70 Jahre Vierte Internationale

Der Zusammenbruch des Kapitalismus und die revolutionäre Perspektive der Vierten Internationale

Dies ist ein Vortrag, den Nick Beams am 28. September 2008 auf einer öffentlichen Veranstaltung in Sydney aus Anlass des 70. Jahrestages der Gründung der Vierten Internationale hielt. Beams gehört der internationalen Redaktion der WSWS an und ist Nationaler Sekretär der australischen Socialist Equality Party.

Die aktuellen turbulenten Entwicklungen in der Weltwirtschaft unterstreichen die historische Bedeutung der Gründung der Vierten Internationale 1938 sowie des 70jährigen Kampfes, das Programm des Trotzkismus zu verteidigen und weiterzuentwickeln, den das Internationale Komitee der Vierten Internationale seit 1953 führt.

Täglich erscheinen neue Meldungen über Zusammenbrüche und Krisenfälle im Finanzsystem. Es ist schier unmöglich zu verfolgen, wie Hunderte von Milliarden Dollar, die sich zu Billionen summieren, von Zentralbanken und Finanzbehörden wahllos verteilt werden im Versuch, das Funktionieren des globalen Finanzsystems zu gewährleisten.

In den letzten beiden Wochen wurden wir Zeuge des Bankrotts von Lehman Brothers, eines 158 Jahre alten Finanzhauses; der Übernahme der Wertpapier- und Investmentbank Merrill Lynch, und des Versuchs von Goldman Sachs und Morgan Stanley, Bankenstatus zu erhalten, um so Schutz vor Insolvenz zu bekommen. In dieser kurzen Zeit sind die letzten vier Investmentbanken der Wall Street auf die eine oder andere Weise von der Bildfläche verschwunden, nachdem Bear Stearns schon im März aufgegeben hatte. Obendrein musste noch der Versicherungsriese AIG mit einer Finanzspritze in Höhe von 85 Mrd. Dollar gerettet werden. Und am 21. September kam das Aus für die Washington Mutual Bank, die über Vermögenswerte von 307 Mrd. Dollar, 188 Mrd. Dollar an Einlagen und 2200 Filialen verfügte. Es war der größte Bankenzusammenbruch der Geschichte.

Die Bush-Administration ist dabei, mit weitgehender Unterstützung der Demokraten ein 700-Milliarden Dollar-Rettungspaket für die Wall Street zu verabschieden, indem sie deren Schrottpapiere aufkauft.

Kommentatoren und Wirtschaftsfachleute betonen heute schon routinemäßig, dass das kapitalistische Weltsystem in seine größte finanzielle Krise seit den Ereignissen von 1929 eingetreten ist, die in die Große Depression mündeten.

Und überall auf der Welt erinnern sich die Menschen an das, was folgte: 1933 die Machtergreifung der Nazis in Deutschland, Massenarbeitslosigkeit, die Aufteilung der Welt in rivalisierende Blöcke und Imperien, und - zehn Jahre nach dem Crash an der Wall Street - der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, der Abermillionen Menschenleben forderte.

Fachleute, Journalisten und Politiker versichern unisono, dass kein Grund zur Panik bestehe, dass die 1930er Jahre nicht wiederkehren werden, weil Regierungen und staatliche Finanzbehörden sich der Probleme bewusst sind und die Mittel haben, sie zu lösen.

Solche Versicherungen wären etwas glaubwürdiger, kämen sie nicht von genau den Personen, die gestern noch die Vorzüge des neuen Finanzsystems über den grünen Klee gelobt haben.

Für die marxistische Bewegung kam diese Krise nicht aus heiterem Himmel. Sie ist das Resultat tief sitzender Widersprüche, die, wie unsere Bewegung aufgezeigt hat, unausweichlich zum Zusammenbruch des kapitalistischen Systems führen.

Wenn wir von "Zusammenbruch" sprechen, meinen wir nicht ein einzelnes Ereignis - ein Punkt, an dem der Kapitalismus plötzlich erstarrt und zum Erliegen kommt -, sondern einen historischen Prozess. Die weitreichenden Veränderungen in der Struktur des globalen Kapitalismus - die Implosion des Finanzsystems, der Zusammenbruch des Kreditwesens und der Finanzmärkte und der Bankrott großer Banken und Investmenthäuser - sind das Ergebnis von Entwicklungen, die über Jahre und sogar Jahrzehnte unter der Oberfläche des Wirtschaftslebens stattgefunden haben.

Ein Zusammenbruch bedeutet nicht, dass der Kapitalismus zum Stillstand kommt. Er signalisiert den Beginn einer neuen Periode der Geschichte, in der alte Strukturen, ökonomische wie politische, sowie Ideologien und Denkweisen, weichen und neue Formen politischer Kämpfe sich entwickeln, in denen das Schicksal der Gesellschaft entschieden wird.

Marx sagte über den Klassenkampf, er finde "manchmal offen, manchmal im Verborgenen" statt. In der vergangenen Periode fand er mehr im Verborgenen statt, weil die Arbeiterklasse keinen Weg finden konnte, sich gegen die endlosen Angriffe auf ihren Lebensstandard und ihre sozialen Bedingungen zur Wehr zu setzen. Doch jetzt hat sich die Arbeiterklasse mit einem gewaltigen Ausbruch des Zorns gegen den Rettungsplan für die Wall Street mit Macht zu Wort gemeldet. Dieser Zorn deutet auf den Beginn einer neuen politischen Ära hin.

Durch den fortschreitenden Verfall der kapitalistischen Weltordnung wird die Arbeiterklasse mit der Notwendigkeit konfrontiert, die politische Macht zu erobern und die Gesellschaft auf neuen sozialen, ökonomischen und auch moralischen Fundamenten zu organisieren. Die blutige Geschichte des 20. Jahrhunderts demonstriert eindringlich, dass nichts weniger als die Zukunft der Menschheit selbst von der Bewältigung dieser Aufgabe abhängt.

Die Rettungsaktion für die Wall Street

Die Notwendigkeit einer fundamentalen Reorganisation der Gesellschaft ergibt sich aus der gegenwärtigen Krise, ganz unabhängig von den Forderungen oder der Agitation von Sozialisten. Sie stellt sich ganz objektiv.

Die amerikanische Finanzoligarchie und ihre politischen Vertreter in beiden Parteien der Wirtschaft wollen einen ökonomischen Plan durchsetzen: Die Ressourcen der Gesellschaft, die von der Arbeit von Millionen erzeugt werden, sollen dafür mobilisiert werden, den Wohlstand der Reichen und Superreichen zu erhalten. Diese soziale Schicht hat von den spekulativen und höchst zweifelhaften Finanzoperationen profitiert, die in den letzten 25 Jahren, unter dem Banner des "freien Marktes", zu einer immensen Umverteilung des Reichtums zugunsten der höheren Einkommen geführt haben.

Ungeachtet der politischen Verwirrung, die von den verschiedenen Massenmedien eifrig gestiftet wird, nimmt die Öffentlichkeit den Plan doch wahr als das, was er ist: die Rettung der Wall Street, der winzigen Minderheit der reichsten Schicht der Gesellschaft auf Kosten der überwältigenden Mehrheit.

