EU-Vertreter verlangen von Griechenland noch mehr Kürzungen

Die deutsch-französische Zusage vom 11. Februar, Griechenland unter die Arme zugreifen, war am Freitag schon wieder hinfällig. Die griechische Regierung äußerte sich kritisch zu den Maßnahmen, und Vertreter der Europäischen Union (EU) forderten von Athen noch weiter gehende Haushaltskürzungen.

Wie sich zeigt, gibt es bisher keinerlei Einigung über die Art und Weise, wie ein Rettungspaket finanziert werden könnte. Die bisherigen Verhandlungen dienten vor allem dem Zweck, den Druck auf die Arbeiterklasse zu erhöhen. Von ihr erwarten die Finanzmärkte, dass sie massive Kürzungen bei Arbeitsplätzen und Löhnen hinnimmt.

Griechenland hat ein sehr hohes Haushaltsdefizit von 12,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Weil Investoren befürchten, dass die Regierung keine wirklich tiefen Einschnitte im Haushalt zustande bringt, treiben sie die Zinsen für griechische Staatsanleihen hoch und vergrößern so die Gefahr eines Staatsbankrotts. Der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou hat mit Vertretern Deutschlands, Frankreichs und der EU das Versprechen eines Bail Outs ausgehandelt. Es beinhaltet, dass die sechzehn Länder der Eurozone "im Bedarfsfall entschlossene koordinierte Schritten ergreifen, um die Stabilität des Euro insgesamt zu sichern".

Sehr rasch tauchten über die Zusage Differenzen auf. Die deutsche Regierung machte deutlich, dass sie Griechenland möglicherweise doch kein Geld leihen werde. Ein "hoher EU-Diplomat" sagte dem Guardian : "Deutschland bremst stark bei Finanzhilfen. Aus juristischen, aus verfassungsrechtlichen und aus prinzipiellen Gründen." La Croix berichtete, dass es dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy nicht gelungen sei, die Zustimmung von Kanzlerin Merkel für direkte Kredite der Euro-Länder an Griechenland zu bekommen.

Kurz gesagt gründete sich der Rettungsplan auf die Hoffnung, dass allein seine vage Ankündigung die Befürchtungen der Kreditmärkte zerstreuen werde. Vor den Verhandlungen hatte Papandreou selbst erklärt, er suche "die politische und psychologische Unterstützung Europas". Um Finanzhilfe habe Griechenland nicht gebeten.

Es gibt in der Eurozone tatsächlich nur wenig politische oder finanzielle Unterstützung für einen koordinierten Bail Out. Dazu müssten tiefe Differenzen zwischen den europäischen Großmächten ausgeräumt werden: Würde die gesamte Eurozone Griechenland retten, dann müsste Deutschland, die größte EU-Wirtschaftsmacht, den Löwenanteil der Kosten tragen, während die Banken anderer Länder den größten Vorteil davon hätten.

Zahlen von Credit Suisse zufolge haben Großbritannien und Irland 23 Prozent der Schuldverschreibungen Griechenlands in ihren Tresoren, Frankreich elf Prozent, während Deutschland, die Schweiz und Österreich zusammen nur neun Prozent haben. Die europäischen Banken haben der griechischen Wirtschaft insgesamt Kredite über 184 Milliarden Euro gegeben; Frankreich 55 Mrd. Euro, die Schweiz 46 Mrd., und Deutschland 31 Mrd..

Le Monde zitierte gestern eine "hohe französische Quelle", mit der Aussage: "Wenn die Griechen Staatsanleihen zu verkaufen versuchen und sie nicht loswerden, dann werden wir sie kaufen." Le Monde fügte allerdings an: "Es ist noch nichts fest, da Deutschland zögert."

Wirtschaftliche Statistiken für das vierte Quartal 2009 zeigen in ganz Europa ein extrem schwaches Wachstum. Die deutsche Wirtschaft stagnierte im vierten Quartal und fiel im Jahresvergleich um 1,7 Prozent zurück. Die Eurozone insgesamt wuchs um 0,1 Prozent, wozu Frankreich ein Wachstum von 0,9 Prozent beisteuerte. Höhere Konsumausgaben und ein hohes Haushaltsdefizit (7,9 Prozent des BIP) waren die Triebkraft. Die italienische Wirtschaft schrumpfte um 0,2 Prozent. Die Wirtschaft Spaniens und Griechenlands schrumpfte ebenfalls.

