Taro Aso: Der dritte japanische Regierungschef in zwei Jahren

Taro Aso, der am 22. September zum Vorsitzenden der regierenden Liberal-Demokratischen Partei (LDP) gewählt worden war, wurde am Mittwoch vom Unterhaus des japanischen Parlaments als neuer Premierminister bestätigt. Er übernimmt das Amt von Yasuo Fukuda vor dem Hintergrund schlechter Umfragen für die LDP, einer globalen Finanzkrise und von Anzeichen einer Rezession der japanischen Wirtschaft.

Nachdem die LDP im Jahr 2007 die Mehrheit im Oberhaus verloren hatte, ist Aso wie bereits sein unmittelbarer Vorgänger mit der Blockadehaltung der Demokratischen Partei (DPJ) im Parlament konfrontiert. Das Oberhaus stellte sich sogar gegen seine Ernennung und stimmte stattdessen für den Chef der DPJ, Ichiro Ozawa, was dann jedoch durch die Abstimmung im Unterhaus aufgehoben wurde. Aso wird wahrscheinlich vorgezogene Neuwahlen für das Unterhaus ausrufen, um eventuelle gute Umfragewerte für das neue Kabinett auszunutzen.

Fukuda trat am 1. September nur ein Jahr nach der Übernahme des Amtes von Shinzo Abe überraschend zurück. Abe hatte ebenfalls nur ein Jahr regiert. Abe und Fukuda verloren ihre anfängliche Unterstützung wegen der militärischen Beteilung der japanischen Regierung an der US-Besetzung Afghanistans, und weil die Bevölkerung wegen steigender Preise und des sinkenden Lebensstandards besorgt war.

Ein Jahr zuvor schien Aso der Favorit im Kampf um die Nachfolge Abes zu sein, wurde jedoch von einflussreichen Parteifunktionären, die Fukuda als verlässlicher ansahen, beiseite gedrängt. Fukuda war in der Lage die Beziehungen zu China zu kitten, die sich unter Abe und besonders unter dessen Vorgänger Junichiro Koizumi stark verschlechtert hatten. Aso dagegen, Außenminister unter Koizumi und Abe, war bekannt für seine feindliche Haltung gegenüber China, dem größten Handelspartner Japans.

Aso gewann die Abstimmung am Montag mit 351 von 525 möglichen Stimmen deutlich. Kaoru Yosano, ein konservativer Haushaltspolitiker, der für die unpopuläre Verdopplung der Umsatzsteuer und tiefe Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben eintritt, folgte weit abgeschlagen mit 66 Stimmen. Yuriko Koike erhielt als Dritte 44 Stimmen. Sie wurde von Koizumi unterstützt, um sein aggressives Programm von "Marktreformen" wiederzubeleben. Koike wäre Japans erste Frau im Amt des Ministerpräsidenten gewesen. Zwei weitere Kandidaten - Nobuteru Ishihara, der Sohn des rechten Bürgermeisters von Tokio und der frühere Verteidigungsminister Shigeru Ishiba - erhielten 37 beziehungsweise 25 Stimmen.

Aso erhielt 98 Prozent der 141 Stimmen aus den LDP-Regionalverbänden. Er steht für die traditionelle Wirtschaftspolitik der LDP, d.h. für staatliche Ausgabenprogramme, die eine Stärkung der Partei auf dem Land und im Baugewerbe sichern. Zur Stützung der Konjunktur versucht Aso derzeit einen Nachtragshaushalt durchzubringen, stößt dabei aber auf die Opposition des Oberhauses. Ausgeschlossen hat er jede Erhöhung der Konsumsteuern.

Bei der Zusammenstellung seines Kabinetts legte Aso wert auf Einigkeit - ein Zeichen dafür, dass er sich auf einen baldigen Termin für Neuwahlen vorbereitet. Alle seine Kontrahenten wurden ins Kabinett aufgenommen, außer Koike, die den ihr angebotenen Posten ablehnte. Yosano bleibt trotz seiner Ablehnung erhöhter Staatsausgaben Wirtschaftsminister. Ishiba ist Landwirtschaftsminister und Ishihara wurde zum Stellvertreter des mächtigen LDP-Generalsekretärs berufen.