Die Präsidentschaftswahl 2008 ist bereits bedeutungslos geworden, ehe sie überhaupt stattgefunden hat, weil eventuelle Sozialprogramme jetzt ad acta gelegt werden müssen. Stattdessen soll umgerechnet jeder Mann, jede Frau und jedes Kind einen Betrag von etwa 2.300 Dollar an die Reichen abtreten. Eine der ersten Fragen des Moderators in der ersten Debatte der Präsidentschaftskandidaten lautete: Welche Programme der Regierung wollen Sie wegen des Rettungsplanes kürzen? Alle stimmten überein, dass es Kürzungen geben muss - das war allgemein akzeptiert, eine Selbstverständlichkeit.

Die herrschende Klasse Amerikas kann ihr Programm nicht auf demokratische Weise durchführen, und daher sehen wir in den Maßnahmen von Finanzminister Paulson Anzeichen einer Diktatur.

Der ursprüngliche Text für den Kongress, eigentlich das gesetzgebende Organ mit der Befugnis zur Kontrolle der staatlichen Ausgaben, war kaum drei Seiten lang - weniger Papier, so ein Kommentator in der New York Times, als für einen Antrag auf einen zweitklassigen Hypothekenkredit nötig ist!

Nach diesem Text gehört es zu den Befugnissen des Finanzministers, "ohne irgendwelche Vorgaben" die "Finanzinstitute als Finanzagenturen der Regierung auszuwählen", die fähig seien, "alle sich natürlicherweise aus diesem Gesetz ergebenden Aufgaben" zu erfüllen. Genau die Finanzinstitute, die sich an den spekulativen und manchmal regelrecht kriminellen Aktivitäten beteiligten, welche die Krise herbeiführten, werden also aufgefordert, dem Finanzministerium bei der Umsetzung des Rettungsplanes zu helfen. Wie wir kürzlich in einem Artikel des WSWS schrieben, beschreibt der Begriff "Interessenkonflikt" nicht einmal ansatzweise, was hier vor sich geht.

Und obendrein gewährt der Plan dem Finanzminister auch noch Immunität vor Strafverfolgung. "Entscheidungen des Finanzministers im Rahmen dieses Gesetzes unterliegen keiner Überprüfung...und können vor keinem Gericht und keiner Verwaltungsinstanz angefochten werden."

Ein Artikel in der New York Times vom 23. September meint dazu: "...der Finanzminister - wer auch immer das in wenigen Monaten sein wird - hätte danach die unglaublichsten Machtbefugnisse über das ökonomische und finanzielle Geschehen in den USA, die jemals einer einzelnen Person zugestanden wurden. Es handelt sich hier um das finanzielle Äquivalent zum Patriot Act, der nach dem 11. September verabschiedet wurde." Die Times charakterisierte Paulsons Gesetzesvorhaben als "die erstaunlichste Machtanmaßung in der Geschichte der amerikanischen Wirtschaft."

Ein seit langem anerkannter Grundsatz in Wirtschaft und Politik lautet, dass in einer Krise die wirklichen Verhältnisse zutage treten, weil das Zufällige und Nebensächliche an den Rand gedrängt wird. Und so verhält es sich auch mit dieser Krise. Wir haben es nicht mit einer Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk zu tun, nicht mit dem "freien Markt", in dem die Entscheidungen von Millionen Menschen zu wirtschaftlichen Ergebnissen führen; sondern mit einer Regierung der Reichen, von den Reichen und für die Reichen. Keine Demokratie und ein Land, wo Recht und Ordnung herrschen, sondern die Diktatur des Finanzkapitals.

Die Ausplünderungskriege, die der amerikanische Imperialismus in Afghanistan und Irak vom Zaun gebrochen hat, um die Ölreserven und andere Bodenschätze im Interesse des US-Finanzkapitals zu kontrollieren, werden jetzt offen an der Heimatfront geführt. Die Begleiterscheinung wird ein verstärkter Angriff auf demokratische Rechte sein, der mit dem sogenannten "Krieg gegen den Terror" begann.

Im Verlauf der Finanzkrise ist immer öfter die Rede davon, dass Profite privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Damit werden nicht nur die momentanen Ereignisse auf den Punkt gebracht, sondern auch grob die grundlegenden politischen Fragen angesprochen, die in der kommenden Periode ausgefochten werden.

Die Frage drängt sich unmittelbar auf: In wessen Interesse wird die ökonomische Reorganisation der Gesellschaft durchgeführt werden? Weshalb sollten die Ressourcen der Gesellschaft verwendet werden, um die winzige Minderheit der sagenhaft Reichen zu retten, die vom Finanzsystem profitieren?

Wenn die Verluste sozialisiert, die Kosten also von der ganzen Gesellschaft getragen werden sollen, weshalb sollten dann nicht auch die Profite sozialisiert werden? Anders ausgedrückt, warum sollte das gesamte Banken- und Finanzsystem nicht in öffentliches Eigentum überführt werden, um im Interesse der ganzen Gesellschaft kontrolliert und organisiert zu werden?

Die Begründung für die gigantische Rettungsaktion lautet, dass ohne sie ein wirtschaftlicher Zusammenbruch von nie dagewesenem Ausmaß stattfände. So warnte der Milliardär Warren Buffet vor "der größten Kernschmelze in der Geschichte Amerikas".

Daher, so wird uns erklärt, werden hier nicht die Superreichen gerettet, sondern die wirtschaftlichen Interessen der gesamten Bevölkerung gewahrt.

Ein Artikel im Wall Street Journal schilderte den Ablauf am Mittwoch, den 17. September, als die Entscheidung fiel, den Aufkauf der Schrottpapiere des Finanzsystems durch die Regierung unter Dach und Fach zu kriegen.

Finanzminister Henry Paulson hatte sich mit Top-Beratern in seinem Büro eingegraben und verfolgte beunruhigt auf dem Monitor die Finanzdaten, als ein Markt nach dem anderen ins Schlingern geriet. Investoren flüchteten aus offenen Investmentfonds am Geldmarkt, die lange Zeit als extrem sicher gegolten hatten. Der Markt für kurzfristige Kredite, auf die die Banken für ihr Tagesgeschäft angewiesen sind, kam zum Erliegen. Ohne diese Mechanismen würde die Wirtschaft bald zum Stillstand kommen. Nicht mehr lange, und die Konsumenten würden in Panik geraten" [ Wall Street Journal vom 20. September 2008].

Am 18. Dezember entwickelte sich eine Kernschmelze im Finanzsystem.

Damit stellt sich unsere Frage in noch schärferer Form: Wie lange können wir uns die gegenwärtige Wirtschaftsordnung noch leisten? Ganz sicher ist es höchste Zeit, mit einem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem Schluss zu machen, dessen ureigenste Funktionsweise, die sich auf den kapitalistischen Markt und die unablässige Jagd nach Profit stützt, die Bevölkerung der Vereinigten Staaten und die Arbeiterklasse auf der ganzen Welt mit einer wirtschaftlichen Katastrophe bedroht.

Und wenn es notwendig ist, dass alle verfügbaren Ressourcen mobilisiert werden, um eine Katastrophe zu vermeiden, dann ist es doppelt notwendig, dass diese Ressourcen jenen aus der Hand genommen werden, die in erster Linie für dieses Desaster verantwortlich sind, und dass sie demokratisch von der Arbeiterklasse kontrolliert werden, deren Arbeit - körperliche und geistige - sie geschaffen hat.

Die amerikanische Bankenkrise hat sicherlich die Mythen und Mantras des Marktes bis ins Mark getroffen, die in den letzten drei Jahrzehnten eine so wichtige ideologische Rolle für die kapitalistische Klasse gespielt haben.

