Schlecker droht Zerschlagung

Vergangene Woche kamen im Zusammenhang mit der Schlecker-Insolvenz die Namen zweier neuer potentieller Investoren ins Spiel – des Hedgefonds Cerberus und des US-Milliardärs Nicolas Berggruen. Cerberus, wegen seiner rüden Geschäftsmethoden verrufen, wurde kaum beachtet, Berggruen dagegen wurde von den Medien als Heilsbringer und als „Karstadt-Retter“ hochgejubelt.

Dabei hat Berggruen bisher außer dem symbolischen Kaufpreis von einem Euro noch keinen Cent in Karstadt investiert. Stattdessen hat er die Schließung der Elektronikabteilungen, von der ca. 1.000 Mitarbeiter betroffen sind, sowie die Auslagerung der Gastronomie mit ca. 1.400 Beschäftigten angekündigt.

Ein Blick auf Berggruens weltweite Engagements steht ebenfalls in krassem Widerspruch zu seinem Ruf als „sozialer Sanierer“: Im US-Bundesstaat Oregon kassierte er für die Übernahme einer Ethanolfabrik Steuernachlässe und Subventionskredite in zweistelliger Millionenhöhen und ließ sie anschließend pleitegehen. In der Türkei versprach er gegen staatliche Zuschüsse die Errichtung von Windrädern, hielt die Zusage aber nicht ein. Am Schwarzen Meer regt sich wegen der ökologischen Folgen seiner Wasserkraftprojekte der Widerstand der Bauern im Pontischen Gebirge.

Berggruen ist alles andere als ein uneigennütziger Menschenfreund und schon gar kein Retter von Arbeitsplätzen. Er hat bei einem vorhandenen Schlecker-Warenbestand in Höhe von 300 Millionen Euro ein überaus niedriges Gebot von 100 bis 150 Millionen Euro abgegeben, um in letzter Minute aus der Schieflage des Unternehmens Kapital zu schlagen.

Statt die Betroffenen über die in allen Medien verbreiteten Illusionen aufzuklären, reagierte die Gewerkschaft Verdi mit keinem Wort. Stattdessen traf sich ihr Vertreter letzten Freitag an einem nicht näher genannten Ort mit dem Gläubigerausschuss, um dort abgeschirmt von der Öffentlichkeit über die Zukunft Schleckers zu verhandeln. Nach dem Treffen erklärte Verdi-Sprecherin Christiane Scheller: „Wir sind im Sinne der Zukunft der Schlecker-Beschäftigten offen für Investoren, die den Erhalt der Arbeitsplätze im Blick haben und werden vorliegende Fortführungskonzepte sorgfältig prüfen und bewerten.“

Nicht ein Wort über die Einzelheiten des Gespräches! Nicht eine Silbe über die Entwicklung der Situation! Und das, obwohl am selben Tag einer der führenden Experten in Fragen des Einzelhandels, Prof. Jörg Funder vom Institut für internationales Handels- und Distributionsmanagement an der Hochschule Worms, die Zukunft Schleckers in den schwärzesten Farben malte.

Die Mitarbeiterinnen würden „in weiten Zügen ihre Arbeitsplätze verlieren“, sagte der mit den Geschäftszahlen Schleckers vertraute Funder gegenüber zahlreichen Medien. Er gehe davon aus, „dass nur knapp zweihundert der in Deutschland existenten Schlecker-Filialen weiterhin bestehen werden. Das heißt, alle anderen Filialen werden schließen und die Mitarbeiter, so traurig das sein mag, ihre Arbeitsplätze verlieren.“

13.000 Arbeitsplätze sind in allerhöchster Gefahr – und Verdi verhandelt hinter verschlossenen Türen mit dem Gläubigerausschuss, arbeitet weiter eng mit der Insolvenzverwaltung zusammen und lässt die Arbeiterinnen über alle wesentlichen Entwicklungen im Dunkeln!

Die Reaktion passt zu der Rolle, die Verdi bisher gespielt hat. Spätestens seit Sommer 2011 leistet die Gewerkschaft Anton Schlecker wertvolle Schützenhilfe. Es gibt Hinweise, dass sie sogar schon 2009 über Insolvenzpläne informiert worden ist. 2011 lobte Verdi-Chef Frank Bsirske die Unternehmensleitung in aller Öffentlichkeit für ihre „Anstrengungen im Umgang mit Mitarbeitern“ – kurz bevor damit begonnen wurde, Mitarbeiter zu entlassen und Filialen zu schließen.

