Der Marxismus und die Globalisierung der Produktion

Vortrag von Nick Beams

Sicherlich wird man in den kommenden Jahren – so kurz vor Ende des Jahrhunderts und Anbruch eines neuen Jahrtausends – oft Rückschau auf das zwanzigste Jahrhundert halten. Ohne Zweifel wird dabei eins der wichtigsten Themen die enorme Veränderung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens sein: Der riesige technische Fortschritt hat die Globalisierung beinahe aller Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft hervorgebracht.

Internationale Telekommunikationssysteme transportieren riesige Informationsmengen rund um die Welt. Mit ihnen werden die internationalen Handels- und Finanzmärkte in Gang gehalten und es wird ermöglicht, die Produktion in weit auseinander gelegenen Gebieten zu organisieren und verschiedene Aktivitäten über Kontinente hinweg zu koordinieren.

Untersuchen wir hingegen die gesellschaftliche Lage der Menschheit im Vergleich zum Fortschritt der Technologie, so fällt dabei ein offensichtlicher Gegensatz ins Auge.

Jede Sozialstatistik zeigt den Niedergang im Lebensstandard der breiten Masse der Bevölkerung und wachsende soziale Ungleichheit. Die Arbeitslosigkeit ist nicht mehr zyklisch, d.h. sie fällt und steigt nicht mehr mit dem Auf und Ab der Konjunktur, sondern sie ist mittlerweile fester Bestandteil der Wirtschaftsstruktur aller größeren kapitalistischen Länder. Soziale und wirtschaftliche Unsicherheit gehören zum täglichen Leben.

Und fast jeder Tag bringt Nachrichten von neuen Katastrophen, wenn zum Beispiel Tausende Flüchtlinge in Zaire "verschwinden" oder ein Schiff voller Flüchtlinge aus Albanien untergeht. Technologie und Arbeitsproduktivität machen enorme Fortschritte, – und gleichzeitig nimmt die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit ständig zu. Letztes Jahr hat ein UN-Bericht aufgedeckt, daß die 358 Milliardäre der Welt über so viel Vermögen verfügen wie 2,5 Milliarden Menschen – fast die Hälfte der Weltbevölkerung – in einem Jahr an Einkommen.

Die Statistiken über die Einkommens- und Vermögensverteilung sind sich in allen größeren kapitalistischen Ländern ziemlich ähnlich. In den USA verdienen ein Drittel aller Männer zwischen 25 und 34 Jahren weniger Geld, als notwendig ist, um eine vierköpfige Familie vor Armut zu bewahren. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird der durchschnittliche reale Stundenlohn für Arbeiter Ende dieses Jahrhunderts auf das Niveau von 1950 absinken.

In Großbritannien leben dreizehn bis vierzehn Millionen Menschen in Armut, während der Reichtum der obersten zehn Prozent der Bevölkerung seit 1979 um mehr als 61 Prozent gestiegen ist. Das Einkommen des reichsten Fünftels der Bevölkerung ist heute zehnmal höher als das des ärmsten Fünftels. Zum ersten Mal in diesem Jahrhundert sinkt die Lebenserwartung junger britischer Männer wieder.

Diese wirtschaftlichen Entwicklungen haben eine politische Lage geschaffen, die überall gleich ist: alle Organisationen, die einmal behauptet haben, sie seien Vertreter der Arbeiterklasse, gehen dazu über, die rücksichtslosesten Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne, Bildung und Sozialleistungen zu befürworten. Deshalb haben große Teile der Bevölkerung auf der ganzen Welt das Gefühl, nichts sei mehr so, wie es war, die wirtschaftliche Entwicklungen gerate außer Kontrolle, und alte Rezepte griffen nicht mehr.

Durch den Bankrott der sozialreformistischen Programme und durch die Tatsache, daß eine politische Massenbewegung der Arbeiterklasse fehlt, die der bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Ordnung die Stirn bieten könnte, ist ein politisches Vakuum entstanden. Das ist der Grund, warum jetzt wieder extrem rechte und potentiell faschistische Bewegungen auftreten und ihre Hetze gegen Ausländer und Flüchtlinge verbreiten können.

Journalisten berichten tagtäglich über rassistische Auswüchse, aber sie umgehen die Frage: Was ist eigentlich mit einer Gesellschaft und Wirtschaft los, die ein Klima geschaffen hat, in dem solche Auswüchse wachsen und gedeihen können?

Für die Hohen Priester dieses Systems, die Berufsökonomen in den Chefetagen und an den Universitäten, die Vertreter der Banken und Finanzunternehmen ist der Weltmarkt in Wirtschaft und Gesellschaft die oberste Instanz, deren Geboten man sich unterwerfen muß. Soweit sie sich überhaupt zu dem sinkenden Lebensstandard und der schlechten sozialen Lage äußern, ist ihre Antwort darauf die Forderung nach höherer Produktivität – was den weltweiten Kampf um Marktanteile voraussetzt.

Wenn aber die Antwort auf den sinkenden Lebensstandard in einer noch höheren Arbeitsproduktivität und Effizienz und in dem ungehinderten Wirken der allmächtigen Marktkräfte besteht, wie kommt es dann, daß der Lebensstandard der Bevölkerung in einem historisch einmaligen Ausmaß sinkt, während die Arbeitsproduktivität wie nie zuvor in der menschlichen Geschichte steigt?

In der Wirtschaft werden für Arbeitsabläufe, die vor nur zwei Jahrzehnten noch Tausende, manchmal Zehntausende von Arbeitern erfordert hatten, nur noch ein paar Dutzend Arbeiter benötigt. Trotzdem war der Lebensstandard Ende der sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre höher. Die staatlichen Sozialleistungen wurden damals ausgebaut. Heute, wo die Produktivität enorm angestiegen ist, werden sie wieder zerstört.

Während die Vertreter der Banken und Finanzunternehmen fordern, daß man sich dem Diktat des Marktes unterwerfen müsse, gründet sich das Programm kleinbürgerlicher Politiker auf die Forderung, die Wirtschaft nationalstaatlich zu regulieren. Von Kräften wie Le Pen in Frankreich oder Pauline Hanson in Australien2 bis hin zu den radikalen Protestlern der International Socialists3 , der Democratic Socialist4 und der Spartacist5– kann ihre Politik in einem Satz zusammengefaßt werden: Vorwärts in die Vergangenheit!

