Warum die Aktienkurse sich erholt haben

In der letzten Woche verzeichnete die US-Börse kräftige Gewinne, obwohl düstere Berichte der großen Banken und Investmenthäuser für das erste Quartal und eine Flut von Daten, die auf das rapide Abgleiten in eine Rezession hinweisen, das Bild bestimmen.

Der Dow-Jones-Industrie-Index stieg im Verlauf der Woche um 524 Punkte oder 4,25 Prozent, der Standard & Poor’s-500-Index gewann 57 Punkte oder 4,4 Prozent hinzu und der Nasdaq-Composite-Index nahm 113 Punkte oder 4,9 Prozent mit. Die wichtigsten Indizes schlossen auf ihrem höchsten Stand seit dem 1. Februar.

Obwohl sich der Aufwärtstrend schon bald als befristet herausstellen könnte, ist der offensichtliche Widerspruch zwischen der Stimmung der großen Investoren und den andauernden Finanzturbulenzen sowie dem wirtschaftlichen Niedergang dennoch ein bedeutsames Phänomen, das nach einer Erklärung verlangt.

Derselbe Trend zeigte sich am Montag, als die Börse im Grunde genommen die neuen schlechten Nachrichten von der Bank of America und der National City Bank gelassen hinnahm und der Dow nur geringfügig um 24 Punkte nachgab, der S&P 500 und der Nasdaq sogar leicht höher schlossen.

Die Bank of America erklärte, ihr Gewinn sei im ersten Quartal um 77 Prozent zurückgegangen, was unter den Voraussagen der Marktanalysten liegt, und die Rückstellungen für Kreditverluste seien noch mal um 4,78 Milliarden Dollar gestiegen. Die National City erklärte, sie benötige eine Finanzspritze von über 6 Milliarden Dollar als Ausgleich für diskontierte Anteile ihrer Aktien.

Am letzten Dienstag hatte JPMorgan Chase 5,1 Milliarden Dollar an Abschreibungen und Rückstellungen und einen 50-prozentigen Rückgang der Gewinne im ersten Quartal verkündet. Dennoch legten ihre Aktien um 5,1 Prozent zu. Insgesamt schnellte der Dow Jones um 257 Punkte in die Höhe.

Am Donnerstag verkündete die Investmentbank und weltgrößte Maklerfirma Merrill Lynch für das erste Quartal einen Verlust von 1,96 Milliarden Dollar; sie verzeichnete damit zum ersten Mal in ihrer 94jährigen Geschichte im dritten aufeinander folgenden Quartal Verluste. Das Unternehmen meldete zusätzliche 6,6 Milliarden Dollar an Wertberichtigungen, was ihre gesamten Abschreibungen bei hypothekengedeckten und anderen spekulativen Wertpapieren seit letztem Sommer auf 30 Milliarden Dollar bringt.

Merrill verkündete obendrein, weitere 2.900 Arbeitsplätze zu streichen; damit steigt die Gesamtzahl der Stellenverluste im Verlauf der letzten Monate auf 4.000.

Die Quartalsverluste des Unternehmens von 2,19 Dollar pro Aktie lagen erheblich höher als der von Marktanalysten vorhergesagte Rückgang um 1,99 Dollar pro Aktie. Dennoch schossen Merrills Aktien am Donnerstag um 4,1 Prozent hoch. Die Aktien-Indizes insgesamt zeigten ein gemischtes Bild: Der Dow Jones und der S&P 500 schlossen leicht erhöht und der Nasdaq bei minus 8 Prozent.

Am Freitag meldete die Citigroup, die weltgrößte Bank bei den Einlagen, einen 5,1 Milliarden Dollar Verlust für das erste Quartal, im Vergleich zu einem 5 Milliarden Dollar Gewinn ein Jahr zuvor. Im vorausgegangenen Quartal hatte sie 10 Milliarden Dollar verloren. Die Bank nahm Abschreibungen in Höhe von mehr als 13,8 Milliarden Dollar vor, und ihr Ertrag fiel um 48 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal 2007.

Die Citi gab bekannt, dass sie in den nächsten zwölf Monaten etwa 9.000 Angestellte entlassen werde, zusätzlich zu den 4.000 Entlassungen, die sie im Januar angekündigt hatte.

Der Aktienkurs des Unternehmens stieg um 4,5 Prozent und die gesamten Aktien-Indizes schossen in die Höhe; der Dow Jones schloss mit einem Plus von 229, der S&P 500 steigerte sich um 25 Punkte und der Nasdaq um 61.

Die Aktien von Finanzunternehmen insgesamt, die im ersten Quartal um 14,7 Prozent gesunken waren, stiegen in der letzten Woche um 5,2 Prozent, trotz der düsteren Ertragsberichte einiger der größten Finanzhäuser.

