Schwarz-Gelb nimmt Kurs auf sozialen Kahlschlag

Die neue Bundesregierung hat sich am Dienstag und Mittwoch für zwei Tage zu einer Kabinettsklausur in das Brandenburger Schloss Meseburg zurückgezogen. Das Treffen sollte, so Bundeskanzlerin Angela Merkel, "eine gute kameradschaftliche Atmosphäre schaffen, in der wir Probleme vertrauensvoll lösen können". Es war notwendig geworden, nachdem es in den ersten beiden Regierungswochen zwischen den Koalitionspartnern CDU, FDP und CSU zu offenen Auseinandersetzungen über die Steuerpolitik, die Gesundheitspolitik und andere Themen gekommen war.

Nach dem Treffen in Meseburg ist nun wesentlich klarer, wohin die Regierung steuert. Sie hat finanzpolitische Entscheidungen getroffen, die spätestens in zwei Jahren zu einem beispiellosen sozialen Kahlschlag führen werden.

Mit den meisten ihrer Vorhaben hält sie zwar weiter hinter dem Berg. So hat sie keinerlei inhaltliche Angaben über die bevorstehenden Haushaltskürzungen gemacht und die umstrittene Gesundheitsreform an eine interministerielle Arbeitsgruppe delegiert, die bis Mitte kommenden Jahres Vorschläge erarbeiten soll. Auch die heikle Entscheidung über eine Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke wurde auf das nächste Jahr vertagt. Aber das hat in erster Linie taktische Gründe.

Zum einen fürchtet die Regierung die öffentliche Reaktion, wenn sie alle Karten offen auf den Tisch legt. Vor allem die im kommenden Frühjahr anstehende Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen soll nicht gefährdet werden. Verlöre die schwarz-gelbe Koalition im bevölkerungsreichsten Bundesland ihre derzeitige Mehrheit, würde sie auch die Mehrheit im Bundesrat einbüßen.

Zum anderen will sich die Kanzlerin die Unterstützung der Gewerkschaften und der so genannten Oppositionsparteien für die bevorstehenden sozialen Angriffe sichern. Sie hat die Spitzen der Gewerkschaften gemeinsam mit den Wirtschaftsverbänden und Banken für den 2. Dezember zu einem Krisengipfel in Berlin eingeladen, um "einen Konsens aller gesellschaftlichen Kräfte für mehr Beschäftigung" zu erzielen.

"Mehr Beschäftigung" ist in wirtschaftsnahen Kreisen ein Schlagwort für den Abbau von Arbeitnehmerrechten und Löhnen. Die Gewerkschaftsspitzen haben seit der Bundestagswahl ihre Bereitschaft demonstriert, in dieser Frage eng mit der neuen Regierung zusammenzuarbeiten.

Was die Opposition angeht, so sind die Grünen mittlerweile Vorreiter, wenn es um die Kürzung öffentlicher Ausgaben geht. Auf ihre Unterstützung kann Merkel also zählen. Nachdem sie bereits in Hamburg und im Saarland einer CDU-geführten Regierung beigetreten sind, hat nun auch in Nordrhein-Westfalen die Diskussion darüber begonnen, ob sich die Grünen der CDU als Mehrheitsbeschaffer zur Verfügung stellen.

Was die SPD und die Linkspartei betrifft, so haben sie soeben in Brandenburg einen Koalitionsvertrag unterzeichnet, in dessen Mittelpunkt der Abbau jedes fünften Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst steht. Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) begründete dies damit, dass das Land Brandenburg bis 2019 rund ein Viertel weniger Geld im Haushalt haben werde als heute. Damit hat er die Politik der Bundesregierung gewissermaßen vorweggenommen. Als Finanzminister für die Kürzungen verantwortlich ist ein Mitglied der Linkspartei.

