NATO plant Eingreifen im Kosovo

Nach monatelangen hektischen politischen und diplomatischen Aktivitäten hat der NATO-Rat am Mittwoch, den 12. August, seine militärischen Beratungen über einen möglichen Einsatz im Kosovo offiziell abgeschlossen. Ein Sprecher des Rates verkündete, nun liefen die Vorbereitungen an, die voraussichtlich bis Ende August abgeschlossen sein würden. Die Palette reiche dann von "Drohgebärden", also Manövern, über Luftschläge bis hin zum Einsatz von Bodentruppen.

Sollte eine solche Intervention tatsächlich erfolgen, wäre sie allerdings keineswegs dazu angetan, "endlich der Gewalt ein Ende zu setzen", wie es die Leitartikler und Kommentatoren von FAZ bis taz nicht müde werden zu versichern. Im Gegenteil. Nachdem die Großmächte selbst die Spirale der Gewalt auf dem Balkan in Gang gesetzt haben, werden sie nun Goethes Zauberlehrling gleich die Geister des Nationalismus, die sie selbst riefen, nicht mehr los.

Deutschland hatte 1991 den Vorreiter dabei gespielt, Jugoslawien im Namen der "nationalen Selbstbestimmung" und "Unabhängigkeit" auseinanderzubrechen. Die vorher innerstaatlichen Grenzen der verschiedenen jugoslawischen Republiken wurden zu internationalen Staatsgrenzen erklärt, ohne Rücksicht auf die nationalen Minderheiten, die in den jeweiligen Republiken lebten. Der Bürgerkrieg in Bosnien mit unzähligen "ethnischen Säuberungen", Massakern, Greueltaten und Vertreibungen war die Folge.

Als die NATO eingriff, unterstützte sie zunächst die Vertreibung hunderttausender Serben aus der Krajina und Westbosnien, teilte Bosnien dann in drei lebensunfähige Enklaven unter der jeweiligen Kontrolle kroatischer, serbischer und moslemischer Nationalisten auf und zementierte diese Aufspaltung mit Zehntausenden von NATO-Soldaten.

Serbiens Slobodan Milosevic, neben Franjo Tudjman in Kroatien und Alija Izetbegovic in Bosien einer der Hauptkriegstreiber in Ex-Jugoslawien, im Westen eben noch zum "Schlächter" und "Hitler des Balkan" erklärt, wurde 1995 in Dayton eine neue Rolle zuteil: Die eines "Garanten der Stabilität".

Die Frage des Kosovo, die ursprünglich das Auseinanderbrechen Jugoslawiens und den darauffolgenden Krieg mit ausgelöst hatte, wurde von den USA und der EU bewußt aus dem Dayton-Vertrag ausgeklammert. Der Grund: Die zu über vier Fünfteln mit Albanern und nur etwa zehn Prozent Serben besiedelte Region spielt in der Ideologie der serbischen Nationalisten eine zentrale Rolle. Eine Demütigung von Milosevic in der Kosovo-Frage könnte daher den "Garanten der Stabilität" schnell durch die weitaus unberechenbareren Nationalisten Vojislav Seselj und Vuk Draskovic verdrängen.

Der Kosovo grenzt außerdem an Albanien und den ebenfalls mehrheitlich albanischen Westteil Mazedoniens. Jede Veränderung des labilen politischen Gleichgewichts in der Region hätte unabsehbare Konsequenzen. Nicht zuletzt würde sie den Nationalismus der beiden NATO-Länder und traditionellen Gegenspieler Griechenland und Türkei anfachen, die ohnehin bei jeder Gelegenheit mit den Säbeln rasseln.

Die westlichen Länder favorisierten daher eine Lösung, die dem Kosovo irgendeine Form von Autonomie im Rahmen des serbischen Staates gewährt. Milosevic dagegen war Ende der 80er Jahre gerade dadurch aufgestiegen und an die Macht gekommen, daß er nach einer massiven chauvinistischen Kampagne im Kosovo dessen Autonomie aufgehoben hatte. Die albanischen Nationalisten wiederum bestanden auf ihrem "nationalen Selbstbestimmungsrecht", d.h. der Unabhängigkeit von Serbien.

