"Appeasement"- Kontroverse: Ein Vorgeschmack auf den Wahlkampf zwischen McCain und Obama

Letzte Woche hielt Präsident Bush vor der israelischen Knesset eine provokative Rede, die in Washington einen politischen Sturm auslöste. In dieser Rede zog er eine direkte Analogie zwischen der Nahostpolitik des Präsidentschaftsfavoriten der Demokratischen Partei, Senator Barack Obama, und der "Appeasement"-Politik (Beschwichtigungspolitik) gegenüber Nazi-Deutschland in der 1930er Jahren. Die Auseinandersetzung darüber gibt einen Vorgeschmack auf den bevorstehenden Wahlkampf um das Weiße Haus.

Bushs Äußerung war wahrscheinlich das politisch wichtigste Ereignis seiner Fünftagesreise durch den Nahen Osten, bei der es weder gelang, das israelisch-palästinensische Verhältnis auch nur ansatzweise zu verändern, noch irgendwelche bedeutende Zugeständnisse für Öllieferungen von der saudi-arabischen Monarchie zu erhalten, geschweige denn zusätzliche Unterstützung für die amerikanische Besatzung des Iraks zu bekommen. Die Äußerung zeigt, dass der ausscheidende Präsident im Wahlkampf immer noch, im Guten wie im Schlechten, die politische Agenda seiner eigenen Partei bestimmen kann.

"Einige scheinen zu denken, wir sollten mit Terroristen und Radikalen verhandeln, ganz so als ob diese sich durch raffinierte Argumente davon überzeugen ließen, dass sie bisher falsch lagen", erklärte Bush in seiner 23 Minuten dauernden Rede vor dem israelischen Parlament. Dann fuhr er fort: "Als Panzer der Nazis 1939 in Polen einfielen, erklärte ein amerikanischer Senator: ‚Oh Gott, hätte ich nur mit Hitler reden können, all das wäre vermieden worden.’ Wir sind verpflichtet, die Dinge beim Namen zu nennen - Beschwichtigungspolitik hat sich historisch schon mehrfach als wertlos erwiesen."

Öffentlich bestritt das Weiße Haus, dass der Präsident mit seiner "Appeasement"-Bemerkung Obama gemeint habe, aber im privaten Gespräch versicherten Sprecher des Präsidenten den Medien, dass sie genau so gemeint war.

Der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Senator John McCain, antwortete auf entsprechende Fragen entlang derselben Linie: "Ja, in der Vergangenheit gab es Beschwichtigungspolitiker. Da hat der Präsident vollkommen Recht. Einer von ihnen hieß Neville Chamberlain."

Mit der eklektischen Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der nichts sagenden Analogie zur gegenwärtigen Lage im Nahen Osten versuchte der amerikanische Präsident, in Israel die Nazi-Karte zu spielen. Gleichzeitig bemühen sich er und McCain, dem lahmenden republikanischen Wahlkampf wieder Schwung zu verleihen, indem sie das amerikanische Volk mit der angeblich allgegenwärtigen Terrorgefahr zu einschüchtern.

Natürlich verschwieg Bush, dass der amerikanische Senator, dessen Äußerung von 1939 er zitierte, ein bekanntes Mitglied seiner eigenen Partei war: William Borah, ein Republikaner aus Idaho, der dem außenpolitischen Ausschuss des Senats vorsaß.

Auch erhellte McCains durchaus hilfreiche Erinnerung an den britischen Premierminister Neville Chamberlain kaum, worauf sich der Begriff "Appeasement" im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs bezog. Es ging nicht um die Entscheidung, ob mit Adolf Hitler verhandelt werden sollte oder nicht - zu der damaligen Zeit unterhielt der deutsche Nazi-Kanzler diplomatische Beziehungen zu allen wichtigen Mächten und enge Wirtschaftsbeziehungen zu amerikanischen Wirtschaftsgiganten, wie der Ford Motor Co., die während des ganzen Krieges Militärfahrzeuge für die Nazis und entsprechende Profite für die Familie Ford erzeugte.

