Keine Einigung auf G-20-Gipfel der Finanzminister

Ein Gipfel der G-20 Finanzminister und Zentralbanker konnte sich auf keinerlei konkrete Maßnahmen gegen die internationale Finanzkrise einigen.

Das Treffen der Finanzminister und Zentralbanker der führenden Volkswirtschaften der Welt, im südenglischen Horsham am vergangenen Freitag und Samstag sollte die Tagesordnung für den Gipfel der Staatschefs der G-20 Länder am 2. April in London vorbereiten. Die G-20 repräsentieren 85 Prozent der Wirtschaftsleistung der Welt

Zu Beginn des Treffens warnte Weltbankpräsident Robert Zoellick, dass es für die Weltwirtschaft um viel gehe. Er sagte, dass 2009 "ein sehr gefährliches Jahr zu werden verspricht". Die Schwierigkeiten könnten sich "bis weit nach 2010" hineinziehen. "Die Gefahr ist, dass zu wenig zu spät getan wird", fügte er hinzu. Die Weltbank erwartet, dass die Weltwirtschaft dieses Jahr um 1 bis 2 Prozent schrumpft.

Drei zentrale Fragen standen auf der Tagesordnung des Treffens: weitere riesige Konjunkturprogramme der führenden Wirtschaftsmächte, um die Banken zu retten und die im freien Fall befindlichen Volkswirtschaften wieder in Schwung zu bringen; die Regulierung der Finanzmärkte; und eine stärkere Finanzausstattung des Internationalen Währungsfonds, um ihn in die Lage zu versetzen, vom Bankrott bedrohte Länder zu retten.

Das Kommunique des Gipfels versuchte einen optimistischen Ton anzuschlagen und die anhaltenden Differenzen der beteiligten Länder in der Wirtschaftspolitik zu überdecken. Es sprach sich gegen alle Formen von Protektionismus und für die Verteidigung des freien Handels und freier Investitionen aus. Ein genauerer Blick zeigt aber, dass die versammelten Finanzminister und Banker sich auf keinerlei konkrete Vereinbarung in den wichtigen Fragen einigen konnten.

Keine Überseinstimmung gab es über neue Konjunkturprogramme führender Länder, die sich das Recht vorbehalten, ihre eignen nationalen Entscheidungen zu treffen und Prioritäten zu setzen. Das Kommunique betonte zwar die Notwendigkeit einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte und einer Stärkung der internationalen Kooperation, es gab aber keine Einigung über die Bildung eines Organs, das in der Läge wäre, eine bessere Regulierung durchzusetzen.

Zur Stärkeren Finanzausstattung des IWF hieß es nur, die Mittel des Fonds sollten "beträchtlich" aufgestockt werden, aber niemand verpflichtete sich, neue Gelder zur Verfügung zu stellen.

Vergangene Woche kam es zwischen amerikanischen und europäischen Spitzenpolitikern mehrmals zu einem hitzigen Wortwechsel. Daran zeigten sich schon die wachsenden Differenzen über die Frage, wie auf die Ausbreitung der Weltrezession zu reagieren sei.

Die EU-Finanzminister hatten schon auf einem Treffen in Brüssel am 9. März die Aufforderung der Vereinigten Staaten zurückgewiesen, mehr öffentliches Geld zu investieren, um die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen.

Vor dem Brüsseler Treffen hatte Lawrence Summers, Barack Obamas wirtschaftlicher Spitzenberater, die Regierungen der Welt aufgefordert, ihre Konjunkturprogramme aufzustocken. Summers ist der Chef des Nationalen Wirtschaftsrats im Weißen Haus. Er erklärte, jetzt sei "außergewöhnliches staatliches Handeln" gefragt.

Äußerungen des amerikanischen Präsidenten unterstrichen Summers’ Appell zusätzlich. Obama erklärte vergangenes Wochenende in einem Interview der New York Times, Europa habe mit noch größeren Problemen als die USA zu kämpfen. Er behauptete, Weltregionen wie Europa müssten sich mit strukturellen "Schwächen" auseinandersetzen, die "tatsächlich noch größer sind als einige hiesige Schwächen".

Die Politiker in Europa reagierten rasch und scharf. "Wir sehen es nicht so gerne, wenn die Amerikaner eine zusätzliche budgetäre Anstrengung von den Europäern verlangen, um die Auswirkungen der Krise zu meistern", erklärte der Finanzminister von Luxemburg, Jean-Claude Juncker nach dem Brüsseler Meeting der sechszehn Finanzchefs der Eurozone.

Nicht weniger deutlich war der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück, der erklärte, Summers Äußerungen hätten die EU-Politiker schon etwas verwundert. "Wir planen keine zusätzlichen Maßnahmen", sagte Steinbrück. Er gab der Regierung in Washington den Rat, sich mit den Konjunkturpaketen in Europa besser vertraut zu machen, die bereits angelaufen seien oder kurz davor stünden.