Die UÇK (albanische Abkürzung für "Befreiungsarmee Kosovas") trat erstmals im April 1996 mit einem Bekennerschreiben öffentlich in Erscheinung. Zu diesem Zeitpunkt war klar geworden, daß nach dem Dayton-Vertrag kein Land außer Albanien die 1991 ausgerufene Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen würde. Über diese Organisation ist immer noch recht wenig bekannt. Angeblich besteht ihr Kommandokern aus Überresten der albanischen Militär- und Polizeieinheiten Kosovos, die von der serbischen Polizei 1993 zerschlagen worden waren. Kämpfer der UÇK sollen sich im Bosnienkrieg auf der Seite der Izetbegovic-Truppen beteiligt haben.

Ab 1997 führte die UÇK einen Guerillakrieg im Kosovo. Ihre Taktik bestand darin, mit terroristischen Überfällen auf Polizisten und Soldaten den serbischen Staat zu weiterer Repression zu provozieren. Dadurch sollte wiederum die Bevölkerung zum Widerstand und zum Anschluß an die Guerilla animiert werden, bis der Krieg schließlich völlig eskaliere und die NATO-Länder gezwungen wären, auf albanischer Seite einzugreifen. Endziel ist die Vereinigung aller Albaner in einem Staat.

Das zynische Kalkül der UÇK schien zunächst aufzugehen. Ende Februar diesen Jahres begann die serbische Staatsmacht eine "Polizeiaktion" im Kosovo, in deren Verlauf auch Dutzende von albanischen Zivilisten ermordet wurden. Die Separatistenorganisation wuchs in wenigen Monaten von höchstens ein paar hundert auf tausende und schließlich zehntausende Kämpfer an, der Westen wurde aufmerksam. Nur gründet sich die Politik der USA und der EU nicht auf das Streben nach "Menschenrechten", "Frieden" oder "Selbstbestimmung", sondern auf handfeste strategische Interessen.

Der amerikanische Balkangesandte Gelbhard hatte die UÇK als "terroristische Organisation" bezeichnet und damit den serbischen Sicherheitskräften praktisch grünes Licht für ihre "Polizeiaktion" gegeben. Die Balkan-Kontaktgruppe, die während des Bosnienkrieges ins Leben gerufen worden war und aus den USA, Großbritannien, Deutschland, Italien, Frankreich und Rußland besteht, lehnte von Anfang an eine Unabhängigkeit für den Kosovo kategorisch ab und rief lediglich zu Autonomieverhandlungen zwischen Belgrad und der LDK (albanisch für "Demokratische Union Kosovas") von Ibrahim Rugova auf. Außerdem beschloß sie im März und April einige wenig spürbare Sanktionen gegen Serbien. Im Mai kam es dann tatsächlich zu solchen Gesprächen - die jedoch bald wieder ergebnislos abgebrochen wurden.

Die LDK ist die größte politische Organisation im Kosovo. Sie dominiert die Region seit Anfang der neunziger Jahre und hat dort eine Art Schattenstaat aufgebaut, mit eigenem Parlament, Präsidenten (Rugova) und rudimentärem Steuer-, Bildungs- und Gesundheitssystem. Die LDK-Führung hatte sich trotz aller nationalistischen Rhetorik mit dem System der "kalten Apartheid" im Kosovo praktisch arrangiert und lehnte jeden Konflikt mit dem serbischen Staat ab. Noch bis Mai diesen Jahres bezeichnete sie die UÇK als "Kreation der Serben". Ein großer Teil der Bevölkerung, besonders der Jugend, lebte währenddessen in Arbeits- und Hoffnungslosigkeit, der Willkür der serbischen Staatsmacht ausgeliefert - ein fruchtbarer Boden für die UÇK.

Als diese zu wachsen begann, registrierten die Großmächte dies mit einiger Besorgnis. Der Grund war nicht deren reaktionärer Charakter - die Guerilla begann bald, auch serbische Zivilisten zu entführen, aus ethnisch gemischten Dörfern zu vertreiben und vereinzelt auch zu ermorden -, sondern die Angst, sie nicht wie Rugova kontrollieren zu können. Außerdem befürchteten sie eine wachsende Radikalisierung der Albaner in Westmazedonien und in Albanien selbst.

Verurteilungen der "Gewalt beider Seiten" wechselten sich mit Forderungen an Serbien, die Sicherheitskräfte "unverzüglich" aus der Krisenprovinz abzuziehen, und militärischen Drohungen gegen Belgrad ab. Worauf die militärischen Pläne konkret abzielten, sprach der deutsche Außenminister Kinkel schon früh offen aus: Sicherung der Grenzen, um der UÇK den Nachschub abzuschneiden, und Muskelspiele der NATO, um Milosevic zu Zugeständnissen an Rugova zu bewegen.

