Perspektive

EU-Gipfel führt zu schärferen Angriffen auf Arbeiterklasse

Die Vereinbarungen auf dem Gipfel der Europäischen Union vom Freitag haben die unmittelbare Gefahr eines Zusammenbruchs des Bankensystems abgewendet. Aber sie sind mit Maßnahmen verbunden, die die Angriffe auf die soziale Stellung der Arbeiterklasse in Europa weiter verschärfen werden.

Unter dem Druck Spaniens und Italiens stimmte Deutschland einem Vorschlag zu, der auch von Frankreich unterstützt wurde. Dadurch wird es unter dem EU-Rettungsschirm möglich sein, Geld direkt in spanische und italienische Banken zu pumpen, anstatt das Geld ihren Regierungen zu leihen, die es dann den Banken zur Verfügung stellen würden. Als Gegenleistung für dieses Zugeständnis beschloss der Gipfel, für die Eurozone eine gemeinsame Bankenaufsicht zu schaffen, die die bestehenden nationalen Bankenaufsichten ersetzen soll. Die Regierungschefs sicherten zu, diesen Beschluss bis Ende des Jahres umzusetzen.

Kanzlerin Angela Merkel war eigentlich entschlossen, an der alten Regelung festzuhalten. Sie musste jedoch nachgeben, denn bei einem Scheitern des Gipfels hätte es zu einem Zusammenbuch der weltweiten Aktienmärkte, einem Sturm auf die europäischen Banken und einem spekulativen Angriff auf den Euro kommen können.

Im Wesentlichen ergriff der Gipfel Notmaßnahmen, um Zeit zu gewinnen, damit die EU und die europäischen Regierungen ihre Sparprogramme weiter vorantreiben können. Die zentrale Botschaft lautete, dass die arbeiterfeindliche Offensive gegen Arbeitsplätze, Löhne und Sozialleistungen unvermindert fortgesetzt werden müsse. In diese Richtung ging vor allem der Beschluss, eine zentralisierte Bankenaufsicht für die Eurozone zu schaffen. Diese wird die Macht der Banken und ihre Kontrolle über die Wirtschafts- und Sozialpolitik noch weiter festigen.

An der Spitze der Kavallerie für eine Änderung der Banken Bailout-Regeln ritt der italienische Ministerpräsident Mario Monti. Die Protokolle der Diskussionen Montis mit Merkel sind zwar noch nicht verfügbar, aber aus den Berichten wird klar, dass der italienische Regierungschef deutlich machte, dass die Krise sich schnell vom italienischen und spanischen Bankensystem nach Deutschland ausbreiten werde, wenn keine Vereinbarung getroffen würde. Das heißt nichts anderes, als dass im Herzen der Eurozone das finanzielle Äquivalent des Prinzips der „sicheren gegenseitigen Vernichtung“ aus dem Kalten Krieg ins Feld geführt wurde.

Auch die amerikanische Regierung übte starken Druck auf Deutschland aus, Regeländerungen zuzulassen, die einen schnelleren Fluss öffentlicher Gelder an die Banken ermöglichen würden. Eine wachsende Rezession in Europa, gepaart mit finanzieller Unsicherheit, wirkt sich immer stärker auch auf die amerikanische und die Weltwirtschaft aus.

Merkel war bisher immer gegen direkte Bailout-Mittel für die Banken gewesen, weil sie Regierungsgarantien für das beste Mittel hielt, die deutschen Finanzinteressen zu schützen. Das führte aber zu einer Situation, in der die am meisten verschuldeten Länder immer enger mit den schwächsten Banken verquickt waren, wodurch sich die Instabilität des ganzen Finanzsystems erhöhte.

Die Bedeutung dieser Frage wurde in dem Schlusskommuniqué des Gipfels unterstrichen. Es beginnt mit den Worten: „Wir bekräftigen, dass der Teufelskreis zwischen Banken und Staatshaushalten unbedingt durchbrochen werden muss.“

Die Presse spekulierte jetzt, ob Deutschland eingeknickt sei, und ob es eine Aufweichung der Sparpolitik geben werde, die Deutschland immer gefordert hat. Aber die europäische Bankenaufsicht wird eher zu einer noch stärkeren Durchsetzung der Angriffe auf Sozialausgaben führen. Praktisch wird sie nicht nur eine strengere Bankenaufsicht bedeuten, sondern auch eine stärkere Kontrolle der Staatsausgaben.