Der Aufwärtstrend bei den Bankaktien fiel überdies mit zahlreichen Hinweisen auf eine sich verschärfende Rezession und wachsende Inflation zusammen.

* Kalifornien meldete im März eine 0,5-prozentige Zunahme seiner Arbeitslosenrate.

* Der Wohnungsbau ging im März um 11,9 Prozent zurück und erreichte den niedrigsten Stand seit 17 Jahren.

* Die nationale Statistik der US-Notenbank meldet im gesamten Land ein "Nachgeben" der Verbraucherausgaben. In den sechs Wochen bis zum 7. April gab es in Dreiviertel der 12 Distrikte der Notenbank "eine Verlangsamung der wirtschaftlichen Aktivitäten". Die New York Times berichtete am Sonntag, dass der Einzelhandelsumsatz stärker gesunken ist als zu irgendeiner Zeit seit der Rezession von 1990-91.

* Quellen aus der Automobil-Industrie berichteten, dass der Absatz von Autos im ersten Quartal auf das Jahr umgerechnet auf 15,2 Millionen Stück gesunken ist, den niedrigsten Stand seit mehr als einem Jahrzehnt. Analysten haben ihre Gesamtvorhersage für das Jahr 2008 auf unter 5 Millionen Stück gesenkt, mehr als 1 Million weniger als 2007.

* Die Welthandelsorganisation berichtete am Donnerstag, dass das Wachstum des Welthandels im Jahr 2007 scharf zurückgegangen ist; er wuchs um 5,5 Prozent im Vergleich zu 8,5 Prozent im Jahr 2007. Die WHO warnte, dass Wachstum des Welthandels könne dieses Jahr auf 4,5 Prozent fallen, den niedrigsten Stand seit 2002.

* Der Ölpreis stieg auf neue Rekordhöhen, und die Benzinpreise in den USA schossen in die Höhe; sie näherten sich dabei inflationsbereinigt einer Rekordmarke.

* Die Erzeugerpreise stiegen in den USA um 1,1 Prozent, sehr viel höher als von Wirtschaftswissenschaftlern vorhergesagt wurde und fast viermal so stark wie die 0,3 Prozent, die im Februar gemeldet worden waren.

* Der US-Dollar erreichte einen neuen Tiefststand gegenüber dem Euro und anderen wichtigen Währungen.

* Der Londoner zwischenbankliche Zinssatz (interbank offering rate, Libor), ein Orientierungswert für Kredite zwischen den großen Banken, schoss in die Höhe, was ein Hinweis auf die Fortdauer der weltweiten Kreditknappheit ist, die das Schrumpfen von Investitionen, Verkäufen und der allgemeinen wirtschaftlichen Aktivität verstärkt.

Was ist verantwortlich für die scheinbar irrationale Reaktion der Aktienmärkte auf diese trostlosen Nachrichten? Die Antwort ist eher in der Politik als in der Wirtschaft zu finden.

Den neuen haussierenden Optimismus bei den großen Wall-Street-Akteuren - so kurzlebig er auch sein mag - kann man zum größten Teil auf die Entscheidung der US-Notenbank vom letzten Monat zurückführen, Bear Sterns zu retten und die Rediskontfazilität der Notenbank für billige Kredite für große Investmentbanken zu öffnen. Dieser Schritt, der seit der großen Depression einmalig ist, wurde unternommen, um einen drohenden Zusammenbruch des amerikanischen und globalen Bankensystems abzuwenden. Und er signalisierte, dass die US-Regierung alles Nötige unternehmen werde - letztendlich auf Kosten der Steuerzahler -, um der Wall Street aus der Patsche zu helfen.

Es ist diese vorbehaltlose Garantie der Regierung, die die großen Markt-Akteure und -Institutionen von Angst und Panik befreit und ihnen ein gewisses Maß an Vertrauen zurückgegeben hat, was sofort ihre Risikofreude und Geldgier wiederbelebt.

Floyd Norris, der Wirtschaftskommentator der New York Times, schrieb am Freitag: ".. die Investoren gewinnen den Eindruck, dass die Regierung hinter der Wall Street steht. Die Aktienpreise der Investmentbanken begannen sich zu erholen, nachdem die Notenbank klar gemacht hatte, dass die Investmentbanken bei ihr Kredite aufnehmen können.