Die kleinbürgerlichen Radikalen stoßen die wüstesten Beschimpfungen gegen die Rechten aus, aber im wesentlichen beruht ihre Politik auf der gleichen Grundlage. Sie alle bestehen darauf, daß man den alten nationalen Organisationen, der Labor Partei und den Gewerkschaften, irgendwie neues Leben einhauchen müsse, und daß es auch in Zukunft möglich sei, durch Druck auf den nationalen Staat Zugeständnisse zu bekommen.

Das ist der Grund, warum sie in all ihren Veröffentlichungen darauf beharren, daß die Globalisierung der Produktion – eine der wichtigsten Veränderungen in der Geschichte des Weltkapitalismus überhaupt – ein bloßer Mythos sei, eine Propagandakampagne der herrschenden Klasse mit dem Ziel, die Arbeiter ihrem Diktat unterzuordnen. Es sei immer noch möglich, behaupten sie, den Nationalstaat dazu einzusetzen, dem Kapital Zugeständnisse abzuringen, wenn man bloß wolle.

Das Programm der Socialist Equality Party, das sich auf den Marxismus gründet, steht in direktem Gegensatz zu all diesen Tendenzen. Weder verfluchen wir die globalisierte Produktion, noch leugnen wir ihre Bedeutung. Wir fordern auch nicht, daß sie durch den kapitalistischen Nationalstaat eingeschränkt und kontrolliert werden möge.

Unser Ziel besteht vielmehr darin, die Bedeutung dieser historischen Veränderung des Weltkapitalismus aufzuzeigen und uns auf die gewaltigen sozialen Explosionen vorzubereiten, die von ihr erzeugt werden. Und vor allem liegt uns daran, eine neue Führung der internationalen Arbeiterklasse aufzubauen, um die politischen Aufgaben zu lösen, die jetzt auf der geschichtlichen Tagesordnung stehen.

Eine qualitative Veränderung des Produktionsprozesses

Laßt mich zunächst erläutern, was mit Globalisierung gemeint ist. Über diese Frage ist von den verschiedenen radikalen Organisationen nicht wenig Verwirrung gestiftet worden. Da der Kapitalismus gewissermaßen schon immer ein internationales System gewesen ist – seine Ursprünge liegen in der Entwicklung des Weltmarktes nach den großen Entdeckungen des 16. Jahrhunderts – behaupten sie, in den letzten zwanzig Jahren habe sich nichts Grundlegendes verändert.

So spricht etwa die Democratic Socialist Party vom "Mythos der Globalisierung". Die International Socialists bestehen darauf, daß das heutige System zwar ein internationales sei, was aber schon immer so gewesen sei, während die Spartakisten erklären, daß jede neue Analyse ein "Verrat" sei, weil Lenin 1916 in seinem Werk über den Imperialismus schon alles gesagt habe, was es zu sagen gebe.

Es ist sicherlich wahr, daß der Kapitalismus schon immer ein internationales Wirtschaftssystem gewesen ist. Der Prozeß der Globalisierung ist jedoch nicht einfach eine quantitative Zunahme der traditionellen internationalen Aktivitäten kapitalistischer Konzerne, Banken und Börsen.

Sie bezieht sich auf ganz bestimmte qualitative Veränderungen in der Struktur der kapitalistischen Produktion – eine grundlegende Reorganisierung der Produktion.

Früher fand die Produktion größtenteils innerhalb der Grenzen der jeweiligen nationalen Wirtschaft statt. Der Welthandel bestand im wesentlichen aus dem Import von Rohstoffen und Lebensmitteln aus verschiedenen Teilen der Welt und dem Export von Fertigprodukten. Aber innerhalb dieses Systems des internationalen Austausches fand die Produktion selbst im nationalen Rahmen statt.

So war Opel seit den zwanziger Jahren das deutsche Tochterunternehmen von General Motors, eines internationalen oder multinationalen Konzerns. Opel funktionierte jedoch als nationaler Hersteller. Er produzierte ein deutsches Auto für den deutschen Markt.

So wurden ganz allgemein Produkte im wesentlichen innerhalb einer einzigen nationalen Wirtschaft hergestellt, wobei man dazu Arbeitskräfte aus dem betreffenden Land heranzog.

Das ist heute aber nicht mehr so. Eine neue internationale Arbeitsteilung hat sich herausgebildet, die von einer Entflechtung des Produktionsprozesses und seiner Verlagerung in verschiedene Erdteile gekennzeichnet ist. Träger dieser Entwicklung ist der transnationale Konzern, und wenn wir nur ein paar Statistiken anschauen, können wir das Ausmaß seiner Aktivitäten ermessen.

Schätzungsweise ein Fünftel bis ein Viertel der gesamten Weltproduktion wird von transnationalen Konzernen getätigt, wobei ein immer größerer Anteil des Welthandels innerhalb internationaler Firmen stattfindet. Schätzungen zufolge wird mehr als die Hälfte des gesamten Handels zwischen den USA und Japan von transnationalen Konzernen abgewickelt. Vier Fünftel der britischen Exporte laufen innerhalb britischer Firmen mit ausländischen Tochtergesellschaften oder innerhalb ausländischer Unternehmen mit britischen Ablegern ab.

Das Ausmaß des Globalisierungsprozesses kann man an der Zunahme ausländischer Direktinvestitionen ablesen. In den siebziger Jahren stiegen diese etwa genauso schnell wie die inländische Produktion und inländische Investitionen. Anfang der achtziger Jahre überholten sie jedoch in ihrem Wachstum die anderen beiden, und im Zeitraum von 1985-90 stiegen die ausländischen Direktinvestitionen viermal so schnell wie die inländische Produktion und doppelt so schnell wie die inländischen Investitionen.

Die Bedeutung dieser statistischen Zahlen liegt nicht im rein Quantitativen. Sie sind vielmehr Ausdruck einer qualitativen Veränderung der Produktionsorganisation. Mit ihr erreicht ein Prozeß seinen Höhepunkt, der sich durch die gesamte geschichtliche Entwicklung des Kapitalismus hinzieht.