Gestern äußerte sich Papandreou zu dem jüngst ausgehandelten Abkommen: "Es geht um die Glaubwürdigkeit Europas und seine Bereitschaft, den internationalen Märkten Paroli zu bieten." Er kritisierte das Abkommen bitter, da es Griechenland in "eine Laborratte im Kampf zwischen Europa und den Märkten" verwandle. Er sagte, die Verhandlungen von Donnerstag "senden eine gemischte Botschaft über unser Land aus... Sie schaffen eine Psychologie des bevorstehenden Zusammenbruchs, die zu einer selbsterfüllenden Voraussage werden könnte".

Papandreou warf der Europäischen Kommission vor, das "kriminelle Vorgehen" der konservativen Vorgängerregierung bei der Fälschung von Wirtschaftsstatistiken entweder nicht erkannt oder nicht darauf reagiert zu haben. Er fügte hinzu: "Das hat das Ansehen der europäischen Institutionen in den Augen der internationalen Märkte unterhöhlt."

Schon vor der Konferenz schlug Papandreou eine drastische Kürzung der Staatsausgaben vor. Das Haushaltsdefizit soll in einem Jahr um enorme vier Prozent des BIP gesenkt werden. Das soll durch eine Heraufsetzung des Renteneintrittsalters im öffentlichen Dienst um zwei Jahre auf 63 Jahre, durch das Einfrieren der Löhne und eine Kürzung der Zulagen, und eine Erhöhung der Benzinpreise um zehn Prozent erreicht werden. Diese Kürzungen könnten Zehntausende Arbeitsplätze bei Privatfirmen kosten, die für die Regierung arbeiten.

Trotzdem forderten Sprecher der EU gestern in Interviews noch tiefere Einschnitte.

In einem Interview mit dem Spiegel setzte sich der Chefökonom der Europäischen Zentralbank, Jürgen Stark, für niedrigere Löhne in Griechenland ein. Er sagte: "Griechenland hat seine preisliche Wettbewerbsfähigkeit verloren. Die Lohnstückkosten sind enorm gestiegen. Das hat die Regierung in Athen erkannt. Und auch das muss sie zügig in den Griff bekommen."

Stark lehnte zwar einen Rettungsplan für Griechenland nicht ausdrücklich ab, aber er sprach sich deutlich gegen Geldzahlungen an Athen aus: "Solidarität ist keine Einbahnstraße." Er schloss Kredite anderer europäischer Länder an Griechenland aus, sei es als direkte Kredite oder in Form gemeinsamer Anleihen der Euroländer. Er sagte, auch Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF), dessen Politik von den USA beeinflusst sei, seien "nicht angemessen".

Stark erklärte: "Was mich angeht, so ist ein Bankrott Griechenlands kein Szenario." Später bekräftigte er, Griechenland "muss und wird es schaffen". Er meinte, dass Deutschland, das ein niedrigeres Haushaltsdefizit hat, "Modell" für die ganze Eurozone sei.

Der Spiegel kritisierte die angloamerikanischen Mächte ungewöhnlich offen. Er schrieb: "In den USA rettet die Fed kräftig mit. Sie druckt einfach Geld und kauft Staatsanleihen." Stark entgegnete: "Diesen Weg dürfen wir nicht beschreiten. Und ich bin froh, dass wir es nicht dürfen. Unser Auftrag ist Preisstabilität."

Auf die Frage nach den Sorgen, die in den Finanzmedien zum Ausdruck kommen, dass Spanien, Italien und Portugal ebenfalls in eine Kreditklemme geraten könnten, sagte Stark: "Das Haushaltsdefizit Großbritanniens ist genauso groß wie das griechische. Das amerikanische Haushaltsdefizit liegt ebenfalls bei über zehn Prozent des BIP. Alle Industrieländer haben im Moment Sorgen. Es ist eigentlich erstaunlich, von welcher Seite der Euro im Moment am stärksten kritisiert wird."

Auf die Frage, ob nach seiner Meinung die "anglo-amerikanischen Medien" hinter dem Angriff auf den Euro steckten, sagte Stark: "Vieles von dort liest sich so, als sollte von den Problemen vor der eigenen Haustür abgelenkt werden."

In einem Interview mit Jean-Claude Quatremer von der französischen Tageszeitung Libération machte der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker deutlich, dass jeder Rettungsplan der Eurozone darauf hinauslaufe, die Forderungen der Finanzmärkte zu befriedigen: "Der Plan der Griechen muss glaubwürdig sein. Wenn die Märkte den Kurs der griechischen Regierung nicht akzeptieren, müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden. Erst dann wird die Eurogruppe eingreifen."