Zunächst jedoch erzielte die "Befreiungsarmee" eine Reihe militärischer Erfolge. Als sie dann Ende Juni schließlich 30 bis 40 Prozent des Territoriums von Kosovo kontrollierte und sich ganz offen gegen Rugova stellte, veränderte sich die Lage: Die USA nahmen Kontakt mit der eben noch "Terroristen" genannten UÇK und zu Adem Demaçi auf. Demaçi ist ein populärer Gegner Rugovas und seit längerem Unterstützer der UÇK. Diese nannte nun auch Kinkel "einen wichtigen Faktor, den man nicht außer Acht lassen darf".

Auch für die LDK-Führer war die UÇK nun keine Organisation "von wenigen Fanatikern" oder gar "des serbischen Geheimdienstes" mehr. Sie bemühten sich im Gegenteil, die Guerilla zu umarmen und unter ihre Kontrolle zu bringen; den Interessen - und wohl auch der Aufforderungen hinter den Kulissen - der Großmächte entsprechend. Diese rückten jedoch gleichzeitig von ihrer Forderung an Belgrad ab, die Sicherheitskräfte aus dem Kosovo abzuziehen. Erst müsse Waffenstillstand herrschen, dann könnten Autonomieverhandlungen beginnen.

Von da an lief eine beispiellose Offensive der serbischen Polizei. Eine "UÇK-Hochburg" nach der anderen fiel, Städte, Verkehrsknotenpunkte, kleine Dörfer. Oftmals wurden sie anschließend niedergebrannt, viele Bewohner ermordet. Anfang August schließlich war der größte Teil des Kosovo wieder unter Kontrolle der Sicherheitskräfte.

Das LDK-dominierte Untergrundparlament erkannte die geschwächte UÇK nun offiziell an. Rugova ließ eine "Koalitionsregierung" bilden, in der Mehmet Hajrizi, Generalsekretär der Rugova-kritischen und UÇK-orientierten LDSH (Albanisch Demokratische Bewegung) zum neuen Ministerpräsidenten designiert wurde. Zwei Ministerien wurden für die UÇK reserviert - Inneres und Verteidigung. Im Klartext heißt das, sollte die "Republik Kosova" tatsächlich Wirklichkeit werden, fiele der vorherigen Guerilla sofort die direkte Verantwortung zu, nun selbst die albanische Bevölkerung zu unterdrücken. Vorbilder für eine solche Rolle finden sich überall, von Tschetschenien bis nach Palästina und den Al Fatah-Kämpfern.

Aber vorläufig ist das Zukunftsmusik. Als Rugova ein Verhandlungsteam zusammenstellte, verweigerte die UÇK, die zu einem längeren, zermürbenden Guerillakrieg wohl durchaus noch in der Lage ist, ihre Teilnahme und erkor Rugovas Gegner Adem Demaçi zu ihrem politischen Vertreter - der Verhandlungen mit Belgrad bislang ablehnt. Sie erklärte außerdem, sie werde eine etwaige Stationierung von NATO-Truppen an der albanisch-jugoslawischen Grenze als "kriegerischen Akt" ansehen.

Es ist absolut unklar, was eine direkte militärische Intervention der NATO bringen würde. Die Militärs haben bereits des öfteren gewarnt, erst müßten die politischen Voraussetzungen dafür geschaffen und klare Konzeptionen erarbeitet sein. Bis jetzt ist aber weder sicher, wieviel Einfluß Rugova tatsächlich verblieben ist, welche Stärke die UÇK noch besitzt, noch wer sie kontrollieren kann. Es ist zudem gut möglich, daß es sich bei UÇK-Kämpfern oftmals um Bauern oder Studenten handelt, die sich eine Kalaschnikow besorgen und einen albanischen Adler mit dem UÇK-Kürzel an die Jacke nähen. Gleichzeitig gibt es im Kosovo bereits über 200.000 Flüchtlinge, einige zehntausend sind bereits in Albanien oder Mazedonien - wo im September Wahlen stattfinden.

Je länger die Krise im Kosovo andauert, desto mehr steigt auch in den Nachbarländern die nationalistische Hysterie. Die USA und die EU stecken mit ihrer Politik in einem ausweglosen Dilemma. Was immer sie tun, es kann die Krise nur verschlimmern.

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