Das Kapital existiert, wie Marx erklärte, in drei Formen: als Warenkapital – die von kapitalistischen Firmen produzierten Güter – als Geldkapital, und als Produktivkapital – Maschinen und Rohstoffe. In den früheren Perioden der Geschichte des Kapitalismus hat sich zunächst das Kapital in Warenform globalisiert (durch Ausdehnung des Welthandels), dann das Kapital in Geldform (durch das Anwachsen internationaler Investitionen und Finanzen). Das Kapital in produktiver Form – Maschinerie und Rohstoffe, mit denen durch die lebendige Arbeit der Arbeiterklasse im Produktionsprozeß Profit erzielt wird – blieb jedoch an den Nationalstaat gebunden.

Das ist nicht länger der Fall. Das Kapital in produktiver Form ist global geworden.

Neben der Trennung des Produktivkapitals vom Nationalstaat hat sich noch eine weitere qualitative Veränderung im Weltkapitalismus vollzogen. Diese könnte man die Trennung der Profitakkumulation von der Hebung des Lebensstandards der arbeitenden Bevölkerung nennen. Während des Nachkriegsbooms führten Wirtschaftswachstum und höhere Profite unmittelbar zu mehr Beschäftigung, steigenden Löhnen und höherem Lebensstandard. Als in den fünfziger Jahren Charles Wilson, der damalige Chef von General Motors, behauptete: "Was für GM gut ist, ist gut für Amerika", so steckte darin ein Körnchen Wahrheit.

Auch das trifft nicht länger zu. Heute wird in jedem kapitalistischen Land vor allem dadurch Profit akkumuliert, daß man intern die Kosten senkt, indem man Arbeitsplätze vernichtet und neue, rationellere Arbeitsmethoden entwickelt, gemäß dem Gesetz: wer am schnellsten abbaut, macht die höchsten Profite.

Die Produktion des Mehrwerts

Bis jetzt haben wir auf einige grundlegende Tendenzen der heutigen kapitalistischen Produktion hingewiesen. Was aber sind die treibenden Kräfte hinter diesem Prozeß, und wie kann man sie auf der Grundlage einer Analyse der gesamten historischen Entwicklung des Kapitalismus verstehen? Auf diese Fragen will ich nun eingehen.

Marx bemerkte einmal, daß der Schlüssel zum Verständnis einer jeden Klassengesellschaft darin bestehe, die Art und Weise zu verstehen, wie die herrschenden Klassen aus den unmittelbaren Produzenten Mehrwert herauspressen.

In der Sklaverei und im Feudalismus, den Vorgängern des Kapitalismus, fand dieser Prozeß durch Anwendung von politischer Macht und nackter Gewalt statt, also durch nicht-ökonomische Methoden. Der Bauer oder Sklave wurde gezwungen, den besitzenden Klassen das zu übereignen, was an Wert das zur Erhaltung seiner eignen Existenz Notwendige überstieg.

In der kapitalistischen Gesellschaft findet dies nicht durch politischen Zwang statt, sondern es ist das Ergebnis von Wirtschaftsabläufen in einem Produktionssystem, das auf Lohnarbeit beruht.

Im Gegensatz zum Feudalismus und der Sklaverei ist im Kapitalismus dieser Prozeß jedoch alles andere als klar durchschaubar. Er wird dort vielmehr von dem Umstand verschleiert, daß die Ausbeutung auf der Grundlage der Gleichheit stattzufinden scheint: Der Käufer der Arbeitskraft – der Kapitalist – und der Verkäufer der Arbeitskraft – der Lohnarbeiter – stehen sich am Markt als scheinbar Gleiche gegenüber.

Hinter dieser scheinbaren Gleichheit steht ein ganzer historischer Prozeß, der zur Schaffung einer Klasse "freier" Lohnarbeiter geführt hat, die vollständig von den Produktionsmitteln getrennt worden sind und nichts außer ihrer Arbeitskraft zu verkaufen haben. In den entwickelten kapitalistischen Ländern fand dieser Prozeß vor vielen Jahrhunderten statt, man kann ihn aber heute in allen Ländern Asiens beobachten. In China beispielsweise treibt es Dutzende und Hunderte Millionen Bauern in die Städte, wo sie nichts als ihre Fähigkeit, zu arbeiten, bzw. ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben.

Der Ursprung des Mehrwerts liegt in der Differenz zwischen dem Wert der Arbeitskraft – der Ware, die der Arbeiter dem Kapitalisten verkauft – und dem Wert, den der Arbeiter dem hinzufügt, was an einem Arbeitstag an verbrauchter Maschinerie und Rohstoffen in die Produktion der Waren eingeht. Es ist dieser zusätzliche Wert, oder Mehrwert, der den Wert der Arbeitskraft des Arbeiters übersteigt, der die Grundlage des Profits und der Akkumulation von Kapital bildet.

Der Prozeß der Kapitalakkumulation, das Herz der kapitalistischen Produktion, ist jedoch von einem grundlegenden Widerspruch bestimmt, dem man nicht entgehen kann. Während die alleinige Quelle des Mehrwerts und damit der Kapitalakkumulation die lebendige Arbeitskraft ist, führt eben der Prozeß der Kapitalakkumulation dazu, daß die lebendige Arbeit einen immer kleineren Bestandteil des im Produktionsprozeß eingesetzten Gesamtkapitals ausmacht. Anders ausgedrückt: Lebendige Arbeit von gegebener Größe – die alleinige Quelle des Mehrwerts – muß Kapital von immer größerer Menge immer weiter ausdehnen. Daraus ergibt sich, daß die Profitrate, von der die Ausdehnung des gesamten Kapitals abhängt, tendenziell fallen muß.

Diese Tendenz war bereits zu Tage getreten, bevor Marx mit seiner Analyse begonnen hatte, und alle bürgerlichen Ökonomen vor ihm hatten sich deswegen Sorgen gemacht, da sie auf eine Grenze hinzudeuten schien, die der kapitalistischen Produktion selbst innewohnte. Adam Smith schrieb sie den Auswirkungen der Konkurrenz zu, während Ricardo annahm, daß sie aus einer sinkenden Produktivität der Landwirtschaft herrühre.