Sobald Verbesserungen der Sozialleistungen, im Gesundheitssystem, im Bildungswesen angemahnt und Verbesserungen der Infrastruktur und anderer Erfordernisse einer modernen Gesellschaft gefordert wurden, hob ein lautes Geschrei an: Staatliches Eingreifen ist nicht die richtige Antwort! Probleme können nicht gelöst werden, indem dafür einfach Geld ausgegeben wird! Es ist kein Geld vorhanden, um diese Bedürfnisse zu befriedigen! Selbst bezahlen für das, was man nutzt, ist das einzig gangbare ökonomische Programm der Zukunft, nicht die Bereitstellung von Sozialleistungen und -einrichtungen.

Diese Parolen sind gründlich unglaubwürdig geworden, und die Klasseninteressen, denen sie dienen, entlarvt. Staatliches Eingreifen? Erst der Himmel bildet die Grenze, wenn es darum geht, die Interessen der Finanzplutokratie zu schützen.

Der historische Niedergang des US-Kapitalismus

Diese Krise hat allerdings schon mehr geleistet, als nur die ideologischen Grundlagen der Politik des "freien Marktes" der letzten drei Jahrzehnte zu zerstören. Sie hat deutlich gemacht, dass die ökonomischen Fundamente, auf denen, nach beinahe vier Jahrzehnten politischer und ökonomischer Turbulenzen, der Weltkapitalismus seit seiner Stabilisierung nach dem Zweiten Weltkrieg beruhte, sich in einem sehr fortgeschrittenen Stadium des Zerfalls befinden.

Betrachten wir das 20. Jahrhundert insgesamt, und hier besonders die letzten 60 Jahre, so zeigt sich, dass der wichtigste objektive Faktor für das Überleben des Kapitalismus bis heute die Stärke des US-Kapitalismus war.

Unsere Bewegung, die Vierte Internationale, hat aufgedeckt, welch entscheidende Rolle die alten Führungen der Arbeiterklasse - die stalinistischen Kommunistischen Parteien, die sozialdemokratischen und Labour-Parteien und die Führungen der Gewerkschaften, im Bunde mit ihren Apologeten und Verteidigern in den Reihen der kleinbürgerlichen radikalen Gruppen - dabei gespielt haben, die herrschende Kapitalistenklasse an der Macht zu halten.

Das Übergangsprogramm der Vierten Internationale beginnt mit folgenden Worten: "Die politische Weltlage als Ganzes ist vor allem durch eine historische Krise der proletarischen Führung gekennzeichnet. ... Die objektiven Voraussetzungen für die proletarische Revolution sind nicht nur ’reif’, sondern beginnen bereits zu verfaulen. Ohne eine sozialistische Revolution, und zwar in der nächsten geschichtlichen Periode, droht der gesamten menschlichen Kultur eine Katastrophe. Alles hängt nunmehr vom Proletariat ab, das heißt vor allem von seiner revolutionären Vorhut. Die geschichtliche Krise der Menschheit läuft auf die Krise der revolutionären Führung hinaus."

Diese Worte sind heute so wahr wie vor 70 Jahren, als sie niedergeschrieben wurden. Wie aber ist das Überleben des Kapitalismus seit diesen Tagen erklärbar? Unsere Bewegung wurde auf der Basis der expliziten Anerkennung der Rolle des "subjektiven Faktors" gegründet - der Rolle der revolutionären Führung im historischen Prozess. Und zweifellos hat der Kapitalismus nur überlebt dank der Verrätereien der Führungen der Arbeiterklasse.

Jedoch sind wir keine historischen Subjektivisten. Revolutionen werden nur unter ganz bestimmten objektiven Umständen möglich, die aus der historischen Entwicklung des Kapitalismus und der Entfaltung seiner inneren Widersprüche hervorgehen.

Zweifellos ermöglichten machtvolle objektive Prozesse das Überleben des Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg, nachdem es vor und nach dem Krieg zu revolutionären Tumulten gekommen war. Der wichtigste Faktor dabei war die Stärke des US-Kapitalismus, der in den letzten sechs Jahrzehnten die wichtigste ökonomische Grundlage für die Stabilität der kapitalistischen Weltordnung bildete.

Und aus diesem Grund hat diese Krise so weitreichende und revolutionäre Implikationen: sie bedeutet den historischen Niedergang, die Fäulnis und den Zerfall des US-Kapitalismus. Damit beginnt eine neue revolutionäre Epoche, auf die sich die Vierte Internationale und die Arbeiterklasse vorbereiten müssen.

Die ideologischen Verteidiger der kapitalistischen Ordnung begreifen beinahe instinktiv, halb bewusst, welch große Bedeutung der Rolle des amerikanischen Kapitalismus zukommt. Daher betonen sie immer wieder, dass trotz der größten Krise seit der Großen Depression "der Weltuntergang nicht bevorsteht".

Ich möchte dies näher anhand eines Artikels erläutern, den der Mitherausgeber und führende Wirtschaftskommentator der Londoner Times, Anatole Kaletsky kürzlich, am 9. September in der Zeitung Australian schrieb. Er erschien zwei oder drei Tage nach dem Bekanntwerden des 85 Milliarden Dollar-Rettungsplanes für die beiden US-Hypothekengiganten Freddie Mac und Fannie Mae.

Kaletsky begann seinen Artikel so: "Ist das also das "große Ding", der gewaltige Paukenschlag, gewöhnlich begleitet von Unterstützung seitens der Regierung, der meistens den Tiefpunkt jeder großen Finanzkrise markiert? Vom Umfang her betrachtet, kann es keinen Zweifel geben. Die Rettungsaktion für Fannie Mae und Freddie Mac...übersteigt jede Regierungsintervention auf irgendeinem Finanzmarkt irgendwo in der Welt um das Zehnfache".

Seine Schlussfolgerung war: "Wenn dieses Programm nicht ausreicht, um die US-Wirtschaft und das Finanzsystem wieder auf die Beine zu stellen, ist kaum sonst etwas vorstellbar, was dazu in der Lage wäre. Wenn also irgendjemand meint, dieses Rettungspaket sei zum Scheitern verurteilt, sagt er damit, dass der Abstieg der US-Wirtschaft besiegelt ist, irreversibel und unvermeidlich. Eine solche Ansicht hat sich in der Vergangenheit immer als falsch erwiesen und wird dieses Mal wohl auch falsch sein. Am Sonntag, das war wohl das große Ding - und die Erholung der amerikanischen Wirtschaft ist damit sichergestellt."

Im günstigsten Fall, so kann man sagen, sind die Versicherungen des Herrn Kaletsky etwas voreilig angesichts der Ereignisse der darauffolgenden zwei Wochen. Wenn die Fannie-Freddie-Rettungsaktion zehnmal größer war als alles bisher Dagewesene, dann ist die gegenwärtig laufende Rettungsoperation mindestens 90 mal größer!

Der wichtige Aspekt hier ist nicht so sehr die Vorhersage selbst, sondern der Grund, weshalb sie so weit von der Wirklichkeit abweicht. Kaletsky nimmt das endlose Bestehen des amerikanischen Kapitalismus und seiner globalen Dominanz als eine feste Gegebenheit an. Diese Annahme war bei den ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen der vergangenen 60 Jahre von so zentraler Bedeutung, dass alles andere einfach unvorstellbar ist. Wie immer hinkt das Denken weit hinter objektiven historischen Prozessen hinterher.

