Blair nutzt Bombenanschlag von Omagh zur Einschränkung demokratischer Rechte aus

Als Blair am Dienstag, den 24. August, die nordirische Stadt Omagh besuchte, kündigte er an, er werde in der kommenden Woche das Parlament einberufen und den Entwurf eines neuen Gesetzes zum Beschluß vorlegen. Von diesem Gesetzentwurf geht eine erhebliche Gefährdung demokratischer Rechte aus.

Blair drohte, die Regierung werde im Namen der "Terrorismusbekämpfung" "drakonische und fundamentale Änderungen" beschließen. Er fügte hinzu, nur über ein formelles Gesetzgebungsverfahren unter Einberufung des Parlaments sei es möglich, die vorgeschlagenen Änderungen rechtlich wasserdicht und narrensicher zu machen. Die Vorschläge werden am Mittwoch durchs Parlament gepeitscht und Tags darauf dem House of Lords [dem Oberhaus] zur Bestätigung vorgelegt werden.

Die Gesetzesänderung wird es ermöglich, daß ein Mitglied einer verbotenen Organisation allein aufgrund der Zeugenaussage eines hochrangigen Polizisten verurteilt wird. Das Verschweigen einer Tatsache durch den Verdächtigen, auf die er sich später zu seiner Verteidigung beruft, die Nichtbeantwortung einer "entscheidungserheblichen Frage" oder die Weigerung, bei einer "entscheidungserheblichen Untersuchung" mitzuwirken, wird man künftig als Bestätigung der Aussage des Polizeibeamten werten - eine eklatante Einschränkung des Schweigerechts.

Letzte Woche kündigte der irische Premierminister Bertie Ahern ähnliche Gesetze an. Außerdem will er in Irland Regelungen einführen, die dem britischen "Prevention of Terrorism Act" [PTA, Gesetz zur Verhütung von Terrorismus] und einem weiteren, noch schärferen Gesetz aus dem Jahr 1996 entsprechen. Ahern erklärte, daß jedem, der Terroristen oder terroristische Aktivitäten unterstütze, künftig das Vermögen entzogen werden könne. Die Republik Irland behält sich außerdem weiterhin das Recht zur Inhaftierung ohne Urteil vor, das in Großbritannien im Zuge der Kampagne für das Nordirland-Abkommen aus den Gesetzbüchern gestrichen worden war. Es gab zwar mittlerweile schon Rufe nach seiner Wiedereinführung, aber meistens wurde darauf hingewiesen, dies erübrige sich, da die jetzt angekündigten Gesetze dem sowieso praktisch gleichkämen.

Die Gesetze, welche die Labour-Regierung jetzt einführt, schaffen eine Situation, in der ganz legal über die demokratischen Rechte von Millionen Menschen hinweggetrampelt werden kann.

Blair zieht bereits die Übernahme des irischen Entwurfs in Erwägung, nach dem es bereits strafbar ist, eine illegale Organisation zu "leiten". Das würde die Möglichkeit schaffen, auch diejenigen zu verfolgen, denen keine Beteiligung an terroristischen Aktivitäten nachgewiesen werden kann. Außerdem wollen beide Regierungen möglicherweise durch Wanzen und angezapfte Telefone mitgehörte Äußerungen als Beweismittel vor Gericht zulassen.

Die von Blair vorgeschlagenen Maßnahmen beinhalten darüber hinaus beispiellose Vollmachten, um Menschen in Großbritannien wegen Verschwörung zu terroristischen Straftaten in irgendeinem Winkel der Welt anzuklagen. Solche Vorschläge konnte die vorherige konservative Regierung nicht durchsetzen, teilweise aufgrund von Opposition aus der Labour Partei. Eine Gruppe von Parlamentariern um den konservativen Abgeordneten Nigel Waterson hatte den Entwurf eines weltweiten Anti-Terror-Gesetzes eingebracht, das damals jedoch nicht durchkam. Die jetzige Initative der Labour-Regierung würdigte er als "keine Minute zu früh".

Die Behauptung, die neue Law and Order-Kampagne sei nur die Reaktion auf die Bombe der "Wahren IRA" in Omagh, wird durch die Tatsache widerlegt, daß solche Vollmachten an Gesetzesänderungen angehängt werden, die sich schon vorher angeblich auf Nordirland bezogen. In Wirklichkeit geht es um viel mehr. Kurz davor begrüßte Großbritanniens Regierung die Bombardierung des Sudan und Afghanistans durch die USA. Der britische Verteidigungsminister George Robertson erklärte, Großbritannien würde ganz ähnlich reagieren, wenn irgendwo auf der Welt seine Interessen bedroht wären. Dafür müsse, so drohte er, "ein Preis bezahlt werden".

Der "Suppression of Terrorism Act" [Terrorismusbekämpfungsgesetz] von 1978 stellt die Verschwörung zum Mord in bestimmten, größtenteils europäischen, Ländern unter Strafe. Die vage definierten Bestimmungen in den neuen Regelungen würden es auch ermöglichen, Organisationen zu verfolgen, die gegen ein unterdrückerisches System irgendwo auf der Welt kämpften. Mit der Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen ist der frühere Richter Lord Lloyd beauftragt worden. Er definierte Terrorismus als "Einsatz von schwerer Gewalt gegen Personen oder Eigentum, oder die Androhung solcher Gewalt, um eine Regierung, die Öffentlichkeit oder Teile der Öffentlichkeit einzuschüchtern oder unter Druck zu setzen, um damit politische, soziale oder ideologische Ziele zu erreichen". Auf der Grundlage einer solchen Definition hätte man auch Nelson Mandela oder Karl Marx für zehn Jahre ins Gefängnis werfen können. Damit wird der britischen Regierung die Möglichkeit gegeben zu entscheiden, welchen politischen Organisationen es "erlaubt" ist, für ihre Ansichten zu kämpfen, und welchen nicht. Die Gegner von diktatorischen Regimen, die mit Großbritannien verbündet sind, wie Saudi-Arabien oder Nigeria, werden als "Terroristen" verfolgt werden können, während die größtenteils rechten, von der CIA oder dem britischen Geheimdienst MI6 unterstützten Organisationen wohl kaum etwas zu befürchten haben.