Marx hingegen zeigte, daß der tendenzielle Fall der Profitrate sich aus der Entwicklung der kapitalistischen Produktion selbst ergab. Ihr Grund lag nicht im Sinken der Arbeitsproduktivität, sondern in ihrem Ansteigen. Das Anwachsen des Kapitals – Maschinen, Fabriken, Rohstoffe – widerspiegelte die wachsende gesellschaftliche Produktivität der Arbeit. Aber genau dieser Anstieg des Kapitals im Verhältnis zur lebendigen Arbeit führte zum tendenziellen Fall der Profitrate.

Die langfristige Entwicklung des Kapitalismus

Marx betrachtete das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate als "wichtigstes Gesetz der modernen politischen Ökonomie", vor allem "vom historischen Standpunkt aus".

Seine historische Bedeutung liegt in der Tatsache, daß es zum einen den unerbittlichen Zwang des Kapitals enthüllt, die Produktivkräfte und die gesellschaftliche Produktivität der Arbeit zu entwickeln. Zum andern verdeutlicht es, wie diese ständige Revolutionierung der Produktivkräfte unausweichlich zum Zusammenbruch des gesellschaftlichen Systems führt, das auf Ausbeutung von Lohnarbeit durch das Kapital beruht und die objektiven Bedingungen für die sozialistische Umwandlung der Gesellschaft und die Entwicklung einer höheren Form der gesellschaftlichen Produktion schafft.

Ich werde jetzt kurz die historische Entwicklung der kapitalistischen Produktionsform vom Standpunkt der Wirkungsweise dieses Gesetzes erläutern. Vorher möchte ich jedoch zwei wichtige Punkte betonen: Erstens bedeutet das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate nicht, daß man damit jede einzelne wirtschaftliche Entwicklung im Kapitalismus erklären kann.

Zweitens besagt das Gesetz nicht, daß die Profitrate ständig und überall fällt. Im Gegenteil löst gerade die Auswirkung dieser Tendenz, wie alle anderen Gesetze der kapitalistischen Produktion, Gegentendenzen aus. Und diese Gegentendenzen – das verzweifelte Bemühen kapitalistischer Konzerne, durch Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Produktion von Mehrwert dem Fall der Profitrate entgegenzuwirken – können Perioden kapitalistischen Aufschwungs hervorbringen.

Wenn wir die historische Entwicklung des Kapitalismus auf der Grundlage dieses Gesetzes untersuchen, können wir jedoch sowohl die Perioden kapitalistischen Aufschwungs als auch den Ausbruch von Krisen erklärten, sowie den Übergang von einem zum andern.

Betrachten wir die Entwicklung des Kapitalismus während der letzten 150 Jahre – von 1847, als Marx und Engels das Kommunistische Manifest schrieben, bis heute –, so können wir dabei sehr unterschiedliche Phasen in der langfristigen kapitalistischen Entwicklung eindeutig identifizieren. Wir sehen dabei deutlich Wendepunkte von Perioden rascher Ausdehnung der Profite zu solchen der Stagnation und des Fallens.

Als das Kommunistische Manifest geschrieben wurde, war Europa auf dem Höhepunkt gesellschaftlicher und politischer Umwälzungen angelangt, die in den Revolutionen von 1848 zum Ausbruch kommen sollten. Nach den Jahren der Stürme und Erschütterungen kam dann eine Periode enormen wirtschaftlichen Wachstums, die etwa 25 Jahre lang andauerte.

Die Finanzkrise von 1873 markierte einen Wendepunkt. Die unmittelbare Krise wurde zwar überwunden, ihre Lösung bedeutete aber keine Rückkehr zu den Zeiten des Aufschwungs der zwei vorangegangenen Jahrzehnte. Im Gegenteil, es folgte eine zwanzigjährige Periode niedriger Preise und Profite. Tatsächlich nannte man vor den dreißiger Jahren in der ökonomischen Literatur jene Zeit die Große Depression.

In dieser Periode war der ständige Druck auf die Profitrate die treibende Kraft hinter den Veränderungen im Produktionsprozeß und der Entwicklung neuer Formen der Massenproduktion, die im harten Konkurrenzkampf um Märkte und Profite Kostensenkungen bringen sollten. Er gab auch den Anstoß dazu, daß sich alle größeren kapitalistischen Mächte Kolonien, Einflußsphären und Imperien verschafften. So war z.B. vor 1870 gerade ein Zehntel Afrikas von den europäischen kapitalistischen Mächten kolonisiert worden. Gegen Ende des Jahrhunderts befanden sich neunzig Prozent des gesamten Kontinents unter kolonialer Herrschaft.

Der große Anstieg der Arbeitsproduktivität im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts und die Ausbeutung der Kolonien stoppte schließlich den Fall der Profitrate und eröffnete eine neue Periode kapitalistischen Aufschwungs. Plötzlich, Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, verzogen sich die dunklen Wolken der Depression, die bis dahin den wirtschaftlichen Horizont verfinstert hatten. Es schien, als sollten sich alle bürgerlichen Versprechen einer neuen Ära der Zivilisation erfüllen.

Die Euphorie, die von dieser Wachstumsperiode ausging, war so machtvoll, daß sie auch innerhalb der marxistischen Bewegung ihren Niederschlag fand. Eduard Bernstein, einer der Führer der deutschen Sozialdemokratie, kam zu dem Schluß, daß die Marx’sche Theorie des kapitalistischen Zusammenbruchs von der Geschichte widerlegt worden sei. Die deutsche Sozialdemokratie, argumentierte er, solle deshalb ihr Programm der sozialen Revolution aufgeben und sich in eine Partei der sozialen Reform im Rahmen des Kapitalismus umwandeln. Die Ideale des Sozialismus würden in Wirklichkeit nicht durch den Sturz der alten Ordnung verwirklicht werden, sondern durch deren größte Ausdehnung.

Weit davon entfernt, eine neue Ära der Zivilisation einzuleiten, führte aber diese Ausdehnung des Kapitalismus zum Ausbruch der Barbarei des Ersten Weltkriegs. Der Kriegsausbruch bedeutete eine scharfe Wende in der kapitalistischen Entwicklung. Nach Kriegsende gab es kein Zurück zu den Vorkriegsbedingungen mehr.