Ein Zusammenbruch des amerikanischen Kapitalismus - wie sollte denn so etwas möglich sein? Und doch findet er statt, und das bedeutet den Beginn einer neuen historischen Epoche, in der vielen althergebrachten und scheinbar ewigen Institutionen im ökonomischen wie politischen Bereich unvorstellbare Veränderungen bevorstehen. Daraus ergeben sich neue politische Verhältnisse und Möglichkeiten.

Nixon und Bretton Woods

Ehe wir uns von Mr. Kaletsky und seinen Expertenkollegen verabschieden, sollten wir uns seine Ausführungen etwas genauer ansehen, um zu klären, wie es soweit gekommen ist. Kaletsky behauptet, Wetten auf das Ende der USA wären in der Vergangenheit verloren worden und werden auch heute verloren werden.

Gehen wir historisch an diese Frage heran und beginnen mit der Großen Depression. Wie wurde sie überwunden? Nicht durch das Handeln der US-Regierung unter Roosevelt und seinen New Deal in den 1930er Jahren. Die Maßnahmen Roosevelts scheiterten, und 1937-38 bewegte sich der amerikanische Kapitalismus so schnell auf eine wirtschaftliche Talfahrt zu wie beim Zusammenbruch 1932.

Das Scheitern der Maßnahmen des New Deal führte bei einflussreichen Teilen der amerikanischen politischen Elite zu weitreichenden Schlussfolgerungen. Gegen Ende der 1930er Jahre waren sie zu der Ansicht gelangt, dass die Krise nur durch eine Umgestaltung der Weltwirtschaft überwunden werden könne.

Die alten Teilungen, die alten Reiche und Blöcke mussten aufgelöst werden, um die Bedingungen für eine Wiederbelebung des Weltmarktes und den freien Fluss von Kapital und Waren zu schaffen, was für die Expansion des US- und Weltkapitalismus von so entscheidender Bedeutung war. Das war, im grundlegendsten Sinn, das Programm, für das die USA den Zweiten Weltkrieg führten. Leo Trotzki hatte 1934 erklärt: "Der amerikanische Kapitalismus steht heute vor den selben Problemen, die 1914 Deutschland auf den Weg des Kriegs getrieben haben. Die Welt ist aufgeteilt? Dann muss sie neu aufgeteilt werden! Für Deutschland war es die Frage ‘Europa zu organisieren’. Die Vereinigten Staaten müssen die Welt ‘organisieren’."

Nach dem Krieg schuf der Verrat des Stalinismus in Europa, wo sich die Kommunistischen Parteien in Italien und Frankreich an kapitalistischen Regierungen beteiligten, die Bedingungen für die USA, ihre Hegemonie zu etablieren und den Weltkapitalismus auf neuer Grundlage zu reorganisieren. Das Bretton Woods-Abkommen von 1944 schuf ein neues Weltwährungssystem und legte das Fundament für die Ausdehnung des Welthandels. Der Marshall-Plan von 1947 richtete die europäischen Wirtschaften wieder auf und schuf die Basis für die Entwicklung der effizienteren amerikanischen Systeme der Fließbandproduktion in Europa. Diese Maßnahmen stellten in ihrer Gesamtheit die Grundlage für das Wachstum der kapitalistischen Nachkriegswirtschaft dar.

Diese Neustrukturierung nach dem Krieg, unter der Hegemonie der USA, machte den Weg für einen neuen kapitalistischen Aufschwung frei. Es hatte den Anschein, als sei ein neues goldenes Zeitalter angebrochen. Die Ideologen der Bourgeoisie, denen die sozialdemokratischen und Labour-Politiker und die Gewerkschaftsbürokraten nachplapperten, verkündeten, dass die Lehren der Großen Depression gezogen worden seien. Das kapitalistische System, so behaupteten sie hartnäckig, könne reguliert werden. Die marxistischen Untergangspropheten seien widerlegt: Der Kapitalismus würde keineswegs von unlösbaren Widersprüchen zugrunde gerichtet.

Doch die Geschichte sollte schnell beweisen, dass solche Widersprüche tatsächlich existierten, und dass sie bei weitem nicht überwunden waren. Sie zeigten sich in den zunehmenden wirtschaftlichen Problemen, die in den 1960er Jahren allmählich aufkamen. Am Ende dieses Jahrzehntes wiesen die USA ein wachsendes Zahlungsbilanzdefizit auf, und 1971, zum ersten Mal seit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, ein Handelsbilanzdefizit.

Im Rahmen des Bretton Woods-Währungssystems standen die wichtigsten Währungen der Welt in einem festen Verhältnis zum Dollar, der wiederum durch Gold gedeckt und im Verhältnis 35 Dollar zu einer Feinunze Gold eintauschbar war. Doch zu Beginn der 1970er Jahre überstiegen die Dollarbestände, die auf der Welt zirkulierten, bei weitem die Goldvorräte der USA. Gerade die Ausdehnung des Welthandels hatte das Währungssystem, die Grundlage für diese Ausdehnung, unterminiert.

Eine Rettung des Bretton Woods-Systems hätte eine Reduzierung der Ausgaben der USA im Ausland, sowohl bei den Investitionen wie beim Militär, erfordert - die Ausgaben für den Vietnamkrieg hatten ihren höchsten Stand erreicht -, sowie die Schaffung rezessionsartiger Bedingungen in den USA; zu beidem war die US-Regierung nicht bereit. Die Alternative war ein neues System internationaler Währungsbeziehungen, das die relativ verminderte wirtschaftliche Macht der USA und das Wiedererstarken Japans und Europas berücksichtigte. Auch diese Möglichkeit wurde verworfen.

Die Nixon-Administration beschloss, einen anderen Weg einzuschlagen mit dem Ziel, die Vorrangstellung der USA zu erhalten. Im August 1971 hob sie die Golddeckung des Dollars auf. 1973 wurde das System fester Wechselkurse aufgegeben, und im darauffolgenden Jahr wurden Mechanismen aufgehoben, die beschlossen worden waren, um die internationalen Bewegungen des Finanzkapitals zu regulieren.

Die Maßnahmen der Nixon-Administration in den Jahren 1971-73 sollten die Stellung der USA auf Kosten ihrer Rivalen stärken. Doch während der gesamten 1970er Jahre verschlechterte sich die ökonomische Situation des amerikanischen Imperialismus weiter. Versuche der Carter-Administration, einen koordinierten weltweiten Wirtschaftsaufschwung zu initiieren, schlugen fehl, und am Ende des Jahrzehnts litten die amerikanische und die Weltwirtschaft unter Stagflation - einer Kombination aus steigender Inflation und zunehmender Arbeitslosigkeit.

1979, inmitten einer anwachsenden Krise, die sich im Fall des Dollars ausdrückte, wurde mit der Ernennung von Paul Volcker zum Chef der US-Notenbank eine weitere wichtige Kursänderung vorgenommen.

Die Maßnahmen Volckers, die auf Rekordzinssätzen und der Erzeugung der tiefsten Rezession seit der Großen Depression aufbauten, sollten den amerikanischen Kapitalismus neu strukturieren, um seine globale Vormachtstellung zu erhalten.

Der Aufstieg Amerikas zur Weltmacht wurde seit Beendigung des Bürgerkrieges 1865 von der Entwicklung seiner industriellen und produktionstechnischen Stärke getragen Die Maßnahmen Volckers, die ganze Teile des Industriekapitals zerstörten, kündigten eine neue Form der Akkumulation an, die sich auf das Finanzkapital stützte. Als Beginn dieser neuen Ära kann man das Jahr 1982 ansehen, als die Kurssteigerungen am amerikanischen Aktienmarkt einsetzten.

