»Die meisten sind zufrieden« - Das »Polder-Modell« in der Praxis von Betriebsräten

Das »Polder-Modell« in der Praxis von Betriebsräten

Im Academisch Medicinisch Centrum, AMC, dem größten Krankenhaus der Niederlande mit 6300 Beschäftigten, darunter 1200 Krankenschwestern und Pflegern, wollten wir erfahren, wie das »Polder-Modell« in der Praxis großer öffentlicher Betriebe funktioniert, in denen Flexibilisierung und Privatisierung bereits weit vorangetrieben worden sind.

Wir wurden dort vom Betriebsratsvorsitzenden Koos Moens und dem Betriebsratsmitglied Bert Kelner empfangen. Beide sind Mitglieder der Gewerkschaft Abvakabo, einem Zusammenschluß aus protestantisch-sozialdemokratischen und katholischen Gewerkschaften. Koos Moens versteht sich als »Pragmatiker im Betrieb«, der »nichts mit Politik am Hut hat«, ja noch nicht einmal weiß, was der Begriff »Polder-Modell« überhaupt bedeutet. Bert Kelner kann auf eine zwar ferne, aber radikalere Vergangenheit zurückblicken. Er war Mitglied der niederländischen KP, bevor sie sich vor Jahren aufgelöst bzw. mit anderen kleinbürgerlich-radikalen Organisationen zu GroenLinks zusammengeschlossen hat. Er lehnt, wie er sagt, das Polder-Modell entschieden ab.

Doch wie das Gespräch zeigt, steht es in diesem Krankenhaus in voller Blüte. Ganze Bereiche wie die Kantine sind bereits privatisiert, zahlreiche Stellen dabei wegrationalisiert worden, 80 allein beim Reinigungsdienst. Ungefähr 30 bis 40 Prozent der Krankenschwestern arbeiten inzwischen in Teilzeit. Wie der Betriebsrat berichtete, wurde der massive Abbau von Vollzeitarbeitsplätzen durch die Einführung der finanziellen Selbstverwaltung bewirkt. Von der Regierung wird seitdem nur noch ein bestimmtes, immer kleiner werdendes Budget zur Verfügung gestellt, aus dem nicht nur das Krankenhaus, sondern auch die Forschung und Lehrtätigkeit der medizinischen Fakultät finanziert werden müssen.

Das Krankenhaus müsse »so viel mehr auf Effizienz achten als früher«, meinte Moens. Auch auf die Forschung treffe dies zu, weil nur dann Sponsoren in der Pharmaindustrie zu finden seien. Wissenschaftler werden jetzt nur noch projektbezogen eingestellt, und zwar von einem Privatunternehmen, das vom Krankenhaus gegründet worden ist und von der Industrie finanziert wird. »Wenn das Projekt abgeschlossen ist, sagen wir nach zwei Jahren, müssen sich die beteiligten Forscher auf dem Arbeitsmarkt eben um eine neue Stelle bei einem anderen Projekt bewerben«, erläuterte Moens.

Wie in ganz Westeuropa arbeiten in den Gewerkschaften der Niederlande kleinbürgerliche Radikale oder Ex-Radikale mit den sozialdemokratisch orientierten Pragmatikern Hand in Hand. Wenn es darum geht, die Beschäftigten den »Erfordernissen des Marktes« unterzuordnen, ist von ihnen nicht die geringste prinzipielle Opposition zu erwarten. Dies wurde in dem Gespräch mit den beiden Betriebsratsmitgliedern recht deutlich, wie folgender Wortwechsel zeigt:

Frage: »Unterstützt der Betriebsrat diese Privatisierung?«

Moens: »Ja.«

Kelner: »Nein.«

Selbst über ihre eigene Antwort überrascht, blicken sich beide Betriebsräte einen Moment an, dann erklärt der Vorsitzende den Widerspruch.

Moens: »Im Prinzip Nein, im Prinzip sind wir gegen Privatisierung. Aber in der Praxis Ja. Wir sparen da ja eine Menge Geld. Man muß es doch sehen wie einen Baubetrieb. Da wird auch jedes Projekt genau kalkuliert, nur für eine bestimmte Zeit angeheuert und nur für die Zeit gezahlt, wo gearbeitet wird. Außerdem haben wir nicht so viel Macht. Wir konnten nicht mehr machen, als einige Zugeständnisse aushandeln. So haben wir zum Beispiel durchgesetzt, daß bei den Patienten im Zimmer und in den Operationssälen nicht die harten Normen des privaten Reinigungsdienstes gelten. Da kommt es auf Qualität an, nicht auf Quantität.«

Frage: »Gab es keinerlei Opposition von Seiten der Belegschaft?«

Moens: »Nein, es ist ja niemand entlassen worden. Es gibt einen Übernahmevertrag für alle Beschäftigten. Was dann an Arbeitsplätzen gestrichen wurde, ist über die natürliche Fluktuation abgewickelt worden.«

Frage: »Aber die gutbezahlten Arbeitsplätze sind weg und die junge Generation bleibt draußen vor der Tür.«

Kelner: »Das ist richtig. Die junge Generation hat keine Vertretung. Das ist ein politischer Fehler. Aber die Gewerkschaft kann auch nicht immer nur die Faust zeigen. Das Kapital sagt doch einfach: ›Take it or leave it!-- Damit müssen wir leben. In einer Hochkonjunktur sind die Gewerkschaften stärker, aber in einer Krise sieht es immer schlechter aus.«

Frage: »Aber die Konjunktur in den Niederlanden läuft doch auf Hochtouren, die Konzerne machen Riesenprofite?«

Kelner: »Ja, die Gewinne sind da, aber auch die Arbeitslosigkeit.«

Moens: »Immerhin haben die Gewerkschaften gerade einen Tarifvertrag abgeschlossen, der im nächsten Jahr die 36-Stunden-Woche bringt. Die Löhne steigen freilich nur um 2 Prozent, während die Inflationsrate bei 2,6 Prozent liegt. Es liegt jetzt an uns, dafür zu sorgen, daß die Unternehmer nach diesem Lohnverzicht die Arbeitszeitverkürzung auch wirklich umsetzen und neue Arbeitsplätze schaffen.«

Kelner: »Außerdem haben wir jetzt den Nationalen Befreiungstag, den 5. Mai, frei, allerdings auch unbezahlt.«

Frage: »Sind die Beschäftigten mit diesem Abschluß einverstanden?«

Moens: »Das weiß ich nicht. Aber das ist die einzige Lösung, die vorhandene Arbeit auf alle zu verteilen.«

Kelner: »Ich sehe schon einige Probleme bei dieser Politik. Irgendwann werden die Arbeitnehmer wieder sagen, ich habe in den letzten Jahren 10 oder 20 Prozent meines Einkommens verloren, jetzt geht nichts mehr. Da wird es zu Konflikten kommen, zumindest in der Privatwirtschaft. Hier im Krankenhaus ist es noch etwas anderes. Wir sind mit unserem Geld von der Regierung abhängig, und glücklicherweise geht es bei uns noch so einigermaßen.«

Frage: »Sie sind also der Meinung, daß die Beschäftigten hier zufrieden sind?«

Moens: »Ja, zumindest die meisten.«

Siehe auch:

Wie Regierung, Gewerkschaften und Unternehmer die Umverteilung hinter den Deichen organisieren

»Ich kenne viele, die sehr unzufrieden sind«

 

Loading