Rassistische Pogrome begleiten Berlusconis Amtsantritt

Am Mittwoch, den 21. Mai, beschloss das jüngst vereidigte Kabinett des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi auf einer außerordentlichen Sitzung in Neapel harte neue Gesetze gegen Einwanderer. Die neuen Dekrete sind der Höhepunkt von mehreren Wochen staatlich begünstigter Überfälle und Gewalttaten gegen Einwanderer in Italien.

Die Sondersitzung von Berlusconis Kabinett war in erster Linie nach Neapel einberufen worden, um sich mit der jahrelangen Müllkrise der Stadt zu beschäftigen. Als es dann so weit war, erklärte Berlusconi die Müllhalden zu militärischem Sperrgebiet, um Bürger daran zu hindern, weiterhin gegen giftigen Müll zu protestieren. Gleichzeitig spielte er die rassistische Karte aus und betonte, oberste Priorität habe für ihn "der Kampf gegen kriminelle Ausländer". Dementsprechend wurden auf der Kabinettssitzung in Neapel mehrere äußerst repressive Gesetzentwürfe verabschiedet.

Die Regierung Berlusconis besteht aus rechten und extrem rechten Parteien, wie der postfaschistischen Alleanza Nazionale und der separatistischen und offen rassistischen Lega Nord. In der jüngsten Parlamentswahl machte der Milliardär und Medien-Tycoon die Fremdenfeindlichkeit bewusst zu einem zentralen Punkt seines Wahlkampfs. Berlusconi stellte die Einwanderer und insbesondere die Sinti und Roma als Hauptursache für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme Italiens hin.

Kurz nach dem Wahlsieg von Berlusconis Allianz begannen Polizei und die paramilitärischen Carabinieri mit Razzien gegen Einwanderer. Anfang Mai fing die Polizei an, ausländische Arbeiter und ihre Familien aufzugreifen und festzunehmen. Hunderte Einwanderer aus Osteuropa, Albanien, Griechenland, Nordafrika und China wurden festgesetzt und einer Vielzahl von Vergehen beschuldigt, unter anderem der illegalen Einreise nach Italien. 53 der in den ersten Wochen Festgenommenen wurden medienwirksam sofort zur Grenze geschafft und ausgewiesen.

Polizei und Sicherheitskräfte gingen auch daran, an mehreren Orten in Italien Roma-Wohnsiedlungen zu schließen. Vor den Augen der Öffentlichkeit überfiel die Polizei in der Hauptstadt ein Roma-Lager unter der Milvio-Brücke am Ufer des Tiber. Seither ist die Polizeipräsenz in der Gegend massiv verstärkt worden. Die Polizei lässt die Wohnwagen der Roma abtransportieren, und die Einwanderungsbehörden arbeiten mit Hochdruck an der Abschiebung der Bewohner, die keine gültigen Aufenthaltspapiere haben.

Die Polizeioperation hatte die volle Billigung des neuen Bürgermeisters von Rom, des Ex-Faschisten Gianni Alemanno. In seinem eigenen Bürgermeisterwahlkampf hatte Alemanno versprochen, die "Nomadenlager" aufzulösen, in denen die Roma unter "Bedingungen wie in der dritten Welt" leben. Nach dem Besuch in einem solchen Lager erklärte er, er sei "entsetzt" über das, was er dort gesehen habe: "Ich finde dafür keine Worte."

Für die schlimmen Bedingungen in diesen Lagern ist allerdings voll und ganz das Desinteresse der italienischen Behörden verantwortlich. Roma-Siedlungen müssen in Italien in aller Regel ohne fließendes Wasser und elektrischen Strom auskommen.

Auch der Chef der Lega Nord und Minister für Verfassungsreform und Föderalismus, Umberto Bossi, schaltete sich ein und verteidigte das martialische Durchgreifen der Polizei. "Die Leute wollen ein solches Vorgehen gegen illegale Einwanderer", sagte er kürzlich. "Sie verlangen von uns Sicherheit, und die werden wir ihnen geben."

Das Pogrom in Neapel

Der Höhepunkt der Angriffe auf Sinti und Roma war dann eine bewusste Provokation in Neapel. Am 14. Mai griffen Banden ein Roma-Lager im Stadtteil Ponticelli an und brannten es nieder. Dem Angriff gingen Sensationsberichte in Berlusconis Fernsehsendern und Zeitungen voraus, in denen eine italienische Frau behauptete, ein 16-jähriges Roma-Mädchen habe versucht, ihr Kind zu entführen. Nach den äußerst widersprüchlichen Berichten und Aussagen über die angebliche "Entführung" rottete sich eine Menge zusammen und begann, die Roma in dem Ponticelli-Lager zu beleidigen und zu bedrohen. Seine Bewohner wurden sehr schnell von der Polizei aus dem Lager geschafft.