Koikes Weigerung, dem Kabinett beizutreten, deutet auf andauernde scharfe innerparteiliche Gegensätze in der LDP hin. Sie hat in ihrem Streben nach harten Marktreformen viel von Koizumis Anti-Establishment-Rhetorik übernommen und erklärte während der Debatten in den vergangenen Wochen, sie sehe ihre Aufgabe darin, "Kasumigaseki zu reformieren oder zu zerstören." Kasumigaseki ist der Regierungsdistrikt Tokios. "Die Wähler werden uns eine große Frage stellen. Werden wir zur Situation vor Koizumis Reformen zurückkehren, oder die Reformen vorantreiben?", fragte sie. Die mangelnde Unterstützung innerhalb der LDP für Koiko, besonders in den Regionalverbänden, widerspiegelt die Furcht vor der immer schärferen Ablehnung der sozialen Folgen dieser Reformen in der Öffentlichkeit.

Die Großbourgeoisie dagegen ist unzufrieden darüber, dass Koizumis Agenda nicht vorankommt. Das Editorial der Asahi Shimbun vom 24. September formuliert die Sorge, dass "Koizumis kraftvolle Reformbotschaft gänzlich aus den politischen Bekundungen der LDP verschwunden ist."

Die Zeitung warnte die LDP, sie sei nahe daran, die Regierungsmacht zu verlieren, weil sie Koizumis Programm der "Zerstörung der LDP" den Rücken kehre, sprich, dem Kampf, die Kontrolle der Parteifraktionen und der Staatsbürokratie zu brechen. Das Editorial beharrte darauf, dass schonungslose Kürzungen der öffentlichen Ausgaben und Sozialleistungen zwar "schmerzhaft", aber nötig seien, um die Produktivität und die globale Wettbewerbsfähigkeit der japanischen Unternehmen zu stärken. Japan hat die höchste Staatsverschuldung aller OECD-Länder - gegenwärtig liegt sie bei etwa 180 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Ein unkonventionelles Image

Ein offensichtlicher Faktor für die Wahl Asos war für die LDP sein im Vergleich zu seinen Kontrahenten gutes Abschneiden in öffentlichen Umfragen. Er kultivierte gekonnt das Image des unkonventionellen großen Fans der japanischen Manga-Comics, um Anklang bei der enttäuschten Jugend zu finden. Die Japan Times schrieb, dass "Abgeordnete nach seiner legendären Rede vom September 2006 in Tokios Stadtbezirk Akihabara, die die Aufmerksamkeit der jungen Manga-Fans auf sich zog, Notiz von Aso nahmen, und ihn als künftigen Parteichef der regierenden LDP ins Auge fassten."

Diese Fassade ist allerdings oberflächlich. Der 1940 geborene Aso gehört fest zum japanischen politischen Establishment und entstammt einer der mächtigsten Familien des Landes. Er ist der Ur-Ur-Enkel von Okubo Toshimichi, einem der drei Aristokraten, die die Meiji-Revolution 1868 anführten, die den Weg für eine enorme Ausdehnung des Kapitalismus in Japan freimachte. Seine Mutter ist die Tochter des ehemaligen Premierministers Shigeru Yoshida, seine Schwester ist mit dem Cousin des Kaisers verheiratet und seine Frau ist die Tochter eines weiteren Premierministers, Zenko Suzuki.

Asos Familie besaß einen Bergwerkskonzern, der im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeiter ausbeutete.

Er studierte in Japan Wirtschaftswissenschaft bevor er auf die Stanford Universität in den USA geschickt wurde. Weil seine konservative Familie fürchtete, er könne zu sehr"amerikanisiert" werden, kehrte er vorzeitig zurück. Danach studierte er an der London School of Economics, bevor er im Unternehmen seines Vaters von 1973 bis 1979 Generaldirektor wurde. 1979 wurde er ins Unterhaus gewählt und knüpfte enge Beziehungen zum damaligen Premierminister Yoshiro Mori, der ihn im Jahr 2001 zum Wirtschafts- und Finanzminister ernannte.

Bekannt wurde Aso im Jahr 2003, als Koizumi ihm die Ressorts Inneres und Kommunikation übertrug und ihn 2005 zum Außenminister ernannte. Er propagierte Koizumis aggressive Außenpolitik in Nordostasien, besonders gegenüber China, und die äußerst unpopuläre Truppenentsendung in den Irak. Er argumentierte mit offenen rassistischen Worten, dass Japan seinen Einfluss im Nahen Osten erweitern könne, weil die arabischen Massen zwar gegenüber "blonden, blauäugigen" Europäern feindlich eingestellt seien, "gelben Gesichtern" gegenüber aber weniger misstrauisch seien. Mehrmals verärgerte er Peking, indem er Japans Kriegsverbrechen leugnete und von der "Bedrohung" sprach, die Chinas militärische Modernisierung darstelle.