Auf die Frage Quatremers, ob Deutschland einen Bail Out ablehne, erwiderte Juncker: "Deutschland hat im Unterschied zu Frankreich Probleme, eine solche Maßnahme innenpolitisch zu rechtfertigen. Daher hat Frankreich in dieser Frage eine aktivere Haltung." Juncker meinte aber, Paris werde seine Politik mit Berlin abstimmen.

Le Monde bemerkte, die Zusage eines Rettungsplans verletze "die Versprechen der Politiker, die sie der deutschen Öffentlichkeit gaben, als die Deutsche Mark gegen den Euro eingetauscht wurde. Der damalige bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber hatte sie in der Vorbereitungsphase auf den Euro Ende der 1990er Jahre geäußert. Er hatte versprochen, eine Union auf der Grundlage von Finanztransfers [zwischen Ländern] werde es genauso wenig geben wie eine Hungersnot in Bayern. Knapp zehn Jahre nach dem Beitritt zur Währungsunion sorgt Griechenland dafür, dass alle Regeln der Gemeinschaft über den Haufen geworfen werden."

Die Gewerkschaften ADEDY für den öffentlichen Dienst und GSEE für die Privatwirtschaft haben für den 24. Februar zu einem eintägigen Generalstreik gegen Papandreous Kürzungen aufgerufen.

Die Unklarheit über die Bedingungen für eine Hilfe für Griechenland wird als Waffe eingesetzt, um den Widerstand der Arbeiterklasse einzuschüchtern und Papandreous Kürzungen durchzusetzen.

Die Financial Times schrieb: "Um zu verhindern, dass die Entschlossenheit nachlässt, und als Warnung an andere steuertechnisch leichtfertige Länder muss jeder glauben, dass Griechenland tatsächlich vor die Wand fahren könnte. Das ist eine Bedrohung mit nuklearer Sprengkraft, neben der der Bankrott von Lehman Brothers wie ein kleines Feuerwerk aussieht. Gleichzeitig kann die Eurozone ein solches Szenario nicht wirklich in Betracht ziehen. Wenn Griechenland an den Kapitalmärkten kein Geld mehr bekommen und infolge dessen Bankrott anmelden sollte, dann würden die Zinsen für italienische, spanische und portugiesische Anleihen steil ansteigen. Kreditkosten würden weiter steigen, und die Wirtschaft der Eurozone, deren Erholung schon zum Stillstand gekommen ist, würde sich weiter verlangsamen."

Gleichzeitig erweisen sich die Zweifel an Griechenlands Zahlungsfähigkeit für Investoren höchst profitabel. Obwohl die Zinsen, die die griechische Regierung für ihre Anleihen anbieten muss, seit der deutsch-französischen Hilfszusage zurückgegangen sind, sind sie immer noch hoch. Sie stehen jetzt bei 5,1 Prozent für Zwei-Jahres-Anleihen und bei sechs Prozent für zehnjährige Anleihen.

Fondmanagerin Marine Michel von Montsegur Finance sagte gegenüber Reuters: "Die Befürchtungen wegen Griechenland sind überzogen. Die von Griechenland angebotenen Anleihen werfen deutlich mehr ab als viele Unternehmensanleihen und sind eine interessante Option."

Eine andere bedrohliche Debatte hat sich in der Presse darüber entwickelt, wie weit die staatliche Unterdrückung gehen muss, um die gigantischen Kürzungen durchzusetzen, die in Griechenland geplant sind. Das Land war noch bis 1974 von einer Militärdiktatur beherrscht.

Auf die Frage, wie viel "Widerstand" Kürzungsmaßnahmen provozieren könnten, antwortete der Kommentator der Financial Times, John Paul Rathbone: "Wie viel Leiden kann eine Bevölkerung ertragen? Nun, Demokratien organisieren selten Deflation, das ist also nicht sehr vielversprechend. Um derartige Haushaltskürzungen zu erreichen, wird Griechenland aber die Wirtschaft deflationieren müssen, Löhne und Preise müssen auf ein Niveau sinken, das Griechenland wieder konkurrenzfähig macht. Das ist das eigentliche Problem... Die Lage wird also sicher recht bewegt sein."

Siehe auch:
Die EU stellt Griechenland unter Zwangsverwaltung
(11. Februar 2010)
Griechenland: 24-Stunden-Streik im öffentlichen Dienst gegen das Sparprogramm der EU
( 11. Februar 2010)
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