Tatsächlich erreichte Europa erst 1926, also acht Jahre nach Kriegsende, wieder den Stand der Produktion von 1913. Dann genoß es lediglich drei kurze Jahre relativer Blüte, bevor das kapitalistische Weltsystem in die Depression der dreißiger Jahre stürzte. Diese wurde erst überwunden, als man die Produktion für den nächsten Krieg ankurbelte.

In der Nachkriegsperiode gelangte das kapitalistische Weltsystem zu einem neuen politischen Gleichgewicht, das selbst die Hoffnungen seiner optimistischsten Vertreter übertraf und den Rahmen für seine größte Ausdehnung absteckte.

Dieser Prozeß hat verschiedene Seiten und Aspekte. Die Nachkriegsordnung war das Ergebnis einer komplexen Abfolge wirtschaftlicher Entwicklungen und politischer Initiativen. In der uns hier zur Verfügung stehenden Zeit kann ich, auch auf die Gefahr übermäßiger Vereinfachung hin, nur auf die grundlegenden wirtschaftlichen Prozesse eingehen, die dabei eine Rolle spielten.

Was war der Grund, daß in der Nachkriegszeit die Profite und Märkte ständig ausgedehnt wurden, und der Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten, zumindest in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern, ansteigen konnte?

Vor allem war es nach 1945 die Ausdehnung des Fließbands und die damit verbundenen produktiveren Methoden des amerikanischen Kapitalismus auf die anderen kapitalistischen Länder. Das Fließband, das zuerst 1913 von Henry Ford entwickelt worden war, führte zu einem enormen Anstieg der Arbeitsproduktivität und hob die Produktion von Mehrwert auf neue Höhen.

Der gewaltige Anstieg der Rentabilität, den die Ausweitung dieser Methoden auf alle Industriezweige mit sich brachte, und das Wachstum der nationalen Märkte bildeten die materielle Grundlage für die steigenden Reallöhne und sozialen Errungenschaften, die breiten Schichten der Arbeiterklasse in den entwickelten kapitalistischen Ländern während der Nachkriegszeit zugute kamen.

Während der Kapitalismus zwar in der Lage war, über einen ausgedehnten Zeitraum hinweg ein wirtschaftliches und politisches Gleichgewicht zu errichten und aufrechtzuerhalten, konnte er doch die ihm innewohnenden grundlegenden Widersprüche nicht überwinden. Daher führte genau diese Ausdehnung des Kapitals dazu, daß die Profitrate tendenziell wieder fiel. Ende der sechziger Jahre trat diese Tendenz offen zutage.

Der Weltkapitalismus wurde von einer Reihe wirtschaftlicher Störungen erschüttert. Das 1944 als finanzielle Achse der Nachkriegsordnung vereinbarte internationale Währungssystem von Bretton Woods brach zusammen, als Präsident Nixon 1971 einseitig die Golddeckung des US-Dollars aufhob. Es folgten galoppierende Inflation und der Ölpreisboom von 1973, und 1974/75 die tiefste weltweite Rezession seit der großen Depression der dreißiger Jahre. Anschließend fand wieder ein wirtschaftlicher Aufschwung statt, ohne daß jedoch die Bedingungen der fünfziger und sechziger Jahre zurückkehrten.

1981/82 folgte eine noch tiefere Rezession und zeigte, daß die inflationäre Krise von 1973 und die Rezession 1974/75 nicht einfach eine Schwankung im Konjunkturverlauf darstellten, sondern einen Wendepunkt in der langfristigen Entwicklung des Kapitalismus.

In Anlehnung an die Meteorologie könnte man eine Schwankung des Konjunkturverlaufs mit einem Wetterumschwung, eine längerfristige Veränderung dagegen mit einem grundlegenden Klimawechsel vergleichen. Nach 1974/75 machte das gesamte wirtschaftliche Klima eine Veränderung durch. Während sich den Firmen in den fünfziger und sechziger Jahren wachsende Märkte und Anlagemöglichkeiten eröffnet hatten, wurde ihre Situation jetzt durch Druck auf die Profitraten bestimmt.

Das Kapital reagierte auf die fallenden Profitraten genauso, wie es früher schon darauf reagiert hatte. Es strebte Kostensenkungen und Produktivitätssteigerungen an. Zunächst gab es Versuche, die Ausbeutung im Rahmen der alten Produktionsweise zu verschärfen. Das brachte jedoch nur begrenzte Ergebnisse ein und stieß außerdem auf erbitterten Widerstand der Arbeiterklasse.

Die entscheidende Veränderung bestand dann in der Entwicklung neuer Produktionsformen.

Von Beginn der siebziger Jahre an begannen Industrien wie Textil und Mikroelektronik, bestimmte Bestandteile des Produktionsprozesses auszulagern und sogar die ganze Fertigung außerhalb eines Landes aufzubauen. Die Verbilligung des Transports und die Entwicklung der Telekommunikation erleichterte es ihnen, vormals zusammengehörige Produktionsprozesse aufzubrechen und die arbeitsintensiveren Bestandteile in Billiglohnländer Lateinamerikas und Asiens zu verlagern.

Noch weitreichendere Veränderungen sollten in den achtziger Jahren stattfinden. Die Entwicklung des Mikroprozessors und die immer schnelleren Fortschritte in der Chip-Technologie ermöglichten es, Computer ins Herz des Fertigungsprozesses einzuführen, bald darauf wurden auch weite Bereiche der Unternehmensverwaltung durch computergestützte Systeme ersetzt – beides Prozesse, die sich während des letzten Jahrzehnts noch beschleunigt haben.

Was als Kostensenkung begann, hat jetzt zu völlig neuen Produktionsformen geführt. Die Produktion wird mit Hilfe von Computern auf weltweiter Ebene organisiert, von der Fertigung über das Design und von der Buchhaltung bis hin zum Management.

Nun kommen wir zur wichtigsten Frage überhaupt: Worin besteht die historische Bedeutung all dieser enormen Veränderungen, und was sind die Schlußfolgerungen daraus für die internationale Arbeiterklasse?