Diese Einschätzung scheint hinter der unmittelbaren Reaktion der Märkte zu stehen. Am Freitag kam es auf den europäischen Aktienmärkten zu einer Kursrally, die den Leitwerten den höchsten Tagesgewinn seit Jahresbeginn einbrachte. Auch Staatsanleihen waren stark nachgefragt. Die Märkte in den USA registrierten ein- bis zweiprozentige Gewinne. Presseberichten zufolge reagierten die Finanzmärkte positiv auf die Schaffung der Bankenaufsicht.

Die Bekräftigung der Sparpolitik wurde am Freitag durch den Beschluss des Bundestages unterstrichen, dem Fiskalpakt mit großer Mehrheit zuzustimmen. Dessen Ziel ist es, in ganz Europa Ausgabenkürzungen durchzusetzen. Die oppositionellen Sozialdemokraten unterstützten Merkel.

Der Fiskalpakt wird als permanenter Mechanismus gesehen, Ausgabenkürzungen zu verhängen, anstatt ständig komplizierte Verhandlungen (wie im Fall des griechischen Austeritätsprogramms) führen zu müssen. Das ist der Hauptgrund, warum darauf verzichtet wurde, Spanien und Italien im Gegenzug zur Finanzierung ihrer Bankensysteme neue Kürzungsmaßnahmen aufzuzwingen. Anstatt ad hoc Verhandlungen über einzelne Kürzungen führen zu müssen, dient der Fiskalpakt als Rahmen für brutale Sparmaßnahmen als ständiger Prozess.

Nach dem Gipfel betonten Merkel und der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, gemeinsam, dass es Geld nur unter “strikten Bedingungen” geben werde. Das ist nur ein anderer Ausdruck für Lohn- und Rentenkürzungen und „Strukturreformen“, die Arbeitsplatzvernichtung, Arbeitsverdichtung und Privatisierung bedeuten.

Auch wenn die Finanzmärkte durch die Beschlüsse kurzfristig Auftrieb erhalten, und wenn ein solcher vielleicht sogar ein wenig anhält, glaubt niemand, dass dies langfristig eine Lösung bedeuten könnte. Viele befürchten, dass der 500 Milliarden Euro schwere Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) bei weitem nicht über ausreichend Mittel verfügt, um die Schulden Spaniens und auch Italiens zu decken. Es gibt sogar Zweifel, ob seine Mittel ausreichen, das Krisen-geschüttelte spanische Bankensystem zu reparieren.

Bezeichnenderweise wurden keine Beschlüsse gefasst, die ESM-Mittel aufzustocken, wogegen sich Deutschland vehement gewehrt hatte. Wie Kommentator der Financial Times, Wolfgang Münchau, am Sonntag in einer Kolumne feststellte, haben sich Deutschlands Verpflichtungen unter dem ESM nicht erhöht. „Jemand muss mir mal erklären“, schrieb er, „wie es sein kann, dass sich weder Deutschlands Gesamtverpflichtung noch die Politik der EZB geändert hat, aber die spanischen und italienischen Banken jetzt sicher sein sollen, während sie es vor einer Woche nicht waren.“

Merkel machte deutlich, dass sie es vollkommen ablehnt, mehr deutsches Geld zur Verfügung zu stellen. So sagte sie letzte Woche im Bundestag, es werde keine Eurobonds geben, „solange ich lebe“.

Andere führende Mitglieder der Eurozone unterstützen dagegen solche Maßnahmen. Vor diesem Hintergrund zeigen Merkels Worte, dass sich die Gegensätze zwischen den Großmächten trotz der jüngsten Gipfel-Übereinkünfte weiter zuspitzen. Die europäischen Regierungen haben keine einheitliche Antwort auf die Krise, geschweige denn eine Lösung. Das einzige, was sie vereint, ist ihre Entschlossenheit, die Angriffe auf die soziale Stellung der Arbeiterklasse zu verschärfen.

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