1982 bewegte sich der Dow Jones-Index noch unter der 1.000er-Marke; dieses Niveau hatte er zehn Jahre zuvor erreicht. Während der folgenden fünf Jahre verdoppelte sich dieser Wert auf 2.000 im Januar 1987. Die amerikanische Industrie machte unterdessen, in der ersten Hälfte der 1980er Jahre, die tiefste Rezession der Nachkriegszeit durch.

Doch die Position des amerikanischen Kapitalismus war keineswegs sicher. Im Oktober 1987 erlebte die Börse den schwersten Kurssturz ihrer Geschichte an einem einzelnen Tag, der eine entschiedene Intervention der US-Notenbank und anderer Zentralbanken erforderte, um einen globalen Zusammenbruch abzuwenden. Es folgten die Sparkassen- und Darlehenskassen-Krise, die eine massive Rettungsaktion der Regierung nötig machte, und anschließend, 1990-92, eine Rezession.

Die Auflösung der Sowjetunion 1991, gefolgt von der Öffnung Chinas und anderer Regionen der Welt für das global agierende Kapital, war der Wendepunkt im Schicksal des US-Kapitalismus. Schätzungen besagen, dass seit dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 bis heute etwa eine Milliarde Arbeitskräfte zusätzlich für das Kapital verfügbar geworden sind. Der Weltkapitalismus hat nie zuvor in der Geschichte einen solchen Zustrom von billigen Arbeitskräften erlebt. Dieser Prozess ermöglichte dem amerikanischen Kapitalismus die neue Weise der Akkumulation von Reichtum, die sich auf Finanzierungsinstrumente gründete.

Die folgenden Zahlen für die Firma Apple zeigen, um welche Beträge es hier geht. Nach Schätzungen gehen für einen iPod, der in den USA 299 Dollar kostet, 4 Dollar an die Firmen in China, die ihn produzieren, 160 Dollar dagegen an die amerikanischen Firmen, die am Design, Transport und Endverkauf beteiligt sind.

Kauf und Verkauf von Vermögenswerten

Die Öffnung Chinas und anderer Regionen mit billigen Arbeitskräften wirkte sich in zweierlei Hinsicht aus. Einerseits erhöhte es die Akkumulation von Mehrwert - die Quelle aller Akkumulation von Reichtum bei kapitalistischer Produktionsweise. Andererseits ermöglichte die Verbilligung von Waren die Senkung der Zinssätze in den USA und anderen wichtigen kapitalistischen Ländern während der 1990er Jahre, wodurch zinsgünstige Kredite gewährt werden konnten. Dies befeuerte die folgenden Boomperioden in den USA - den Aktienrausch, die Internet-Blase, den Höhenflug der Technologie-Aktien in den 1990er Jahren und den Immobilienboom, der 2002 richtig in Fahrt kam.

Seit Anfang der 1990er Jahre erlebte der Kapitalismus einen gewissen Aufschwung, wenn auch mit Erschütterungen durch zunehmende Finanzkrisen und -turbulenzen: Die Krise des Pfund Sterling und des skandinavischen Bankensystems 1992, die 50-Milliarden-Rettungsaktion für von der Krise des mexikanischen Peso betroffene amerikanische Banken 1994, die Asienkrise 1997, die Zahlungsunfähigkeit Russlands 1998 und, ebenfalls 1998, der Zusammenbruch des amerikanischen Hedge Fonds Long Term Capital Management.

In den USA vollzog sich die Akkumulation von Reichtum nicht mehr über die industrielle Produktion oder die Bereitstellung von Finanzdienstleistungen im Zusammenhang mit der Produktion, sondern über den Kauf und Verkauf von Vermögenswerten, wobei Profit über geliehenes Geld generiert wurde.

Ein einfaches Rechenbeispiel zeigt, welche Gewinne hier erzielt werden konnten. Der Erwerb eines Vermögensgegenstandes kostet 100 Mio. Dollar, davon sind 10 Mio. Eigenkapital, und 90 Mio. geliehenes Geld zu einem Zinssatz von, sagen wir, 8 Prozent. Wirft der Vermögensgegenstand im Jahr nur 10 Prozent Gewinn ab, beträgt sein Wert am Ende des Jahres 110 Mio. Davon werden 7.2 Mio. Dollar an Zinsen fällig, so dass ein Profit von 2.8 Mio. bleibt. Dies entspricht einer Rendite von 28 Prozent. Bei größerer Wertsteigerung wird die Rendite noch höher ausfallen. Bei 15 Prozent Wertsteigerung ergibt sich ein Profit von 7.8 Mio. auf 10 Mio., also 78 Prozent.

[Dieses simple Beispiel macht auch die verheerende Wirkung deutlich, den ein Fall der Preise für Vermögensgegenstände auf ein System hat, das hoch verschuldet ist. Bei einem zweiprozentigen Wertverlust, anstelle einer zehnprozentigen Wertsteigerung, läge der Wert des Vermögensgegenstandes am Ende des Jahres bei 98 Mio. Dollar. An die Bank müssen dennoch 7.2 Mio. Dollar an Zinsen bezahlt werden, so dass gerade einmal 0.8 Mio. Dollar Eigenkapital verbleiben. 9.2 Mio. oder 92 Prozent des ursprünglich eingesetzten Kapitals sind dann vernichtet.]

Die entscheidende Frage lautet: Was hält den Preis des Vermögensgegenstandes am Steigen? Ein kontinuierlicher Zufluss von Krediten ist dafür erforderlich.

Die Tragweite dieser Form der Akkumulation von Reichtum wurde in einem Bericht erklärt, der 1996 in Foreign Policy erschien, betitelt: "Securities: The New Wealth Machine" ("Wertpapiere: die neue Reichtumsmaschine"). Es wird darauf hingewiesen, dass diese neuen Finanzinstrumente der wichtigste Faktor des globalen Reichtums seien und ihn am schnellsten erzeugen, und dass das Instrument der Wertpapiere "das internationale Wirtschaftssystem in grundlegender Weise verändert".

Der Artikel merkte an, dass der neue Ansatz zur Schaffung von Reichtum "vom Staat erfordert, dass er Mittel und Wege findet, den Marktwert seines Produktivvermögens zu steigern", und dass diese Strategie verwirklicht werden müsse durch "eine Wirtschaftspolitik, die Wachstum durch die Schaffung von Reichtum bewirken will, und folglich nicht versucht, die Produktion von Waren und Dienstleistungen zu erhöhen, oder bestenfalls als zweitrangiges Ziel." Wertsteigerung von Vermögenswerten sollte also erreicht werden, indem Kredite in das Finanzsystem gepumpt wurden.

Kauf und Verkauf von auf Vermögenswerten gestützten Wertpapieren wurden zum neuen Weg der Akkumulation von Reichtum. 1995 hatten die vermögensgestützten Wertpapiere einen Wert von 108 Mrd. Dollar. Im Jahr 2000, auf dem Höhepunkt der Aktienblase, war ihr Wert bei 1,07 Bio. Dollar. 2005 betrug der Wert 1,1 Bio., und 2006 1,23 Bio. Dollar. Innerhalb von zehn Jahren hatte sich der Wert dieser Wertpapiere also verzehnfacht. Jetzt ist das ganze Kartenhaus eingestürzt.