In diesem Zusammenhang muss die zentrale Botschaft gesehen werden, die von Meseburg ausging. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Wirtschaftminister Rainer Brüderle (FDP) traten in demonstrativer Eintracht vor die Presse und verkündeten, die Koalition werde sowohl die Steuern senken als auch an den EU-Defizitkriterien und an der Schuldenbremse festhalten, die im Sommer in der Verfassung verankert worden war. Im Jahr 2011 sollen die Steuern um 20 Milliarden Euro reduziert und ein Stufentarif an die Stelle des bisherigen linear-progressiven Tarifs treten. Im selben Jahr muss das Haushaltsdefizit massiv zurückgefahren werden, um die Vorgaben der Schuldenbremse zu erfüllen.

Es lässt sich leicht ausrechnen, was das bedeutet: Unter Hinweis auf das explodierende Defizit wird die Regierung öffentliche Ausgaben in bisher nicht vorstellbarem Ausmaß zusammenstreichen. Sozialausgaben werden davon ebenso betroffen sein, wie der staatliche Zuschuss zur Rentenkasse und die Ausgaben für Bildung. In den klammen Kassen der Länder und Kommunen werden sich noch größere Löcher auftun, die Gebühren und Abgaben entsprechend steigen.

Der Ökonom Peter Bofinger kommentierte den Kurs der Regierung in der Passauer Neuen Presse mit den Worten: "Ich befürchte, dass hier absichtlich ein Schmalspur-Staat herbeigeführt wird. Im ersten Schritt wurde die Schuldenbremse vereinbart. Jetzt werden Steuern maximal gesenkt. Die Folge ist der Zwang, die Ausgaben dann ab 2011 umso brutaler zusammenzustreichen. Dann wird das Brecheisen an staatliche Aufgaben angesetzt."

Bofinger ist Mitglied der "Wirtschaftsweisen", des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Nach seinen Berechnungen wird das jährliche Haushaltsdefizit auf 100 Milliarden Euro steigen, wenn die angekündigten Steuersenkungen in Kraft treten. Bis 2016 muss das Defizit in der Bundeskasse aber auf 10 Milliarden Euro gesenkt werden, um die Vorschriften der Schuldenbremse zu erfüllen. "Niemand in der Bundesregierung spricht an, wie man Ausgabenkürzungen von 30, 40, 50 Milliarden Euro bewältigen kann. Die drohen jedoch in den nächsten Jahren unweigerlich", folgert Bofinger.

Ein Haushaltsposten wird jedenfalls ganz sicher von Kürzungen verschont bleiben: der Verteidigungsetat. Die Klausurtagung unterbrach ihre Beratungen eigens für eine Stunde, um im Rahmen einer offiziellen Kabinettssitzung die Verlängerung der Bundeswehreinsätze in Afghanistan, am Horn von Afrika und an der libanesischen Küste zu beschließen. Die Obergrenze für das deutsche Afghanistan-Kontingent bleibt noch bei 4.500 Soldaten, soll aber nach der internationalen Afghanistankonferenz Anfang kommenden Jahres möglicherweise erhöht werden.

In Meseburg sind die Weichen für eine gigantische Umverteilung der Einkommen und Vermögen von unten nach oben gestellt worden. Die soziale Spaltung der Gesellschaft, die seit Jahren wächst, wird beschleunigt fortgesetzt. Während sich die Regierung nach Kräften bemüht, dies gegenüber der Öffentlichkeit zu verschleiern, ist die Botschaft in den Chefetagen der Banken und Konzerne längst angekommen.

Laut einem Bericht des Handelsblattes wollen die dreißig größten, im Dax gelisteten deutschen Konzerne ihren Aktionären in diesem Jahr trotz sinkender Gewinne 20,3 Milliarden Euro an Dividenden überweisen. Das sind rund 71 Prozent ihrer Nettogewinne. Im bisherigen Rekordjahr 2007 hatten sie nur 45 Prozent ihrer Gewinne ausgeschüttet.

Während die Regierung also die Steuern mit der Begründung senkt, die Wirtschaft brauche mehr Geld zum investieren, reichen die Großkonzerne diese Gelder mit vollen Händen an ihre Aktionäre weiter. Die von den Dax-Konzernen ausgeschüttete Dividendensumme entspricht ziemlich genau der geplanten Steuersenkung von 20 Milliarden Euro.

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