Asos Kabinett ist ein Spiegel seiner traditionellen Ausrichtung. Er ernannte Shoichi Nakagawa, einen Befürworter aggressiver Ausgabenpolitik zur Wirtschaftsstimulierung, zum Minister für Finanzen und für Finanzdienstleistungen. In den 1990er Jahren wurde die Finanzdienstleistungsbehörde eingerichtet, die sich um Japans hoch verschuldeten Banken kümmern sollte, während das Finanzministerium die Zuständigkeit für die internationale Geldpolitik behielt. Aso erklärte, diese Trennung sei mit der dringenden Notwendigkeit, die Politik angesichts der globalen Finanzkrise zu koordinieren, nicht länger vereinbar. Nakagawa verteidigte das jüngste Ausgabenpaket. Er warnte, Japan würde zum "Gespött der Welt", wenn es am Rande der Rezession mit der Reduzierung öffentlicher Ausgaben fortfahre.

Zum amtierenden Kabinettssekretär wurde Takeo Kawamura ernannt. Er ist, wie Aso, für seine Feindseligkeit gegen China bekannt. Im Mai unterstützte er als direkte Antwort auf den Anti-Satelliten-Raketentest Chinas vom vergangenen Jahr, das Gesetz, dass es Japan zukünftig erlaubt, den Weltraum für militärische Zwecke zu nutzen. Aso nahm unter dem Druck der Wirtschaft eine pragmatischere Haltung ein und erklärte: "China und die Republik Korea sind gleichermaßen wichtige Partner Japans." Er berief Hirofumi Nakasone, den Sohn des vormaligen Premierministers Yasuhiro Nakasone zum Außenminister, der für seine Befürwortung einer starken Allianz mit den USA bekannt ist, jedoch auch gute Beziehungen zu China anstrebt.

Viele Analysten erwarten, dass die LDP bei der nächsten Wahl die Mehrheit im Unterhaus verlieren wird. Mit Aso steht zwar der populärste LDP-Politiker an der Spitze der Partei, aber sein Kabinett hat nicht die erwartete Unterstützung erhalten. Eine von der Nachrichtenagentur Kyodo durchgeführte Umfrage zeigte, dass nur 48,6 Prozent der Befragten hinter Aso stehen - viel weniger also, als die 60 Prozent, die vor einem Jahr Fukuda beim Regierungsantritt unterstützten.

Yasunori Sone, Politikprofessor an der Keio-Universität, sagte gegenüber Reuters: "Sie (die LDP) redet von Wahlen am 2. November. Ich denke, wenn die Unterstützung bei 50 Prozent oder mehr liegt, wird er (Aso) Wahlen ansetzen und wenn sie unter 50 Prozent liegt, dann nicht. Aber wenn er wartet, wird es nicht besser, sondern nur ungünstiger. Er wird vermutlich versuchen, geschickt zu sein, und eine Blitzwahl durchzuziehen ...aber die Frage ist - können sie gewinnen?"

Die LDP war mit Ausnahme einer kurzen Periode in den 1990er Jaren mehr als 50 Jahre an der Regierung. Die Tatsache, dass sie nun kurz davor steht, die Regierungsämter zu verlieren, widerspiegelt sowohl die Desillusionierung der Wirtschaftselite, die daran zweifelt, ob die Partei fähig ist, die aus ihrer Sicht erforderliche Reformagenda durchzudrücken, als auch die Unzufriedenheit der Masse der Bevölkerung und ihre Wut über die Auswirkungen, die die bisher durchgesetzten Reformen auf ihren Lebensstandard hatten.

Siehe auch:
Japanischer Premierminister gibt Amt angesichts wirtschaftlichen Rückgangs auf
(13. September 2008)
Scharfe Spannungen zwischen Japan und Südkorea über umstrittene Inselgruppe
( 6. August 2008)
Koizumis Erdrutschsieg bei der Wahl in Japan
( 24. September 2005)
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