Tatsächlich wurde der Vorwurf der Beschwichtigungspolitik gegen Chamberlain und den französischen Premierminister Edouard Daladier erhoben, weil sie sich während der Münchener Konferenz im September 1938 den Drohungen Hitlers, in die Tschechoslowakei einzumarschieren, gebeugt und Prag gedrängt hatten, seine Grenzgebiete an Deutschland abzutreten. Dieses Vorgehen bildete den Auftakt zur nur Monate später stattfindenden Einnahme des ganzen Landes durch die Nazis, zur darauf folgenden Invasion Polens und der Eroberung des größten Teils von Europa.

Kann irgendwer ernsthaft annehmen, dass der Iran - oder gar die palästinensische Hamas oder die libanesische Hisbollah - sich anschicken, den Nahen Osten mit einer Art modernem Blitzkrieg zu überrollen? Das Gegenteil trifft zu, es ist Washington, das seine Militärkräfte an den Grenzen des Iran auffahren lässt und offen darüber debattiert, einen weiteren nicht provozierten Krieg am Persischen Golf loszutreten.

Die Beschwörung des Verhaltens von Chamberlain in München gehört seit mehr als sechs Jahrzehnten zum Handwerkszeug der amerikanischen Außenpolitik. Sie wird immer dann eingesetzt, wenn es gilt, eine drohende Aggression gegen die USA an die Wand zu malen und eine militärische Aggression des US-Imperialismus zu rechtfertigen. So ist es auch jetzt wieder.

Obwohl alle historischen Analogien nur begrenzt richtig sind, beginnt man bei der Suche nach einer aktuellen Parallele zur Appeasement-Politik am besten bei jenen, die Bushs Aggressionskrieg gegen den Irak oder die israelische Belagerung des Libanon vor zwei Jahren begünstigt haben. In den USA könnte man mit guten Gründen den Demokraten das Etikett von "Beschwichtigungspolitikern" anheften, die Bushs Krieg zugestimmt haben. Allerdings geht die enge Allianz, welche die so genannte Oppositionspartei bei Beschlüssen zur Finanzierung des Krieges wiederholt mit der Regierung eingegangen ist, weit über den Begriff "Appeasement" hinaus.

Die Demokratische Partei und Obamas Wahlkampfteam haben kaum Interesse an der Untersuchung derartiger historischer Fragen. Sie nutzen Bushs Bemerkungen lieber um ihr zentrales Wahlkampfthema zu betonen, dass nämlich ein Sieg McCains einer dritten Amtszeit Bushs gleichkäme.

Nachdem Bushs Sympathiewerte tiefer gefallen sind als jene Richard Nixons zu der Zeit, als er öffentlich versichern musste, er sei "kein Gauner", scheint das Lager Obamas das Eingreifen des Präsidenten in den Wahlkampf regelrecht zu begrüßen.

"George Bush weiß genau, dass ich nie Vereinbarungen mit Terroristen unterstützt habe. Auch können weder das parteipolitische Ausschlachten der Außenpolitik, noch die Politik der Panikmache etwas zur Sicherheit des amerikanischen Volkes oder unseres treuen Verbündeten Israel beitragen", lautete Obamas Reaktion auf Bushs Äußerungen.

In einem Gespräch mit Journalisten am Freitag in Süd-Dakota fügte er noch an: "Ich glaube, in der Nahostpolitik gibt es keinen Unterschied zwischen John McCain und George Bush, und ich denke, ihre Politik ist gescheitert. Ich werde dem amerikanischen Volk meine Gründe so klar wie möglich darlegen. Ich traue dem amerikanischen Volk zu, dass es seinen eigenen Augen traut und sieht, was dabei heraus gekommen ist."