Es sieht so aus, dass der tatsächliche Weg aus dieser Krise darin besteht, dass die Regierung die Garantie für viele Dinge übernimmt.,Der Ruf in der Krise ist: Gib mir eine Regierungsgarantie’, erklärte Alex J. Pollack, der ehemalige Präsident der Federal Home Loan Bank of Chicago, der jetzt Mitglied beim American Enterprise Institute ist.. Während die privaten Bilanzen entlastet werden, um die Verschuldung zu reduzieren, sagt er voraus, wird die Bilanz der Regierung sich rapide verschlechtern."

Die politischen und sozialen Folgen dieser Rettungsaktion der Regierung sind weit reichend. Im Wesentlichen bedeutet sie, dass die Konsequenzen der Wirtschaftskrise, die durch die unverantwortliche Jagd nach Superprofiten auf der Grundlage von extrem aufgeblasenen Immobilienpreise, von Firmenaufkäufen mit Krediten und den unterschiedlichsten Formen von Spekulation und Betrug ausgelöst wurde, vollständig von der Arbeiterklasse getragen werden soll, während die großen Akteure, die Geschäftsführer, Wirtschaftsprüfungsunternehmen und Rating-Agenturen relativ unbeschadet davonkommen.

Unterdessen werden die Banken und Finanzhäuser schonungslos die Kosten senken und Entlassungen durchführen, die sich in jedem Sektor der Wirtschaft niederschlagen werden. Die US-Finanzunternehmen haben seit letztem Sommer bereits 38.000 Arbeitsplätze vernichtet, noch nicht eingerechnet die letzten Entlassungsankündigungen; einige Analysten prognostizieren eine Gesamtzahl von 200.000.

Die großen Investoren fordern lautstark genau solche Maßnahmen und sind bereit, genau die Firmen zu belohnen, die sie durchführen. Byron MacLeod, ein Analyst bei Gradient Analytics, erklärte zum Quartalsbericht der Citigroup:

"Die Investoren wollen jetzt scharfe Maßnahmen sehen. Es soll sichergestellt werden, dass die Firma wirklich aufräumt. Die Rückstellungen sind ein Teil davon, die Entlassungen genauso. Es sieht so aus, dass sie scharfe Maßnahmen ergreifen und die Firma auf den Kurs einer idealen Struktur bringt, der sie voranbringt."

Kein Teil des politischen Establishments oder einer Partei wendet sich gegen diesen Blankoscheck für die Wall Street. Die massive Intervention der Notenbank zur Stützung der Banken hat die Billigung der demokratischen Mehrheit im Kongress. Es wurde keinerlei wirkliche Untersuchung eingeleitet, um das beispiellose Ausmaß an Täuschung und Betrug aufzudecken, dass dem Banken-Zusammenbruch zugrunde liegt. Niemand wird zur Rechenschaft gezogen.

Darüber hinaus haben alle drei Kandidaten, die darum kämpfen, George W. Bush im Weißen Haus abzulösen - John McCain für die Republikaner, Barack Obama und Hillary Clinton für die Demokraten -, ihre Unterstützung für die Maßnahmen der Notenbank erklärt und bekräftigt, dass diese Politik im Sinne der Wall Street von der nächsten Regierung weitergeführt wird.

Die angeblichen Entlastungsmaßnahmen für verzweifelte Familien, die mit Zwangsversteigerung konfrontiert sind, sind lächerlich. Das Gesetz, das der Senat diesen Monat verabschiedet hat, genannt das "Zwangsversteigerungs-Verhinderungs-Gesetz 2008", wird nichts für die Hunderttausenden von Familien tun, deren Haus schon versteigert wurde, oder für die Millionen, denen es noch bevorsteht. Es stellt lediglich 100 Millionen Dollar für "Beratungen bei Zwangsversteigerungen" bereit, während es in den nächsten Jahren mehr als 25 Milliarden Dollar an Steuergeschenken für Bauherren, Autobauer, Fluggesellschaften und andere Industrien erübrigt.

Die Maßnahmen, die die Notenbank ergriffen hat, werden letztendlich die Krise, die die amerikanische und die Weltwirtschaft ergriffen hat, nur noch verschlimmern. Sie können die Krise des US-Dollars nur verschärfen, wirtschaftliche Ungleichgewichte verstärken und an Stelle der implodierten Immobilienblase neue spekulative Blasen schaffen - z.B. auf den Warenmärkten. Die Wurzeln der Krise liegen im kapitalistischen System selbst und die Versuche, ihre Folgen auf den Rücken der Arbeiterklasse abzuladen, müssen unweigerlich zu sozialen und politischen Erschütterungen führen.

Siehe auch:
Rolle der Hedge Fonds in der Weltnahrungskrise
(24. April 2008)
Plan des US-Finanzministeriums schützt Wall-Street-Spekulanten
( 8. April 2008)
Eine oberflächliche Analyse des globalen Kapitalismus
( 26. März 2008)
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