Folgt man den bürgerlichen Ökonomen und Journalisten, so werden die gegenwärtigen Umwälzungen irgendwann doch noch eine neue Blüte von Reichtum und hohem Lebensstandard hervorbringen, so wie das auch in der Vergangenheit schon bei großen technologischen Neuerungen der Fall gewesen war. Das mag mit einigen gesellschaftlichen Verwerfungen einhergehen, aber alles werde sich schließlich zum Besten wenden in der besten aller Welten – solange nur jedermann sich bedingungslos den Diktaten des Marktes unterwirft. Darin besteht ihre ganze Weisheit.

Zwei widersprüchliche Folgen der Technologie

Solche Beruhigungspillen helfen uns natürlich nicht weiter. Wenn wir aber die Auswirkungen der technologischen Neuerungen auf die Akkumulation von Mehrwert untersuchen, dann werden wir ihre revolutionären Konsequenzen begreifen.

Technologische Neuerungen, die die Arbeitsproduktivität erhöhen, haben zwei gegensätzliche Auswirkungen auf die Akkumulation von Mehrwert. Da sie die lebendige Arbeit aus dem Produktionsprozeß verdrängen, tendieren sie einerseits dazu, die Gesamtmasse des vom Kapital angeeigneten Mehrwerts zu verringern. Andererseits tendieren sie dazu, die Masse des Mehrwerts zu erhöhen, indem der aus jedem einzelnen im Produktionsprozeß verbleibenden Arbeiter herausgepreßte Mehrwert gesteigert wird.

Es stellt sich also im wesentlichen folgende Frage: Kann die enorme Steigerung der Arbeitsproduktivität, die aus der technologischen Neuerung hervorgeht, noch einmal eine Steigerung der Masse des Mehrwerts bewirken und zu einer neuen Periode kapitalistischer Expansion und Wohlstands für die Weltbevölkerung führen?

Die Antwort ist Nein, denn der Entwicklung des Kapitalismus sind Grenzen gesetzt, die aus dem System der Lohnarbeit selbst erwachsen. Wir wollen an Hand eines einfachen Beispiels zeigen, daß einer unbeschränkten kapitalistischen Expansion unüberwindliche Grenzen gesetzt sind.

Angenommen in einer Firma arbeiten 100 Arbeiter acht Stunden am Tag; sechs Stunden brauchen sie, um ihren Lohn – den Preis ihrer Arbeitskraft – zu reproduzieren, während zwei Stunden Mehrarbeit sind, die sich der Kapitalist aneignet. In diesem Fall beträgt die Gesamtmasse der Mehrarbeit 200 Stunden.

Angenommen, die Produktivität der Arbeit werde nun verdoppelt und die Anzahl der Arbeiter halbiert. Dann teilt sich der Arbeitstag folgendermaßen auf: In drei Stunden (halb so viel wie vorher) reproduziert der Arbeiter seinen Lohn, und fünf Stunden sind Mehrarbeit. In diesem Fall beträgt die Gesamtmasse des Mehrwerts 250 Stunden. Obwohl also die Anzahl der Arbeiter um 50 reduziert worden ist, hat sich die Gesamtmasse des vom Kapital angeeigneten Mehrwerts um 50 erhöht. In diesem Fall hat die Entwicklung neuer Technologien zu einer allgemeinen Ausdehnung der Akkumulation von Mehrwert geführt.

Nehmen wir jetzt an, der Prozeß wiederholt sich. Diesmal verringert sich die Zahl der Arbeiter auf 25 und der Arbeitstag unterteilt sich im folgenden Verhältnis: 1,5 Stunden werden für die Reproduktion der Löhne benötigt, und 6,5 Stunden sind Mehrarbeit. In diesem Fall ist die Gesamtmasse der Mehrarbeit nur 162,5 Stunden; d.h. als Ergebnis der technologischen Neuerungen hat sich die Gesamtmasse des Mehrwerts verringert.

Dieses einfache kleine Beispiel soll nun keineswegs ein Modell der kapitalistischen Wirtschaft darstellen. Aber es ermöglicht uns einen Einblick in die Prozesse, um die es hier geht. Es zeigt folgendes: Je höher die Arbeitsproduktivität bereits entwickelt ist, umso größer muß die Steigerung der Arbeitsproduktivität noch sein, um die Masse des Mehrwerts zu erhöhen. An einem bestimmten Punkt führt die Entwicklung der Arbeitsproduktivität durch technologische Neuerungen zu einer Abnahme der Masse des Mehrwerts und damit zu einer Krise der Kapitalakkumulation.

An diesem Punkt befinden wir uns jetzt. Wenn wir uns die Entwicklung der Arbeitsproduktivität in den vergangenen 150 bis 200 Jahren kapitalistischer Geschichte anschauen, dann ist klar, daß es im Wesentlichen dem Prozeß entspricht, den wir in unserem kleinen Beispiel dargestellt haben. Der Teil des Arbeitstags, der notwendig war, um den Wert der Arbeitskraft zu reproduzieren, wurde immer kürzer. Früher erforderte es einen beträchtlichen Teil des Arbeitstags, um den Lohn eines Arbeiters zu reproduzieren, heute schafft er das innerhalb von Minuten, wenn nicht weniger. Während jedoch früher steigende Arbeitsproduktivität infolge technologischer Neuerungen die Gesamtmasse des Mehrwerts tendenziell vermehrte, tendiert sie heute dazu, sie zu vermindern.

Deswegen unterscheidet sich die gegenwärtige Phase der kapitalistischen Entwicklung so stark vom Nachkriegsboom. Im Nachkriegsboom konnten die kapitalistischen Betriebe Profite akkumulieren, weil die Entwicklung produktiverer Methoden zu einem allgemeinen Anwachsen der Gesamtmasse des aus der Arbeiterklasse gepreßten Mehrwerts führte. Jede Firma erhöhte ihre Profite unter Bedingungen, in denen die Masse des Mehrwerts insgesamt wuchs.