Am Montag sah sich Robert Gibbs, Sprecher im Weißen Haus, gezwungen, eine Spaltung zwischen den Vereinigten Staaten und Europa ausdrücklich zu leugnen. Trotz der ablehnenden Reaktionen aus Europa betonte Timothy Geithner, der amerikanische Finanzminister, am Mittwoch erneut die Notwendigkeit massiver zusätzlicher Investitionen der öffentlichen Hand ins Finanzsystem. "Kräftiges Handeln des Finanzsektors ist jetzt entscheidend, um wieder Vertrauen zu schaffen, das Funktionieren der Märkte herzustellen, Kredite wieder fließen zu lassen und Stabilität in das globale Finanzsystem zurück zu bringen", sagte er.

Geithner und die amerikanische Regierung schlagen vor, den Internationalen Währungsfond (IWF), der heute über etwa 250 Milliarden Dollar an Reserven verfügt, mit zusätzlichen Geldern in Höhe von bis zu 500 Milliarden Dollar auszustatten, damit er zur Rettung der Banken beitragen könne. Nach dem amerikanischen Vorschlag soll das so genannte IWF-Projekt namens New Arrangements to Borrow massiv aufgestockt werden, wobei sich der IWF bestimmte Summen von seinen reicheren Mitgliedern ausleihen soll. Die US-Forderung übersteigt sogar noch die Anfrage des IWF selbst, der zusätzliche 250 Milliarden Dollar angefordert hat, um seine Reserven aufzustocken.

IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn ließ verlauten, Japan habe zugestimmt, 100 Milliarden Dollar zu dem neuen Fonds beizusteuern. Natürlich wird auch von anderen Nationen, einschließlich der reicheren EU-Länder, erwartet, dass sie ihren IWF-Beitrag erhöhen. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung verwies Strauss-Kahn am Dienstag besonders auf Deutschland, von dem er sagte, es müsse " viel energischer vorgehen", um die Bankenkrise in den Griff zu bekommen.

Am Donnerstag reagierte der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, auf den Druck sowohl von Seiten der Obama-Regierung als auch vom IWF. Er verteidigte die in Europa bereits durchgeführten Maßnahmen und erklärte, die EU wetteiferten nicht mit den Vereinigten Staaten über das größere Konjunkturprogramm.

Außerdem machte Barroso deutlich, dass der Umfang der Konjunkturpakete nur einer von zahlreichen Konfliktpunkten zwischen der EU und den USA sei. In einem Handelsblatt- Kommentar forderte Barroso die USA auf, die Frage der Regulierung und Überwachung von Finanzmärkten mit dem gleichen Engagement wie Europa anzupacken. In dieser Frage, so Barroso, hinkten die Amerikaner noch weit hinter den Europäern zurück.

Während die Konflikte zwischen Europa und Amerika über den Umgang mit der Krise sich verschärfen, wird immer klarer, dass sich die Wirtschaftssituation in Europa dramatisch verschlechtert. Mit großer Geschwindigkeit korrigieren europäische Agenturen ihre Wirtschaftsprognosen nach unten. Obwohl die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Leitzins Anfang des Monats um ein halbes Prozent gesenkt hat, wächst in Europa die Angst vor einer Deflation. Der Leitzins der EZB steht jetzt bei 1,5 Prozent; das ist der tiefste Stand seit Einführung des Euro vor zehn Jahren.

Die Behauptung, die europäische Wirtschaft werde sich schon Ende dieses Jahres zu erholen beginnen, hat sich als falsch erwiesen. Im Januar ging die Europäische Kommission noch davon aus, die Eurozone werde im gesamten Jahr 2009 um 1,9 Prozent schrumpfen. Die EZB hat diese Zahl jetzt auf zwei bis drei Prozent korrigiert. EU-Wirtschaftskommissar Joaquin Almunia musste eingestehen: "Die Erholung wird länger brauchen, als wir noch vor wenigen Monaten erwartet haben."

Besonders in Deutschland, der stärksten Wirtschaftsmacht Europas, ist die Situation dramatisch. Deutschland ist in hohem Maß von der Exportindustrie abhängig, und entsprechend hart ist es vom Nachfragerückgang seiner Abnehmer auf der ganzen Welt betroffen. Die Nachfrage nach deutschen Industriegütern ging im Januar im Vergleich zum Vormonat um acht Prozent zurück, im Vergleich zum Januar letzten Jahres sank sie um 37,9 Prozent. Neben Japan ist die deutsche Wirtschaft durch den Einbruch der globalen Nachfrage am stärksten betroffen.

Man geht jetzt davon aus, dass das Wirtschaftswachstum in Deutschland 2009 um vier bis sechs Prozent zurückgeht, das ist doppelt so stark wie in ganz Europa. Das Handelsblatt unkte im Titel zu einem Leitartikel: "Finsternis am Ende des Tunnels".