Die Größe dieses Kartenhauses lässt sich an folgenden Zahlen ablesen. 1980 betrug das Verhältnis von Schulden zum Bruttosozialprodukt in den USA 163 Prozent. 1987 lag es bereits bei 347 Prozent. Noch spektakulärer ist die Verschuldung des Finanzsektors angestiegen. Von 21 Prozent des Bruttosozialproduktes 1980 stieg sie auf 83 Prozent im Jahr 2000 und 116 Prozent im Jahr 2007.

Schon dieser kurze Überblick macht deutlich, weshalb das Vertrauen von Mr. Kaletsky und anderen in die künftige Vorreiterrolle und Stabilität des amerikanischen Kapitalismus so fehl am Platze ist.

Das Kreditsystem

Die Krise, die jetzt die US-Wirtschaft in die Knie zwingt, kam nicht aus heiterem Himmel. Sie ist das Ergebnis von seit mehr als drei Jahrzehnte währenden Prozessen, der in den USA getroffenen Maßnahmen, die Krise der 1970er Jahre zu überwinden und die globale Vormachtstellung der USA zu erhalten. Und es ist, trotz dem Gerede, man könne sich "ausklinken" und trotz dem Boom der chinesischen Wirtschaft, eine Krise des weltkapitalistischen Systems insgesamt. Die wichtigste Säule, auf der der globale Kapitalismus den größten Teil des 20. Jahrhunderts ruhte, insbesondere in den letzten 60 Jahren, bricht vor unseren Augen ein.

Es ist von großer Bedeutung, dass diese Krise mitten im Herzen der globalen kapitalistischen Wirtschaft ausgebrochen ist und ihren Zirkulationsmechanismus, das Kreditsystem, getroffen hat, das für die Akkumulation von Profit in den letzten 25 Jahren eine so wesentliche Rolle gespielt hat.

Im dritten Band des Kapital ging Marx auf die Wichtigkeit des Kreditsystems ein, einmal für die Expansion der kapitalistischen Wirtschaft, und für die Vorbereitung des Übergangs zu einer höheren Gesellschaftsform, dem Sozialismus.

Kredit erleichtert zuallererst die enorme Ausdehnung der Produktivkräfte, da die Produktion nun nicht länger auf Basis des einzelnen, sondern des gesellschaftlichen Kapitals organisiert ist. Gleichzeitig zerstört er alle ideologischen Rechtfertigungen der kapitalistischen Ordnung, die auf der Behauptung fußen, die private Aneignung legitimiere sich durch das Risiko des einzelnen Unternehmers, oder die Akkumulation von Kapital sei das Ergebnis individuellen Sparens. Das Individuum riskiert nicht seine eigenen Ressourcen oder Ersparnisse, sondern, mittels des Kreditsystems, die Ersparnisse anderer - die Akkumulation gesellschaftlichen Reichtums.

Der Kredit verschärft den Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der privaten Aneignung von Reichtum, in den Formen, wie wir sie in der gegenwärtigen Krise erleben. Das Kreditsystem, schrieb Marx, "reproduziert eine neue Finanzaristokratie, eine neue Sorte Parasiten in Gestalt von Projektenmachern, Gründern und bloß nominellen Direktoren; ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe und Aktienhandel." (Marx: Das Kapital, MEW Bd. 25, S. 454)

Marx erlebte nur die Anfänge dieses Prozesses, jedoch beschrieb er seine historische Bedeutung in Worten, die die gegenwärtige Situation zusammenfassen.

"Das Kreditwesen" so Marx, "beschleunigt daher die materielle Entwicklung der Produktivkräfte und die Herstellung des Weltmarkts, die als materielle Grundlagen der neuen Produktionsform bis auf einen gewissen Höhegrad herzustellen, die historische Aufgabe der kapitalistischen Produktionsweise ist. Gleichzeitig beschleunigt der Kredit die gewaltsamen Ausbrüche dieses Widerspruchs, die Krisen, und damit die Elemente der Auflösung der alten Produktionsweise.

Die dem Kreditsystem immanenten doppelseitigen Charaktere: einerseits die Triebfeder der kapitalistischen Produktion, Bereicherung durch Ausbeutung fremder Arbeit, zum reinsten und kolossalsten Spiel- und Schwindelsystem zu entwickeln und die Zahl der den gesellschaftlichen Reichtum ausbeutenden Wenigen immer mehr zu beschränken; andrerseits aber die Übergangsform zu einer neuen Produktionsweise zu bilden." (Marx: Das Kapital, MEW Bd. 25, S. 457)

Die aktuelle Krise zeigt in aller Schärfe die politischen Grundfragen, mit denen die Arbeiterklasse jetzt konfrontiert ist. Welcher Plan und welches Programm, kann im Interesse der Weltbevölkerung die Katastrophe abwenden, die nun die gesamte Kultur der Menschheit durch wirtschaftliches Chaos, Kriegsgefahr und die Vertiefung der Umweltkrise bedroht? Und was für eine politische Partei muss aufgebaut werden, um es zu verwirklichen? Das sind die brennenden Fragen unserer Tage.

Als Trotzki 1938 die Perspektive der Vierten Internationale ausarbeitete, bezeichnete er sie als Weltpartei der Sozialistischen Revolution. Das entsprach ihrem Charakter und ihren Aufgaben. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 hatte das Ende aller national beschränkten Programme und Perspektiven gekennzeichnet.

Die Weltpartei, erklärte Trotzki, verkörpere ein Programm, ein dichtes System von Ideen, die ihre grundlegenden Aufgaben festlegen. Ein Programm bestehe nicht nur aus politischen Sofortmaßnahmen und Forderungen, sondern basiere auf einer Einschätzung der historischen und strategischen Erfahrungen der internationalen Arbeiterklasse. Nur auf dieser Grundlage sei es möglich, eine revolutionäre Führung auszubilden. Nicht die Partei mache das Programm, sondern das Programm baue die Partei auf.

Gegen diese Auffassung wandten sich zur damaligen Zeit alle zentristischen Strömungen und Organisationen - von denen viele größer waren als die Sektionen der Vierten Internationale. Sie behaupteten, es sei dogmatisch und sektiererisch, auf den Lehren der Geschichte und auf Grundsätzen zu bestehen. Man müsse alle oppositionellen Tendenzen und Gruppierungen zusammen bringen, um eine neue und breit angelegte Organisation zu schaffen. Doch die folgenden Ereignisse bestätigten Trotzkis Perspektive. Nicht eine dieser anderen Parteien überlebte den Zweiten Weltkrieg.

Die Nachkriegsperiode brachte neue Probleme und Herausforderungen für die Vierte Internationale. Die Stabilisierung der bürgerlichen Ordnung, möglich gemacht durch den Verrat der stalinistischen Parteien, und die wirtschaftliche Wiederbelebung schienen die Perspektive der Vierten Internationale zu widerlegen. Die Eroberungen der stalinistischen Bürokratie in Osteuropa und der Sieg der chinesischen und jugoslawischen Revolution schienen die These zu widerlegen, dass der Sozialismus nur durch den Aufbau der Vierten Internationale als neue revolutionäre Führung in der Arbeiterklasse errungen werden könne.