Der aufgebrachte Mob brannte das Lager dann mit Hilfe von Molotowcocktails nieder, und Zeugen berichteten, wie die Gebäude und Wohnwagen rasch in hellen Flammen standen. Einigen Presseberichten zufolge spielte die neapolitanische Mafia, die Camorra, bei dem Pogrom eine entscheidende Rolle.

Ein Augenzeuge wird vom Corriere della Sera zitiert: "In der Nähe steht eine Gruppe von Jugendlichen... Der Anführer ist der Großneffe des ‚Bürgermeisters’ von Ponticelli, Ciro Sarno, der Capo eines im Stadtteil verankerten Camorra-Clans. Der Jugendliche winkt seine Gruppe herbei, und sie fahren mit ihren Mopeds davon. Zehn Minuten später steigen Rauchwolken aus dem Lager der Landfahrer auf."

Sowohl die Berlusconi-Regierung wie auch die Camorra werden ihren Nutzen aus den jüngsten Pogromen in Neapel ziehen. Der Anwalt Gerardo Marotta sagte der Zeitung L’Unita, der Ursprung der Müllkrise in Neapel sei im Missbrauch der Region durch die Industrie des Nordens zu finden, die hier ihren Giftmüll billig los werde. "Seit mehr als 40 Jahren haben sich die Unternehmen des Nordens die Kosten gespart, ihren Giftmüll zu beseitigen, und haben diese Aufgabe der Camorra übertragen, die ihn auf illegalen Deponien im Süden ablud", sagte er.

Mit den rassistischen Pogromen konnten die Camorra-Banden gut von ihrer eigenen Rolle im Müllskandal in der Stadt ablenken. Gleichzeitig sind die Pogrome für die Berlusconi-Regierung eine willkommene Ablenkung von der scharfen sozialen Krise in Neapel und im ganzen Land.

Die rassistische Gewalt in Neapel wurde durch eine systematische ausländerfeindliche Kampagne der Regierung und der Medien vorbereitet und von führenden Mitgliedern der Berlusconi-Regierung auch noch begrüßt. Vor den jüngsten Pogromen hatte Lega Nord Chef Umberto Bossi verlauten lassen: "Es ist leichter, Ratten zu vernichten, als die Zigeuner." Nach dem Niederbrennen des Roma-Lagers im Außenviertel von Neapel rechtfertigte Bossi das Pogrom mit den Worten: "Die Menschen tun das, was die politische Klasse nicht zustande bringt."

Sein Parteifreund und Innenminister Roberto Maroni erklärte, das beste Mittel, um Angriffe auf Ausländer zu verhindern, sei, den Staat zu stärken. Das war der Inhalt der Maßnahmen, die vom italienischen Kabinett am Mittwoch verabschiedet wurden. Einige Bestimmungen des Dekrets besagen:

1. Zum ersten Mal wird die illegale Einreise nach Italien als Verbrechen behandelt. Dadurch wird es den Behörden ermöglicht, Ausländer ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung sofort abzuschieben oder einzusperren. Abschiebung und Verhaftung sind auch aufgrund der sehr vagen Bestimmung möglich, ein bestimmter Ausländer stelle eine "Bedrohung für die Gesellschaft" dar.

2. Die kommunalen Behörden sollen das Recht erhalten, die Lebensbedingungen von Bürgern aus anderen EU-Ländern zu überprüfen, bevor sie das Aufenthaltsrecht erhalten. Zusätzlich zu einer Aufenthaltsgenehmigung müssen die Einwanderer nachweisen, dass sie einen Arbeitsplatz haben und genug Geld verdienen, um sich selbst und ihre Familie zu unterhalten.

3. Der neue Gesetzentwurf, der sofort wirksam werden soll, erlaubt den Behörden auch, Immobilien zu konfiszieren, die an illegale Einwanderer vermietet wurden.

Um die neuen Maßnahmen durchzusetzen, denkt der italienische Verteidigungsminister darüber nach, Truppen zur Bekämpfung des Verbrechens in den Städten einzusetzen, und das Innenministerium hat Pläne angekündigt, Sonderlager für "kriminelle Ausländer" in leer stehenden Kasernen einzurichten.

Obwohl diese neuen italienischen Gesetze von Juristen als Verletzung des europäischen Rechts auf Freizügigkeit innerhalb der Union angesehen werden, haben Vertreter der EU bisher sehr zurückhaltend reagiert oder versucht, die rassistische Gewalt in Italien herunterzuspielen.

Im Europaparlament lehnte die christdemokratische Europäische Volkspartei eine Generaldebatte über die Pogrome in Italien ab. Im November vergangenen Jahres war der Vorsitzende dieser Gruppierung dem damaligen Kommissionsvizepräsident und jetzigen Außenminister in Berlusconis Kabinett, Franco Frattini, zur Seite gesprungen, der seit Jahren in der EU gefordert hat, die Außengrenzen der Gemeinschaft gegen "illegale Einwanderung" abzuschotten.