Nicht nur treten die USA und der IWF mit Forderungen nach weit größeren Konjunkturprogrammen an die reicheren europäischen Nationen heran, es wird auch von ihnen erwartet, dass sie sich an Rettungsprogrammen für mehrere westeuropäische Länder (Griechenland, Irland, Island) und osteuropäische Länder (Rumänien, Ungarn, Lettland) beteiligen, die sonst bankrott gehen würden.

Die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen europäischen und amerikanischen Führungspolitikern und das Ergebnis des G-20-Gipfels zeigen, wie sehr sich die zwei Kontinente mit der fortschreitenden Rezession schon von einander entfremdet haben. Die Washingtoner Regierung übt Druck auf andere Nationen aus, umfangreiche Konjunkturprogramme zu beschließen, weil sie hofft, diese Programme könnten dazu beitragen, das zerrüttete amerikanische Banken- und Wirtschaftssystem wieder auf die Beine zu bringen.

Im eigenen Land verlangt die Obama-Regierung, dass die amerikanische Arbeiterklasse die Lasten für die Spekulationsverluste der US-Banken schultern soll. Im globalen Bereich übt die US-Regierung Druck auf die Industrieländer aus, die Verluste der amerikanischen Bank mitzutragen.

Die Obama-Regierung hatte schon vor dem G-20-Gipfel klar gemacht, dass sie jede Einschränkung der Aktivitäten amerikanischer Banken ablehnt. Die äußerst günstigen Bedingungen, die amerikanische Banken vor kurzem für massive staatliche Beihilfen aushandeln konnten, haben den amerikanischen Staatshaushalt zum Anziehungspunkt für ausländisches Kapital gemacht. Der Zustrom internationaler Gelder in amerikanische Staatsanleihen lässt sich an einem Erstarken des Dollar in den letzten Monaten gegenüber dem Euro ablesen.

Mehrere europäische Regierungen fordern jetzt eine stärkere Regulierung von Bankaktivitäten, um diesem Trend entgegenzuwirken und günstigere Bedingungen für die Rettungsprogramme ihrer eigenen Banken und Wirtschaften zu schaffen. So zögert die deutsche Regierung, in osteuropäische Länder zu investieren, deren Wirtschaft durch den Kapitalabzug westlicher Banken und Finanzhäuser an den Rand des Abgrunds gedrängt wird.

Gleichzeitig sind die europäischen Regierungen nicht in der Lage, sich untereinander zu verständigen, wie sie die Krise meistern wollen. Dies hat sich am europäischen Minigipfel (an dem sich Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und die Niederlande beteiligt haben) gezeigt, der Ende Februar in Berlin stattfand.

Es steht sehr viel auf dem Spiel. Als es am Berliner Gipfel nicht möglich war, zu einer einheitlichen Linie zu kommen, richtete Martin Wolf, leitender Wirtschaftkommentator der Financial Times, das Augenmerk auf den bevorstehenden G-20-Gipfel und warnte vor seinem Scheitern. In der Ausgabe vom 25. Februar schrieb er: "Der Londoner Gipfel von 1933 markierte den Moment, als die gemeinsamen Bemühungen, die Große Depression zu meistern, scheiterten. Der Gipfel der Gruppe der zwanzig Länder am 2. April in der gleichen Stadt muss ein anderes Ergebnis hervorbringen. Das mag einfach scheinen. Es ist es nicht. Kommuniqués mit den üblichen Plattitüden wären eine Katastrophe."

In der Wochenendausgabe der gleichen Zeitung wird erneut vor möglichen sozialen und politischen Konsequenzen der Krise gewarnt. In einem Artikel mit der Überschrift "Überlebensplan für den Kapitalismus" heißt es in der Financial Times : "Tiefe Depressionen oder Wirtschaftskrisen ... sind weder notwendig noch begrüßenswert. Sie zerstören den Wohlstand, untergraben das Glück und zerbrechen alte Gewissheiten. Mehr noch, wachsende Armut ist eine ernste Gefahr für Weltstabilität und Demokratie. Revolutionen beginnen oft als Brotrevolten, und wirtschaftlich stagnierende Länder schaffen kriegslüsterne Nachbarn."

Die europäische und die amerikanische Bourgeoisie sind sich der Gefahr sozialer und politischer Aufstände durchaus bewusst. Aber die zunehmenden Konflikte zwischen den europäischen Regierungen und der US-Administration, wie sie sich auch dem G-20-Gipfel zeigten, machen klar, dass keiner von beiden in der Lage ist, den grundlegenden historischen Widerspruch zu lösen, der zwischen der Weltwirtschaft und dem Nationalstaatensystem besteht, und sich durch die verheerende Krise des Weltkapitalismus noch verschlimmert.

Siehe auch:
Der Wirtschaftszusammenbruch von 2008 und seine revolutionäre Bedeutung
(4. März 2009)
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