Heute sind die Bedingungen vollkommen anders. Jede Firma, ob transnationaler Konzern oder national oder regional orientierter Betrieb, sie alle versuchen in einer Situation Profit zu akkumulieren, in der die Gesamtmasse des Mehrwerts schrumpft. Das ist die Triebkraft, die den verzweifelten Kampf um Märkte hervorbringt, und die in allen hochentwickelten kapitalistischen Ländern zur Zerstörung von Millionen ehemals gut bezahlter Arbeitsplätze geführt hat.

Während des Nachkriegsbooms, als die Märkte und die Mehrwertakkumulation expandierten, steigerten die großen Konzerne ihre Profite, indem sie neue Investitionen tätigten, mehr Arbeiter einstellten und ihre Verkäufe ausweiteten. Heute, wo die Märkte als Ergebnis der sinkenden Gesamtmasse des Mehrwerts stagnieren oder schrumpfen, werden Profite durch Kostensenkung mittels Einführung neuer Technologien und Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen erzielt.

Um diesen Prozeß zu illustrieren, möchte ich die Bilanzzahlen des US-Konzerns General Motors zitieren. GM hat soeben einen Vierteljahresprofit von 1,8 Mrd. Dollar für die ersten drei Monate dieses Jahres bekanntgegeben. Ihre nordamerikanischen Fabriken trugen dazu 764 Millionen US-Dollar bei. Das wurde trotz eines Rückgangs der Verkaufszahlen um 29.000 PKW und LKW und trotz eines sinkenden Marktanteils erreicht. Gleichzeitig verdiente nämlich GM an jedem verkauften Auto 37 Prozent mehr, trotz eines 3,7 Prozent niedrigeren Umsatzes. Das Ergebnis wurde durch eine Reduzierung der Belegschaft um 10.000 erreicht. Bei jeder technischen Umrüstung von Fabriken werden bei GM heute etwa ein Drittel der Beschäftigten eingespart.

Dieser Prozeß ist nicht auf GM beschränkt, sondern ist universell. Laut einem anderen kürzlich veröffentlichten Bericht des Magazins Fortune stiegen die Profite der 500 größten amerikanischen Konzerne im letzten Jahr durchschnittlich um 23,3 Prozent – ein neuer Rekord! –, während der Umsatz im Durchschnitt nur um 8,3 Prozent angestiegen war. Der Bericht zeigte auf, daß bei 78 Prozent von den 305 Konzernen, die einen Anstieg der Profite meldeten, die Profite stärker gestiegen waren als der Umsatz. Die Entwicklung bei General Motors ist also die vorherrschende Tendenz in der gesamten kapitalistischen Wirtschaft. Die Profitakkumulation ist abhängig von der Zerstörung von Arbeitsplätzen und der Verarmung immer breiterer Schichten der Arbeiterklasse.

Die potentiell gefährlichen Folgen dieser Situation für die Stabilität der kapitalistischen Ordnung ist auch einigen Vertretern des Kapitals selbst nicht entgangen. Der Chefökonom von Morgan Stanley kommentierte die Ergebnisse der Fortune-Untersuchung so: "Das ist kein positives Zeichen ... Die amerikanische Industrie ist inzwischen ziemlich gut bei der Umsetzung betrieblicher Effizienz, hat aber gleichzeitig den Faden verloren, was die Sicherung nachhaltigen Wachstums betrifft." Damit wies dieser Kommentator aber nur auf den parasitären Charakter hin, der der gesamten Profitakkumulation heute anhaftet, ohne daß er aber auch nur im geringsten die Ursachen davon verstand.

Die wachsende Krise des Profitsystems ist der Grund, warum alle großen kapitalistischen Länder den Sozialstaat und das Gesundheits- und Bildungswesen zerstören. Vom Standpunkt des Kapitals stellen alle diese Ausgaben letztlich einen Abzug von der Masse des Mehrwerts dar, der zur Aneignung als Profit zur Verfügung steht. Deswegen verlangt das Kapital, daß diese Zugeständnisse rigoros rückgängig gemacht werden. Das ist das wirkliche Motiv der Forderung an alle nationalen Regierungen – die von den Banken und den internationalen Finanzmärkten durchgesetzt werden – ihre Haushaltsdefizite durch Kürzungen abzubauen. Es ist ein Teufelskreis.

Die Clinton-Regierung erklärt, daß sie das New-Deal-Sozialsystem über den Haufen werfen, den Haushalt ausgleichen und die Ausgaben kürzen muß, um Amerikas Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

Ähnlich bauen in Europa die nationalen Regierungen den Sozialstaat der Nachkriegszeit ab, um die Kriterien des Maastricht-Vertrages zu erfüllen. Sie wollen eine gemeinsame Währung einführen und die Position Europas im globalen Konkurrenzkampf gegen Amerika und Japan stärken. Die Konsequenzen werden verheerend sein. Wenn alle Bedingungen für die einheitliche Währung erfüllt würden, so schätzt man, würde das Kürzungen vom Umfang eines Viertels des gesamten Bruttosozialprodukts Europas erfordern.

Keine nationale Regierung kann sich aus diesem Kampf heraushalten.

Wir haben, wenn auch in sehr komprimierter Form, versucht, die ökonomischen Prozesse deutlich zu machen, die der sozialen Katastrophe zugrunde liegen, mit der die Weltbevölkerung konfrontiert ist. Diese Prozesse sind die wirkliche Quelle des schreienden Widerspruchs: Die enormen Fortschritte in der Entwicklung der Produktivkräfte stehen im krassen Gegensatz zur ständigen Verschlechterung der sozialen Lage.

Die politischen Konsequenzen

Nun zu den politischen Schlußfolgerungen, die aus dieser Analyse gezogen werden müssen. Es ist klar, daß die Ursache der Krise nicht die Globalisierung der Produktion als solche ist, noch die Entwicklung neuer Technologien an sich. Sie entspringt den Gesetzen einer ganz bestimmten gesellschaftlichen Ordnung – dem Profitsystem.

Bei der Entwicklung ihres Programms stützt sich das Internationale Komitee der Vierten Internationale direkt auf die Methode, die Marx vor 150 Jahren im Manifest der Kommunistischen Partei folgendermaßen charakterisiert hat: "Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, auf Prinzipien, die von diesem oder jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt worden sind. Sie sind nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfs, einer unter unsern Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung."