Die neue Lage setzte die Vierten Internationale unter starken politischen Druck. Dieser Druck äußerte sich in verschiedenen revisionistischen Theorien, laut denen die stalinistischen und sozialdemokratischen Bürokratien sowie kleinbürgerliche und bürgerlich-nationalistische Bewegungen dem Sozialismus nicht im Wege standen, sondern unter dem Druck der Massen zu Werkzeugen für seine Verwirklichung wurden. Als erstes wurde diese revisionistische Perspektive von den beiden prominentesten europäischen Führern der Vierten Internationale nach dem Krieg - Michel Pablo und Ernest Mandel - formuliert.

In dem 1951 veröffentlichten Dokument "Wohin gehen wir?" schrieb Pablo: "Die gesellschaftliche Wirklichkeit besteht für unsere Bewegung im Wesentlichen aus der kapitalistischen Herrschaft und der stalinistischen Welt. Ob es uns gefällt oder nicht, bilden diese beiden Elemente darüber hinaus im Großen und Ganzen die gesellschaftliche Realität, denn die überwältigende Mehrheit der antikapitalistischen Kräfte befindet sich zur Zeit unter der Führung oder dem Einfluss der sowjetischen Bürokratie."

Dieser Absatz fasst die auf oberflächlichen Eindrücken basierende Methode zusammen, die später zum Zentrum der revisionistischen Nachkriegsanschauung wurde. Die Welt war danach aufgeteilt zwischen den Vereinigten Staaten und ihren Alliierten auf der einen Seite, und der sowjetischen Bürokratie auf der anderen. Die Arbeiterklasse hatte keine unabhängige Rolle zu spielen, und damit konsequenterweise auch nicht die Vierte Internationale. Diese war reduziert auf die Rolle einer Art Protestgruppe, die innerhalb der großen Bürokratien agierte, die die Arbeiterklasse dominierten.

Auf dem Dritten Kongress der Vierten Internationale 1951 sprach Pablo die Konsequenzen seiner neuen Anschauung offen aus: Es sei notwendig, alle Fragen der Unabhängigkeit der Vierten Internationale deren "wirklichen Integration in die Massenbewegung" unterzuordnen. Dies bedeutete die Auflösung der Vierten Internationale.

Diese Perspektive veranlasste den Führer der Socialist Workers Party (SWP), der trotzkistischen Partei in den USA, James P. Cannon, einen Offenen Brief an die Vierte Internationale zu verfassen. Der Offene Brief unterstrich die Grundsätze, auf die sich die Vierte Internationale bei ihrer Gründung 1938 gestützt hatte. Das führte 1953 zur Gründung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

In einem Brief, geschrieben im März 1954, fasste Cannon die Fragen zusammen, die in der Spaltung aufgekommenen waren. Er betonte, dass Lenins und Trotzkis Theorie der revolutionären Partei und deren Rolle als Führung des revolutionären Kampfes allen anderen Theorien übergeordnet sei. Wer behaupte, die sozialistische Umwandlung könne irgendwie halbautomatisch geschehen, verwerfe den Marxismus.

"Nein, sie kann nur ein bewusstes Handeln sein, und sie erfordert unabdingbar die Leitung durch eine marxistische Partei, die das bewussteste Element im historischen Prozess bildet, Keine andere Partei wird dazu ausreichen. Keine andere Strömung in der Arbeiterbewegung wird das erreichen können. Aus diesem Grunde ist unsere Haltung allen anderen Parteien gegenüber feindlich."

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale

Die Gründung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale markierte 1953 den Ausgangspunkt eines langen Kampfs gegen den Opportunismus innerhalb der Vierten Internationale. 1963 fand die Wiedervereinigung der SWP mit den Pablisten statt, ohne dass die ungelösten Fragen, die die Bewegung gespalten hatten, zuvor geklärt worden waren. Die Wiedervereinigung basierte auf einer gemeinsamen Einschätzung der Ereignisse in Kuba: Castros kleinbürgerlich nationalistische Bewegung habe einen Arbeiterstaat geschaffen und Castro selbst sei zu einem "unbewussten Marxisten" geworden. Alle Fragen von 1953 tauchten in anderer Form wieder auf. Wenn in Cuba der Sozialismus von kleinbürgerlichen Nationalisten unter Castros Führung geschaffen werden konnte, wozu war die Vierte Internationale dann überhaupt noch nötig?

Der wirkliche Charakter des kubanischen Regimes wurde auch deutlich, als Che Guevara - die Ikone des revolutionären Kampfs für alle kleinbürgerlichen Radikalen - Ramon Mercader, den Mörder Leo Trotzkis, herzlich in Kuba empfing, als dieser nach seiner Haftentlassung in Mexiko dort hin reiste.

Die britischen Trotzkisten Healy, Banda und Slaughter spielten die führende Rolle bei der Zurückweisung der liquidatorischen Perspektive der SWP. Sie intensivierten den Kampf gegen den Pablismus. Ihr Standpunkt bestätigte sich 1964, als die LSSP, die srilankische Sektion der pablistischen Bewegung, in die bürgerliche Regierungskoalition Frau Bandaranaikes eintrat.

Alle historischen und theoretischen Probleme, die im Kampf gegen den Pablismus aufgekommen waren, brachen bei der Spaltung des IKVI in den Jahren 1985 und 1986 erneut auf. Grund der Spaltung war die nationale und opportunistische Degeneration der britischen Sektion, der WRP.

Die Workers League (USA) hatte 1982 die politische Linie der WRP kritisiert, die immer deutlicher in eine opportunistische Richtung ging. Das zeigten insbesondere ihre Beziehungen zu kleinbürgerlich nationalistischen Bewegungen im Nahen Osten. Die WRP-Führung bestehend aus Healy, Banda und Slaughter unterdrückte diese Kritik.

Als der Opportunismus in der WRP dann 1985 zu einer explosiven Entwicklung in der Partei führte, schlossen sich die Mehrheit der Sektionen des Internationalen Komitees und eine Tendenz innerhalb der WRP der Kritik des nationalen Sekretärs der Workers League, David North, an.

Im Verlauf der Spaltung fasste Gerry Healy die Auffassung aller opportunistischen Gegner des Trotzkismus zusammen, als er das Internationale Komitee beschuldigte, "einen blütenweißen Sozialismus reinsten Wassers für eine kleine Minderheit" anzustreben. Er wollte damit sagen, dass Prinzipientreue gegenüber dem Programm Trotzkis im Ergebnis nur zur Isolation führen könne. Wie Pablos frühere Forderung nach Integration der Vierten Internationale in die "wirkliche Massenbewegung" war die Orientierung Healys und der anderen Tendenzen, die mit dem Internationalen Komitee gebrochen hatten, auf die stalinistische Bürokratie ausgerichtet.

Der Kampf gegen die Opportunisten in der WRP kennzeichnete einen Wendepunkt im langwierigen und schwierigen Kampf, den die trotzkistische Bewegung in den Nachkriegsjahren geführt hatte.

Letztlich hatten alle opportunistischen Tendenzen, die die Vierte Internationale in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg angriffen, ihre Stärke aus der Dominanz der stalinistischen Bürokratien über die Arbeiterklasse abgeleitet. Die Jahre 1985-86 fielen jedoch in eine Periode enormer Veränderungen in der Weltwirtschaft und der Erschütterung der globalen politischen Verhältnisse. Die stalinistischen Bürokratien, auf die sich die Opportunisten gestützt hatten, befanden sich am Rande des Zusammenbruchs.

Eine gewaltige Umgestaltung

Letztendlich war die Krise innerhalb der WRP das Produkt umfassender Veränderungen in der Weltwirtschaft - der Globalisierung der Produktion -, die zum Zusammenbruch und zur Zerrüttung aller Parteien und Organisationen führte, die sich auf eine nationalistische Perspektive stützten.