Als im März diesen Jahres 11.200 Entlassungen ausgesprochen wurden, nahm Verdi das nicht nur ohne jegliche Kampfmaßnahmen hin, sondern sah die eigene Aufgabe darin, diese möglichst reibungslos zu organisieren. Nachdem eine Transfergesellschaft gescheitert war, die die Firma von Abfindungszahlungen entbunden hätte, forderte die Gewerkschaft die entlassenen Mitarbeiterinnen auf, weder gegen die Entlassung noch auf die Zahlung einer Abfindung zu klagen. Man dürfe potentielle Investoren nicht abschrecken, hieß es zur Begründung.

Um Investoren den Betrieb schmackhaft zu machen, bot Verdi anschließend Einsparungen in Höhe von 98 Millionen Euro an – nicht etwa durch Abzug des Geldes von möglichen ausländischen Konten der Familie Schlecker oder den Verzicht von Gläubigerforderungen, sondern durch den vorläufigen Verzicht der Mitarbeiter auf eine zweiprozentige Lohnerhöhung und das Urlaubsgeld. Als sei das noch nicht genug, schlug Verdi auch noch eine 10,5 prozentige Lohnkürzung über drei Jahre vor – angesichts der ohnehin niedrigen Bezahlung und der gegenwärtigen Inflation eine drastische Senkung des Reallohnes und des Lebensstandards der Betroffenen.

Auch das penetrante Verschweigen aller wesentlichen Informationen durch Verdi nützt einzig und allein der Insolvenzverwaltung, den Gläubigern und potentiellen Investoren. Obwohl es für die Mitarbeiterinnen um ihre Existenz geht, erfahren sie fast ausschließlich durch die Medien und immer erst in letzter Minute, wie der Stand der Dinge ist. Verdi versucht auf diese Weise nicht nur, die eigene Rolle bei den Verhandlungen zu verschleiern, sondern verhindert auch, dass sich die Mitarbeiterinnen unabhängig zur Wehr setzen.

Derzeit nutzen zahlreiche Unternehmen die Wirtschaftskrise und die damit einhergehende Angst der Beschäftigten vor der Arbeitslosigkeit, um zu „restrukturieren“, d.h. Löhne zu drücken, die Arbeitsleistung zu steigern und Konzernprofite zu erhöhen. Die Insolvenz ist dabei zu einem beliebten Mittel geworden. In den USA wurde General Motors auf diese Weise „saniert“. Die Löhne neu eingestellter Arbeiter sind nur noch halb so hoch wie vor der Insolvenz und die Sozialausgaben für die Belegschaft wurden drastisch gekürzt. Möglich war die Veränderung nur, weil die amerikanische Autogewerkschaft UAW sich ganz im Stile von Verdi mit der Insolvenzverwaltung gegen die Belegschaft verbündete.

Schlecker wird kein Einzelfall bleiben. Lohnkürzungen bei Schlecker haben unmittelbare Auswirkungen auf das Lohnniveau der ganzen Branche. Als nächstes werden Arbeiter der beiden anderen großen Drogerieketten dm und Rossmann unter Druck geraten, später auch weitere Unternehmen im Einzelhandel. Schlecker schafft momentan einen Präzedenzfall für Unternehmens-„Restrukturierungen“ und massive Angriffe auf die Arbeiter über eine Insolvenz.

Aus diesem Grund kommt der Verteidigung der Löhne und Arbeitsplätze bei Schlecker eine große Bedeutung zu. Um ihre Interessen zu vertreten, müssen die Mitarbeiterinnen zuallererst Verdi das Verhandlungsmandat entziehen und den Kampf unabhängig von der Gewerkschaft organisieren. Sämtliche Bücher der Firma und der Familie Schlecker sowie alle Angebote der Investoren und deren Bedingungen müssen offengelegt werden.

Lars und Meike Schlecker, die durch die Arbeit der Mitarbeiterinnen reich geworden sind, müssen gezwungen werden, Rechenschaft über ihr Privatvermögen ablegen. Zudem müssen alle Protokolle der Treffen des Gläubigerausschusses, sowie der Verhandlungen zwischen Insolvenzverwaltung, Betriebsrat und Gewerkschaft veröffentlicht werden. Zukünftige Treffen müssen öffentlich abgehalten werden.

Die Geheimhaltungspolitik Verdis zu durchbrechen ist die erste Voraussetzung für die Arbeiterinnen, unabhängig in das Geschehen einzugreifen. Damit sich die Schlecker-Mitarbeiterinnen über diese Forderung austauschen und sich organisieren können, hat die WSWS zusammen mit der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) ein Diskussionsportal im Internet eingerichtet. Wir rufen alle Mitarbeiterinnen auf, sich daran zu beteiligen und lokale Aktionskomitees aufzubauen.

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