 2007)
Britische Studenten wegen Besitzes "extremistischer" Schriften zu Gefängnisstrafen verurteilt
(8. August 2007)
Terrorhysterie zur Rechtfertigung antidemokratischer Maßnahmen
(22. August 2006)
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