Die Gesetzesvorschläge Blairs und Aherns sind von zahlreichen Bürgerrechtsgruppen verurteilt worden. So sagte ein Sprecher der Gruppe Liberty [Freiheit]: "Scheinbar hat die Regierung nichts aus der Geschichte der Anti-Terrorismus-Gesetze gelernt, die selten wirkungsvoll waren und oft zur Anklage und Verurteilung der falschen Leute geführt haben."

Roy Munoven von amnesty international erklärte, daß die Pläne, durch die Mitglieder verbotener Organisationen leichter verurteilt werden können, "die Unschuldsvermutung untergraben und die Beweislast in unerträglichem Ausmaß auf den Angeklagten abwälzen."

Für die Organisation Human Rights Watch sagte Julia Hall: "Unserer Auffassung nach wurde die neue Polizeibehörde im Norden teilweise deshalb aufgebaut, weil die RUC (Royal Ulster Constabulary [britische Polizei in Nordirland]) in den vergangenen dreißig Jahren eine ganze Reihe von Menschenrechtsverletzungen begangen hatte. Der neuen Polizeibehörde jetzt zusätzliche außerordentliche Vollmachten zur Verhaftung angeblicher politischer Gewalttäter zu übertragen, wird dazu führen, daß das [Nordirland-]Abkommen ernsthaft untergraben wird. Schließlich wissen wir aus der Vergangenheit, daß derartige Gesetze hauptsächlich gegen Nationalisten (katholische Nordiren) angewendet werden."

Die von den britischen und irischen Regierungen erlassenen Regelungen sagen weit mehr über den wahren Charakter des Nordirland-Abkommens aus, als dessen angebliche Bedrohung durch winzige republikanische Splittergruppen. Die IRA und die unionistischen [pro-britischen] paramilitärischen Gruppen haben einen dauerhaften Waffenstillstand erklärt. Angesichts der allgemeinen Empörung über den Bombenanschlag von Omagh verkündete die Real-IRA wenige Tage nach ihrem Attentat den Waffenstillstand. Sie war außerdem auch von Seiten der Sinn-Fein-Führung gewarnt worden, sie würde andernfalls den Zorn der "republikanischen Bewegung" zu spüren bekommen. Jetzt haben sich dem auch die Irish National Liberation Army [Irische Nationale Befreiungsarmee] und ihr politischer Flügel Irish Republican Socialist Party [Irische Republikanische Sozialistische Partei] angeschlossen. Trotz alledem bemühen sich die irische und britische Regierung um immer neue, immer repressivere Gesetze.

Alle traditionellen rechtlichen Standards und Garantien werden unter den fadenscheinigsten Vorwänden vom Tisch gewischt. Niemand hat bisher erklärt, warum das alles notwendig sein soll. Blair erklärte dem Observer gegenüber am letzten Sonntag: "Die Gruppe hinter diesem Anschlag ist zwar zahlenmäßig gesehen klein, und viele ihrer Mitglieder sind uns namentlich bekannt. In einer vom Terror beherrschten Welt könnten wir sie allerdings, um einmal den Ausdruck zu gebrauchen, ,auslöschen'. Unser Land ist jedoch auf den Prinzipien der Demokratie aufgebaut... wir müssen den Kampf an der Sicherheitsfront mit demokratischen Mitteln gewinnen". Anscheinend gibt es hier nur folgende zwei Alternativen: Es wird entweder ein staatliches Killerkommando geschickt, oder es werden Mittel angewandt, die zwar "legal" sind - da sie die Zustimmung des Parlaments haben - aber Mr. Blairs Phrasen zum Trotz alles andere als "demokratisch" sind.

Großbritanniens Liste der Verletzungen von Bürgerrechten ist lang und erschreckend. Die systematische Verweigerung demokratischer Rechte für die irischen Katholiken durch die britische Regierung hatte zu den Unruhen der letzten drei Jahrzehnte geführt. Die Vollmachten für die Sicherheitsorgane, die seither unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung immer mehr ausgeweitet wurden, kamen nicht nur zur Anwendung, wenn die RUC die Katholiken schikanierte, sondern auch in abgekarteten Gerichtsprozessen, wie z.B. im Fall der "Guildford Four" und der "Birmingham Six". Irland diente den Sicherheitskräften als Übungsplatz und Testgebiet für Praktiken, die immer wieder auch gegen die arbeitende Bevölkerung auf der britischen Insel selbst zum Einsatz kamen, wenn diese für die Verteidigung ihrer sozialen und politischen Interessen kämpfte. Angeblich sollte das Nordirland-Abkommen als Grundlage zur "Normalisierung" der Sicherheitsmaßnahmen dienen. Was statt dessen in Irland wie Britannien "normalisiert" wird, ist die repressivste Gesetzgebung seit Jahrzehnten, die gegen jeden gerichtet werden kann, der die bestehende Ordnung in Frage stellt.

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