Außerdem kündigte der Sieg des Internationalen Komitee über die nationalen Opportunisten 1985-86 eine historische politische Wende an. Die Globalisierung der Produktion, die Integration der Weltwirtschaft und vor allem die Integration der internationalen Arbeiterklasse haben heute die objektive Grundlage für die Perspektive der Vierten Internationale geschaffen - den Aufbau der Weltpartei der Sozialistischen Revolution.

In einem Brief an James P. Cannon schrieb Trotzki einmal: "Wir gehen bei unserer Arbeit von den korrektesten und machtvollsten Gedanken der Welt aus und haben dabei nicht genug Kräfte und Material. Die richtigen Ideen jedoch werden auf lange Sicht immer siegreich sein und sich die nötigen materiellen Mittel und Kräfte verschaffen." Jetzt wird Trotzkis Perspektive bestätigt.

Oberflächlich gesehen, waren die letzten zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schwierig. Für Millionen Menschen schien die sozialistische Perspektive ihre Berechtigung gänzlich verloren zu haben. Sie verstanden nicht, dass der Zerfall der UDSSR keinesfalls Ausdruck des Scheiterns des Sozialismus, sondern das Endergebnis eines jahrzehntelangen Verrats der stalinistischen Bürokratie an der Oktoberrevolution war. Die Analyse des Internationalen Komitees, die den Zusammenbruch der UDSSR als Ergebnis sozioökonomischer Prozesse verstand, die auch die Grundlagen des Weltkapitalismus und der politischen Nachkriegsordnung erschüttern würden, war nicht augenscheinlich. Der Kapitalismus schien im Gegenteil neuen Schwung zu gewinnen. Nicht wenige behaupteten sogar, es gehe um das Ende der Geschichte.

Die Richtigkeit der Analyse des IKVI wird jetzt durch den Zusammenbruch der kapitalistischen Weltordnung bestätigt, der sich jetzt vollzieht - ein Zusammenbruch, der die Perspektive des Weltsozialismus wieder auf die historische Tagesordnung gesetzt hat.

Diese Entwicklungen unterstreichen die entscheidende Bedeutung des mehr als fünfzigjährigen Kampfes, den das IKVI zur Verteidigung des Programms des Trotzkismus gegen alle Spielarten des Revisionismus und Opportunismus geführt hat.

Im Jahr 1903 betrachteten Viele in der sozialistischen Bewegung die Spaltung zwischen Bolschewiki und Menschewiki als Ergebnis der Unreife der revolutionären Bewegung in Russland, oder sie wurde schlicht als Folge der "Streitsucht der Russen" abgetan. Im Jahr 1917 bildeten die Menschewiki jedoch in der von den Bolschewiki geleiteten Oktoberrevolution die wichtigste Stütze der Regierung der Bourgeoisie im Kampf gegen ihren Untergang.

Wir treten nun wieder in eine solche historische Epoche ein. Dem Kampf der revolutionären Bewegung gegen den Opportunismus kommt jetzt entscheidende Bedeutung für die Entwicklung der Kämpfe der Arbeiterklasse zu. Millionen werden verstehen, dass sich der Kampf zwischen Marxismus und Opportunismus um die Frage von Revolution oder Konterrevolution dreht.

Betrachten wir die Ereignisse in Frankreich - von diesem Land heißt es, dass die Klassenkämpfe stets bis zu ihrem Ende ausgefochten werden.

Dort beabsichtigt die pablistische Partei Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), Anfang nächsten Jahres eine neue, antikapitalistische Partei (die NPA) zu gründen. In einem Interview im letzten März verdeutlichte der Führer der LCR Olivier Besancenot die nicht mehr kaschierten, opportunistischen Grundauffassungen, auf denen die neue Organisation aufgebaut werden soll.

"Die NPA zielt darauf ab, Strömungen aus verschiedenen Traditionen der radikalen Linken zu integrieren. Hat diese Integration eine detaillierte Diskussion über das Vermächtnis dieser Traditionen zur Voraussetzung, oder kann sie ausschließlich in der Praxis und im Zusammenfassen konkreter Kämpfe vonstatten gehen? Eine Diskussion über verschiedene ideologische und historische ‚Vermächtnisse’ mag interessant sein. Und zweifellos auch lange andauern. Aber damit können wir nicht anfangen. Insbesondere nicht unter der Zielsetzung, Männer und Frauen zusammenzuschließen, die, ganz klar, keine langjährige politische Parteibindung haben und sich mit keiner dieser Traditionen besonders identifizieren."

Die politische Bedeutung dieser Zurückweisung einer historischen und prinzipiellen Perspektive kann nicht missverstanden werden. Besancenot erklärt damit der herrschenden Klasse Frankreichs, dass im Falle des Zerbrechens ihrer Hauptstützen, der Sozialistischen Partei und vor allem der Kommunistischen Partei - die bei der Rettung des französischen Kapitalismus 1936, 1944-45 und noch einmal 1968 eine so bedeutende Rolle gespielt hat - die NPA als Lückenfüller bereit steht. Sie wird in der nahenden revolutionären Krise zur Rettung der kapitalistischen Ordnung in eine bürgerliche Regierung eintreten.

"Botschaft verstanden", hat die Bourgeoisie geantwortet. Deshalb wurde Besancenot inzwischen zum Liebling des Zirkus’ aus Nachrichten, Talkshows und politischen Kommentare gekürt.

Anscheinend kam die Botschaft auch jenseits des Atlantiks an. Die New York Times vom 13. September veröffentlichte einen äußerst wohlwollenden, auf einem Interview basierenden Artikel über Besancenot. Darin wird Besancenot als "extrem geschickter Führer der harten französischen Linken, ein Leuchtfeuer der enttäuschten jungen Mitglieder der Sozialistischen Partei und der Überreste der einst so mächtigen Kommunisten", vorgestellt. Und wohin führt dieses Leuchtfeuer? Die Schlagzeile zum Artikel fasst es zusammen: "Das Licht der Linken führt seine Genossen Frankreichs Mainstream zu."

Vor siebzig Jahren schrieb Trotzki zur Gründung der Vierten Internationale: "Wir sind keine Partei wie andere Parteien...Unser Ziel ist die umfassende materielle und geistige Befreiung der Arbeitenden und Ausgebeuteten durch die sozialistische Revolution. Niemand außer uns wird sie vorbereiten und anleiten."

Die alten Parteien, so fuhr er fort, seien durch und durch verdorben. Die "großen Ereignisse, die die Menschheit erfassen" würden bei diesen überholten Organisationen keinen Stein auf dem anderen lassen. "Nur die Vierte Internationale kann voller Hoffnung in die Zukunft blicken. Sie ist die Weltpartei der sozialistischen Revolution. Niemals gab es auf der Welt eine größere Aufgabe. Jeder von uns trägt eine riesige historische Verantwortung."

Im Zuge der sich jetzt entwickelnden Ereignisse kommt diesen Worten eine sogar noch größere Bedeutung zu.

Siehe auch:
Die internationale Finanzkrise und die Illusion eines geläuterten Kapitalismus (20. September 2008)

Rettungsaktion enthüllt Bankrott des amerikanischen Kapitalismus ( 17. September 2008)

Schatten von 1929: die globalen Auswirkungen der US-Bankenkrise ( 27. Mai 2008)

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