Einige Stimmen aus dem Obama-Lager kritisierten Bushs Rede mit dem leicht verstaubten Argument, die Parteipolitik höre an der Grenze auf. Im Falle Israels lassen sich Innenpolitik und Außenpolitik allerdings nicht klar voneinander abgrenzen, wenn man bedenkt, dass Washington den zionistischen Staat massiv subventioniert, seine Außenpolitik und seine militärischen Aggressionen bedingungslos unterstützt und die israelische Lobby in den USA direkten Einfluss auf beide politischen Parteien ausübt.

Bushs Rede vor der Knesset und die aufgeregte Reaktion der Demokraten weisen darauf hin, dass Israel - als Bestandteil der Angstkampagne - im Wahlkampf 2008 ein wichtiges Thema sein wird. Bedeutende Teile des politischen Establishments und der Finanzelite haben aus diesem Grund Obamas Kampagne unterstützt. Sie betrachten den jungen Senator aus Illinois als idealen Vertreter eines begrenzten, aber wichtigen taktischen Schwenks in der amerikanischen Außenpolitik. Das gilt auch auf die derzeitige unkritische Beziehung zu Israel.

Die Anhänger der Regierung Bush lehnen dagegen jede Kursänderung ab und versuchen - wie die biblischen Bezüge in Bushs Israel-Rede gezeigt haben - Teile der christlichen Rechten auf Grundlage der Unterstützung für Israel zu mobilisieren.

Die außenpolitischen Ziele des Obama-Lagers haben in den herrschenden Kreisen Europas breite Unterstützung. Das zeigt unter anderem ein Leitartikel der Londoner Financial Times vom 16. Mai über Bushs Rede vor der Knesset.

"Wie Bush zieht auch der republikanische Standartenträger Schwarz-Weiß-Malerei den Grautönen vor", schreibt die Financial Times über McCain. "Von den unverbesserlichen Neokonservativen in seinem Beraterkreis ermutigt, ist er anscheinend willens, sich hinter Bush einzureihen, und Obama, wenn auch nur implizit, als Beschwichtigungspolitiker zu brandmarken, weil dieser einen Dialog mit Feinden der USA wie dem Iran vorschlägt. Obama hat natürlich Recht; langfristige Erfolge im Irak können nur unter Einbeziehung seiner Nachbarn, einschließlich des Iran, eintreten. Bushs Politik hat zum Aufstieg des Iran als Regionalmacht sehr viel beigetragen."

Die Schlussfolgerung der Zeitung lautet: "Die Weiterführung der Politik der Amtszeit Bushs wäre ein Debakel für die USA und deshalb für die ganze Welt. Möglich, dass es Obama an McCains Erfahrung mangelt, dennoch hat er Recht damit, einen Schlussstrich unter das Kapitel der Misserfolge zu ziehen."

Zu den bedeutsameren Reaktionen auf den Aufschrei nach Bushs Knesset-Rede gehört die des rechten Kolumnisten David Brooks von der New York Times, der am Freitag gestützt auf ein Interview mit Obama einen höchst wohlwollenden Artikel schrieb.

"Die Debatte, die wir mit John McCain führen werden, wird sich darum drehen, wie wir unser zukünftiges Zusammenspiel von militärischem und diplomatischem Handeln konzipieren", zitiert Brooks den demokratischen Kandidaten. "Ich stehe fest zu meiner Ablehnung der Vorstellung, diplomatisch beeinflusste Strategien seien zu weich, seien eine Kapitulation und bedeuteten, dass man den Terrorismus nicht bekämpfen würde. Derartige Konzeptionen haben in einen wachsenden Schlamassel geführt."

Dann betonte er, dass seine Vorstellungen mit denen der militärischen Führung in Übereinstimmung seien. "Die Generäle sind den Zivilisten um Lichtjahre voraus", sagte er. "Sie geben sich mehr Mühe, ihre Arbeit zu erledigen, als zu imponieren."