Der Vorsitzende der sozialistischen Gruppe im Europaparlament, Martin Schultz, reagierte auf die staatlich geduldeten rassistischen Angriffe in Italien mit einer windelweichen Erklärung: "Die gegenwärtige Situation in Italien ist schwierig," sagte Schultz. "Aber wir wollen die Tatsache nicht leugnen, dass die Frage des Schutzes von Minderheiten und der Integration von Roma in die Gesellschaft keine ausschließlich italienische Frage ist."

Die Rolle der Prodi-Regierung und von Rifondazione Comunista

Schon die letzte Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi hatte 2007 den Kampf gegen Einwanderer und Roma in Italien aufgenommen. Die neuesten drakonischen Gesetzesvorhaben von Berlusconis Kabinett basieren auf Vorlagen, die schon von der Prodi-Regierung im Vorjahr verabschiedet worden waren - und zwar mit Unterstützung von Rifondazione Comunista (RC), einer Nachfolgeorganisation der Kommunistischen Partei Italiens, die jahrelang das Ideal der gesamten kleinbürgerlichen Linken Europas war.

Nach dem brutalen Angriff auf eine Italienerin im Herbst vergangenen Jahres, angeblich von einem rumänischen Staatsbürger begangen, zettelten die Medien und die rechte Opposition unter Führung Berlusconis und Bossis eine systematische Kampagne gegen Ausländer im Allgemeinen und gegen Roma im Besonderen an. Damals erschien der Corriere della Sera mit der Überschrift "Die Invasion der Landfahrer".

Der erste, der auf diese rechte Kampagne reagierte, war der damalige Bürgermeister von Rom und Generalsekretär der neu gegründeten Demokratischen Partei (DP), Walter Veltroni, der in der Öffentlichkeit behauptete, 75 Prozent der Kleinkriminalität in Rom würden von Roma verübt.

Anfang November 2007 verabschiedete die Prodi-Regierung auf Drängen Veltronis ein neues Dekret, das decreto espulsioni (Abschiebungsdekret). Es ermöglichte den Behörden, europäische Bürger auszuweisen, die eine "Bedrohung für die öffentliche Ordnung" darstellten. Das Dekret richtete sich hauptsächlich gegen rumänische Staatsbürger, und zwar vor allem gegen Sinti und Roma. Es erlaubte der Polizei, ganze Gruppen von Rumänen "aus Gründen der öffentlichen Sicherheit" abzuschieben.

Am 2. November unterzeichnete dann der italienische Präsident Giorgio Napolitano, ein KPI-Veteran, das Abschiebungsdekret, das von Paolo Ferrero, dem Minister für gesellschaftliche Solidarität, öffentlich verteidigt wurde. Ferrero war der einzige Minister von Rifondazione Comunista in Prodis Kabinett.

Um die Maßnahme durchzusetzen, verband Prodi die Abstimmung über das Abschiebungsdekret mit einer Vertrauensabstimmung. Rifondazione-Generalsekretär Franco Giordano forderte die Abgeordneten dazu auf, das Dekret zu unterstützen. Es wurde im Senat mit 160 zu 158 Stimmen angenommen, und mit einer Ausnahme stimmten alle RC-Senatoren für den Gesetzentwurf.

Die RC-Mitglieder gaben lediglich ihrer Hoffnung Ausdruck, dass das repressive Einwanderungsdekret nicht zu Massenabschiebungen führen werde. Als am 7. November 2007 der rumänische Ministerpräsident Calin Popescu Tariceanu in Rom mit Prodi und dem Papst zusammentraf, um die Rückführung rumänischer Staatsbürger zu diskutieren, bekundete der ehemalige Führer von Rifondazione (und damalige Präsident des Abgeordnetenhauses), Fausto Bertinotti, seine Zufriedenheit mit der Versicherung von Innenminister Giuliano Amato (DP), es werde keine Massenabschiebungen geben (La Repubblica, 7. November 2007).

Während Bertinotti den Journalisten diese Aussage diktierte, waren Polizei und Innenministerium schon dabei, eine Liste mit etwa 5.000 "unerwünschten Einwanderern" in Rom, Mailand, Neapel, Turin und Florenz zu erstellen, die als erste abgeschoben werden sollten. Die von der Prodi-Regierung erstellte Liste brauchte jetzt von der neuen Berlusconi-Regierung nur aus der Schublade gezogen zu werden.

Die jüngsten vom Staat angestachelten Pogrome in Italien sind eine vernichtende Anklage gegen die Politik von Rifondazione Comunista. Ihre Argumente liefen darauf hinaus, der beste Weg, die Rechte zu bekämpfen, bestehe darin, ihr Programm zu übernehmen. Die Prodi-Regierung und insbesondere Rifondazione tragen ein großes Maß an Verantwortung für die jüngsten Angriffe auf Roma und andere Einwanderer.

Siehe auch:
Berlusconis neue Regierung schürt Fremdenhass
(15. Mai 2008)
Der Preis des Opportunismus: Zum Kollaps von Rifondazione Comunista in Italien
(24. April 2008)
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