Diese Herangehensweise bringt uns notwendigerweise in direkten Konflikt mit all den verschiedenen kleinbürgerlich-radikalen Tendenzen und deren nationalistischem Programm. Sie versuchen, die Bedeutung der globalisierten Produktion zu leugnen, um die Arbeiterklasse an die alten Formen des Kampfes zu fesseln, die sich auf den Nationalstaat und vor allem die nationalen Organisationen stützen, die Gewerkschaften, Sozialdemokratie und Stalinismus.

Die kleinbürgerlichen Radikalen fordern, daß die nationalen Regierungen die global organisierten kapitalistischen Konzerne einschränken müssen, und behaupten, daß dies irgendwie der Weg zum Sozialismus sei. Diese Perspektive ist, nebenbei gesagt, so alt ist wie der Kapitalismus selbst. Simonde Sismondi vertrat bereits 1820 praktisch die gleiche Position. Der Marxismus gründet hingegen auf dem Verständnis, daß der Sozialismus einem Prozeß entspringt, der "unter unseren Augen vor sich geht."

Als Marxisten sehen wir in der Globalisierung der Produktion nichts anderes als einen Ausdruck der Tatsache, daß die von menschlicher Arbeit geschaffenen Produktivkräfte danach streben, die Beschränkungen und Fesseln der gesellschaftlichen Verhältnisse des Kapitalismus zu sprengen.

Diese gesellschaftlichen Verhältnisse des Profitsystems hängen wie ein Damoklesschwert über der Menschheit. Während der Nationalstaat vom wirtschaftlichen Standpunkt her überflüssig geworden ist, gewinnt er, insbesondere sein politischer und militärischer Apparat, für die global organisierten Konzerne in ihrem weltweiten Kampf um Märkte und Profite immer größere Bedeutung. Eher früher als später droht dieser Kampf um die Vorherrschaft auf dem Weltmarkt einen weiteren imperialistischen Krieg hervorzubringen.

Dies macht deutlich, daß all jene Programme, die auf eine größere Macht für den Nationalstaat abzielen, angeblich um das globale Kapital in Schach zu halten, nicht nur bankrott sind, sondern wirkliche Gefahren enthalten. Dadurch wird nämlich genau jener Staatsapparat gestärkt, dessen bloße Existenz die Gefahr eines neuen Weltbrands enthält.

Bei einer Rede über den Freihandel erklärte Karl Marx, daß er für diesen eintrete, denn das Freihandelssystem zerstöre die alte Ordnung. "Es bricht die alten Nationalitäten auf und treibt den Gegensatz zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie auf die Spitze. Kurz, der Freihandel beschleunigt die soziale Revolution."

In diesem Geist sehen wir die Globalisierung der Produktion. Sie ist die machtvollste Bestätigung des Programms, für das wir kämpfen: die Vereinigung der internationalen Arbeiterklasse im Kampf für die sozialistische Weltrevolution.

Die Entwicklung der globalisierten Produktion, die sich auf mächtige Fortschritte in der Technologie stützt, schafft die Bedingungen für große revolutionäre Kämpfe und legt zugleich die wirtschaftlichen Grundlagen für den Aufbau einer neuen Gesellschaft, in der diese Ressourcen für die gesamte Menschheit nutzbar werden können.

Eine der wichtigsten Folgen ist die Proletarisierung der Mehrheit der Weltbevölkerung. In den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern werden jetzt große Teile jener Arbeitskräfte, denen früher noch gewisse Privilegien zugestanden worden waren, mit der Tatsache konfrontiert, daß sie für das Kapital bloß noch Lohnarbeiter sind. Und überall auf der Welt werden durch das weltweite Wirken der transnationalen Konzerne starke neue Arbeiterheere geschaffen.

Als Marx seine berühmte Parole "Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" ausrief, stellte das Proletariat nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung von Europa und Nordamerika dar. Heute macht die Arbeiterklasse die Mehrheit der Weltbevölkerung aus.

Und Arbeiter in jedem Land sind heute den gleichen Angriffen ausgesetzt. Früher stand das Einkommen in einem gewissen Zusammenhang mit der Heimat. Heute bricht das zusammen. So wie die Superreichen, sei es in Europa, USA, Lateinamerika oder Asien, ihre eigene Welt bilden, gibt es zunehmend auch eine Welt der Arbeit, in der die Klasse und nicht die Nationalität das Einkommen und die Lebensbedingungen bestimmt.

Niemals zuvor waren die Bedingungen so günstig wie heute, um die internationale Einheit der Arbeiterklasse zu schaffen.

Die Globalisierung der Produktion hat nicht nur die Einheit der Arbeiterklasse auf einmalige Weise gestärkt, sie hat auch die Grundlage für eine geplante sozialistische Weltwirtschaft gelegt.

Die offizielle Ideologie der Bourgeoisie erschöpft sich darin, den Markt anzubeten – das Wirken blinder, bewußtloser Wirtschaftsprozesse. Im wirklichen Leben wird dieser Religion jedoch sehr wenig gehuldigt. Zur Praxis der kapitalistischen Produktion gehört auch die detaillierteste Planung wirtschaftlicher Abläufe über Zeitzonen und Kontinente hinweg, 24 Stunden am Tag.

Der Aufbau einer weltweit geplanten sozialistischen Wirtschaft ist keine Utopie – die Grundlagen dafür sind bereits gelegt. Wenn wirtschaftliche Planung und Produktion von transnationalen Unternehmen zum Zwecke des Profits durchgeführt werden können, ist es erst recht möglich, daß die Produzenten gemeinsam die Produktion zum Zweck der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und im Interesse der gesamten Menschheit organisieren.

Das ist nicht nur möglich, sondern notwendig, wenn die Menschheit die soziale Katastrophe verhindern will, die ihr droht, falls das Profitsystem weiter fortbesteht.

Auf der Grundlage dieses Programms wird die Vierte Internationale die Arbeiterklasse weltweit vereinen. Revolutionäre Kämpfe stehen bevor. Sozialismus oder Rückfall in die Barbarei, darum geht der Kampf, und nichts weniger als die Zukunft der Menschheit und der Zivilisation selbst steht auf dem Spiel.

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