Brooks schreibt, Obama wolle "in einigen Fällen...härter als die Regierung Bush auftreten", so in den Beziehungen zu Nordkorea und der Bewaffnung der libanesischen Regierungstruppen im Kampf gegen die Hisbollah.

Abschließend sagte Obama: "Es geht nicht um einen Streit zwischen Demokraten und Republikanern. Es ist ein Streit zwischen Ideologie und außenpolitischem Realismus. Ich hege große Sympathien für George H. W. Bushs Außenpolitik. Ich habe nicht viel an der Art auszusetzen, wie ‚Desert Storm’ (Wüstensturm) durchgeführt wurde."

Ein nicht zu übersehender Aspekt der Angelegenheit war auch das fast vollständige Verschwinden Hillary Clintons. Der Senatorin aus New York, die gelobt hatte, den Nominierungswahlkampf der Demokraten durchzuhalten, blieb nur übrig, von der Seitenlinie aus Bushs Bemerkungen als "offensiv und unerhört" zu verurteilen. Das Weiße Haus, McCain und Obamas Wahlkampfteam gehen offensichtlich von der Einschätzung aus, dass der Kampf in der Demokratischen Partei entschieden und Clintons Niederlage besiegelt sei.

Einer der absonderlicheren Beiträge, die durch die politischen Zänkereien über Bushs Äußerungen in der Knesset ausgelöst wurden, stammt von McCain. In seiner Antwort auf Obamas Hinweis, Ronald Reagan, Richard Nixon und John F. Kennedy hätten als amerikanische Präsidenten mit den "Feinden" der USA, der ehemaligen Sowjetunion und China, verhandelt, machte McCain ein anderes Erbe der republikanischen Ikone Reagan geltend.

"Ich denke, es war kein Zufall, dass unsere Geiseln aus dem Iran zurückkamen", sagte er. "Nachdem Präsident Reagan in das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten eingeführt worden war, ließ er sich nicht zu persönlichen Verhandlungen mit den Extremisten in Teheran herab. Er ließ keinen Zweifel daran, dass diese Geiseln zurückkommen würden."

In Wirklichkeit gibt es eindeutige Belege dafür, dass sich Abgesandte von Reagans Wahlkampfteam vor seiner Amtseinführung mit dem iranischen Regime Khomeinis zu Verhandlungen trafen, um die Entlassung der in der US-Botschaft in Teheran festgehaltenen Geiseln bis nach der Wahl von 1980 hinauszuzögern und eine mögliche "October surprise" (Oktoberüberraschung) zu vermeiden, die dem demokratischen Amtsinhaber hätte von Nutzen sein können. Während Reagans Regierungszeit wurden diese Verbindungen aufrechterhalten, als im Tausch für die Freilassung amerikanischer Geiseln im Libanon insgeheim amerikanische Waffen in den Iran geliefert wurden.

Diese Operation war Teil der so genannten Iran-Contra-Affäre, in deren Rahmen auch illegal Waffen an die von der CIA ausgebildeten nicaraguanischen Contra-Söldner geliefert und Pläne zur Verhängung des Kriegsrechts in den USA im Falle einer direkten amerikanischen Militärintervention in Mittelamerika ausgearbeitet wurden. Letztere entstanden im Rahmen der Geheimaktion Operation Rex 84.

Wie gering die Unterschiede zwischen den zwei Parteien sind, die beide die Interessen der Wirtschaft vertreten, zeigt sich, wenn Obama eine Rückkehr zur Außenpolitik von Bush Sen. verspricht und sich beide Kandidaten um das korrupte und kriminelle Erbe der Regierung Reagan streiten.

Siehe auch:
Die Vorwahlen in Pennsylvania und die Krise der Demokratischen Partei
(30. April 2008)
Obama-Clinton Debatte: Medien versuchen Demokraten nach rechts zu drücken
(23. April 2008)
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